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Generelle Alkoholkontrollen als zustimmungspflichtige Kontrollmaßnahme

RENÉSCHINDLER

Alkoholkontrollen, die ohne konkreten Verdacht generell durchgeführt werden, berühren die Menschenwürde. Sie dürfen nur vorgenommen werden, wenn der Betriebsrat dem zustimmt.

SACHVERHALT

In einem Eisenbahnunternehmen besteht auf Grund gesetzlicher Bestimmungen und auch im Einvernehmen mit dem (Z)BR ein striktes Alkoholverbot. Es verfolgt eine Politik der „0,0 Promille“. Das betrifft nicht nur die Lokführer, sondern auch das technische und das Verwaltungspersonal. Überraschend teilt das Unternehmen dem Zentralbetriebsrat (ZBR) eines Tages mit, dass es schon ab dem nächsten Tag in unregelmäßigen Abständen unangekündigte Alkoholkontrollen der AN jeweils mehrerer Betriebsstätten mittels „Alkomaten“ durchführen wird. Es hält trotz des sofortigen Protests des ZBR-Vorsitzenden daran fest. Eine BV dazu besteht nicht.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der ZBR brachte eine Unterlassungsklage ein und beantragte eine einstweilige Verfügung: Während der Dauer des Gerichtsverfahrens solle dem AG untersagt werden, derartige Kontrollen durchzuführen. Das Erst- und das Berufungsgericht lehnte die Erlassung der einstweiligen Verfügung ab. Der OGH gab hingegen dem ZBR recht: Ohne Zustimmung des ZBR (Abschluss einer einschlägigen BV) sind derartige Kontrollen nicht zulässig, da sie die Menschenwürde berühren.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme oder einem Kontrollsystem dann ‚berührt‘, wenn dadurch die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird. Von der Privatsphäre abgesehen kann aber auch durch die Kontrollintensität der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens des Arbeitnehmers eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden, und zwar vor allem dann, wenn diese Kontrolle in übersteigerter Intensität organisiert wird und jenes Maß überschreitet, das für Arbeitsverhältnisse dieser Art typisch und geboten ist (9 ObA 109/06d mwN). [...]

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass die Kontrolle des Alkoholverbots, dessen Bedeutung auch vom Kläger für den Betrieb der Beklagten nicht in Frage gestellt wird, grundsätzlich ein legitimes Kontrollziel ist. Dies ist jedoch von der Zulässigkeit der von ihr gewählten Kontrollmethode zu unterscheiden. Ihrem Argument, dass Alkomaten die Menschenwürde der Arbeitnehmer nicht einmal berühren würden, kann nicht gefolgt werden, weil Alkoholkontrollen, die über die Beobachtungen (Wahrnehmungen von Geruch, Gang, Sprache, Konzentration etc) hinausgehen und die den Grad der Alkoholisierung verlässlich messen, zwangsläufig in die Integrität der biophysischen Beschaffenheit der Person und damit in ihre körperliche Integrität eingreifen [...]. Die Position, dass der generelle Einsatz von Alkomaten auf Mitarbeiter, bei denen sich nicht einmal ein Verdacht auf eine Alkoholisierung zeigt, die Menschenwürde nicht einmal tangieren würde, ist sohin unrichtig. [...]

Der Beklagten ist ein grundsätzliches Interesse an der Einhaltung und Kontrolle des Alkoholverbots zuzugestehen. […] Dem steht das Interesse der Arbeitnehmer an den besonders hoch geschützten Rechtsgütern ihrer körperlichen Integrität und ihrer Privatsphäre gegenüber. […]

Zu bedenken ist vor allem auch, dass die Kontrollen selbst dann, wenn sie nicht regelmäßig und/oder190 häufig durchgeführt werden sollen, eine gravierende Eingriffsintensität aufweisen, weil es sich bei der körperlichen Integrität und der Privatsphäre von Arbeitnehmern um besonders hoch geschützte Rechtsgüter handelt und der Eingriff eine nicht bloß unerhebliche Mitwirkung des Verdächtigen verlangt. Da die Alkoholkontrollen bei Arbeitsbeginn stattfinden, wird damit zugleich ein Freizeitverhalten der Arbeitnehmer überprüft. Schließlich wird ein Arbeitnehmer durch eine Alkomatkontrolle naturgemäß in eine gewisse Verdachtssituation gedrängt, bei der – anders als bei Anwesenheits- oder Arbeitszeitkontrollen – selbst dann der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit im Raum steht, wenn er sich völlig vorschriftskonform verhalten hat. Dem Umstand, dass die Kontrollen nur sporadisch stattfinden sollen, steht gegenüber, dass Arbeitnehmer permanent der Möglichkeit einer unangekündigten Kontrolle ausgesetzt wären.

In Summe ergibt sich damit, dass bei einer Abwägung der wechselseitigen Interessen die Interessen der Arbeitnehmer an der Wahrung ihrer körperlichen Integrität und ihrer Privatsphäre die Interessen der Beklagten an einer undifferenzierten Kontrolle der Mitarbeiter durch einen Alkomattest überwiegen, wenn er unangekündigt, ohne Einwilligung der Mitarbeiter, ohne besondere Verdachtslage und unabhängig davon durchgeführt wird, ob eine Alkoholisierung die konkrete Tätigkeit eines Mitarbeiters zu beeinflussen geeignet ist und ob durch die Tätigkeit eine Gefährdungslage für den Mitarbeiter oder andere Personen geschaffen wird. Eine solche Kontrollmaßnahme berührt die Menschenwürde. Die einseitige konsenslose Kontrollmaßnahme der Beklagten ist in dieser Allgemeinheit daher rechtswidrig und unzulässig.“

ERLÄUTERUNG

1. Der OGH hat entschieden, dass es idR unzulässig ist, unangekündigte Alkoholkontrollen ohne Einwilligung der Betroffenen und ohne besondere Verdachtslage durchzuführen, wenn dem der BR nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Wenn überhaupt derartige Kontrollen durchgeführt werden sollen, muss in einer BV festgelegt werden, ob, gegebenenfalls in welcher Häufigkeit und bei welchen Gruppen von AN, diese Kontrollen durchgeführt werden dürfen. Das gilt gerade auch für Kontrollen unter Verwendung von „Alkomaten“. Im gleichen Sinn wurde ua bereits entschieden, dass Arbeitskontrollen mit Videokameras und eine Arbeitszeiterfassung mittels Fingerabdruck-Scannern unzulässig sind – jedenfalls ohne Betriebsratszustimmung.

2. Alkoholkontrollen mit Alkomaten sind nicht ohne Eingriff in die persönliche Sphäre möglich: Betroffene AN müssen aktiv an der Kontrolle mitwirken, indem sie intensiv in das Mundstück des Gerätes blasen, sie werden in eine Verdachtssituation gedrängt und es wird letztlich – wenn die Untersuchungen zu Beginn der Arbeit stattfinden – ihr Freizeitverhalten kontrolliert. Der Vorgang hat unvermeidbar etwas Erniedrigendes an sich. IdR wird für eine solche Vorgangsweise keine sachliche Rechtfertigung bestehen. Wenn Alkoholkonsum oder Restalkohol ein Ausmaß erreicht, das die Sicherheit der eigenen Person oder der Arbeitskollegen gefährdet (§ 15 Abs 4 ASchG), wird das regelmäßig an äußeren Merkmalen (Geruch, schwankender Gang, unartikuliertes Sprechen etc) erkennbar sein. Wenn solche Verdachtslagen bestehen, ist es ohne Bedenken möglich, dem bzw der Verdächtigen einen freiwilligen Entlastungsbeweis durch Verwendung des Alkomaten anzubieten. Wer von einer solchen Möglichkeit nicht Gebrauch macht, muss hinnehmen, dass von einer Alkoholisierung ausgegangen wird, wenn die äußeren Merkmale einen hinreichenden Hinweis dafür abgeben. Nur eine solche Vorgangsweise ist empfehlenswert; auch sie sollte gegebenenfalls durch BV festgelegt werden. Hier würde es sich aber um eine BV iSd § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG (Allgemeine Ordnungsvorschriften) handeln. Eine solche BV kann nötigenfalls (auch vom AG) über die Schlichtungsstelle erzwungen werden. Massenkontrollen ohne konkrete Verdachtslage sind hingegen in aller Regel unzulässig.

3. Erstaunlich ist, dass das Höchstgericht die Frage des „Berührens der Menschenwürde“ mit einer Abwägung der sachlichen Rechtfertigung der geplanten Vorgangsweise vermengt. Ist es nicht das klare Konzept des § 96 ArbVG, unabhängig von jeder sachlichen Rechtfertigung, wann immer die Menschenwürde von einer Kontrollmaßnahme berührt wird, ein Vetorecht des BR vorzusehen? Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine sachliche Rechtfertigung besteht, soll nach dem Willen des Gesetzgebers gerade der BR (und nicht das Gericht) entscheiden und durch Abschluss einer BV die nötigen Grenzen ziehen. Nur wenn die Kontrollmaßnahme an sich die Menschenwürde nicht berührt (zB bloße Kontrolle der Arbeitsergebnisse), kann sich die Frage stellen, ob in Abwägung mit dem Kontrollziel nicht wegen einer übermäßigen Intensität der Kontrolle diese doch die Menschenwürde berührt. Ist dies aber wegen des Eingriffs in die persönliche und Privatsphäre – wie hier – von vornherein der Fall, bleibt nichts mehr „abzuwägen“. Die vage Andeutung des Gerichtes, dass für bestimmte Gruppen von AN, die eine für die Sicherheit anderer besonders bedeutungsvolle Arbeit zu verrichten haben, Alkomatkontrollen auch ohne Zustimmung des BR zulässig sein könnten, ist schwer verständlich: Berührt das völlig gleiche Vorgehen in diesem Fall die Menschenwürde nicht? Würde die in dem Urteil angedeutete Abwägung tatsächlich in anderen Fällen dazu führen, dass die Menschenwürde berührende Kontrollmaßnahmen auch ohne § 96-BV gerichtlich akzeptiert werden, könnte dann zwar vom BR der Abschluss der gerade erwähnten BV über Allgemeine Ordnungsvorschriften bei der Schlichtungsstelle erzwungen werden – aber nur im Nachhinein! Während der gesamten Dauer des Ver-191fahrens vor der Schlichtungsstelle könnte der AG seine entwürdigenden Kontrollen ungehindert durchführen.

4. Die E ist gegen ein Bahnunternehmen ergangen, also hinsichtlich von Tätigkeiten, die ihrer Natur nach besonders gefährlich sind. Deshalb gelten für Bahnbetriebe strengere gesetzliche Vorschriften betreffend Alkohol. Selbst wenn man nun der in Pkt 3. beschriebenen, problematischen Abwägungslogik folgen würde, wird man für weniger gefährliche Tätigkeiten jedenfalls davon ausgehen können, dass Alkoholkontrollen niemals ohne einen besonderen Anlass, also idR den äußeren Anschein einer Alkoholisierung, vorgenommen werden dürfen. Selbst dann ist wohl nur die in Pkt 2. empfohlene Vorgangsweise (freiwilliger Entlastungsbeweis) zulässig. Einschlägige Betriebsvereinbarungen müssen diese Grenzen beachten: Verletzungen der Menschenwürde können auch durch BV nicht zugelassen werden.

5. Erfreulich ist, dass auch in diesem Fall der OGH eine Einstweilige Verfügung für zulässig angesehen hat. Es ist somit stRsp, dass gegen Verletzungen des Betriebsrats-Vetorechts hinsichtlich Kontrollmaßnahmen mit Einstweiliger Verfügung vorgegangen werden kann. Ein vollständiges Verfahren durch alle drei Gerichtsinstanzen dauert idR zwei bis drei Jahre; die endgültige „provisorische“ Entscheidung hat nur rund neun Monate gebraucht.