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Glaubhaftmachung eines verpönten Motivs bei Kündigungsanfechtung

THOMASKALLAB

Glaubhaftmachung iSd § 105 Abs 5 ArbVG ist keine Frage der rechtlichen Beurteilung, sondern eine solche der Tatsachenfeststellung. Es ist nicht entscheidend, ob das vom AG bescheinigte Motiv in rechtlicher Hinsicht „gravierend“ genug ist, um eine Kündigung „zu rechtfertigen“; vielmehr bedarf es nachvollziehbarer Feststellungen, die erkennen lassen, ob das vom AN oder das vom AG behauptete Motiv letztlich für die Kündigung ausschlaggebend bzw überwiegend ausschlaggebend war.

Es reicht nicht aus, dass der AN bloße Wünsche oder Forderungen erhebt, die Arbeitsbedingungen nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Von der Geltendmachung eines Anspruchs kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn sich der AN erkennbar auf eine Rechtsposition beruft.

SACHVERHALT

Eine AN, die seit 1990 bei einem Blutspendedienst als Gehilfin beschäftigt war, wurde 2011 gekündigt und focht darauf die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit und verpönten Motivs an. Sie sei vor der Kündigung bereits seit längerer Zeit bei der Dienstplaneinteilung benachteiligt worden und vereinbarungswidrig für Dienste eingeteilt worden. Die Kündigung sei wegen der Geltendmachung der Ansprüche auf vertragskonforme Dienstzeiteinteilung bzw auf Unterlassung der Benachteiligungen bei der Dienstzeitplanung erfolgt.

Folgender Sachverhalt wurde vom Erstgericht festgestellt:

Die zwischen den Streitparteien geschlossene Rahmenvereinbarung über die Dienstzeiteinteilung vom Oktober 2010 entsprach den damaligen Wünschen der AN. Die AG hielt die Vereinbarung, abgesehen von wenigen begründeten Ausnahmefällen, stets ein und versuchte nach Möglichkeit, den von der AN angegebenen Zeitlimits und Freizeitwünschen zu entsprechen, die die AN sowie alle Kolleginnen vor der Dienstplanerstellung in einen „Freizeitwunschkalender“ eintragen konnten. Die AN versuchte aber immer wieder, der Arbeitszeit-Rahmenvereinbarung widersprechende und mit der Arbeitsorganisation und den gerechtfertigten Freizeitbedürfnissen der Kolleginnen nicht vereinbarte Arbeitszeiteinteilungen durchzusetzen. Neben diesem Verhalten hinsichtlich der Diensteinteilung gab es mehrere Zwischenfälle, in denen sie Kolleginnen abschätzig behandelte, Weisungen zur Arbeitsleistung verletzte, klar machte, dass sie Vorgesetzte nicht akzeptiere usw. Ua hatte sie über eine Kollegin das (unwahre) Gerücht verbreitet, diese habe ein Verhältnis mit dem Mann einer anderen Kollegin.

Das Erstgericht stellte ausdrücklich fest – allerdings im Begründungsteil des Urteils –, dass dieses gesamte, dem Betriebsfrieden abträgliche Verhalten ausschlaggebend für die Kündigung gewesen sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein verpöntes Kündigungsmotiv gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG liege nicht vor. Die Kündigung sei zwar sozialwidrig. Die Kl habe allerdings in ihrer Person liegende Kündigungsgründe verwirklicht.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der AN Folge und änderte es im klagestattgebenden Sinn ab, weil die AN wegen des verpönten Motivs der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit der Dienstplangestaltung gekündigt worden sei.192

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Gemäß § 105 Abs 5 Satz 2 ArbVG ist die Anfechtungsklage abzuweisen, wenn bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom Arbeitgeber glaubhaft gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war. Gelingt es daher dem Arbeitnehmer, einen Anfechtungsgrund nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG glaubhaft zu machen, so kann der Arbeitgeber seinerseits das Gericht durch Glaubhaftmachung überzeugen, dass bei Abwägung aller Umstände eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes vom Arbeitgeber geltend gemachtes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war. Abzuwägen ist somit, welches Kündigungsmotiv mit höherer Wahrscheinlichkeit der Kündigung zugrunde lag. […]

Die von § 105 Abs 5 ArbVG geforderte Glaubhaftmachung ist – wie bereits oben ausgeführt – keine Frage der rechtlichen Beurteilung, sondern eine solche der Tatsachenfeststellung. Es ist daher nicht entscheidend, ob das vom Arbeitgeber bescheinigte Motiv in rechtlicher Hinsicht ‚gravierend‘ genug ist, um eine Kündigung ‚zu rechtfertigen‘; vielmehr bedarf es nachvollziehbarer Feststellungen, die erkennen lassen, ob das vom Arbeitnehmer oder das vom Arbeitgeber behauptete Motiv letztlich für die Kündigung ausschlaggebend bzw überwiegend ausschlaggebend war. Eine solche Feststellung hat das Erstgericht aber hier – wenn auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – getroffen.

Im Übrigen hat das Berufungsgericht in seiner Bewertung der vom Arbeitgeber als Kündigungsmotiv geltend gemachten Vorfälle ua auch Überlegungen darüber angestellt, ob es ‚wahrscheinlich‘ ist, dass einzelne dieser Vorfälle ausschlaggebendes Motiv für die Kündigung waren. Für derartige, dem Tatsachenbereich zuzurechnende Überlegungen und – auf deren Grundlage – für vom im Ersturteil festgestellten Sachverhalt abweichende Feststellungen des Berufungsgerichts hätte es aber einer entsprechenden Rüge in der Berufung und einer Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht bedurft. An beiden Voraussetzungen hat es hier gefehlt. […]

Selbst wenn man aber die Ausführungen des Erstgerichts in der rechtlichen Beurteilung nicht als (ausreichende) Tatsachenfeststellung akzeptieren wollte – unter dieser Voraussetzung würden verwertbare Feststellungen zur Frage, welches der in Betracht kommenden Motive für die Kündigung (überwiegend) ausschlaggebend war, überhaupt fehlen –, wäre im Ergebnis für die Klägerin nichts zu gewinnen.

II.6 Der Revisionswerberin ist nämlich auch dahin beizupflichten, dass das von der Klägerin bescheinigte Kündigungsmotiv den Tatbestand des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG nicht erfüllt. […]

Bei diesem Kündigungsanfechtungsgrund geht es […] darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht, und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt (RIS-Justiz RS0051666). Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (8 ObA 63/12s; 8 ObA 298/99b ua).

II.7 In diesem Sinn reicht es somit nicht aus, dass der Arbeitnehmer bloße Wünsche oder Forderungen erhebt, die Arbeitsbedingungen – hier: die Arbeitszeit – nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Von der Geltendmachung eines Anspruchs kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn sich der Arbeitnehmer erkennbar auf eine Rechtsposition beruft.

II.8 Nach dem Vorbringen der Klägerin und den dazu getroffenen Feststellungen hat dies die Klägerin allerdings nur insofern getan, als sie sich auf früher mit ihr getroffene Rahmenarbeitszeitvereinbarungen berufen hat und das wirksame Zustandekommen der aktuellen Rahmenarbeitszeitvereinbarung aus dem Jahr 2010 überhaupt bzw unter Berufung auf unzulässige Druckausübung bestritten hat. Diese zuletzt wiedergegebenen Behauptungen wurden aber im Beweisverfahren widerlegt: Das Erstgericht hat unmissverständlich festgestellt, dass die Klägerin dieser Vereinbarung zugestimmt hat und dass mit dieser Vereinbarung den Wünschen der Klägerin entsprochen wurde. Soweit sich die Klägerin dennoch mit der Begründung, die Vereinbarung sei nicht wirksam zustande gekommen, auf frühere Vereinbarungen beruft, macht sie daher zwar einen Anspruch geltend, aber einen solchen, der offenbar unberechtigt ist, ist doch ohne jeden Zweifel erkennbar, dass insofern kein Anspruch besteht (Gahleitner in

Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller
, ArbVG4 III 393).

II.9 Auf sonstige ‚Rechtspositionen‘ hat sich die Klägerin weder der Beklagten gegenüber noch im erstinstanzlichen Verfahren schlüssig berufen. Insbesondere hat sie das System und die Anwendung der Dienstplangestaltung nie aus arbeitszeitrechtlicher Hinsicht in Frage gestellt oder sich auf arbeitszeitrechtliche Rechtspositionen berufen. […]

Die Beurteilung des Erstgerichts, dass zwar das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erheblich sei, dass aber im konkreten Fall das Interesse der Beklagten an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin gewichtiger ist, begegnet im Hinblick auf die festgestellten Verhaltensweisen, mit denen die Klägerin immer wieder für – teils beträchtliche – Unruhe im Team sorgte und es nicht nur an Akzeptanz gegenüber Anweisungen der Vorgesetzten, sondern auch an Respekt gegenüber Arbeitskolleginnen fehlen ließ, keinen Bedenken.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH verfestigt mit dieser E seine bisherige Rsp, wonach bei der Kündigungsanfechtung wegen verpönten Motivs gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG zu-193nächst geprüft werden muss, ob der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche (hier: eine bestimmte Arbeitszeiteinteilung) nicht erfüllt. Der Begriff „Anspruch“ umfasst nicht nur Geldansprüche, sondern auch Ansprüche auf Wahrung von Rechtspositionen aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe. Es darf sich aber nicht um einen Anspruch oder eine Rechtsposition handeln, der bzw die ganz offensichtlich nicht besteht. Im vorliegenden Fall war schon diese Bedingung für den OGH nicht erfüllt. Begründet wird dies damit, dass die AN der Arbeitszeitvereinbarung zugestimmt hat und mit dieser Vereinbarung ohnehin den Wünschen der AN entsprochen wurde. Die AN hätte also erkennen müssen, dass sich der AG rechtskonform verhält.

Danach ist zu prüfen, ob der AN seine nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend gemacht hat. Mit „geltend machen“ ist zwar nicht nur gerichtliche Geltendmachung gemeint, aber mehr als das Äußern von Wünschen oder dass sich AN deswegen an den BR wenden. Es bestehen zwar keine Formvorschriften – auch mündliche oder konkludente Geltendmachung ist möglich. Notwendig ist aber eine Berufung auf einen Rechtsstandpunkt, eine Rechtsposition gegenüber dem AG. Danach ist zu prüfen, ob diese Ansprüche oder Rechtsposition vom AG in Frage gestellt wurde. Das war in diesem Fall insofern problematisch als der AG nach den Feststellungen der Gerichte im Endeffekt alle Freizeitwünsche der AN erfüllt hat.

Zuletzt ist auch noch zu prüfen, ob der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt. Dabei muss zunächst der AN glaubhaft machen, dass die Geltendmachung der (wesentliche) Grund für die Kündigung war. Danach kann der AG das Gericht davon überzeugen, dass ein anderer Grund für die Kündigung ausschlaggebend war. Ob das vom AG behauptete Motiv in rechtlicher Hinsicht eine Rechtfertigung für die Kündigung darstellen würde, ist nicht relevant.

Insofern unterscheidet sich die Anfechtung wegen verpönten Motivs von der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit, wenn der AG vorbringt, es gebe in der Person des AN liegende Gründe für die Kündigung. Denn in letzterem Fall muss es sich jedenfalls um solche von gravierender Natur handeln. Die Gründe müssen also derart gewichtig sein, dass im Falle einer Weiterbeschäftigung des gekündigten AN die Leistungsfähigkeit oder Ordnung des Betriebs gefährdet wird (Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2012] 642). Diese Kündigungsgründe sind sodann mit dem Interesse des AN am Behalten des Arbeitsplatzes abzuwägen. Dass die kritisierten Verhaltensweisen der AN in diesem Fall für das Erstgericht gewichtiger waren als das Interesse der AN an der Weiterbeschäftigung hat der OGH bestätigt und damit die Anfechtung in beiden Punkten (verpöntes Motiv; Sozialwidrigkeit) abgewiesen.