1. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums zum Generalthema „EuGH und Arbeitsrecht“

MICHAELHAIDER

Mit dem 1. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums feierte eine neue Tagungsschiene zum österreichischen und europäischen Arbeitsrecht am 28.5.2015 in Wien Premiere.

Das Wiener Arbeitsrechtsforum wurde als Kooperation zwischen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien sowie der Kanzlei FREIMÜLLER/OBEREDER/PILZ Rechtsanwält_innen GmbH ins Leben gerufen und soll sich mit jährlich stattfindenden Symposien sowohl an PraktikerInnen als auch an WissenschaftlerInnen richten. Dabei widmet sich die ganztägige Veranstaltung – unter einem jährlich vorgegebenen Generalthema – in vier bis sechs Vorträgen zu je ungefähr 35 Minuten praxisrelevanten, wissenschaftlich wertvollen Fragestellungen des nationalen und europäischen Arbeitsrechts. Nach jedem Vortrag bietet das Veranstaltungsformat ausreichend Raum für Diskussionsbeiträge, wobei sämtliche Vorträge sowie wesentliche Wortmeldungen im Rahmen der Diskussion im Nachhang zur Tagung in einem eigenen Tagungsband im Manz Verlag publiziert werden.

Das 1. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums fand mit knapp 80 TeilnehmerInnen unter Moderation von RA Dr. Alois Obereder in den Räumlichkeiten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Generalthema „EuGH und Arbeitsrecht“ statt. In den einleitenden Begrüßungsworten hob Dr. Hans Trenner, Bereichsleiter für Beratung und Rechtsschutz der AK Wien, die Wichtigkeit eines regen Meinungsaustausches zur Weiterentwicklung des Arbeitsrechts, insb unter Einbindung junger WissenschaftlerInnen hervor und betonte, das Wiener Arbeitsrechtsforum als alljährliche Tagung etablieren zu wollen.

Im ersten Vortrag beschäftigte sich Senatspräsident des OGH Hon.-Prof. Dr. Gerhard Kuras mit Fragen der „Vorlagepflicht und Sinnhaftigkeit von Vorlagen“. Dabei betonte er anfänglich die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens als Instrument des Zusammenhalts des dezentralen Normenvollzugs durch nationale Gerichte und beschrieb instruktiv den Aufbau und Fortgang des Vorabentscheidungsverfahrens. Daran anschließend ging Kuras der Frage nach, in welchen Fällen eine Vorlagepflicht nicht bestehe, und verwies darauf, dass bei Beurteilung der diesbezüglich relevanten Frage der offenkundig richtigen Anwendung von Gemeinschaftsrecht zB auch (gleichlautende) Entscheidungen anderer (ausländischer) Gerichte berücksichtigt werden können. Eine Vorlagepflicht scheide zudem aus, wenn im Falle einer Mindestharmonisierung nach nationalem Recht ohnehin schon iSd geschützten Rechtsposition zu entscheiden sei. Zweifelsfälle einer Vorlagepflicht bestünden jedoch zB bei vom EuGH festgehaltenen Ermessensspielräumen von Mitgliedstaaten. Für die Praxis sei, ausgehend von den bisherigen Erfahrungen, entscheidend, dass die Unterschiedlichkeiten der Ausgangssituationen in den Mitgliedstaaten dazu zwingen würden, im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren möglichst einfache, sachverhaltsnahe Argumentationslinien zu verwenden, Rechtsbegriffe (bzw Prämissen) ständig neu zu hinterfragen sowie angemessene Bewertungsaspekte aus der eigenen Rechtsordnung klar einzubringen.

Daran anschließend ging Frau RA Dr.inSieglinde Gahleitner (Mitglied des VfGH) im zweiten Vortrag der Frage der „Staatshaftung bei fälschlicher Nichtvorlage“ nach. Nach einer Darstellung der nationalen und unionsrechtlichen Rechtsquellen der Staatshaftung sowie der Frage, wann ein Verstoß gegen eine Vorlagepflicht vorliege, behandelte Gahleitner die Problematik der Haftung des Staates für judikatives Unrecht. Anhand der Rs Köbler sowie Traghetti del Mediterraneo gelangte Gahleitner zur Frage der Auslegung des für eine Haftung erforderlichen Merkmals des „offenkundigen Verstoßes“ und kam dabei zum Schluss, dass – ausgehend von zahlreichen Judikaten des innerstaatlich für Staatshaftungen zuständigen VfGH – ua an die Offenkundigkeit eines Auslegungsergebnisses einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden und ebenso ein nationales Gericht dann von einer Offenkundigkeit ausgehen könne, wenn eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats zuvor ein anderes Auslegungsergebnis vertreten habe. Auch führe die Vorlage eines anderen Gerichts zu keiner Unterbrechungs- oder Aussetzungspflicht, weswegen bei einer zwischenzeitlich anderslautenden „eigenen“ Entscheidung ebenso kein offenkundiger Verstoß vorliege. Eine Staats-211haftung bei rechtswidriger Nichtvorlage bestünde somit nur unter äußerst strengen Voraussetzungen und sei derzeit – soweit ersichtlich – kein diesbezüglicher Haftungsfall bekannt. Betont wurde zudem die nunmehrige Praxis des VfGH, Klagen, die keinen offenkundigen Verstoß nachweisen können, zurück- und nicht abzuweisen.

Dr. Wolfgang Kozak (Referent der AK Wien) beschäftigte sich im Rahmen seiner Ausführungen zum Thema „EuGH: Zug zur Rechtsvergleichung“ anfänglich insb mit der Frage des Zwecks und der Notwendigkeit einer Rechtsvergleichung. Dabei verwies er auf die für RechtsanwenderInnen bedeutende Frage, ob ein zu einer anderen Rechtsordnung ergangenes Urteil des EuGH auch für den eigenen Rechtskreis beachtlich sei. Oftmals sei eine eingehende Untersuchung nicht notwendig, so zB, wenn sofort ersichtlich sei, dass aufgrund nationaler Regelungen für die getroffene Entscheidung kein Raum sei (zB Rs Bollacke). Bedürfe es jedoch einer genauen Prüfung, sei fraglich, wie bzw in welcher Größe ein Rechtsvergleich vorzunehmen sei. Dabei sei festzuhalten, dass die Zugehörigkeit von Normen zu anderen Rechtskreisen als jenem, dem die eigene Rechtsordnung zugerechnet werde, kein Vergleichsverbot bedeute. Nach Kozak sei grundsätzlich kein Makro-, sondern vielmehr ein Mikrovergleich anzustreben, wobei sich dieser im Hinblick auf die einzubeziehenden Vergleichsnormen bei der Frage der Relevanz von EuGH-Entscheidungen für die inländische Rechtsordnung systematisch-methodisch in der Nähe der kollisionsrechtlichen Gruppenvergleiche bei kollisionsrechtlichen Verweisungen befinde. Aufgrund des nicht zu unterschätzenden Aufwands wies Kozak jedoch auf eine laufend notwendige Kontrolle hin, ob der Rechtsvergleich im Hinblick auf die daraus zu gewinnenden Ergebnisse ausreichend valide sei, da oftmals daraus kein Auslegungsmaßstab abgeleitet werden könne. Im Übrigen bestünde für den Gesetzgeber insofern eine Pflicht zur Rechtsvergleichung, als dieser im Bedarfsfall Aktionen zu setzen habe, um unionsrechtswidrige Rechtslagen anzupassen.

Dr. Bertram Zwanziger (Richter des BAG) beurteilte im Rahmen des ersten Vortrags am Nachmittag die (Nicht-)Reaktion deutscher Institutionen auf EuGH-Urteile. Am Beispiel des Themengebiets „Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit“ verwies Zwanziger anschaulich darauf, dass der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung unionsrechtlicher Rsp oftmals über die explizite Judikatur des EuGH hinaus neue Rechtslagen schaffe. Ebenso zeige sich unter Verweis auf § 14 Abs 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz, dass der deutsche Gesetzgeber EuGH-Entscheidungen nicht bloß „schlicht“ umsetze, sondern damit auch eigene Ziele im Rahmen des durch das Unionsrecht Erlaubten verfolge. Im Gegensatz dazu zeige die weiterhin unveränderte, unionsrechtswidrige (nicht anwendbare) Fassung des § 622 Abs 2 Satz 2 BGB, dass der Gesetzgeber – so er kein politisches Interesse an einer Neuregelung habe – auf Urteile des EuGH auch nicht reagiere. Eine verzögerte Reaktion des Gesetzgebers führe jedoch insofern auch zu positiven Ergebnissen, als eine sofortige Reaktion auf die urlaubsrechtliche Rs Schultz-Hoff aufgrund der folgenden einschränkenden Entscheidung KHS zu einer überschießenden gesetzlichen Regelung geführt hätte. Ähnliche (In-)Aktivitäten würden sich auch bei den deutschen Tarifvertragspartnern finden (zB zur EuGH-Judikatur hinsichtlich des Verfalls von Urlaub). Im Bereich der deutschen Rsp habe vor allem die Judikatur des EuGH zur Massenentlassung zu innerstaatlichen Schwierigkeiten geführt; im Regelfall müsse jedoch – so der EuGH eine Rechtsfrage abweichend zu den nationalen Gerichten beurteile – schlicht die Rsp in diesem Punkt abgeändert werden.

RA Dr. Christoph Wolf (CMS Reich-Rohrwig-Hainz) widmete sich im Rahmen seines Vortrags der Frage der „kostenneutralen Sanierung diskriminierender Lohnsysteme“. Während es unstrittig sei, dass eine diskriminierende Regelung für die Zukunft durch eine diskriminierungsfreie ersetzt werden dürfe, sei nicht klar, inwieweit eine Neuregelung auch Ansprüche erfassen dürfe, die vor dieser liegen. Dabei analysierte Wolf die bisherige Rechtslage und europarechtliche Judikatur (Rs Hennings, Specht, Schmitzer, Starjakob) zu altersdiskriminierenden Entlohnungssystemen im „staatlichen Bereich“ und kam zum Schluss, dass schon nach der Rs Hennings klar sein hätte müssen, dass als Voraussetzung einer kostenneutralen Sanierung ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem geschaffen werden müsse, welches von sämtlichen diskriminierenden Regelungen befreit werde und welches auf alle Bediensteten – gleichgültig, ob Neueintritte oder bereits Beschäftigte – Anwendung finde. Darüber hinaus würden Übergangslösungen eine partielle Aufrechterhaltung der Diskriminierung erlauben. Dabei werde der Boden der Angemessenheit nicht verlassen, wenn die Angleichung über einen längeren Zeitraum erfolge. Hinsichtlich der Neuregelungen im Bundesrecht – bei den Bundesbahnen habe man jüngst einen anderen Lösungsansatz gewählt – werde der EuGH nach Ansicht Wolfs wohl zum Ergebnis kommen müssen, dass die Überleitung an sich altersdiskriminierend sei, allerdings liege diesfalls eine Rechtfertigung, nämlich die Wahrung des Besitzstandes als legitimes Ziel, tatsächlich vor. Offen bleibe jedoch die Frage der Verhältnismäßigkeit des Überleitungsgesetzes.

Frau ao.Univ.-Prof.in MMag.a Dr.inMichaela Windisch-Graetz (Universität Wien) hielt anfänglich ihres Vortrags zum Thema „Auswirkungen der Freizügigkeit auf das Arbeitsrecht“ am Ende der212 Tagung fest, dass sich der EuGH schon mehrfach mit Fragen der Vereinbarkeit nationaler arbeitsrechtlicher Regelungen und der Grundfreiheit der AN-Freizügigkeit befasst habe, so zB in den Rs Bosman oder Graf. Gerade bei letzterer E sei nach Ansicht von Windisch-Graetz jedoch nicht erkenntlich, ob diese als richtungsweisend bezeichnet werden könne, habe der EuGH doch offensichtlich das österreichische Abfertigungssystem missverstanden. Jedenfalls sei an der Unterscheidung „Zugangsverbot – Ausübungsverbot“ nicht festzuhalten. Es komme vielmehr im Einzelfall darauf an, ob es einen schlüssigen Kausalitätszusammenhang zwischen einer arbeitsrechtlichen Regelung und möglichen Mobilitätsentscheidungen der AN gebe. Dementsprechend habe der EuGH in der Folge das allgemeine Beschränkungsverbot der AN-Freizügigkeit bestätigt. In der Folge stellte die Vortragende die Judikatur des EuGH zur Anrechnung von Vordienstzeiten im Rahmen von nach Dienstjahren ansteigenden Gehaltsschemata in den Mittelpunkt ihrer weiteren Ausführungen. Dabei seien zumindest jene Gehaltsschemata als (potentielle) Beschränkungen der AN-Freizügigkeit anzusehen, die ausschließlich die im Geltungsbereich des betreffenden KollV erworbenen Vordienstzeiten berücksichtigen. Darüber hinaus qualifizierte Windisch-Graetz die Anrechnungsbestimmungen des § 3 Abs 2 Z 1 und 6 UrlG ebenso als unionsrechtswidrig, soweit Zeiten nur dann angerechnet werden, wenn diese im Inland verbracht worden sind.

Abschließend bedankte sich Moderator Dr. Alois Obereder in seinen Schlussworten bei allen Vortragenden, DiskutantInnen, TeilnehmerInnen sowie Mitwirkenden des 1. Symposiums des Wiener Arbeitsrechtsforums und kündigte an, dass das 2. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums Anfang Juni 2016 stattfinden werde.

Langfassungen sämtlicher Vorträge sowie damit zusammenhängende Diskussionsbeiträge können dem in Kürze im Manz Verlag erscheinenden Sammelband Kozak (Hrsg), EuGH und Arbeitsrecht (2015), entnommen werden.