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Kostenerstattung für Wahlphysiotherapeuten

MONIKAWEISSENSTEINER

Das Fehlen einer Berechnungsgrundlage für die Kostenerstattung nach § 131 ASVG ist am ehesten vergleichbar mit der Situation, in der ein Wahlarzt eine Leistung der Krankenbehandlung erbringt, für die in der Honorarordnung (noch) keine eigene Tarifposition vorgesehen ist. Fehlt in der gültigen Honorarordnung eine entsprechende Tarifposition und besteht dazu auch keine Satzungsregelung, bleibt nichts anderes übrig, als einen angemessenen Betrag für die Kostenerstattung im Einzelfall zu bestimmen. Dabei hat man sich nach der Rsp an Tarifpositionen für vergleichbare Leistungen im Gesamtvertrag zu orientieren.

SACHVERHALT

Dem Kl wurden von der bekl Gebietskrankenkasse (GKK) eine physiotherapeutische Behandlung (im Ausmaß von 10x Physiotherapie zu 30 Minuten und 10x Teilmassage zu 15 Minuten) bewilligt. Er ließ die Behandlungen bei einem Physiotherapeuten durchführen, der kein Vertragspartner der bekl GKK ist.324 Er legte eine Honorarnote von € 550,- zur Kostenerstattung vor und erhielt € 192,80.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl begehrte weitere € 99,04, weil die Bekl zu Unrecht von einem alten Tarif ausgegangen sei; seit 1.1.2010 gäbe es neue Verträge für Physiotherapeuten mit einem neuen Honorierungssystem. Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. Die ordentliche Revision hielt es für zulässig, weil zur Frage, ob die Honorarordnung 2010 als Einzelleistungssystem zu qualifizieren sei bzw welche Kosten bei Fehlen einer Festsetzung eines Pauschbetrags in der Satzung bei Inanspruchnahme eines Wahltherapeuten zu ersetzen seien, keine Rsp vorliege. Der OGH gab der Revision der bekl GKK Folge und änderte das Urteil in klagsabweisendem Sinn ab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Nimmt ein Versicherter jedoch nicht die vom Krankenversicherungsträger in Einrichtungen oder Vertragskrankenanstalten angebotenen Sachleistungen in Anspruch, greift das in § 131 ASVG geregelte Kostenerstattungsmodell ein (vgl 10 ObS 25/14w). Gemäß § 131 Abs 1 ASVG gebührt dem Versicherten in einem solchen Fall der Ersatz der Kosten der Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 % des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Wird die Vergütung für die Tätigkeit des entsprechenden Vertragspartners nicht nach den erbrachten Einzelleistungen oder nicht nach Fallpauschalen, wenn diese einer erbrachten Einzelleistung gleichkommen, bestimmt, so hat die Satzung des Versicherungsträgers Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. […]

Auf Physiotherapeuten ist § 349 Abs 3 ASVG anwendbar, wonach unter sinngemäßer Anwendung des § 342 Abs 2a ASVG die Beziehung zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den Vertragsphysiotherapeuten durch Gesamtverträge mit der zuständigen beruflichen Vertretung der Physiotherapeuten geregelt wird. […] Schon vor der Neuregelung des § 342 Abs 2 ASVG wurden von der Rechtsprechung Deckelungen und Limitierungen des Honorars für zulässig gehalten. Durch die Neuregelung durch die Novelle BGBl I 2010/61wurden die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten bei der Honorierung noch erweitert. […]

Offensichtlich als wirtschaftlichen Ausgleich für die nunmehr geltende Deckelung der Jahreshonorarsumme und damit der eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten wurde die Bewertung der Zeiteinheiten gegenüber der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 deutlich angehoben. […] Der Mustervertrag 2010 sieht somit für die Honorierung der dem Kläger erbrachten Leistungen kein reines Einzelleistungssystem mehr vor, sondern enthält mit der Festsetzung eines maximalen Jahreshonorars ein wesentliches Pauschalierungselement. […]

Das Fehlen einer Berechnungsgrundlage für die Kostenerstattung nach § 131 ASVG ist nach Ansicht des erkennenden Senats am ehesten vergleichbar mit der Situation, in der ein Wahlarzt eine Leistung der Krankenbehandlung erbringt, für die in der Honorarordnung (noch) keine eigene Tarifposition vorgesehen ist. Fehlt in der gültigen Honorarordnung eine entsprechende Tarifposition und besteht dazu auch keine Satzungsregelung, bleibt nichts anderes übrig, als einen angemessenen Betrag für die Kostenerstattung im Einzelfall zu bestimmen. Dabei hat man sich nach der Rechtsprechung an Tarifpositionen für vergleichbare Leistungen im Gesamtvertrag zu orientieren. […] Ein angemessener Betrag für die Kostenerstattung lässt sich jedoch der vor 1.1.2010 geltenden Honorarordnung entnehmen. Diese Honorarordnung beruht anders als jene des Mustervertrags 2010 auf einem reinen Einzelleistungssystem und kann daher für den Übergangszeitraum bis zur satzungsmäßigen Festlegung von Pauschbeträgen für die Berechnung der Kostenerstattung herangezogen werden. […]

Aufgrund der dargelegten Erwägungen gelangt der erkennenden Senat zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass für die vom Kläger begehrte Kostenerstattung die Tarife der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 in ihrer zuletzt aktualisierten Höhe heranzuziehen sind.“

ERLÄUTERUNG

Die Leistungen der Krankenbehandlung von ASVG- Versicherten werden grundsätzlich als Sachleistung erbracht (§ 133 Abs 2 letzter Satz ASVG). Damit wollte der Gesetzgeber verhindern, dass die Gewährung von Gesundheitsleistungen an finanziellen Schranken scheitert. Voraussetzung dafür ist, dass Versicherte die entsprechenden Vertragspartner der Krankenkasse in Anspruch nehmen. Wenn ein Wahlarzt oder – wie im vorliegenden Fall – ein Wahltherapeut aufgesucht wird, besteht Anspruch auf Kostenerstattung. Die Höhe der Kostenerstattung beträgt 80 % der Kosten, die bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners vom Versicherungsträger aufzuwenden gewesen wären. Nach der Rsp des VfGH ist eine Begrenzung auf 80 % des Vertragstarifs zulässig (VfGH 18.3.2000, G 24/98 ua) Der Gesetzgeber ist von verfassungswegen nicht verhalten, Mehraufwendungen, welche durch eine Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe bei einem Wahlarzt entstehen, auf alle Versicherten zu verteilen. Er darf damit vielmehr die Verursacher belasten. Es ist auch verfassungsrechtlich zulässig, solche Mehraufwendungen im Wege einer vergröbernden Regelung pauschalierenden Charakters zu berücksichtigen, sofern diese nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspricht (VfGH 1994/VfSlg 13.726). Die im vorliegenden Fall strittige Frage betraf die Höhe des325 heranzuziehenden Vertragstarifs. Das neue Honorierungssystem 2010 sieht eine Deckelung der Jahreshonorarsumme und dafür eine höhere Bewertung der einzelnen Leistungen vor. Eine im Gesetz vorgesehene Festsetzung eines Pauschalbetrags bei Inanspruchnahme von Wahltherapeuten erfolgte erst später. Es können jedoch nicht die vom Kl begehrten neuen (höheren) Tarife herangezogen werden, weil sonst Wahltherapeuten bevorzugt wären, da sie ja keiner Deckelung in der Abrechnung unterliegen.

Im Ergebnis ist die Begründung des OGH nachvollziehbar. Zu kritisieren ist jedoch, dass die GKK es unterlassen hat, rechtzeitig in der Satzung einen Pauschalbetrag festzusetzen.