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Keine Kindeseigenschaft bei einem Berufsfindungspraktikum

STEPHANIEPRINZINGER

Ein an die Ausbildung zur Rettungssanitäterin anschließendes Berufsfindungspraktikum ist nicht mehr als Berufsausbildung iSd § 252 Abs 2 Z 1 ASVG anzusehen. Die bloße Absicht bzw das Motiv, nach Ende des Berufsfindungspraktikums weiterhin eine berufliche Tätigkeit im Sozialbereich auszuüben oder eine Ausbildung für einen anderen Sozialberuf zu beginnen, kann für sich allein die Kindeseigenschaft nicht begründen. Auch eine analoge Anwendung des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG kommt nicht in Betracht.

SACHVERHALT

Die 1994 geborene Kl bezog ab 9.9.2012 für die weitere Dauer ihrer Ausbildung eine Waisenpension nach ihrem verstorbenen Vater. Diese fiel mit Ablauf des Monats Mai 2014 wegen Beendigung der Schulausbildung weg. Mit Bescheid vom 9.10.2014 lehnte die PVA den Antrag auf Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus ab. Dagegen erhob die Kl Klage mit der Begründung, sie absolviere ein „Berufsfindungspraktikum“ beim Roten Kreuz. Dieses werde als Praktikum im Rahmen des Freiwilligen Sozialjahres angeboten, weshalb ihre Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 2 ASVG über das 18. Lebensjahr hinaus gegeben sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht gab der Klage auf Weitergewährung der Waisenpension statt. Das Berufsfindungspraktikum sei als Berufsausbildung iSd § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zu werten, da es der beruflichen Orientierung der Kl diene und diese beabsichtige, nach Abschluss des Praktikums einen Beruf oder ein Studium im Sozialbereich zu beginnen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass die Bekl schuldig erkannt wurde, der Kl für die Dauer der im Rahmen des Berufsfindungspraktikums absolvierten Ausbildung zur Rettungssanitäterin eine Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Weitergewährung der Waisenpension für den nach Abschluss dieser Ausbildung gelegenen Zeitraum wies es ab. Der OGH gab der gegen den abweisenden Teil der E gerichteten Revision der Kl nicht statt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist essentiell für die Berufsausbildung, dass Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, die für die Ausübung eines zukünftig gegen Entgelt auszuübenden (bestimmten) Berufs erforderlich sind. […]

2.2.1 Im vorliegenden Fall bestand das ‚Programm‘ des Berufsfindungspraktikums beim Österreichischen Roten Kreuz darin, jungen Menschen eine zweimonatige Berufsausbildung zum/zur Rettungssanitäter/in nach dem Sanitätsgesetz anzubieten. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung sollten sie als Rettungssanitäter/in im Rettungsdienst eingesetzt werden. Die Tätigkeit nach Abschluss der zweimonatigen Ausbildung zur Rettungssanitäterin bzw Erreichen des Ausbildungsziels […] stellt sich demnach als Ausübung des zuvor erlernten Berufs der Rettungssanitäterin und nicht mehr als Ausbildung zu diesem Beruf dar, mag dahinter auch die Motivation der Klägerin bzw das Ziel stehen, im Rahmen ihrer Tätigkeit ihre Eignung für diesen oder einen anderen sozialen Beruf zu erkennen.

[…]

3.2 Die bloße Absicht bzw das Motiv, nach dem Ende des Berufsfindungspraktikums weiterhin159 eine berufliche Tätigkeit im Sozialbereich auszuüben oder eine Ausbildung für einen anderen Sozialberuf als jenen der Rettungssanitäterin zu beginnen, kann für sich allein die Kindeseigenschaft nicht begründen […]. Ein solcher Zusammenhang reicht jedenfalls nicht aus, um ein deshalb absolviertes Berufsfindungspraktikum selbst zur ‚Berufsausbildung‘ werden zu lassen.

[…]

4.3 Eine analoge Anwendung des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG auf die ab November 2014 ausgeübte Tätigkeit der Klägerin als Rettungssanitäterin im Rettungsdienst scheidet […] deshalb aus, weil diese Tätigkeit mit dem Freiwilligen Sozialjahr nicht derart ähnlich ist, dass auf eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit geschlossen werden könnte.

4.3.1 Nach § 6 FreiwG gehört das Freiwillige Sozialjahr zu den besonderen Formen des freiwilligen Engagements, es erfolgt im Interesse des Gemeinwohls und kann nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses absolviert werden. […] Der/die Teilnehmer/in darf nicht mehr als 34 Wochenstunden tätig sein (§ 7 FreiwG).

4.3.2 Diesen Voraussetzungen entspricht die Tätigkeit der Klägerin ab November 2014 in mehrfacher Hinsicht ua deshalb nicht, weil sie nach Abschluss einer Berufsausbildung auf Basis eines Dienstvertrags und im Ausmaß von 40 Wochenstunden erfolgte. Wesentlich erscheint insbesondere, dass es sich nicht um eine praktische Hilfstätigkeit im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses handelt, sondern um eine Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäterin eingesetzt im Rettungsdienst. Allein, dass von der Zielsetzung her (ua Berufsorientierung, Persönlichkeitsentwicklung) Ähnlichkeiten mit dem Freiwilligen Sozialjahr bestehen, vermag aber bei sonstiger mangelnder Vergleichbarkeit die Annahme einer Gesetzeslücke nicht zu rechtfertigen. Ein Analogieschluss scheidet daher aus.“

ERLÄUTERUNG

Anspruch auf Waisenpension haben gem § 260 ASVG nach dem Tode des (der) Versicherten die Kinder iSd § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 ASVG. Über das 18. Lebensjahr hinaus wird die Waisenpension nur auf besonderen Antrag gewährt. Gem § 252 Abs 2 Z 1 ASVG besteht die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres weiter, solange sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Nach § 252 Abs 2 Z 2 ASVG liegt die Kindeseigenschaft darüber hinaus auch während der Absolvierung eines Freiwilligen Sozialjahres, des Freiwilligen Umweltschutzjahres, des Gedenkdienstes oder des Friedens- und Sozialdienstes im Ausland vor, wiederum aber längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres.

Die Tätigkeit der Kl als Rettungssanitäterin im Rahmen eines Berufsfindungspraktikums nach Abschluss der entsprechenden Ausbildung nach dem Sanitätsgesetz ist nach Ansicht des OGH weder als fortgesetzte praktische Ausbildung zu diesem Beruf noch als Ausbildung zu einem anderen „sozialen Beruf“ zu qualifizieren. Für die Verlängerung der Kindeseigenschaft für die Dauer einer Schul- oder Berufsausbildung kommt es auf den Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten an, die für die Ausübung eines zukünftig gegen Entgelt auszuübenden bestimmten Berufs nötig sind. Die bloße Absicht, nach Ende des Berufsfindungspraktikums weiterhin eine berufliche Tätigkeit im Sozialbereich auszuüben oder eine Ausbildung für einen anderen Sozialberuf zu beginnen, reicht nicht aus, um ein mehrmonatiges Berufsfindungspraktikum selbst zur „Berufsausbildung“ werden zu lassen.

Eine analoge Anwendung des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG kommt nach Ansicht des OGH ebenfalls nicht in Betracht. Zwar schließt die taxative Auflistung jener Freiwilligendienste, die eine Verlängerung der Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr hinaus rechtfertigen können, eine analoge Anwendung dieser Regelung auf dort nicht erwähnte Berufs(findungs)praktika per se noch nicht aus. Sie scheitert jedoch daran, dass die gegenständliche Tätigkeit dem Freiwilligen Sozialjahr nicht derart ähnlich ist, dass auf eine Gesetzeslücke iS einer planwidrigen Unvollständigkeit geschlossen werden könnte. Der OGH bejaht zwar grundsätzlich das Bestehen von Ähnlichkeiten in Hinblick auf die Ziele, nämlich Berufsorientierung und Persönlichkeitsentwicklung, kommt aber zu dem Schluss, dass eine Analogie nicht möglich ist, weil ansonsten keine Vergleichbarkeit gegeben sei. Die Teilnehmer des Freiwilligen Sozialjahres sind Personen ohne einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung, die diese praktische Hilfstätigkeit für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten für maximal 34 Wochenstunden ausüben. Dagegen handle es sich bei der Tätigkeit der Kl nicht um eine praktische Hilfstätigkeit im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses, sondern um eine nach Abschluss einer Berufsausbildung auf Basis eines Dienstvertrags und im Ausmaß von 40 Wochenstunden ausgeübte Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäterin. Keine Rolle spielt nach Ansicht des OGH dabei offensichtlich die Tatsache, dass es sich bei der Tätigkeit der Kl gerade nicht um ein normales Dienstverhältnis im Ausmaß von 40 Wochenstunden mit entsprechender Entlohnung, sondern um ein Praktikum handelte, für das auch nur ein geringfügiges Entgelt geleistet wurde.

Der OGH teilt auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kl nicht, die in der unterschiedlichen Behandlung von Personen, die wie die Kl160 als Rettungssanitäter in einem Arbeitsverhältnis gegen ein geringfügiges Entgelt stehen und Personen, die nach Abschluss des Präsenzdienstes bis zum Anfang des nächsten Semesters „warten“, um ihr Studium zu beginnen und bis dahin keiner Berufstätigkeit nachgehen, eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sieht. Da die Kindeseigenschaft letzterer Personengruppe (nur) unter der Voraussetzung weiterbesteht, dass im nächsten Semester ein die Arbeitskraft überwiegend beanspruchendes Studium aufgenommen wird, erfolgt diese Differenzierung nach Ansicht des OGH nach sachlichen Kriterien.