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Sachbezüge und Mindestlohn – Was darf unter welchen Voraussetzungen angerechnet werden?

KARINBURGER-EHRNHOFER (WIEN)
  1. Nennt ein KollV bei der Festlegung der Mindestlöhne Euro-Beträge ist mangels gegenlautender kollektivvertraglicher Bestimmungen von einem zwingenden Geldzahlungsgebot auszugehen. Die Naturalsubstitution der kollektivvertraglichen Mindestlöhne ist daher grundsätzlich abzulehnen.

  2. Eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen ist dann zulässig, wenn der KollV selbst eine entsprechende Anrechnungsmöglichkeit eröffnet und die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten wird.

Der Kl war bei der Bekl vom 1.10.2013 bis 15.7.2014 als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem KollV für Handelsangestellte. Der Kl war in der Beschäftigungsgruppe 3 im zwölften Berufsjahr eingestuft. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt für diese Einstufung betrug monatlich 1.983 € brutto.

Dem Kl wurde ein Firmenfahrzeug zur Ausübung der Reisetätigkeit zur Verfügung gestellt, für das im Dienstvertrag vereinbart wurde:

„9. Anrechnung auf das kollektivvertragliche EntgeltArbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren ausdrücklich, dass der Betrag, der der Kostenbeteiligung unter Punkt 7. entspricht (geldwerter Vorteil bzw Sachbezug), auf das kollektivvertragliche Entgelt anzurechnen ist.“

In [richtig:] Pkt 8. des Vertrags ist vorgesehen:

„8.1.1. 1,5 %-Methode [angekreuzt]

Aufgrund der möglichen Privatnutzung des durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs ist bei den monatlichen Bezügen des Mitarbeiters aus steuerrechtlichen Gründen ein Hinzurechnungsbetrag als ‚geldwerter Vorteil‘ zu berücksichtigen.2408.1.2. Fahrtenbuch-Methode [nicht angekreuzt] ...“

Der Kl nutzte den von der Bekl zur Verfügung gestellten PKW auch privat und fuhr damit bis 30.6.2014 zumindest 5.675 Kilometer zu privaten Zwecken.

Ab April 2014 erhielt der Kl statt der kollektivvertraglich vorgesehenen 1.983 € brutto nur 1.750 € brutto abgerechnet. Die Differenz entsprach nach Ansicht der Bekl dem Sachbezug für den PKW.

Der Kl begehrt den seit April 2014 entstandenen Differenzbetrag in Höhe von insgesamt 1.736,22 € brutto mit dem Vorbringen, dass die Aufrechnung des Sachbezugswerts auf den kollektivvertraglich festgelegten Mindestbarbezug unzulässig sei. Der KollV sehe eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots auch nicht vor.

Die Bekl bestritt und beantragte unter Berufung auf die getroffene Vereinbarung die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht gab der Klage statt. [...]

Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht und gab der Berufung der Bekl nicht Folge. [...] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Bekl die Abänderung des Berufungsurteils iS einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Nach der Rsp ist das einseitige Abgehen von einer kollektivvertraglichen Vereinbarung über eine Geldleistung durch Leistung von Naturalien dem DG auch dann verwehrt, wenn es sich bei der Geldleistung um Aufwandsersatz handelt und wenn die Naturalleistung einem Günstigkeitsvergleich standhält. Ein solches einseitiges Abgehen ist mit der Rechtsnatur des KollV und dessen einseitig zu Gunsten des AN zwingenden Wirkung nicht vereinbar. Wohl aber können kollektivvertragliche Ansprüche der AN durch Einzelvereinbarung verbessert werden, weil § 3 Abs 1 ArbVG „Sondervereinbarungen“ – soweit sie der KollV nicht ausschließt – zulässt, sofern sie für den AN günstiger sind (RIS-Justiz RS0117393; jüngst 9 ObA 54/15d unter Verweis auf 9 ObA 112/03s).

2. Zur Frage, ob die Anrechnung eines Sachbezugs auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung sein kann, werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten:

2.1.Spielbüchler (in

Floretta/Spielbüchler/Strasser
, Arbeitsrecht I4 [1998] 267), Korn (Kollektivvertraglicher Mindestlohn und Sachbezug in der Sozialversicherung, ASoK 2002, 184 ff), Montmorency (Anrechnung von Sachbezügen auf das Kollektivvertragliche Mindestentgelt: Erlaubt oder verboten?ZAS 2003/11), Körber (Die Privatnutzung von Dienstfahrzeugen, ZAS 2005/13), Rauch (Der Dienst-PKW, ASoK 2006, 93 ff), Marhold/Friedrich (Österreichisches Arbeitsrecht2 [2012] 130) und Jabornegg/Resch (Arbeitsrecht5 [2014] Rz 333), gehen davon aus, dass Kollektivverträge die Vereinbarung von Naturalentgelt nicht verbieten würden. Die Anrechnung müsse daher zulässig sein, wenn die Gewährung des Sachbezugs für den AN günstiger als eine Barzahlung sei.

2.2. Demgegenüber erachtet Müller (Judikaturdivergenzen zwischen VwGH und OGH? – Eine Entwarnung, ZAS 2003/22; ders, Nochmals: Kollektivvertraglicher Mindestlohn und Sachbezug in der Sozialversicherung, ASoK 2002, 220) die kollektivvertraglichen Entlohnungsbestimmungen im Ergebnis als zweiseitig zwingende Anordnung eines Barzahlungsgebots, sodass es auf einen Günstigkeitsvergleich nicht mehr ankomme. Diese Ansicht teilen auch Löschnigg (Entscheidungsanmerkung zu VwGH95/08/0037DRdA 2003, 340 f), Spitzl/Huber (in

Kuras
[Hrsg], Handbuch Arbeitsrecht [1997] Pkt. 3.2.3.), Preiss (in ZellKomm2 § 78 GewO Rz 7), Kozak (in
Reissner
, AngG2 § 42 Rz 34) und Karner (in
Mazal/Risak
, Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar [2014] Kap. VI. Rz 53a; vgl auch Schindler, Entscheidungsbesprechung zu OGH8 ObA 61/13yDRdA 2014, 424).

3. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage findet sich auch in der Rsp des VwGH. Er judiziert in stRsp, dass im Geltungsbereich eines KollV die Zulässigkeit vertraglicher Disposition zwischen AG und AN in Ansehung der dort geregelten Mindestentgelte nicht gegeben sei. Diese Mindestentgelte seien in der Regel in Geldbeträgen festgelegt und insoweit daher auch zwingend in Geld zu entrichten. Das im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte geltende Geldzahlungsgebot schließe – ungeachtet aller Günstigkeitsüberlegungen – in diesem Bereich abweichende Sondervereinbarungen (§ 3 Abs 1 zweiter Satz ArbVG) aus. Ob der Marktwert der vom AG tatsächlich gewährten Naturalbezüge im Ergebnis höher sei als der „vereinbarte Wert“, dh höher als jener Teil des Barentgelts, an dessen Stelle die Sachbezüge geleistet werden sollten, sei daher unentscheidend (VwGH 22.3.1994, 92/08/0150; 27.7.2001, 95/08/0037; 17.11.2004, 2002/08/0089).

4. Der OGH hat in anderem Zusammenhang ausgesprochen, dass der Zweck der Festsetzung kollektivvertraglicher Mindestlöhne darin besteht, dem AN dessen Existenz zu sichern. Dieses Mindestentgelt muss ihm daher zur Gänze zu seiner freien Verfügung bleiben. Müsste der AN von diesem Mindestentgelt Spesen (ganz oder zum Teil) bezahlen, die mit seiner Berufsausübung verbunden sind (etwa Reisekosten), dann würde das Mindestentgelt eine unzulässige Kürzung erfahren; abweichende Einzelverträge wären infolge Verstoßes gegen den zwingenden Charakter der Kollektivvertragsbestimmungen über Mindestlöhne rechtsunwirksam (RIS-Justiz RS0021340).

5. In den Entscheidungen 9 ObA 301/89 und 9 ObA 161/01v war zu prüfen, ob für die Bemessung einer Überstundenabgeltung oder -pauschale Naturalleistungen Berücksichtigung finden könnten (9 ObA 301/89: Überstundenabgeltung durch Überlassung eines geleasten PC zur privaten Nutzung; 9 ObA 161/01v: Überstundenpauschale unter Einschluss des Sachbezugswerts eines privat genutzten Dienstwagens). Dies wurde bejaht, steht aber der Prüfung der vorliegenden Frage nicht entgegen, weil die Abgeltung von Überstunden nicht derselben Zwecksetzung wie das kollektivvertragliche Mindestentgelt, nämlich der Absicherung der241 Existenz, dient (siehe nur Löschnigg, DRdA 2003, 338, 344).

6. In der E 8 ObA 61/13y unterzog der OGH die Frage der vereinbarten Anrechnung von Kost und Logis im Geltungsbereich des KollV für Arbeiter in der Hotellerie und Gastronomie daher einer eigenständigen Prüfung und schloss sich der Ansicht von Binder (Zur Wiederentdeckung des „Truckverbots“ oder Gedanken über das Verhältnis von Barzahlungsgebot zum Naturalentgelt, in FS Bauer/Maier/Petrag 111, 117, 120 f) an: Durch das Barzahlungsgebot (als Entgeltsicherungseffekt) werde gewährleistet, dass dem AG prinzipiell keine Abzugsrechte zustehen, die nicht durch Gesetz oder kollektive Gestaltungsmittel im Rahmen ihrer Kompetenz eröffnet werden. Die Art und Weise der Entgeltzahlung könne nur aus der spezifischen lohngestaltenden Vorschrift, der Branche und der übertragenen Arbeitsaufgabe abgeleitet werden. Der wahre Grund für die Ablehnung jeglicher Naturalsubstitution sei im Zweck der kollektivvertraglichen Mindestentgelte, der auf die Deckung des AN-Grundbedarfs gerichtet sei, zu finden. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt diene funktionell in der Regel der Abdeckung der Elementarbedürfnisse. Die Preisgünstigkeit angebotener Naturalbezüge könne nicht dazu führen, dass sich der AN seiner Dispositionsmöglichkeiten bezüglich der Verwendung des Mindestentgelts begebe. Die Aufrechterhaltung der Konsumsouveränität des AN sei somit als eigenständiger sozialpolitischer Wertmaßstab im Kriterienkatalog des Günstigkeitsprinzips zu beachten und gegenüber einem Kostenvorteil bei Sachbezügen prinzipiell höherrangig.

In jenem Fall wurde abgeleitet, dass eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen auf den existenzsichernden Mindestlohn dann zulässig sein muss, wenn sie der KollV selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.

7. Anders als in dem der E 8 ObA 61/13y zugrunde liegenden Sachverhalt enthält der KollV für Handelsangestellte keine Hinweise zum Verhältnis von Mindestentgelt und Naturalleistungen, insb auch keine ausdrückliche Anordnung, dass Naturalentgelte auf die vorgesehenen Mindestentgelte anzurechnen sind. Die Gehaltsordnung des KollV für Handelsangestellte sieht in ihrem Allgemeinen Teil Pkt. 1.a. erster Satz vielmehr vor, dass Angestellten ein monatliches Mindestentgelt nach den in den Gehaltstafeln nach Beschäftigungsgruppen, Berufsjahren und Gehaltsgebieten gestaffelten Sätzen zu bezahlen ist. Dies wirft nun die Frage auf, ob die in den Gehaltstafeln enthaltene Festlegung des monatlichen Mindestentgelts in Euro-Beträgen die Anordnung eines Geldzahlungsgebots bedeutet, weil der Entgeltbegriff grundsätzlich weit verstanden wird und jede Leistung umfasst, die der AN für das Zur-Verfügung-Stellen seiner Arbeitskraft erhält (RIS-Justiz RS0031505). Wie bereits Löschnigg (DRdA 2003, 338, 342 f) zutreffend aufgezeigt hat, kommt es daher auf die Auslegung des KollV an.

8. Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist in erster Linie der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Im Zweifel ist bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).

9. Die Festlegung des Mindestentgelts in Euro im anzuwendenden KollV spricht zunächst dafür, dass es in (Bar- oder Giral-)Geld geschuldet ist. Anhaltspunkte für eine andere Absicht der Kollektivvertragsparteien bestehen nicht. Nach dem bereits in der E 8 ObA 61/13y angesprochenen Zweck des kollektivvertraglichen Mindestentgelts, die Deckung des AN-Grundbedarfs unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Dispositionshoheit des AN zu sichern, ist auch unter objektiv-teleologischen Aspekten nicht anzunehmen, dass mit den Euro-Beträgen nur der bloße Wert des Mindestentgelts bei freier Vereinbarkeit des Leistungsgegenstands festgelegt werden sollte. Schließlich wies schon Löschnigg überzeugend darauf hin, dass eine praktisch durchführbare Regelung im Zusammenhang mit Naturalentgelten jedenfalls voraussetzen würde, dass auch die Bewertungskriterien bekannt sind. Es würde dem Wesen von Mindestentgelten diametral entgegenstehen, wenn für die Abweichungen von den fixen kollektivvertraglichen Sätzen keine Maßstäblichkeit festgelegt werde, weil die Bestimmtheit der Norm zweifelhaft wäre und die Gefahr der Übervorteilung des AN bestünde. Dass im Zweifel auf steuer- und/oder sozialversicherungsrechtliche Kriterien zurückzugreifen sei, sei dem KollV schon aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen – Beitragsorientiertheit des Steuer- und Sozialversicherungsrechts vs. Individualarbeitnehmerschutz von Mindestentgelten – nicht zu unterstellen. Der erkennende Senat teilt diese Bedenken. Nicht zuletzt wäre unklar, in welchem Ausmaß Natural- statt Geldlohn ausbezahlt werden dürfte. Diese Erwägungen führen aber zum Ergebnis, dass die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro dann, wenn der KollV wie im vorliegenden Fall keine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen ist.

10. Das kollektivvertragliche Geldzahlungsgebot steht natürlich der Vereinbarung eines höheren als des kollektivvertraglichen Mindestlohns im Arbeitsvertrag nicht im Wege (§ 3 Abs 1 ArbVG). Das Geldzahlungsgebot kann aber vor dem Hintergrund der ihm innewohnenden Dispositionsfreiheit des AN über den Mindestlohn nicht durch in den Augen des AG (oder AN) noch so günstige Sachbezüge umgangen werden. Der kollektivve[r]tragliche [gemeint wohl: kollektivvertragliche] Mindestlohn ist, dem Günstigkeitsvergleich mit Sachbezügen entzogen (Müller, ASoK 2002, 320 [gemeint wohl: 220], der überzeugend darauf hinweist, dass man sich von einem Dienstwagen weder ernähren noch darin wohnen kann).

Auf die Reichweite des in § 78 GewO 1859 normierten Barzahlungsgebots (dazu etwa Spielbüch-242ler, Entgeltsicherung 28, 33 ff; Preiss in ZellKomm2 § 78 GewO Rz 1 ff) kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter an. [...]

ANMERKUNG

In der vorliegenden E hatte sich der OGH zum ersten Mal mit der Frage auseinanderzusetzen, ob durch eine arbeitsvertraglich vereinbarte Anrechnung der Nutzung eines Dienstautos das kollektivvertragliche Mindestentgelt unterschritten werden darf. Damit stand auch die Frage am Prüfstand, ob die in einem KollV genannten Mindestentgelte zwingend in (Bar- oder Giral-)Geld geleistet werden müssen, oder unter welchen Bedingungen im Rahmen des im Arbeitsrecht geltenden weiten Entgeltbegriffs auch Sachleistungen, die die ANSeite für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft erhält, erfasst sein können.

1.
Mindestlohn = zwingendes Geldzahlungsgebot?

Für die Beantwortung der Frage, ob die Anrechnung eines Sachbezugs auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung zwischen AN und AG sein kann, weist der OGH in seinen Entscheidungsgründen zuallererst darauf hin, dass sich die Pro- und Contra-Meinungen in der Lehre annähernd die Waage halten. Der eine Teil der Lehre geht bei den Regelungen der kollektivvertraglichen Mindestlöhne ganz generell von einer nach § 3 Abs 1 ArbVG bloß einseitig zwingenden Inhaltsnorm nach § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG aus, weshalb eine arbeitsvertraglich vereinbarte Anrechnung von Naturalleistungen zulässig sei, sofern sie zu einem für den AN günstigeren Ergebnis führt als eine reine Zahlung in Geld (idS Egermann, ecolex 2005, 558 ff [590]; Jabornegg/Resch, Arbeitsrecht5 [2014] Rz 333; Körber, ZAS 2005/13, 67 ff [69]; Korn, ASoK 2002, 184 ff; Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht2 [2012] 130; de Montmorency, ZAS 2003/13, 62 ff; Rauch, ASoK 2006, 93 ff [96]; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 [1998] 267). Der andere Teil der Lehre identifiziert die kollektivvertraglichen Entlohnungsbestimmungen hingegen als im Ergebnis zweiseitig zwingend wirkende Anordnungen eines Geldzahlungsgebots, weshalb für einen Günstigkeitsvergleich kein Raum bleibe und Naturalleistungen grundsätzlich nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen (idS Karner in

Mazal/Risak
, Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar, Kap VI, Rz 53a; Kozak in
Reissner
, AngG2 [2015] § 42 Rz 7; Löschnigg, DRdA 2003/31, 340 ff [342 ff]; Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2015] Rz 6/137 und 6/142; Löschnigg in
Löschnigg
, AngG9 [2012] § 6 Rz 202; Müller, ASoK 2002, 220 f; Müller, ZAS 2003/22, 122 f; Preiss in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2011] § 78 GewO Rz 7; Schindler, DRdA 2014/41, 423 ff [426]; Spitzl, ecolex 2004, 349 f [350]); Spitzl/Huber in
Kuras
, Handbuch Arbeitsrecht [1997] Pkt 3.2.3; Windisch-Graetz, Arbeitsrecht II8 [2013] 102). In der Rsp gingen bezüglich der kollektivvertraglich normierten Mindestlöhne schon bisher sowohl der OGH (8 ObA 61/13yDRdA 2014/41, 420 [zust Schindler]; anders entschied der OGH bei der Anrechnung von Naturalleistungen im Rahmen der Abgeltung von Überstunden; vgl OGH9 ObA 301/89infas 1990 A 121; OGH9 ObA 161/01vinfas 2002 A 6) als auch der VwGH (95/08/0037DRdA 2003/31, 338 [Löschnigg]; VwGH92/08/0150ASoK 2002, 184 [Korn]) von einem zweiseitig zwingenden Geldzahlungsgebot aus. Dies ist mE auch die stimmigere Lösung und zwar aus folgenden Gründen:

1.1.
Grundsätzliche Wirkung von Inhaltsnormen

Die Bestimmungen zu den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen stellen zweifelsohne Inhaltsnormen iSd § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG dar, sind also dem normativen Teil des KollV zuzuordnen. Demnach kommt ihnen nach § 3 Abs 1 ArbVG grundsätzlich eine bloß relativ zwingende Wirkung zu. Dem KollV nachgeordnete Rechtsquellen, wie etwa arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die den AN besser stellen, können daher auch Abweichendes regeln (vgl § 3 Abs 2 ArbVG). Von diesem dem Kollektivvertragsrecht grundsätzlich zugrundeliegenden und im Zweifel anzunehmenden Günstigkeitsprinzip können die Kollektivvertragsparteien allerdings abgehen, da ihnen § 3 Abs 1 Satz 2 ArbVG die Möglichkeit eröffnet, einzelnen Bestimmungen des KollV auch zweiseitig zwingende Wirkung zuzuerkennen (Ordnungsprinzip). Dies hat, wenn nicht ausdrücklich, so doch ohne jeden Zweifel, zu erfolgen (Mosler/Felten in

Gahleitner/Mosler
, ArbVerfR 25 § 3 Rz 16 ff mwN).

1.2.
Verbindliche Zahlungsweise?

Im Zusammenhang mit den in der Regel in Geldbeträgen angegebenen Mindestlöhnen wird daher immer wieder hinterfragt, ob diese durch Naturalleistungen ersetzt werden können oder ob sie ein zweiseitig zwingendes Geldzahlungsgebot ausdrücken. ME kann aus der Angabe von genauen Euro-Beträgen nicht geschlossen werden, dass die Kollektivvertragsparteien damit einen bloßen Wert festlegen wollten, der durch frei wählbare Entgeltformen erbracht werden kann. Es ist vielmehr anzunehmen, dass dadurch die „Tauschwährung“, die die AN für die Zurverfügungstellung ihrer Arbeitskraft von den AG mindestens verlangen können, zwingend vorgegeben ist. Von der Bezahlung in Geld kann daher (ohne entsprechende Klarstellung im KollV; siehe dazu Pkt 2) nicht abgegangen werden. Für diese Ansicht spricht mE auch der Zweck der kollektivvertraglichen Mindestlöhne. Da für Kollektivvertragsklauseln des normativen Teils dieselben Auslegungsregeln wie für Gesetze heranzuziehen sind, ist nach § 6 ABGB neben dem Wortsinn vor allem auch der Zweck der auszulegenden Norm zu ergründen. So wie auf gesetzlicher Ebene, wo die hA etwa den Regelungen des absoluten Beschäftigungsverbots des MSchG (vgl OGH4 Ob 153/77

= ZAS 1978, 227 [Marhold]; OGH9 ObA 132/87243infas 1988 A 117; Burger-Ehrnhofer in
Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger
, MSchG und VKG2 [2013] 67 f mwN) oder den Bestimmungen der Betriebsverfassung (RIS-Justiz RS0050863: vgl zuletzt OGH8 ObA 61/07iinfas 2008 A 66; Mosler/Felten in
Gahleitner/Mosler
, ArbVerfR 25 § 2 Rz 66 mwN) auch ohne entsprechende ausdrückliche Anordnung eben aufgrund ihres Schutzzwecks zweiseitig zwingende Wirkung zuspricht, kann sich diese auch für Kollektivvertragsklauseln im Wege der Auslegung ergeben (vgl OGH4 Ob 153/77ZAS 1978/29, 227 [Marhold]). Der von OGH (8 ObA 61/13yDRdA 2014/14, 420 [Schindler]; OGH8 ObA 41/11dDRdA 2012/52, 595 [Pfeil] = ZAS 2012/39, 220 [Schrattbauer]) und VwGH (95/08/0037DRdA 2003/31, 338 [Löschnigg]; VwGH92/08/0150ASoK 2002, 184 [Korn]) herausgearbeitete existenzsichernde Zweck der kollektivvertraglichen Mindestlöhne ist dabei so zu verstehen, dass die AN frei über den im KollV angeführten Mindestlohn verfügen können sollen. Das ist aber nur dann möglich, wenn ihnen dieser Betrag in einer allgemein gültigen Tauschwährung gewährt wird, also in Geld. Auch Binder (in FS Bauer/Maier/Petrag [2004] 111 ff [121]) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die „Konsumsouveränität“ der AN nur bei der Annahme eines grundsätzlichen Geldzahlungsgebots aufrechterhalten werden kann.

Ebenso spricht die den Kollektivverträgen immanente AN-Schutzfunktion, die zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit zulasten der AG führt, für die Annahme eines zwingenden Geldzahlungsgebots. Soll die Wahl des Zahlungsmittels trotz der kollektivvertraglichen Festlegung von exakten Geldbeträgen auf die Arbeitsvertragsparteien ausgelagert werden können, fällt der durch die kollektivvertraglichen Regelungen bezweckte Schutz weg und die AN stehen einem entsprechenden Anrechnungsangebot der AG relativ schutzlos gegenüber. Natürlich macht es – wie Drs in ASoK 2015, 362 ff (364) im Zusammenhang mit der betrieblichen Altersvorsorge durch Gehaltsumwandlung vertreten hat – im Ergebnis keinen Unterschied, ob der AN zuerst seinen Mindestlohn in Geld bekommt und danach Teile davon an den AG zahlt, weil ihm dieser eine Sachleistung gewährt, oder ob die Arbeitsvertragsparteien von vornherein vereinbaren, dass der AG einen Teil des Mindestlohns für die Gewährung der Sachleistung einbehält. Die Verhandlungsposition der AN ist mE aber schon eine andere, wenn diese die Sicherheit haben, dass sie hinsichtlich des kollektivvertraglichen Mindestlohns einen zwingenden Anspruch auf Geldleistung haben und jegliche vom AG gewährte Sachleistung eigentlich nur zusätzlich gewährt werden kann. Will ein AN dennoch so über seinen Mindestlohn verfügen, dass er gegen Bezahlung eine Sachleistung vom AG bezieht, so übt er seine Konsumsouveränität eben auf diese Weise aus. Die dafür erforderliche zusätzliche Vereinbarung zwischen AN und AG ist dabei aber grundsätzlich unabhängig von ihrer arbeitsvertraglichen Beziehung. Hier treffen AN und AG in einer freien Marktsituation aufeinander, da der AN die vom AG angebotene Sachleistung auch aus anderen Quellen beziehen kann; ein erhöhtes Schutzbedürfnis der AN-Seite ist mangels eines Machtungleichgewichts nicht mehr anzunehmen.

1.3.
Zwischenergebnis

Den Höchstgerichten ist darin zuzustimmen, dass sich aus Wortlaut und Zweck von ausdrücklich in Euro-Beträgen angegebenen kollektivvertraglichen Mindestlöhnen ein zweiseitig zwingendes Geldzahlungsgebot ergibt, das der Anrechnung von Naturalleistungen unabhängig von einer allfälligen Günstigkeit grundsätzlich entgegensteht.

2.
Regelungsmacht der Kollektivvertragsparteien

So wie es den Normsetzern auf gesetzlicher Ebene aber möglich ist, einer Norm ausdrücklich relativ zwingende (vgl § 40 AngG, § 12 UrlG) oder dispositive Wirkung (vgl § 1154b Abs 6 ABGB, § 22 Abs 4 AngG) zuzuordnen, steht es auch den Kollektivvertragsparteien frei, einer einzelnen Norm ausdrücklich einseitig oder zweiseitig zwingende Wirkung und nach stRsp des OGH (RIS-Justiz RS0051032: vgl zuletzt OGH9 ObA 118/12mDRdA 2013/46, 425 [Grillberger]; zur teilweise ablehnenden Lehre siehe Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 3 Rz 13 mwN) auch dispositive Wirkung zu erteilen. Eröffnet daher ein KollV den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, eine Vereinbarung über die teilweise Substitution des Mindestlohns durch bestimmte Naturalleistungen zu treffen, wird in dieser Kollektivvertragsklausel kein zweiseitig zwingendes Geldzahlungsgebot normiert, sondern die Wahl der Zahlungsweise wird im Rahmen einer Öffnungsklausel an die Arbeitsvertragsparteien abgetreten. Derartige Öffnungsklauseln müssen sachlich gerechtfertigt sein (OGH9 ObA 118/12mDRdA 2013/46, 425 [Grillberger]), dh in diesem Fall, dass trotz der zugelassenen Naturalsubstitution der Schutzzweck der Mindestlohnregelungen weiterhin erfüllt bleiben muss. Entsprechende Öffnungsklauseln finden sich zB im KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (mit dem sich der OGH bereits in einer E befasst hat; siehe 2.1.) sowie im KollV für DN in den bäuerlichen Betrieben des Bundeslandes Niederösterreichs.

2.1.
Anrechnung existenzsichernder Naturalleistungen

Betrachtet man die in Pkt 11 des KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe bzw § 8 Z 3 des KollV für DN in den bäuerlichen Betrieben des Bundeslandes Niederösterreichs von einer möglichen Anrechnung erfassten Naturalleistungen, so sind dies ausschließlich solche, die der Befriedigung von Grundbedürfnissen der AN dienen, nämlich Kost und Logis. Im Geltungsbereich des Gastronomie-KollV nahm daher auch der OGH in seiner E zu 8 ObA 61/13y (DRdA 2014/41, 420 [zust Schindler]) an, dass es bei Vorliegen einer ent-244sprechenden kollektivvertraglichen Ermächtigung hinsichtlich der dort genannten existenzsichernden Naturalleistungen zu einer Durchbrechung des an sich geltenden Anrechnungsverbots kommt. Da dieses aus dem Zweck des kollektivvertraglichen Mindestlohns (Existenzsicherung) abgeleitet wird, bestehen in diesem Fall keine Bedenken gegen eine im Arbeitsvertrag vorgesehene teilweise Substitution des grundsätzlich in Geld zu leistenden Mindestlohns. Allerdings betonte das Höchstgericht in diesem Zusammenhang, dass es einer ausdrücklichen kollektivvertraglichen Anordnung einer arbeitsvertraglichen Anrechnungsmöglichkeit bedarf, da andernfalls das zweiseitig zwingende Geldzahlungsgebot einer Kompensation des Mindestlohns durch Sachleistungen entgegensteht.

2.2.
Anrechnung sonstiger Naturalleistungen

In der hier zu besprechenden E musste der OGH nunmehr zum ersten Mal beurteilen, ob die geldwerten Vorteile, die ein AN aus der Zurverfügungstellung eines Dienstautos auch für private Zwecke genießt, auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn angerechnet werden können. Es ging also um eine Naturalleistung, die selbst in unserer Mobilitätsgesellschaft nicht der Befriedigung eines wesentlichen Grundbedürfnisses der AN dient. Aufgrund des in der E zum Gastronomie-KollV vom OGH herausgearbeiteten Prüfwerkzeugs war die Antwort in diesem Fall aber rasch gefunden: Da die Gehaltstafeln des hier einschlägigen KollV für Handelangestellte ausdrücklich Euro-Beträge als Mindestlöhne nennen und es keine Öffnungsklausel hinsichtlich der Zahlungsweise der Mindestlöhne gibt, steht das damit anzunehmende Geldzahlungsgebot einer Naturalsubstitution entgegen, die Anrechnung ist unzulässig. Damit drängt sich mE allerdings die Frage auf, wie eine Kollektivvertragsklausel, die die Anrechnung von nicht-existenzsichernden Naturalleistungen auf den Mindestlohn eröffnet, zu beurteilen wäre.

ME bestehen hinsichtlich derartiger Öffnungsklauseln keine Bedenken, solange sie die Verfügungsfreiheit der AN nicht unzulässig beschränken. Sofern der KollV für die Anrechnung von Naturalleistungen auf den Mindestlohn das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen AN und AG verlangt und nicht selbst eine zwingende Naturalsubstitution vorsieht (wobei den Kollektivvertragsparteien für eine solche Klausel – Verwendung des Entgelts – nach Ansicht des OGH die Regelungsbefugnis fehlen würde; vgl OGH9 ObA 115/91

; OGH8 ObA 98/02yDRdA 2004/24, 313 [Runggaldier]) oder es zulässt, dass der AG einseitig eine Anrechnung von Sachleistungen vornehmen kann, ist eine Öffnungsklausel auch bezüglich der Anrechenbarkeit nicht-existenzsichernder Naturalleistungen sachlich gerechtfertigt. Eine derartige Klausel beschränkt die Verfügungsmacht des AN über sein Mindestentgelt nicht, die Konsumsouveränität bleibt gewahrt. Damit wird auch die vom OGH geforderte sozialpolitische Zwecksetzung der Existenzsicherung eingehalten. Zur Absicherung des vom OGH geforderten existenzsichernden Zwecks der Mindestlöhne sollte der betreffende KollV neben der Festlegung der Bewertungsmaßstäbe aber auch eine Obergrenze enthalten, bis zu der eine Naturalsubstitution zulässig ist. Dem erwähnten Zweck der Mindestlöhne geschuldet, wäre diesbezüglich an das ua im Rahmen der Ausgleichszulage festgemachte Existenzminimum zu denken.

3.
Ergebnis

Nach Ansicht des OGH können die Arbeitsvertragsparteien bei Vorliegen einer entsprechenden kollektivvertraglichen Erlaubnis trotz des grundsätzlich anzunehmenden Geldzahlungsgebots vereinbaren, dass existenzsichernde Naturalleistungen auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn angerechnet werden. ME ist eine derartige kollektivvertragliche Anrechnungsklausel auch in Bezug auf sonstige Naturalleistungen zulässig, sofern der hinter der Festlegung von Mindestlöhnen stehende Zweck, nämlich die Gewährung einer Leistung, über die die AN frei verfügen können, nicht beeinträchtigt wird und der durch die Festsetzung von Mindestlöhnen beabsichtigte Schutz der AN vor Übervorteilung durch die AN gewährleistet wird. Diese Voraussetzungen erfüllt eine Kollektivvertragsklausel, die eine arbeitsvertragliche Vereinbarung über eine teilweise Naturalsubstitution des Mindestlohns durch nicht-existenzsichernde Sachleistungen, wie etwa die Privatnutzung eines Dienstautos, ausdrücklich zulässt, sofern auch die dafür heranzuziehenden Bewertungsmaßstäbe im KollV genannt werden. Nur in diesem Fall wäre der AG bei entsprechender Vereinbarung mit dem AN berechtigt, den Mindestlohn teilweise in Geld und teilweise in den laut KollV anrechenbaren Sachleistungen zu erbringen. Fehlt eine der Voraussetzungen, steht das für die kollektivvertraglichen Mindestlöhne grundsätzlich anzunehmende Geldzahlungsgebot einer Naturalsubstitution entgegen.245