Keine aufschiebende Wirkung für Arbeitslose bei § 10 AlVG-Leistungssperren – praktische Negierung eines aktuellen VfGH-Erk durch AMS-Praxis und Teile der Rsp des BVwG
Keine aufschiebende Wirkung für Arbeitslose bei § 10 AlVG-Leistungssperren – praktische Negierung eines aktuellen VfGH-Erk durch AMS-Praxis und Teile der Rsp des BVwG
Mit Erk vom 2.12.2014, G 74/2014-10, G 78/2014-10, hat der VfGH eine gravierende Verbesserung der Rechtsposition Arbeitsloser im Rechtsmittelverfahren herbeigeführt. Das Erk hat Beschwerden gegen Arbeitsmarktservice-(AMS-)Bescheide seit Inkrafttreten des VfGH aufschiebende Wirkung verliehen, die nur im Einzelfall unter sehr strengen gesetzlichen Voraussetzungen aberkannt werden kann. Die derzeitige Verwaltungspraxis des AMS sieht iZm der aufschiebenden Wirkung bei Leistungssperren gem § 10 AlVG allerdings gänzlich anders aus. Generell allen Beschwerden gegen § 10 AlVG-Sperren wird seitens des AMS die aufschiebende Wirkung aberkannt. Auch die bisherige Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zu Beschwerden, die gegen diesen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eingebracht werden, ist leider widersprüchlich und fällt überwiegend zum Nachteil der Betroffenen aus, da der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung auch vom BVwG in vielen Fällen nicht aufgehoben wird. De facto hat sich somit an der Rechtsposition vieler Betroffenen von § 10 AlVG-Leistungssperren trotz des VfGH-Erk verfassungswidrigerweise nichts geändert. Der Ausgang des BVwG-Verfahrens scheint für die Betroffenen von „Zufälligkeiten“ abhängig zu sein; tatsächlich hängt er davon ab, bei welchem/welcher RichterIn die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung aufgrund der Geschäftseinteilung landet.
Mit dem genannten VfGH-Erk wurde § 56 Abs 3 AlVG idF BGBl I 2013/71als verfassungswidrig aufgehoben.* Diese Bestimmung regelte, dass – auch nach Einführung des neuen BVwG ab 1.1.2014 – Beschwerden gegen AMS-Bescheide keine aufschiebende Wirkung haben und ihnen diese nur auf Antrag durch das AMS zuerkannt werden könne.* Dies, obwohl Art 136 Abs 2 B-VG für das BVwG primär ein einheitliches Verfahrensrecht vorsieht und dieses in § 13 Abs 1 VwGVG normiert, dass rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerden gegen Bescheide aufschiebende Wirkung haben. Gem Art 136 Abs 2213 dritter Satz B-VG sind abweichende Regelungen vom einheitlichen Verfahrensrecht (dem VwGVG) nur dann möglich, wenn sie „zur Regelung des Gegenstandes erforderlich“ sind oder „soweit das VwGVG dazu ermächtigt“. Beide Voraussetzungen trafen auf § 56 Abs 3 AlVG nicht zu. Der VfGH begründete die Aufhebung des § 56 Abs 3 AlVG insb damit, dass die Regelung nicht dem Kriterium der Erforderlichkeit iSd Art 136 Abs 2 B-VG entsprach. Sie widersprach dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes, da sie dem Interesse des einzelnen Versicherten, nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen E so lange belastet zu werden, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist (…), nicht hinreichend Rechnung trug. Das Erk wurde mit BGBl I 2015/28kundgemacht; die Aufhebung ist mit 24.1.2015 in Kraft getreten. Es gilt seither gem § 13 Abs 1 VwGVG auch für Beschwerden gegen AMS-Bescheide, die vor das BVwG gebracht werden, dass sie aufschiebende Wirkung haben. Die aufschiebende Wirkung kann – im Einzelfall – gem § 13 Abs 2 VwGVG nur dann durch die Behörde ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen (…) der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides (…) wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
Diese klare Rechtslage wird allerdings in der Praxis des AMS – auch nach dem 24.1.2015 – dadurch ad absurdum geführt, dass dieses – ohne Einzelfallprüfung – in allen (!) Fällen der Beschwerde gegen eine § 10 AlVG-Leistungssperre die aufschiebende Wirkung ausschließt (vgl Pkt 2.). Beschwerden gegen diesen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sind vom AMS gem § 13 Abs 5 VwGVG unverzüglich dem BVwG vorzulegen, das über diese Beschwerde quasi in einem Eilverfahren zu entscheiden hat. Aber auch die Befassung des BVwG mit Beschwerden gegen diesen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bringt derzeit keine Klärung der Rechtslage, da der generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei § 10 AlVG-Sperren auch vom BVwG in vielen Fällen nicht aufgehoben wird (vgl Pkt 3.).
Leistungssperren gem § 10 AlVG sind über Arbeitslose zu verhängen, wenn sie – erwiesenermaßen und verschuldet – der raschen Beendigung von Arbeitslosigkeit entgegenwirken: Indem sie eine zumutbare Beschäftigung ablehnen oder vereiteln, eine Nach(Um)schulung ablehnen bzw ihren Erfolg vereiteln, sich grundlos weigern, an einer Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen bzw deren Erfolg vereiteln, oder – vom AMS dazu aufgefordert – nicht bereit oder in der Lage sind, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen.
Die Leistung aus der AlV dient der Existenzsicherung und ist die – bei lediglich 55 % Nettoersatzrate (Arbeitslosengeld) – bescheidene und in vielen Fällen einzige Einkommensquelle der Betroffenen. Der Verlust der Leistung für sechs Wochen (bzw acht im Wiederholungsfall) stellt daher eine finanziell massiv einschneidende behördliche Maßnahme dar. Das BVwG hat im Erk W228 2013604-1 vom 9.3.2015 die § 10-Sperre zutreffend als grundrechtsnahen, hoheitlichen Eingriff bezeichnet. Bis zur Klärung, ob ein zu sanktionierender Tatbestand im Einzelfall tatsächlich verwirklicht wurde, sollte eine Beschwerde gegen einen solchen Sperrbescheid – aufgrund des genannten Erk des VfGH seit 24.1.2015 – gem § 13 Abs 1 VwGVG aufschiebende Wirkung haben. Dh die Leistung sollte bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts ausgezahlt werden, um dem Betroffenen ein faires Verfahren zu ermöglichen. Die Realität sieht derzeit anders aus.
Das BVwG hat bis zum 16.6.2015 (Veröffentlichung im RIS) 19-mal über Beschwerden gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt B) in Bescheiden des AMS, die unter Spruchpunkt A eine § 10 AlVG-Leistungssperre verhängte, entschieden.
Die gleichlautende Begründung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ist in allen (!) 19 AMS-Bescheiden Folgende: Das Arbeitslosenversicherungsrecht bezweckt arbeitslos gewordene Versicherte durch Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und in die Lage zu versetzen, den Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. § 10 AlVG sanktioniert durch befristeten Leistungsausschluss diejenigen Personen, die erforderliche Anstrengungen zur Beendigung der Arbeitslosigkeit schuldhaft unterlassen oder vereiteln. Das gilt auch für erforderliche Schulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahmen. Eine aufschiebende Wirkung würde diesen aus generalpräventiven Gründen im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck unterlaufen. Insgesamt dient dieses Vorgehen dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der AlV. Aus diesem Grund überwiegt das öffentliche Interesse gegenüber dem mit einer Beschwerde verfolgten Einzelinteresse. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ist daher auszuschließen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Eine einzelfallbezogene Prüfung findet darüber hinausgehend nicht statt.214
Diese Vorgehensweise des AMS ist mit dem Inhalt des VfGH-Erk nicht vereinbar und die Bescheide in ihren Spruchpunkten B über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung daher verfassungswidrig. Es wird seitens des AMS quasi durch die Hintertüre wieder jener generelle Rechtszustand iSd § 56 Abs 3 AlVG idF BGBl I 2013/71herbeigeführt, den der VfGH bereits als verfassungswidrig aufgehoben hat.
Die sehr strengen Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung, denen Bescheidbeschwerden gem § 13 Abs 1 VwGVG zukommt, sind in § 13 Abs 2 VwGVG geregelt. Diesen Voraussetzungen entsprechen die genannten AMS-Bescheide, die die aufschiebende Wirkung bei § 10-Sperren flächendeckend ausschließen, keinesfalls: Es fehlt in den Bescheiden die von § 13 Abs 2 VwGVG zwingend vorgeschriebene individuelle Interessenabwägung zwischen dem Interesse des jeweils von einer Sperre Betroffenen daran, das Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens abwarten zu können, ohne für das gesamte Rechtsmittelverfahren das finanzielle Risiko desselben tragen zu müssen, mit einem zu benennenden besonderen öffentlichen Interesse, das allenfalls entgegenstehen könnte. Der Hinweis auf den generalpräventiven Zweck der Norm allein ist nicht ausreichend. Auch enthalten die Bescheide keinerlei Begründung dafür, welche Gefahr im Verzug laut Meinung des AMS im konkreten Einzelfall bestehen sollte, die einen vorzeitigen Vollzug des Bescheides im konkreten Einzelfall dringend gebieten würde.
Diese Vorgehensweise des AMS steht im klaren Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung des VfGH, der im genannten Erk festhielt, dass der einzelne Versicherte nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet werden darf, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Die Betroffenen werden durch diese „generalpräventiven“ AMS-Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Effektivität ihres Rechtsschutzes verletzt.
Da Beschwerden gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung vom AMS gem § 13 Abs 5 VwGVG unverzüglich dem BVwG zur Entscheidung über die aufschiebende Wirkung vorzulegen sind, war zu hoffen, dass das BVwG die Verfassungswidrigkeit der AMS-Bescheidpraxis flächendeckend aufgreifen und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in § 10-Sperrbescheiden aufheben würde. Dem ist aber leider nicht so.
Das BVwG hat bis zum 16.6.2015 (Veröffentlichung im RIS) 19-mal über Beschwerden gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung iZm § 10 AlVG-Sperren entschieden.*
In allen diesen Fällen trat das AMS die Entscheidung über die § 10 AlVG-Sperre selbst nicht an das BVwG ab, sondern behielt sich das Recht zur Beschwerdevorentscheidung über die Leistungssperre weiterhin vor. Die Klärung der Frage, ob überhaupt ein Tatbestand vorliegt, der eine Leistungssperre rechtfertigt, blieb daher in allen Fällen vorläufig offen.
Die 19 Entscheidungen des BVwG fielen folgendermaßen aus:
13-mal wurde negativ entschieden, sechsmal positiv;
von den 13 negativen Entscheidungen sind zwölf gleichlautend formuliert;
von den 19 Entscheidungen sind neun in Erkenntnisform entschieden worden, zehn in Beschlussform;
17 Entscheidungen wurden von EinzelrichterInnen getroffen, zwei von einem Senat;
nur in zwei Fällen wurde die ordentliche Revision zugelassen, 17-mal wurde sie ausgeschlossen bzw nicht erwähnt.
Mit dem legitimen Wunsch nach Einheitlichkeit der Rsp und einer Umsetzung der dem VfGH-Erk zu § 56 Abs 3 AlVG (alt) zugrunde liegenden Rechtsposition ist diese Judikatur-Linie keinesfalls zu vereinbaren.
Schlichtweg nicht erörtert wird in den genannten negativen Entscheidungen des BVwG, ob das AMS das Vorliegen der Voraussetzungen zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gem § 13 Abs 2 VwGVG geprüft hat! Wäre diese Prüfung seitens des BVwG erfolgt, hätte die fehlende individuelle Interessenabwägung zwischen öffentlichen Interessen und jenen der BeschwerdeführerInnen festgestellt werden müssen. Bei sechs Wochen Sperre könnte der strittige Betrag – berechnet nach dem (2015) höchstmöglichen Arbeitslosengeldtagsatz – maximal € 2.028,60 (48,30 x 42), bei acht Wochen Sperre € 2.704,80 (48,30 x 56) betragen; bei ungekürztem, höchstmöglichem Notstandshilfetagsatz betrüge der strittige Betrag € 1.866,48 (44,44 x 42) bzw € 2.488,64 (44,44 x 56). Der vorläufige Ausfall die-215ses Betrages ist für den betroffenen Arbeitslosen in der Regel wohl deutlich schlechter verkraftbar als es das öffentliche Interesse daran sein kann, diesen Betrag bereits vor der erst zu treffenden Feststellung, ob tatsächlich ein Sperrtatbestand vorliegt, zu erhalten. Selbst, wenn die „generalpräventiven Gründe“ als gewichtiger gegenüber der existenzsichernden Eigenschaft des Leistungsbezugs bewertet worden wären und daher ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Leistungssperre angenommen worden wäre, hätte danach wegen des kumulativ formulierten Tatbestands als zweiter Schritt geprüft werden müssen, ob der vorzeitige Vollzug der § 10 AlVG-Sperre aus Gefahr im Verzug dringend geboten wäre oder nicht. Die Prüfung dieser Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung unterblieb ebenfalls.
Die Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 13 Abs 2 VwGVG entsprechen großteils jenen, die in § 64 Abs 2 AVG normiert sind. Darauf wurde bereits in den EB zur RV* hingewiesen. Zur Prüfung der Voraussetzungen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung gem § 13 Abs 2 VwGVG wäre daher die VwGH-Judikatur zu § 64 Abs 2 AVG heranzuziehen gewesen. Auch nach dieser Judikatur muss seitens der Behörde eine Interessenabwägung zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Berufungswerbers und den entgegenstehenden Interessen des öffentlichen Wohls vorgenommen werden.* Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfolgt nur dann rechtmäßig, wenn die Interessenabwägung ein besonderes öffentliches Interesse feststellt, aus dem wegen der triftigen Gründe des konkreten Falles eine vorzeitige Vollstreckung des Bescheides wegen Gefahr im Verzug sachlich geboten wäre.* Gefahr im Verzug liegt nur vor, wenn ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl droht.* Bei dieser Interessenabwägung kommt iSd Judikatur des VfGH der faktischen Effizienz des Rechtsmittels der Vorrang zu, dessen Wirkungen nur eingeschränkt werden dürfen, wenn die angeführten Voraussetzungen vorliegen.*
Alle gleichlautenden negativen Entscheidungen des BVwG zitieren jedoch iZm der Prüfung der Frage, ob der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung seitens des AMS rechtskonform erfolgte, nicht die VwGH-Judikatur zu § 64 Abs 2 AVG, sondern fälschlicherweise jene zu § 30 Abs 2 VwGG. Dort wird verlangt, dass wer eine VwGH-Beschwerde einbringt und im Verfahren vor dem VwGH die aufschiebende Wirkung beantragt, vorbringen muss, wieso ihn der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unverhältnismäßig härter trifft als andere Personen. Dementsprechend argumentiert das BVwG in seinen negativen Entscheidungen des irrig angewendeten § 30 Abs 2 VwGG, dass es in den AlVG-Beschwerden gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei § 10-Sperren kein Vorbringen der BeschwerdeführerInnen zu den sie treffenden unverhältnismäßigen Nachteilen gebe. Nach § 13 Abs 2 VwGVG ist so ein Vorbringen aber gerade nicht erforderlich, da nach Abs 1 die aufschiebende Wirkung die Regel ist und es ausschließlich Aufgabe der Behörde ist, die Voraussetzungen des Abs 2 leg cit zu prüfen, um eine Entscheidung über den möglichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu treffen. Die negativen Entscheidungen des BVwG, die den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung iZm § 10 AlVG-Sperren bestätigen, führen unzulässigerweise zu einer Beweislastumkehr zum Nachteil der Betroffenen. Auch sie sind mit dem VfGH-Erk* nicht in Einklang zu bringen, sie widersprechen dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes.
Weiters ist festzuhalten, dass die negativen Entscheidungen des BVwG die Betroffenen auch in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen. Dieses wird verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat,* insb wenn der Vorsitzende allein statt des zuständigen Kollegiums entscheidet.*
§ 6 BVwGG sieht für das BVwG die Zuständigkeit des Einzelrichters nur vor, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 7 BVwGG bestimmt in Abs 1 die Zusammensetzung der Senate und normiert in Abs 2, dass – wenn in Bundes- oder Landesgesetzen die Mitwirkung fachkundiger LaienrichterInnen an der Rsp vorgesehen ist – diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung heranzuziehen sind. Gem § 56 Abs 2 AlVG entscheidet das BVwG über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle (des AMS) durch einen Senat, dem zwei fachkundige LaienrichterInnen angehören, je einer aus dem Kreis der AG und aus dem Kreis der AN. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch das AMS hätte somit durch einen Senat mit LaienrichterInnenbeteiligung zu erfolgen. Alle negativen Entscheidungen des BVwG wurden aber von EinzelrichterInnen getroffen (Stand 16.6.2015 – Veröffentlichung im RIS).
Die Senatszuständigkeit bei Beschwerdeentscheidungen nach § 13 Abs 5 VwGVG wurde auch im216 (positiven) Senatsbeschluss* für den Bereich des AlVG als sachlich angenommen, da ansonsten der vorsitzende Richter allein (gegenständlich) zB die Sanktion nach § 10 AlVG wirksam (werden) lassen könnte, während der Senat im Hauptverfahren denkbar auch von der fehlenden Berechtigung der Sanktion ausgehen könnte. Begründet wurde die Senatszuständigkeit auch damit, dass ein Entzug der Leistungen nach dem AlVG allenfalls auch nur für die Dauer des anderweitigen Beschwerdeverfahrens für die LeistungsbezieherInnen im Notstandshilfebereich wohl häufig gravierende lebensgestaltende Folgen hat, für welche der Gesetzgeber in § 56 Abs 2 AlVG grundsätzlich einen Richtersenat vorgesehen hat.
Aus Gründen der Existenzsicherung der von einer Sperre betroffenen Arbeitsuchenden durch Einhaltung der Effektivität ihres Rechtsschutzes und aus dem legitimen Wunsch nach Einheitlichkeit der Rsp des BVwG ist zu wünschen, dass der verfassungswidrige Rechtszustand sowohl im Rahmen der AMS-Praxis als auch in der Rsp des BVwG raschestmöglich beseitigt wird. Wobei diesbezüglich auf die bereits vorliegenden positiven Entscheidungen des BVwG verwiesen werden kann und soll.* Die Arbeiterkammer Wien hat dem VfGH bereits durch eine Beschwerde gegen eine der negativen Entscheidungen des BVwG diese Rechtsfragen zur neuerlichen Entscheidung vorgelegt.217