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Invaliditätspension: Erreichbarkeit des (Verweisungs-)Arbeitsplatzes mit dem eigenen PKW

ALEXANDERPADILHA DE BRITO

Für einen Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, besteht keine Verpflichtung, den eigenen PKW zu verwenden. Dies gilt dann nicht, wenn Versicherte in vergleichbaren Situationen zum Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeugs angewiesen sind.

SACHVERHALT

Der Kl kann zu Fuß Wegstrecken von 500 m in 25 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benützen. Die nächste Haltestelle eines solchen ist 1,5 km entfernt. Von dort aus ist ein für eine Verweisung notwendiger regionaler Arbeitsmarkt nicht erreichbar.

Solange der Kl erwerbstätig war, verwendete er seinen eigenen PKW, um den Arbeitsplatz zu erreichen. Mit dem PKW wären Gegenden erreichbar, in denen ein ausreichender regionaler Arbeitsmarkt existiert.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) lehnte den Antrag des Kl auf Gewährung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht gab der Klage statt. Rechtlich führte es aus, dass Versicherte nicht verpflichtet seien, ihren privaten PKW zu benützen. Nur wenn der Wohnort durch öffentliche Verkehrsmittel schlecht erschlossen und die Benützung privater Verkehrsmittel zur Zurücklegung der Wege üblich ist, sei es für Versicherte zumutbar, den privaten PKW zu verwenden. Bei einer Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels in 1,5 km Entfernung sei der Wohnort des Kl nicht abgelegen. Daher sei die Verwendung des privaten PKWs nicht zumutbar. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und verwies die Rechtssache zurück an das Erstgericht. Im fortgesetzten Verfahren werde zu klären sein, wie die Einwohner des Heimatortes des Kl üblicherweise ihre Arbeitsplätze erreichen. Führen die anderen Versicherten mit dem privaten KFZ zu ihrem Arbeitsplatz oder zu einer Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels mit einer besseren Anbindung, werde dies auch dem Kl zumutbar sein.205 Der Rekurs sei zulässig, weil Rsp des OGH fehle, ob der Wohnort des Versicherten, der zwar über eine Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels in fußläufiger Nähe verfügt, mit dem aber innerhalb einer Stunde kein geeigneter Arbeitsmarkt erreichbar sei, durch öffentliche Verkehrsmittel aufgeschlossen sei. Der Rekurs war zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Die vom Erstgericht vertretene Ansicht, bereits die Erreichbarkeit eines (einzigen) öffentlichen Verkehrsmittels zu Fuß bewirke, dass der Wohnort eines Versicherten als durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen anzusehen sei, hat der Oberste Gerichtshof jüngst nicht gebilligt (10 ObS 145/14t), wäre es doch andernfalls einem Versicherten, dem eine Übersiedlung und Wochenpendeln nicht mehr zumutbar sind, möglich, bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit die Leistungsgewährung zu beeinflussen, indem er seinen Wohnort an der zu Fuß erreichbaren Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels wählt, wenn mit diesem Verkehrsmittel lediglich ein Ort mit einem nicht zureichenden regionalen Arbeitsmarkt angefahren werden kann.

In der genannten Entscheidung 10 ObS 145/14t hat der erkennende Senat ferner ausgesprochen, dass im Sinn der bisherigen Rechtsprechung zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung eines privaten Pkws das Kriterium maßgeblich ist, ob in einer bestimmten Wohngegend üblicherweise die Wege zum oder vom Arbeitsplatz bzw zum oder vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist daher zutreffend.

Der Rekurswerber meint, er werde anders als ein Versicherter behandelt, der über keine Lenkerberechtigung und keinen Pkw verfüge […] und daher eine Invaliditätspension erhalten. Diese Ungleichbehandlung könne rechtlich nicht gerechtfertigt werden. Dem ist zu erwidern:

In der Entscheidung 10 ObS 347/88 (SSV NF 3/142 = SZ 62/195) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass für einen Versicherten, der […] nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, keine Verpflichtung besteht, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen. Diese Rechtsauffassung wurde vor allem damit begründet, dass sonst vom Versicherten, der bereits den überwiegenden Teil der Anschaffungskosten für den Pkw getragen hatte, unter Berücksichtigung der regelmäßigen Betriebskosten des Fahrzeugs für die Zurücklegung des Weges zum Arbeitsplatz ein finanzieller Einsatz verlangt würde, der erheblich über den der Mehrheit der Versicherten liegt, denen die Möglichkeit zur Verfügung steht, ein öffentliches Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz zu benützen. Dieses Kostenargument kommt aber nicht in einem Fall zu tragen, in dem die Versicherten in vergleichbarer Situation zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeugs angewiesen sind.“

ERLÄUTERUNG

Die Entscheidungen des OGH zur Zumutbarkeit der Verwendung des eigenen Verkehrsmittels sind mittlerweile zahlreich. Der Grundsatz, dass Versicherte durch persönliche Umstände wie etwa mangelnde Sprachkenntnisse keine Vorteile bei der Feststellung der Invalidität haben sollten, ist durchaus nachvollziehbar.

Dies kommt auch in der vorliegenden E zum Ausdruck, wenn es heißt, dass der Kl durch die Wahl eines Wohnortes mit öffentlichen Verkehrsverbindungen, die nur Regionen mit einem unzureichenden Arbeitsmarkt anfahren, nicht die Leistungsgewährung beeinflussen können soll. Voraussetzung dafür wäre allerdings, profundes Wissen über die Judikatur zur Verweisbarkeit auf regionale Arbeitsmärkte, berufskundliche Kenntnisse über eben diese konkreten Arbeitsmärkte und die Bereitschaft und Möglichkeit genau an so einen abgelegenen Wohnort zu ziehen. Zusätzlich sei erwähnt, dass Voraussetzung für die Zumutbarkeit der Verwendung des eigenen KFZ die Unzumutbarkeit eines Umzugs ist. Es ist daher praktisch ausgeschlossen, dass Versicherte einen Wohnort bewusst wählen, um eher eine Invaliditätspension zu erlangen.

Ebenfalls nicht vollständig nachvollziehbar ist die Argumentation, warum Kl, die keinen Führerschein besitzen, was ebenfalls einen persönlichen Umstand darstellt, im Ergebnis anders behandelt werden, als Versicherte mit Lenkerberechtigung und eigenem KFZ. Eine Ungleichbehandlung läge auch dann vor, wenn die Lenkerberechtigung aus Gründen entzogen würde, die zwar das Lenken eines KFZ verbieten, aber auf das konkrete Leistungskalkül des Kl keinen Einfluss haben. Ob andere Versicherte konkret ein eigenes Fahrzeug verwenden oder nicht, darf in einem Verfahren, im Rahmen dessen abstrakt auf Arbeitsplätze verwiesen wird, die rechtliche Beurteilung wohl nicht beeinflussen.206