106Kein Unfallversicherungsschutz bei „Taxibobfahrt“ im Rahmen eines Seminars
Kein Unfallversicherungsschutz bei „Taxibobfahrt“ im Rahmen eines Seminars
Außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Ausbildungsmaßnahmen, bei denen die Teilnahme den AN freigestellt ist, unterliegen dann dem Schutz der gesetzlichen UV, wenn eine Organisation durch den AG wie bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung vorliegt. Soweit dabei eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Rahmenprogramm besteht, ist auch dieses versichert, nicht aber dann, wenn sich der AN bloß aus Höflichkeitsgründen zur Teilnahme bereiterklärt hat.
Der Kl nahm an einem von einem Lieferanten der AG organisierten dreitägigen Seminar („Partnertagung“) teil. Das Programm beinhaltete ua einen sogenannten „Cup“ im Taxibob, an dem auch der Chef des Kl teilnahm. Obwohl der Kl zunächst nicht angemeldet war, fühlte er sich dann doch bemüßigt, an der „Taxi-Bobfahrt“ teilzunehmen; dies deshalb, weil noch Plätze frei waren und ihn sein Chef zur Teilnahme ermunterte. In weiterer Folge wurde der Kl bei der Fahrt an der Wirbelsäule verletzt.
Das Erstgericht verpflichtete die bekl AUVA, dem Kl zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalls eine Versehrtenrente als vorläufige Rente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, da es sich bei der Bobfahrt um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt habe, die dem Schutz der gesetzlichen UV unterliege. Das Berufungsgericht wies die Klage infolge Berufung der Bekl ab. Bei der Partnertagung habe es sich nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt, weil diese Veranstaltung nicht von der AG des Kl organisiert und finanziert worden sei und auch nicht dem Zweck der Verbundenheit mit dem Unternehmen bzw der AN untereinander gedient habe. Es habe sich vielmehr um eine Fortbildungsveranstaltung gehandelt, die grundsätzlich unter die Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG falle. Der Schutz der gesetzlichen UV erstrecke sich aber nicht auf die gesamte Veranstaltung, sondern nur auf Tätigkeiten, die mit dieser Veranstaltung in zeitlichem, örtlichem und ursächlichem Zusammenhang stünden. Am ursächlichen Zusammenhang fehle es, weil sich der Unfall anlässlich einer freiwilligen Teilnahme an einer vom Veranstalter angebotenen Freizeitaktivität ereignet habe.
Die außerordentliche Revision des Kl wurde vom OGH mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.
„2.1. Unter die Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG fällt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und Erfahrungen im Rahmen einer betrieblichen Berufsausbildung. […]
2.2. Außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Ausbildungsmaßnahmen, bei denen die Teilnahme den Arbeitnehmern freigestellt ist, sind dann nach der Generalklausel versichert, wenn eine Organisation durch den Arbeitgeber wie bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung vorliegt (Rudolf Müller in SV-Komm [92. Lfg. Stand 1.3.2014] § 175 ASVG Rz 58).
2.3. Findet die Ausbildungsmaßnahme außerhalb des Betriebs statt, dann gilt der Versicherungsschutz konsequenterweise wie bei Dienstreisen. Soweit dabei eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Rahmenprogramm besteht, ist auch diese versichert. […]
3. […] Auch wenn nicht die gesamte Dauer einer Dienstreise oder Dienstzuteilung als Dienst aufge-157fasst werden kann, ist ein innerer Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit im Allgemeinen eher anzuerkennen als am Wohn- oder Dienstort (10 ObS 316/91, SSV-NF 6/39 [Sturz im Seminarhotel auf dem Weg zum Abendessen]; 10 ObS 120/01x, SSV-NF 15/82 [Schießübung im Rahmen einer Dienstreise in China]). Der Versicherungsschutz während einer Dienstreise kann sich daher auch auf solche Tätigkeiten erstrecken, die sonst dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Der Versicherungsschutz entfällt aber jedenfalls dann, wenn sich der Reisende rein persönlichen, von der dienstlichen Tätigkeit und den Besonderheiten des auswärtigen Aufenthalts nicht mehr wesentlich beeinflussten Belangen widmet (RIS-Justiz RS0084819), etwa einem Saunabesuch, dem Besuch der Hotelbar nach Beendigung der Dienstgeschäfte oder einem Spaziergang.
4. Der vorliegende Fall ist in gewisser Weise in der Mitte zwischen der eigentlichen Seminarteilnahme und einer rein privaten Verrichtung angesiedelt. Es bestand keine unmittelbare Verpflichtung zur Teilnahme an einer Taxi-Bobfahrt, aber eine gewisse Erwartungshaltung der Organisatoren, dass die Seminarteilnehmer mit dem Bob mitfahren. Naheliegenderweise sind für die Beurteilung, ob die im Rahmen der Dienstreise absolvierte Bobfahrt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, diejenigen Kriterien heranzuziehen, die bei der Qualifikation von betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen angewendet werden. […]
4.2. Wesentlich für die betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ist die Pflege der Betriebsverbundenheit zwischen Dienstgeber und Mitarbeitern. Erst eine Mitwirkung des Dienstgebers kann für die Dienstnehmer eine gewisse Zwangslage schaffen, an der betreffenden Veranstaltung teilzunehmen, die den Versicherungsschutz rechtfertigt […]. In Zweifelsfällen ist daher entscheidend, ob und inwieweit sich der Dienstnehmer dem Dienstgeber gegenüber zur Teilnahme verpflichtet fühlen musste. […]
4.3. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass die Taxi-Bobfahrt, obwohl sie im Seminarprogramm aufschien, eine organisierte Freizeitaktivität darstellte, die nicht in einem Maße von der Autorität des Dienstgebers getragen wurde, dass sich der Dienstnehmer in allgemein begreiflicher Weise zur Teilnahmen verpflichtet fühlen musste. Gerade die freien Plätze zeigen, dass offensichtlich das Verpflichtungsgefühl der übrigen Seminarteilnehmer nicht besonders ausgeprägt war. Das Verhalten des Klägers mag vor allem unter Höflichkeitsaspekten gegenüber dem Seminarorganisator verständlich sein; eine besondere Verpflichtung dem Arbeitgeber gegenüber ist daraus aber nicht abzuleiten.“
Einmal mehr zeigt der OGH in der vorliegenden E die Grenze zwischen betrieblichem und privatem Interesse während einer Dienstreise bzw einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung sowie deren Bedeutung für die Frage des Bestehens eines Unfallversicherungsschutzes auf. Während die verpflichtende Teilnahme an einem Seminar zweifelsfrei den Schutz der gesetzlichen UV genießt, kommt es bei einer Freizeitaktivität – selbst wenn sie Bestandteil des Seminarprogramms ist – darauf an, ob und inwieweit sich der DN dem DG gegenüber zur Teilnahme verpflichtet fühlen musste. Im konkreten Fall führt die ausdrückliche Ermunterung zur Teilnahme durch den Chef nach Ansicht des OGH für den AN noch nicht zu einer die Einbeziehung in die UV rechtfertigende Zwangslage, in der er sich zur Teilnahme verpflichtet fühlen musste. Vielmehr spricht für den OGH die Tatsache, dass im Bob noch Plätze frei waren, sogar gegen ein berechtigtes Gefühl des Verpflichtetseins des Kl zur Teilnahme an der Fahrt (Arg: So viele andere KollegInnen haben auch nicht teilgenommen).