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Private „Nachbesprechungen“ als Funktionsausübung deklariert: Entlassung eines Betriebsratsmitglieds wegen Untreue im Dienst

HANNESSCHNELLER

Hat ein Betriebsratsmitglied in zahlreichen Fällen bewusst unrichtig Zeiten als Betriebsratsstunden verzeichnet, die keine waren – insb waren die im Anschluss an die Betriebsratssitzungen in einem naheliegenden Gasthaus stattgefundenen „Nachbesprechungen“ privater Natur –, ist der Entlassungstatbestand der Untreue im Dienst nach § 122 Abs 1 Z 3 erster Fall ArbVG erfüllt.

SACHVERHALT

Ein nicht zur Gänze arbeitsfrei gestelltes Betriebsratsmitglied – das demnach nur auf Grundlage des § 116 ArbVG die für die Betriebsrats-Aufgabenerfüllung „erforderliche Freizeit“ unter Entgeltfortzahlung in Anspruch nehmen konnte – hatte im Anschluss an Betriebsratssitzungen „in zahlreichen Fällen“ Besprechungen in einem dem Betrieb nahegelegenen Gasthaus durchgeführt. Aus der Begründung des OGH ergibt sich, dass dabei vornehmlich fraktionelle oder private Angelegenheiten besprochen und nur „fallweise nebenbei“ auch betriebliche Belange erörtert wurden. Diese „Nachbesprechungen“ verbuchte der AN und gleichzeitige Betriebsratsmandatar als entgeltfortzahlungspflichtige „Freizeit“ gem § 116 ArbVG.

Der Betriebsratsmandatar hatte zwar vom AG eine gewisse Überstunden-Maximalanzahl zugestanden bekommen und diese noch gar nicht ausgeschöpft, dennoch sah es der OGH, ebenso wie die Unterinstanzen, als erwiesen an, dass der Entlassungsgrund der Untreue im Dienst verwirklicht worden sei. Die erforderliche gerichtliche Zustimmung zur Entlassung dieses besonders kündigungs- und entlassungsgeschützten AN sei durch die Berufungsinstanz (OLG Linz) zu Recht erfolgt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der OGH sah durch das Urteil des OLG Linz keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen und wies daher die außerordentliche Revision der AN zurück. Die „Tatfrage“, was denn Gegenstand der Nachbesprechungen im Gasthaus war, konnte vor dem OGH nicht nochmals erörtert werden, ist daher keine „Tatsachen-Instanz“ (vgl § 504 Abs 2 ZPO).

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Der Beklagte handelte vorsätzlich pflicht- und treuwidrig, indem er seine Arbeitszeit auf Grundlage der unrichtigen Verzeichnung von Betriebsratsstunden abrechnete und die Dienstgeberin dadurch zu einer für sie schädigenden Vermögensverfügung (nämlich der Bezahlung von Arbeitsentgelt) verleitete. Er wollte die Dienstgeberin damit über die abzurechnenden und entgeltsbegründenden Betriebsratsstunden täuschen.

Ob der Entlassungstatbestand der Untreue im Dienst gemäß § 122 Abs 1 Z 3 erster Fall ArbVG verwirklicht ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0029420 ua), […] die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist vertretbar. Danach liegt hier ein erheblicher Verstoß des beklagten Betriebsratsmitglieds gegen die dienstlichen Interessen der auf Zustimmung zur Entlassung klagenden Arbeitgeberin vor […].

Richtig ist, dass allein das Mitglied des Betriebsrats darüber entscheidet, wieviel Freizeit es für seine (gesetzmäßige) Betriebsratstätigkeit aufwendet (9 ObA 155/92). Im Fall einer von einem Betriebsratsmitglied zu Unrecht in Anspruch genommenen Freizeit ist nicht schon automatisch eine zur Entlassung berechtigende Untreue des Betriebsratsmitglied zu sehen (9 ObA 80/95). Der Beklagte lässt129aber bei seinen Überlegungen außer Betracht, dass er die Klägerin durch die bewusst unrichtige Verzeichnung von Betriebsratsstunden täuschen wollte (vgl Mosler in ZellKomm2 § 116 ArbVG Rz 9 unter Hinweis auf 9 ObA 80/95).

Nur weil bei den zu privaten Zwecken stattgefundenen ‚Nachbesprechungen‘ fallweise nebenbei auch über betriebliche Belange gesprochen wurde, können die privaten ‚Nachbesprechungen‘ nicht als zur Erfüllung der Obliegenheiten des Betriebsratsmitglieds im Sinne des § 116 ArbVG angesehen werden. Genauso wenig ist es relevant, dass die von der Klägerin zugestandene Maximalanzahl der vom Beklagten verzeichenbaren Überstunden nicht ausgeschöpft wurde, weil dies den Beklagten nicht berechtigen kann, Zeiträume als Betriebsratstätigkeit zu verzeichnen, die keine sind.

Das Berufungsgericht hat auch die – ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängige (RIS-Justiz RS0103201) – Frage, ob das Fehlverhalten des Beklagten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet ist, das Vertrauen der Dienstgeberin soweit zu erschüttern, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, vertretbar gelöst. Es ging davon aus, dass die massive Treuepflichtverletzung des Beklagten durch die wiederholt vorsätzlich begangenen Täuschungshandlungen das Vertrauen des Dienstgebers nachhaltig zu zerstören vermochte. Bei dieser Beurteilung kann es nicht darauf ankommen, ob – nach Meinung des Beklagten – das persönliche Verhältnis zu einem als Großunternehmen agierenden Arbeitgeber weiter entfernt ist, als das persönliche Interesse des nicht freigestellten Betriebsratsmitglieds am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses‘.“

ERLÄUTERUNG

Der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz der §§ 120 bis 122 ArbVG verfolgt den primären Zweck, den demokratisch gewählten MandatarInnen (mandatum [lat.] = Auftrag, Ermächtigung) der Belegschaft die unbeeinträchtigte Mandatsausübung zu sichern. Auf Grund der relativ unbestimmt formulierten Rechtsnorm des § 116 ArbVG wird jedoch das Risiko, einen Kündigungs- oder gar Entlassungsgrund zu setzen, schwer abschätzbar. Der in § 116 ArbVG geregelte Freizeitanspruch zur Erfüllung der betriebsrätlichen Obliegenheiten ist iVm § 38 ArbVG zu verstehen: Aufgabe des BR und seiner Mitglieder ist es, die sozialen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Belegschaft wahrzunehmen und zu fördern. Es zeigt sich, auch die Kombination des Freistellungsanspruches gem § 116 ArbVG mit der Grundsatznorm des § 38 ArbVG lässt noch viele Fragen offen. Richtig ist angesichts der ungenauen gesetzlichen Vorgaben, dass die Umstände des Einzelfalles ganz besonders zu berücksichtigen sind, wie auch der OGH hier betont. Die Grenze, bis zu welchem Ausmaß an Privatgesprächen eine zur Besprechung von Betriebsangelegenheiten in Anspruch genommene Freizeit noch einer iSd § 116 ArbVG (überwiegenden) Aufgabenerfüllung des Betriebsratsmitgliedes dient, ist wohl eine fließende, wie der OGH hier andeutet.

Gelingt dem entlassungsbedrohten Betriebsratsmitglied (erst die rechtskräftige Gerichtsentscheidung berechtigt den AG zum Ausspruch der Entlassung; suspendieren dürfte er den AN allerdings mit sofortiger Wirkung) nicht der Beweis, dass es bei den „Nachbesprechungen“ der Betriebsratssitzungen sehr wohl Interessenvertretungsaufgaben zugunsten der Belegschaft erfüllte, sprechen die Umstände des Falles – vor allem die Örtlichkeit der angeblichen „Besprechungen“ – wohl eher für Täuschungsversuche zum finanziellen Schaden des AG. Obwohl, die bloße Wahl der Örtlichkeit „Gasthaus“ ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, denn bei feindseligem oder überwachendem Verhalten des AG (Betriebsinhabers) gegenüber Betriebsratsmitgliedern kann es durchaus nötig sein, dass sich diese an einen unbeobachteten Ort außerhalb des Betriebs zurückziehen; zB um Arbeitsplatz-Erhaltungsmaßnahmen, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, Analysen der wirtschaftlichen Situation des Betriebs bzw Unternehmens und ähnliches zu besprechen. Schon aus Beweisgründen ist dann aber zu empfehlen, Protokolle über diese Besprechungen anzufertigen und über mehrere Jahre aufzubewahren (nebst weiteren Beweissicherungen, zB der Dokumentation von Aussagen glaubwürdiger Zeugen). Auch sollte die Wahl der Speisen und vor allem der Getränke diesfalls einer seriösen Diskussion innerhalb des BR angemessen sein.

Nach § 122 Abs 2 ArbVG ist bei allen Entlassungstatbeständen vom Gericht unter Beachtung der „besonderen Umstände des Falles“ zu prüfen, ob dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds nicht doch zumutbar ist. Der beklagte Mandatar hatte sich darauf berufen, dass im konkreten Fall die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung deshalb zu bejahen sei, weil es sich beim AG um ein „Großunternehmen“ handle. Der OGH hielt dieses Argument aber für irrelevant.130