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Entgeltfortzahlung bei Krankheit gebührt über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nur in der gesetzlichen, nicht aber durch Kollektivvertrag verlängerten Dauer

CHRISTOPHKLEIN

Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das rechtliche Ende des Dienstverhältnisses hinaus kann sich nur auf § 9 Abs 1 AngG stützen, und zwar in der Dauer der Entgeltfortzahlungsfristen des Angestelltengesetzes. Davon zulässigerweise abweichende kollektiv- oder einzelvertragliche Fristen werden davon nicht erfasst.

SACHVERHALT

Ein Sozialversicherungsträger beschäftigte eine Sachbearbeiterin von 17.1.2005 bis 30.9.2013, zu welchem Datum das Dienstverhältnis durch AG-Kündigung endete. Von 18.4.2013 bis 31.10.2013 befand sich die AN im Krankenstand. § 60 Abs 1 Z 1 lit b der Dienstordnung für Verwaltungsangestellte (DO.A) – der für187 die AN geltende KollV – gewährt eine sechsmonatige Entgeltfortzahlung, die in diesem Fall am 17.10.2013 geendet hätte. Der AG hielt die Leistung aber nur bis zum Vertragsende am 30.9.2013 aufrecht.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die AN klagte daraufhin die auf die vollen sechs Monate fehlende Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus ein – also bis zum 17.10.2013. Das Erstgericht gab der Klage statt, weil bei teleologischer (am Gesetzeszweck orientierter) Auslegung von § 9 Abs 1 AngG dessen Inhalt – Entgeltfortzahlung bei DG-Kündigung über das Vertragsende hinaus – auch für günstigere kollektivvertragliche Regelungen gelte. Das OLG Graz und der OGH verneinten den Anspruch jedoch.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Der zur Entscheidung über die hier maßgeblichen Rechtsfragen wesentliche Einleitungssatz des § 60 Abs 1 DO.A lautet:

‚Ist der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, werden die Dienstbezüge weitergezahlt, und zwar1. die ständigen Bezüge … nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) vona) weniger als 5 Jahren ... 3 Monate zu 100 %,b) 5 Jahren ... 6 Monate zu 100 % (…)‘. […]

Durch § 60 DO.A wird nur die in § 8 AngG normierte Mindestdauer der Entgeltfortzahlung verlängert. Eine gegenüber § 9 Abs 1 AngG günstigere, die längere kollektivvertragliche Bezugsdauer nach Ende der Kündigungsfrist wahrende Regelung findet sich in der DO.A nicht, sodass insoweit (auch nach der erklärten Ansicht der Revisionswerberin) nach § 40 AngG die gesetzlichen Ansprüche aufrecht bleiben.

In welchem Ausmaß durch einen Kollektivvertrag eine gegenüber dem zwingenden Gesetzesinhalt günstigere Regelung erfolgen soll, unterliegt prinzipiell der Autonomie der Kollektivvertragsparteien. Es steht ihnen frei, einen günstigeren Anspruch (hier: auf Verlängerung der Fristen des § 8 AngG) an weitere Bedingungen zu knüpfen.

Der Vergleichsmaßstab für die Günstigkeit kollektivvertraglicher Sonderregelungen ist immer das Gesetz, aber nicht andere kollektivvertragliche Bestimmungen. Eine günstigere kollektivvertragliche Regelung eines Teilbereichs verpflichtet die Vertragsparteien nicht – worauf die Argumentation der Klägerin letztlich hinausläuft – schon deswegen zur Gewährung weiterer Vergünstigungen, weil durch die erste Ausnahmeregelung eine gewisse Verzerrung der Proportionen gegenüber den gesetzlichen Ansprüchen entstanden ist.

Das Argument der Revisionswerberin, es liege eine ungewollte Regelungslücke innerhalb der DO.A vor, weil das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts einen Anreiz für der DO.A unterworfene Dienstgeber bieten würde, Dienstnehmer wegen eines längeren Krankenstands zu kündigen, um sich die Entgeltfortzahlung teilweise zu ersparen, ist daher nicht überzeugend. […]

Denkmöglich wäre umgekehrt eine planwidrige Unvollständigkeit des § 9 Abs 1 AngG, die jedoch von der Revisionswerberin erkennbar nicht geltend gemacht wird und auch nicht vorliegt.

Eine Intention des Gesetzgebers, auch verlängerte (kollektiv-)vertragliche Entgeltfortzahlungsfristen durch ein Weiterbezugsrecht nach Ende der Kündigungsfrist ungeschmälert zu wahren, hat – selbst wenn sie jemals bestanden haben sollte – explizit keinen Eingang in § 9 Abs 1 AngG gefunden. Dieser bezieht sich nur auf die nach dem Angestelltengesetz geltende Dauer der Entgeltfortzahlung und nicht auf eine zulässigerweise vereinbarte bzw kollektivvertragliche Dauer.

Allein die Meinung eines Rechtsanwenders, eine Regelung wäre wünschenswert, rechtfertigt aber die Annahme einer Gesetzeslücke nicht.“

ERLÄUTERUNG

§ 8 Abs 1f AngG ordnet an, dass erkrankten AN – nach Dauer des Dienstverhältnisses gestaffelt – für eine bestimmte Dauer das Entgelt weiterzuzahlen ist (vergleichbares regelt für Arbeiter § 2 EFZG). Teils aus dem Gedanken der Fürsorgepflicht, teils um keinen Anreiz zu AG-Kündigungen im Krankenstand zu geben, legt § 9 Abs 1 AngG fest, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch bei DG-Kündigung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreicht – und zwar bis zum Ende der Erkrankung oder bis zum Erschöpfen des Entgeltfortzahlungsanspruchs – je nachdem, was früher eintritt (Parallelbestimmung für Arbeiter: § 5 EFZG).

Es gibt nun Kollektivverträge, die längere als die gesetzlich vorgesehenen Bezugsdauern für die Entgeltfortzahlung vorsehen – da sie für den AN günstiger sind als die gesetzliche Bestimmung, sind diese Regeln natürlich gültig. Unsere Kl macht nun die Kombination einer solchen längeren Entgeltfortzahlungsdauer mit dem Hinauswirken über das Vertragsende hinaus geltend.

Dieses Ansinnen kann auf zwei Wegen argumentiert werden: Erstens kann behauptet werden, die Kollektivvertragsparteien hätten mit der Verlängerung der Entgeltfortzahlungsfristen auch das Hinausreichen dieser langen Fristen über das Arbeitsende bei den in § 9 AngG genannten Beendigungsarten gewollt. Der OGH gesteht auch zu, dass Kollektivvertragsparteien eine entsprechende Regelung selbstverständlich treffen können, stellt aber fest, dass die konkreten Abschlusspartner der DO.A dies nach dem klaren Wortlaut der einschlägigen Kollektivvertragsregelung eben nicht getan haben.

Die zweite Möglichkeit ist zu argumentieren, dass der Gesetzgeber in § 9 Abs 1 AngG ein umfassendes Prinzip schaffen wollte, wonach Krankenent-188geltfortzahlung in jeder Dauer und durch welche Norm (Gesetz, KollV, Einzelvertrag) auch immer festgelegt stets bei dem AG zuzurechnender Beendigung über das Dienstverhältnis hinaus bis zum Ende des Anspruchs bezogen werden kann. Demgegenüber liest der OGH den „Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts“ in § 9 Abs 1 AngG aber so, dass dieser sich ausschließlich auf den in § 8 Abs 1 und 2 festgelegten Entgeltfortzahlungsanspruch bezieht, nicht aber auf solche Ansprüche in anderen Rechtsquellen. Eine Regelungslücke, die eine solche Ausdehnung durch analoge Anwendung von § 9 Abs 1 AngG auf andere Rechtsquellen zwingend erforderlich machen würde, erblickt der OGH nicht. Damit kann für vergleichbare Konstellationen gesagt werden: Lässt sich aus dem Wortlaut des jeweiligen KollV (oder Arbeitsvertrages) ableiten, dass dieser den selbst verlängerten Anspruch auch der Verlängerungsregelung nach § 9 Abs 1 AngG unterwerfen will, oder trifft der KollV selbst eine klare Verlängerungsregelung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, kann ein Anspruch wie der in vorliegendem Verfahren mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden.