228Privilegierte Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG nur bei Übergang des Arbeitnehmers auf den Erwerber ohne dessen Eintritt in die Pensionszusage
Privilegierte Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG nur bei Übergang des Arbeitnehmers auf den Erwerber ohne dessen Eintritt in die Pensionszusage
Der AN muss den Betriebsübergang „mitmachen“, um in den Genuss der privilegierten Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG zu gelangen.
Der kl AN war von Juli 1992 bis 30.6.2012 bei der bekl AG als Pilot, zuletzt als Kapitän, beschäftigt. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses gelangten für den kl AN Kollektivverträge mit einer Pensionsregelung zur Anwendung. Mit Wirksamkeit 30.6./1.7.2012 verfügte die bekl AG einen Betriebsübergang des Flugbetriebs auf eine andere Fluggesellschaft (im Folgenden: Erwerberin). Die Belegschaft wurde darüber informiert, dass der geplante Betriebsübergang mit einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden sein werde. Ua wurde darauf hingewiesen, dass für übernommene AN die kollektivvertragliche (leistungsorientierte) Pensionskassenzusage durch ein schlechteres (beitragsorientiertes) Pensionskassenmodell auf Basis einer BV ersetzt werde. Nach Erhalt dieser Information kündigte der kl AN sein Arbeitsverhältnis gem § 3 Abs 5 AVRAG zum 30.6.2012 auf. Für die bei der bekl AG (Veräußerin) erworbenen Anwartschaften begehrte er die begünstigte Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG.
Der OGH gab im Ergebnis den Vorinstanzen folgend dem Begehren des kl AN nicht statt, da dieser den für die Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG vorausgesetzten Betriebsübergang nicht mitgemacht hat.
„[…] 3.1 § 5 Abs 2 AVRAG lautet:
‚Hat der Betriebsübergang den Wegfall der betrieblichen Pensionszusage zur Folge und hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses im Falle des Abs 1 Satz 2 nicht widersprochen, so endet mit dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges der Erwerb neuer Pensionsanwartschaften. Der Arbeitnehmer hat gegen den Veräußerer Anspruch auf Abfindung der bisher erworbenen Anwartschaften als Unverfallbarkeitsbetrag im Sinn des Betriebspensionsgesetzes (BPG), Art I des Bundesgesetzes BGBl Nr 282/1990.‘ […]307
3.2 Diese Regelung ist schon nach dem Wortlaut eindeutig.
Abs 2 nimmt (bei einzelvertraglicher Pensionszusage) ausdrücklich auf den Fall des Abs 1 Satz 2 Bezug. Daraus folgt, dass der Erwerber die Übernahme der betrieblichen Pensionszusage ablehnt, also sie nicht übernimmt. Dementsprechend knüpft Abs 2 an den Wegfall der betrieblichen Pensionszusage an.
Als weitere kumulative Voraussetzung für den Anspruch auf Abfindung der bisher erworbenen Anwartschaften als Unverfallbarkeitsbetrag (privilegierte Anwartschaftsabfindung) normiert Abs 2, dass deshalb (aufgrund der Nichtübernahme der Pensionszusage) der Erwerb neuer Pensionsanwartschaften endet, weil der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen hat. […]
3.3 Die klare Konzeption dieser Regelung setzt den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber (mangels Widerspruchs des Arbeitnehmers) bei gleichzeitiger Nichtübernahme der betrieblichen Pensionszusage durch den Erwerber voraus.
Auch dann, wenn der Wegfall der Pensionszusage etwa durch einen Kollektivvertragswechsel erfolgt, ist zwingend der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber vorausgesetzt. Ein Kollektivvertrags-‚Wechsel‘ bedingt nämlich das Wirksamwerden des Erwerber-Kollektivvertrags. Dies ist nur bei Übergang des Arbeitsverhältnisses denkbar.
Bei privilegierter Kündigung durch den Arbeitnehmer nach § 3 Abs 5 AVRAG geht das Arbeitsverhältnis von vornherein nicht auf den Erwerber über, sodass es eines Widerspruchs des Arbeitnehmers dafür nicht bedarf; ebenso wenig würde in einem solchen Fall ein Kollektivvertragswechsel vorliegen. Im Fall einer privilegierten Kündigung bleibt zudem für die tatbestandsmäßig geforderte Nichtübernahme der betrieblichen Pensionszusage durch den Erwerber kein Raum. […]
4. Zusammenfassend kann nach der gesetzlichen Regelung somit kein Zweifel daran bestehen, dass der Arbeitnehmer den Betriebsübergang ‚mitmachen‘ muss, um in den Genuss der privilegierten Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG zu gelangen. Im Fall der privilegierten Kündigung gebührt dem Arbeitnehmer die Anwartschaftsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG nicht. […]
6.1 Wie schon angedeutet, stehen dem Arbeitnehmer für die beim Veräußerer erworbenen Anwartschaften, sollte sie der Erwerber nicht aufrechterhalten, die Unverfallbarkeitsbeträge nach dem Betriebspensionsgesetz zur Verfügung (vgl § 5 Abs 4 AVRAG; Binder, AVRAG2 § 5 Rz 20 und 55; Gahleitner in ZellKomm2 § 5 AVRAG Rz 1). Diese Möglichkeiten stehen dem Kläger schon deshalb offen, weil das Arbeitsverhältnis beendet wurde.“
Das rechtliche Schicksal der Betriebspensionszusage im Rahmen des Betriebs(teils)übergangs ist vor allem in § 5 AVRAG geregelt. Entscheidend ist zunächst die Rechtsgrundlage des Anspruches (Einzelvereinbarung, KollV oder BV). Eine durch Einzelvereinbarung eingeräumte Pensionszusage kann der Erwerber ablehnen, wenn der Betriebsübergang nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt, andernfalls hat er sie zu übernehmen. Die Weitergeltung einer im KollV geregelten Zusage hängt von der Kollektivvertragsangehörigkeit des Erwerbers ab. Gilt derselbe KollV, dann besteht auch die Betriebspensionsregelung weiter; bei einem Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit im Zuge des Betriebsübergangs auf den Erwerber kann es zu einer Verschlechterung oder sogar zum Wegfall der kollektivvertraglichen Pensionszusage kommen. Ist die Betriebspensionszusage in einer BV geregelt, hängt deren Weiterbestand vom Weiterbestand des Betriebes ab.
Im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen kommt es häufig vor, dass Ansprüche der AN aus Betriebspensionszusagen wegfallen. Die zur sozialen Abfederung geschaffene privilegierte Anwartschaftsabfindung durch den Veräußerer gem § 5 Abs 2 AVRAG gebührt in allen Fällen, die zu einem Wegfall der bisherigen betrieblichen Pensionszusage führen, unabhängig davon, ob diese im Einzelvertrag, in einer BV oder im KollV geregelt war (Gahleitner in
Mit der vorliegenden E stellt der OGH klar, dass die privilegierte Anwartschaftsabfindung dem AN jedoch nur dann gebührt, wenn sein Arbeitsverhältnis auf den Erwerber übergeht, er also den Betriebsübergang mitmacht. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erwerber die betriebliche Pensionszusage nicht übernimmt und damit der Erwerb der Anwartschaften endet. Diese Auslegung von § 5 Abs 2 AVRAG steht im Einklang mit der Literatur, weil zB sowohl Binder (AVRAG2 § 5 Rz 2 und 17) als auch Gahleitner (aaO, § 5 AVRAG Rz 1 f) die Pensionsabfindung davon abhängig machen, dass der AN den Arbeitsvertragsübergang ohne Eintritt des neuen AG in die Pensionszusage akzeptiert.
Das hat der AN jedoch gerade nicht gemacht. Nachdem er darüber informiert worden war, dass sich die kollektiven Arbeitsbedingungen durch die nach Betriebsübergang anzuwendenden Betriebsvereinbarungen und den neu anzuwendenden KollV we-308sentlich verschlechtern werden, kündigte er selbst das Arbeitsverhältnis gem § 3 Abs 5 AVRAG auf. Durch diese privilegierte Kündigung stehen ihm die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer AG-Kündigung zu. Allerdings schließt die privilegierte Kündigung des AN die privilegierte Abfindung seiner Betriebspensionsanwartschaften nach § 5 Abs 2 AVRAG aus und der AN ist auf die Unverfallbarkeitsbeträge nach dem BPG verwiesen. Der kl AN kann sich nach dem JAGD auch nicht auf die Betriebsübergangs-RL (RL 2001/23/EG) berufen. Dem aus der RL resultierenden Auftrag an die Mitgliedstaaten, für einen angemessenen Schutz zu sorgen, wurde mit der Regelung bestimmter Unverfallbarkeitsbeträge bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (bzw bei Betriebsübergang) für die beim Veräußerer erlangten Anwartschaften Genüge getan.
Ob die privilegierte Anwartschaftsabfindung nicht nur bei völligem Wegfall einer Pensionszusage, sondern auch bei deren Ersatz durch eine schlechtere Zusage (so wurde im vorliegenden Fall die kollektivvertragliche [leistungsorientierte] Pensionskassenzusage durch ein schlechteres [beitragsorientiertes] Pensionskassenmodell auf Basis einer BV ersetzt) als Differenzabfindung zu gewähren ist, brauchte der OGH – weil es eben an der Grundvoraussetzung des AG-Wechsels im Zuge des Betriebsübergangs fehlte – nicht zu entscheiden.