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Unzulässigkeit der Anrechnung von Sachbezügen auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt

BIRGITSCHRATTBAUER

Die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro ist, sofern nicht der KollV selbst eine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen. Der in Geld zu leistende kollektivvertragliche Mindestlohn ist einem Günstigkeitsvergleich mit Sachbezügen entzogen.302

SACHVERHALT

Im Dienstvertrag des als Außendienstmitarbeiter bei der Bekl beschäftigten Kl war ua vereinbart worden, dass bei den monatlichen Bezügen des Kl aufgrund der möglichen Privatnutzung des Firmenfahrzeugs aus steuerrechtlichen Gründen ein Hinzurechnungsbetrag als „geldwerter Vorteil“ berücksichtigt werden sollte. Ausdrücklich vereinbart wurde weiters, dass dieser geldwerte Vorteil auf das kollektivvertragliche Entgelt anzurechnen sei. Der Kl begehrte in seiner Klage die Differenz zwischen den ausbezahlten Bezügen und dem kollektivvertraglichen Mindestentgelt mit dem Vorbringen, dass die Aufrechnung des Sachbezugswerts auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn unzulässig sei. Die Bekl beantragte unter Berufung auf die getroffene Vereinbarung die Abweisung der Klage.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Beide Unterinstanzen gaben der Klage statt. Auch die Revision der Bekl blieb erfolglos.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

4. Der OGH hat in anderem Zusammenhang ausgesprochen, dass der Zweck der Festsetzung kollektivvertraglicher Mindestlöhne darin besteht, dem AN dessen Existenz zu sichern. Dieses Mindestentgelt muss ihm daher zur Gänze zu seiner freien Verfügung bleiben. Müsste der AN von diesem Mindestentgelt Spesen (ganz oder zum Teil) bezahlen, die mit seiner Berufsausübung verbunden sind (etwa Reisekosten), dann würde das Mindestentgelt eine unzulässige Kürzung erfahren; abweichende Einzelverträge wären infolge Verstoßes gegen den zwingenden Charakter der Kollektivvertragsbestimmungen über Mindestlöhne rechtsunwirksam (RIS-Justiz RS0021340). […]

6. In der Entscheidung 8 ObA 61/13y unterzog der OGH die Frage der vereinbarten Anrechnung von Kost und Logis im Geltungsbereich des KollV für Arbeiter in der Hotellerie und Gastronomie daher einer eigenständigen Prüfung […].

In jenem Fall wurde abgeleitet, dass eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen auf den existenzsichernden Mindestlohn dann zulässig sein muss, wenn sie der KollV selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.

7. Anders als in dem der Entscheidung 8 ObA 61/13y zugrunde liegenden Sachverhalt enthält der KollV für Handelsangestellte keine Hinweise zum Verhältnis von Mindestentgelt und Naturalleistungen, insbesondere auch keine ausdrückliche Anordnung, dass Naturalentgelte auf die vorgesehenen Mindestentgelte anzurechnen sind. […]

9. Die Festlegung des Mindestentgelts in Euro im anzuwendenden KollV spricht zunächst dafür, dass es in (Bar- oder Giral-)Geld geschuldet ist. Anhaltspunkte für eine andere Absicht der Kollektivvertragsparteien bestehen nicht. Nach dem bereits in der Entscheidung 8 ObA 61/13y angesprochenen Zweck des kollektivvertraglichen Mindestentgelts, die Deckung des Arbeitnehmergrundbedarfs unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Dispositionshoheit des AN zu sichern, ist auch unter objektiv-teleologischen Aspekten nicht anzunehmen, dass mit den Euro-Beträgen nur der bloße Wert des Mindestentgelts bei freier Vereinbarkeit des Leistungsgegenstands festgelegt werden sollte. Schließlich wies schon Löschnigg überzeugend darauf hin, dass eine praktisch durchführbare Regelung im Zusammenhang mit Naturalentgelten jedenfalls voraussetzen würde, dass auch die Bewertungskriterien bekannt sind. Es würde dem Wesen von Mindestentgelten diametral entgegenstehen, wenn für die Abweichungen von den fixen kollektivvertraglichen Sätzen keine Maßstäblichkeit festgelegt werde, weil die Bestimmtheit der Norm zweifelhaft wäre und die Gefahr der Übervorteilung des AN bestünde. Dass im Zweifel auf steuer- und/oder sozialversicherungsrechtliche Kriterien zurückzugreifen sei, sei dem KollV schon aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen – Beitragsorientiertheit des Steuer- und Sozialversicherungsrechts vs. Individualarbeitnehmerschutz von Mindestentgelten – nicht zu unterstellen. Der erkennende Senat teilt diese Bedenken. Nicht zuletzt wäre unklar, in welchem Ausmaß Natural- statt Geldlohn ausbezahlt werden dürfte. Diese Erwägungen führen aber zum Ergebnis, dass die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro dann, wenn der KollV wie im vorliegenden Fall keine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen ist.

10. Das kollektivvertragliche Geldzahlungsgebot steht natürlich der Vereinbarung eines höheren als des kollektivvertraglichen Mindestlohns im Arbeitsvertrag nicht im Wege (§ 3 Abs 1 ArbVG). Das Geldzahlungsgebot kann aber vor dem Hintergrund der ihm innewohnenden Dispositionsfreiheit des AN über den Mindestlohn nicht durch in den Augen des AG (oder AN) noch so günstige Sachbezüge umgangen werden. Der kollektivvertragliche Mindestlohn ist dem Günstigkeitsvergleich mit Sachbezügen entzogen (Müller, ASoK 2002, 320, der überzeugend darauf hinweist, dass man sich von einem Dienstwagen weder ernähren noch darin wohnen kann).“

ERLÄUTERUNG

Die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer Anrechnung der Privatnutzung des Firmenfahrzeugs auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn ist vor mehreren Jahren bereits vom VwGH als unzulässig beurteilt worden, da kollektivvertragliche Mindestlohnansprüche zwingend in Geld zu gewähren seien und insofern kein Raum für einen Günstigkeitsvergleich bleibe (vgl VwGH95/08/0037DRdA 2003/31 [Löschnigg]). Auch der OGH hat sich in der Vergangenheit bereits wiederholt mit Fragen der Zulässigkeit der303 (teilweisen) Entrichtung kollektivvertraglicher Ansprüche in Form von Naturalleistungen auseinandergesetzt. Klargestellt ist insofern durch die Rsp des OGH, dass eine einseitige, also ohne diesbezügliche Vereinbarung mit dem AN vorgenommene Anrechnung von Sachbezügen auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn mit dem Grundsatz der Vertragstreue nicht vereinbar und damit unzulässig ist (OGH9 ObA 112/03sinfas 2004 A 39). Eine entsprechende Anrechnungsvereinbarung zwischen AG und AN hat der OGH in der Vergangenheit zum einen dann akzeptiert, wenn diese sich auf die Anrechnung von Sachleistungen auf die Überstundenentlohnung bezog (OGH 9 ObA 161/01vinfas 2002 A 6). Eine sich auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt beziehende Anrechnungsvereinbarung für Kost und Logis wurde zum anderen vor dem Hintergrund als zulässig erachtet, dass der anzuwendende KollV selbst eine solche Vereinbarung vorsah (OGH8 ObA 61/13yinfas 2014 A 42).

Im vorliegenden Fall musste nun der OGH erstmals zur Frage Stellung beziehen, ob eine teilweise Auszahlung des kollektivvertraglichen Mindestlohns in Naturalien auch ohne ausdrückliche Regelung im KollV wirksam im Arbeitsvertrag vereinbart werden kann. Der OGH verwirft zunächst unter Verweis auf den Zweck der kollektivvertraglichen Mindestlöhne die in der Literatur teilweise vertretene Rechtsansicht, wonach eine solche Vereinbarung nach Maßgabe des Günstigkeitsprinzips grundsätzlich zulässig sei. Anders als etwa die Überstundenabgeltung dient das kollektivvertragliche Mindestentgelt nämlich der Existenzsicherung des AN, wobei auch die Dispositionsfreiheit des AN hinsichtlich der konkreten Verwendung dieser (Geld-)Bezüge gesichert sein muss. Diese „Konsumsouveränität“ des AN wäre aber nicht gewährleistet, wenn ein Teil des Entgelts in Naturalien geleistet wird. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Kombination aus Geld- und Sachbezug aufgrund der Preisgünstigkeit der angebotenen Naturalien möglicherweise für den AN günstiger wäre – insofern ist hier ein Günstigkeitsvergleich nicht anzustellen. Damit kommt der OGH zunächst zum Schluss, dass im Bereich des kollektivvertraglichen Mindestentgelts eine Anrechnung von Sachleistungen nur im Falle einer entsprechenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Grundlage zulässig ist.

Ob der KollV nun Anrechnungsvereinbarungen erlaubt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu klären. Ohne ausdrückliche Regelung ist aber laut OGH bei einer Festlegung des Mindestentgelts in Euro keine kollektivvertragliche Befugnis zum Abschluss solcher Vereinbarungen anzunehmen: Im Lichte der Zwecksetzung des kollektivvertraglichen Mindestlohns ist nämlich nicht davon auszugehen, dass die Kollektivvertragspartner etwa das Ausmaß eines zulässigen Ersatzes von Geld- durch Naturallohn oder die anzuwendenden Kriterien für die Bewertung der Sachleistung der beliebigen Festsetzung durch die Arbeitsvertragspartner überlassen wollen, da dies die Gefahr der Übervorteilung des AN mit sich bringen würde. Ein Ausweichen auf steuerliche Bewertungsansätze für Sachleistungsbezüge kommt wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen von Steuer- und Arbeitsrecht nicht in Frage.

Der OGH schließt sich damit der Ansicht des VwGH an, dass der kollektivvertragliche Mindestlohn zwingend in Geld zu leisten ist. Die Vereinbarung einer Anrechnung von Sachbezügen auf den Kollektivvertragslohn ist ohne ausdrückliche Ermächtigung im KollV unzulässig. Zulässig bleiben Anrechnungsvereinbarungen aber weiterhin dann, wenn sie sich nicht auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt, sondern zB auf die Überstundenentlohnung oder auf überkollektivvertragliche Gehaltsbestandteile beziehen.