92Einstufung eines Mischers und Ofenarbeiters ohne Lehrabschluss im KollV für Bäcker
Einstufung eines Mischers und Ofenarbeiters ohne Lehrabschluss im KollV für Bäcker
Ein AN, der die in der Verwendungsgruppe 1 des KollV für Bäcker näher beschriebenen Tätigkeiten eines Mischers oder Ofenarbeiters verrichtet, ist auch dann in die Verwendungsgruppe 1 des KollV für Bäcker einzustufen und nach dem für diese Verwendungsgruppe im Lohnvertrag vorgesehenen Mindestlohn zu entlohnen, wenn er über keine abgeschlossene Lehre verfügt.
Ein AN, der über keine abgeschlossene Bäckerlehre verfügt, verrichtete in einer Bäckerei die Tätigkeiten eines Mischers und Ofenarbeiters. Auf das Arbeitsverhältnis war der KollV für Arbeiter im Bäckergewerbe anwendbar. Der AN begehrte mit der Klage von seinem ehemaligen AG aufgrund der ausgeübten Tätigkeit Entgeltdifferen-142zen auf Basis einer Entlohnung nach der Verwendungsgruppe 1 des KollV. Der AG wandte ein, dass der AN als „qualifizierter Arbeiter“ in die geringer zu entlohnende Verwendungsgruppe 3 einzustufen sei, weil er über keinen Lehrabschluss verfüge.
Das Erstgericht und das Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren zur Gänze statt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes erachtete der OGH die Revision zwar für zulässig, weil der Auslegung von Kollektivverträgen regelmäßig – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt; er wies die Revision aber als unberechtigt ab.
„Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist in erster Linie der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. […]
Der hier anzuwendende Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Bäckergewerbe sieht zunächst ganz allgemein eine Einstufung des Arbeitnehmers in die Verwendungsgruppen des Lohnvertrages nach dessen überwiegender Verwendung vor (Art V Punkt A) Z 27 KV Bäcker). In den einzeln aufgelisteten Verwendungsgruppen 1-9 werden die jeweiligen Verwendungsbezeichnungen aufgezählt, deren jeweilige Tätigkeitsbeschreibung im Anhang zum Lohnvertrag enthalten ist. Der vom Kläger angestrebten Verwendungsgruppe 1 unterfallen danach Arbeitnehmer, die die Tätigkeiten eines Mischers oder Ofenarbeiters verrichten. Ein sonstiges (zusätzliches) Erfordernis für die Zuordnung eines Mischers oder Ofenarbeiters in die Verwendungsgruppe 1, etwa eine abgeschlossene Lehre (mit oder ohne Lehrabschlussprüfung), schreibt der Kollektivvertrag für die Verwendungsgruppe 1 nicht vor. Da die Kollektivvertragsparteien demgegenüber der Einstufung von Arbeitnehmern in anderen Verwendungsgruppen (3, 4 und 9) dem Kriterium der abgeschlossenen Lehre ohne bzw mit Lehrabschlussprüfung eine ausdrückliche Bedeutung zugemessen haben, ist für die Normadressaten ersichtlich, dass es auch nach dem KV Bäcker in erster Linie auf die tatsächlich vom Arbeitnehmer verrichtete Tätigkeit ankommt und zusätzliche Kriterien für die Einstufung nur dort relevant sind, wo sie ausdrücklich in einzelnen Verwendungsgruppen genannt werden.“
Die Kollektivvertragsparteien sind grundsätzlich frei, über die Voraussetzungen der Einstufung zu entscheiden. Sie müssen dabei nur die allgemeinen gesetzlichen Schranken, den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und den ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum (§ 2 ArbVG) beachten, um so eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen zu können.
Für die Einstufung in eine bestimmte Verwendungsgruppe eines KollV kommt es in der Regel auf die Tätigkeit des AN an, welche die zentrale Motivation des AG für die Begründung des Arbeitsverhältnisses darstellt und aus der sich die Wertschöpfung für den AG ergibt. Außer auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des AN können die Kollektivverträge aber auch auf die facheinschlägige Ausbildung (zB Lehrabschluss), die – unabhängig vom tatsächlichen Tätigkeitsbereich ausgeübte – formale Funktion des AN im Betrieb (zB gewerberechtlicher Geschäftsführer) oder die Innehabung einer bestimmten Position im Unternehmen (zB Prokurist, Betriebsleiter) abstellen.
Der KollV für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe etwa misst einer formellen Lehrabschlussprüfung als Berufskraftfahrer einen besonderen Stellenwert für die Einstufung bei: Auch wenn der gelernte Berufskraftfahrer nie in Bereichen eingesetzt wird, die einem Berufskraftfahrer vorbehalten sind, ist er in die höchste Verwendungsgruppe einzureihen (OGH8 ObA 20/09pinfas 2009 A 71). Der KollV für Angestellte von Architekten und Ingenieurkonsulenten sieht hingegen für die Einstufung eine Kombination aus vorwiegend ausgeübter Tätigkeit und fachlicher Ausbildung vor: Nur bei Erfüllung beider Voraussetzungen ist eine Einreihung in eine bestimmte Gruppe vorzunehmen (OGH8 ObA 72/12iinfas 2013 A 39).
Im vorliegenden Fall wird nach dem Text des KollV bei der Verwendungsgruppe 1 nur auf die konkret verrichtete Tätigkeit des AN und die damit verbundene besondere Verantwortung abgestellt. Der OGH erachtet es nicht als unsachlich, dass schon alleine die Verrichtung der Tätigkeit eines Mischers oder Ofenarbeiters (ohne abgeschlossene Lehre) nach Ansicht der Kollektivvertragsparteien die höchste im KollV vorgesehene Entlohnung rechtfertigt. Dies liege innerhalb des den Kollektivvertragsparteien zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums. Der OGH geht davon aus, dass die Kollektivvertragsparteien offensichtlich voraussetzen, dass auch ein AN ohne abgeschlossene Bäckerlehre die Tätigkeit eines Mischers oder Ofenarbeiters, etwa aufgrund ein-143schlägiger Praxis (wie im Fall des Kl, der angab, früher in der Bäckerei seines Vaters gearbeitet zu haben), in fachlicher Hinsicht genauso gut und ebenso verantwortungsvoll ausüben kann, wie ein Mischer oder Ofenarbeiter mit abgeschlossener Lehre.