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Unklare Stellungnahme des Betriebsrats nach Verständigung von der Kündigungsabsicht gilt als Stillschweigen

MARTINACHLESTIL

Die Stellungnahme eines BR zu einer beabsichtigten Kündigung, der kein eindeutiger Erklärungsinhalt zu entnehmen ist, weil sie beispielsweise für einen objektiven Betrachter keinen nachvollziehbaren Sinn ergibt, ist dem Stillschweigen gleichzusetzen. Damit wird dem AN das Recht, die Kündigung gem § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wegen Sozialwidrigkeit anzufechten, nicht genommen.

SACHVERHALT

Die bekl AG verständigte den für den kl AN zuständigen BR von der beabsichtigten Kündigung des AN. Der BR nahm (fälschlicherweise) an, dass der AN kein Arbeitsverhältnis zur bekl AG habe und meinte daher, für ihn nicht zuständig zu sein. Aus diesem Grund fasste er den Beschluss, der Kündigung zuzustimmen.

Der Betriebsratsvorsitzende teilte dem Personalbüro den Betriebsratsbeschluss per E-Mail mit folgendem Wortlaut mit: „Aufgrund der Tatsache, dass mit […] ein Arbeitsvertrag zwischen der […] (Tochtergesellschaft) und deren Beteiligungsgesellschaften […] geschlossen wurde und […] seine Tätigkeiten in der Beteiligungsgesellschaft […] (Tochtergesellschaft) verrichtet hat, fällt […] nicht in den Geltungsbereich des Angestelltenbetriebsrates der […] (Bekl). Der Betriebsrat der […] (Bekl) stimmt somit, wie in der heutigen Sitzung einstimmig beschlossen, der Kündigung von […] zu.“

Die bekl AG fragte nicht nach, wie die E-Mail des BR zu verstehen sei und kündigte das Arbeitsverhältnis zum kl AN auf. Der AN focht die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Vorinstanzen wiesen das Anfechtungsbegehren des kl AN ab, weil der BR der Kündigung ausdrücklich zugestimmt habe, auch wenn dies durch ein unzutreffendes Motiv veranlasst worden sei. Der OGH war anderer Ansicht als die Vorinstanzen: Für ihn war die Stellungnahme des BR nicht eindeutig; er gab auf Basis dieser Beurteilung der außerordentlichen Revision des kl AN statt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

2. Die Stellungnahme des Betriebsrats ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die an keine bestimmte Form gebunden und gegenüber dem Betriebsinhaber abzugeben ist. Die Beurteilung des Inhalts einer solchen Erklärung richtet sich danach, wie die Erklärung objektiv unter Würdigung der dem Betriebsinhaber bekannten Umstände nach Treu und Glauben unter Würdigung der Verkehrssitte aufgefasst werden muss. Klar und eindeutig muss die Stellungnahme zum Ausdruck bringen, ob der Kündigung widersprochen oder zugestimmt wird. Auf die Wortwahl kommt es nicht an. Stellungnahmen, die keinen eindeutigen Erklärungsinhalt wiedergeben, sind dem Stillschweigen gleichzusetzen (RISJustiz RS0101805; Wolliger in ZellKomm2 § 105 ArbVG Rz 50). Da der objektive Erklärungswert der Stellungnahme entscheidend ist, kommt es auf die Motive des Betriebsrats grundsätzlich nicht an (vgl 9 ObA 148/99a; 8 ObA 177/01i). […]305

3. Die hier in Rede stehende Erklärung des Betriebsrats bringt nicht klar und eindeutig zum Ausdruck, dass er der Kündigung des Klägers zustimmen wollte. Die vorstehend wörtlich wiedergegebene Erklärung des Betriebsrats besteht aus zwei Sätzen: Im 1. Satz hält der Betriebsrat fest, dass er für den Kläger nicht zuständig ist. Im 2. Satz stimmt der Betriebsrat der Kündigung des Klägers zu. Betrachtet man die beiden Sätze isoliert, ist jeder Satz für sich klar und eindeutig. […]

Der Betriebsrat der Beklagten stellte hier mit der gebrauchten Wortwahl (‚somit‘) eine enge inhaltliche Koppelung des 2. Satzes (Zustimmung zur Kündigung) mit dem 1. Satz (Feststellung mangelnder Zuständigkeit für den Kläger) her. Diese Verknüpfung ergibt aber in der vorliegenden Form für den objektiven Betrachter der gesamten Erklärung keinen nachvollziehbaren Sinn. Dass der Zustimmungserklärung des unzuständigen Betriebsrats zur Kündigungsabsicht des Betriebsinhabers keine Bedeutung zukommen kann, bedarf keiner besonderen Erörterung (vgl RISJustiz RS0051555; RS0051619 ua).“

ERLÄUTERUNG

Der Betriebsinhaber hat gem § 105 Abs 1 ArbVG vor jeder Kündigung eines AN den zuständigen BR zu verständigen, der mit dem Betriebsinhaber beraten und – nach erfolgter Beschlussfassung im Gremium – innerhalb einer Woche hierzu schriftlich oder mündlich Stellung nehmen kann. Der BR hat drei Möglichkeiten, sich zur beabsichtigten Kündigung zu äußern: Er kann der Kündigung ausdrücklich widersprechen, er kann ihr ausdrücklich zustimmen oder er gibt einfach keine Stellungnahme ab (Stillschweigen). Die Art der Stellungnahme ist aber entscheidend für die Anfechtungsmöglichkeit des AN (bzw des BR). Ist der Erklärung des BR ein ausdrücklicher Widerspruch zu entnehmen, kann der AN oder, nach Aufforderung durch den AN, der BR die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit (inkl möglichem Sozialvergleich) anfechten. Hat sich der BR zur Kündigungsabsicht nicht geäußert, also keine Stellungnahme abgegeben, so spricht man von einem „schlichten Widerspruch“ und der AN behält die Möglichkeit, gegen die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit vorzugehen. Im Falle einer ausdrücklichen Zustimmung nach § 105 Abs 4 ArbVG kann die Kündigung gem § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG jedoch nicht mehr angefochten werden. Man nennt dies auch das sogenannte Sperrrecht des BR (siehe dazu § 105 Abs 6 ArbVG). Die Anfechtung wegen verpönter Motivkündigung ist allerdings immer möglich, selbst bei Zustimmung des BR.

Folgerichtig ist daher nach dem OGH immer zu prüfen, ob überhaupt eine klare und eindeutige Zustimmung des BR zur Kündigung vorliegt. Deutlich zeigt der vorliegende Fall, dass dieser Prüfung jeweils die gesamte Erklärung des BR zugrunde gelegt werden muss: So wird die vordergründig klare Zustimmung des BR im zweiten Satz durch deren Verknüpfung mit der vorangegangenen „Begründung“ (erster Satz) – die in Wahrheit denklogisch keine taugliche Begründung abgeben kann – vollends in Frage gestellt: Eine derartig undeutliche Erklärung ist daher als Fehlen einer Stellungnahme (Stillschweigen) bzw als schlichter Widerspruch zu werten, womit das Anfechtungsrecht des AN wegen Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG bestehen bleibt.

Generell sei darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme des BR möglichst klar einer der drei vorhin angeführten Varianten entsprechen sollte, weil undeutliche Formulierungen auch zulasten des betroffenen AN gehen können. So hat etwa der OGH die Stellungnahme eines BR, dass „keinerlei Einwände gegen die Kündigung bestehen“ als ausdrückliche Zustimmung gewertet. Oder es wurde die Formulierung eines BR, wonach „die Zustimmung des Betriebsrats verweigert wird“, nicht als ausdrücklicher Widerspruch gewertet. Kann die Erklärung des BR weder als Zustimmung noch als Widerspruch zu einer Kündigungsabsicht angesehen werden, gilt dies als keine Stellungnahme (Näheres dazu Gahleitner in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], ArbVG 35 § 105 Rz 49).

Anzumerken ist noch, dass über das Anfechtungsbegehren des kl AN vom OGH nicht endgültig entschieden wurde. Die Rechtssache wurde wieder an das Erstgericht zurückverwiesen, damit dieses darüber urteilt, ob – wie von der bekl AG behauptet – der kl AN als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG anzusehen und damit vom II. Teil des ArbVG ausgenommen ist. Verneinendenfalls wird anschließend die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG zu prüfen sein.