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Unternehmenssanierung zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds – Beendigungsansprüche nicht gesichert

MARGITMADER

Eine atypische Vertragskonstruktion – hier: die einvernehmliche Auflösung des bestehenden Arbeitsverhältnisses unter gleichzeitiger Vereinbarung eines neuen unmittelbar anschließenden Arbeitsvertrages –, die eine Ausbeutungssituation zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) bewirkt, ist als sittenwidriges Verhalten des AN zu qualifizieren, wenn dieses Verhalten vom zumindest bedingten Vorsatz getragen war, die Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den IEF zu überwälzen und der AN es unterlassen hat, zumutbare Gegenmaßnahmen zu setzen.

SACHVERHALT

Die beiden Kl waren von 1998 bzw 1999 bis 30.11.2012 beim AG beschäftigt. Bei der Erstkl handelte es sich um die Ehegattin des Geschäftsführers und Alleingesellschafters, die als Buchhalterin tätig war und über Zeichnungsberechtigungen auf allen Firmenkonten verfügte. Der Zweitkl war als Bauleiter tätig. Auf Grund finanzieller Probleme des AG konnten die Löhne der Arbeiter für Oktober 2012 nicht mehr bezahlt werden. In weiterer Folge wurden Mitte November 2012 Gespräche mit dem Firmenanwalt bezüglich der Eröffnung ei-196nes Sanierungsverfahrens geführt. Dabei wurde ua auch eine Reduktion der Personalkosten als wesentliche Voraussetzung der Unternehmenssanierung ins Auge gefasst. In Bezug auf die beiden Kl wurde eine Beendigung der bestehenden Arbeitsverhältnisse unter gleichzeitiger Begründung neuer Arbeitsverträge mit reduziertem Gehalt als kostensenkende Maßnahme erörtert. Beide Arbeitsverhältnisse wurden daraufhin durch einvernehmliche Lösung zum 30.11.2012, unter gleichzeitiger Vereinbarung eines neuen unmittelbar anschließenden Arbeitsvertrages, beendet. Beiden AN war auf Grund ihrer Tätigkeit bzw auch auf Grund ihres persönlichen Naheverhältnisses die prekäre finanzielle Lage sowie die Gefahr einer drohenden Insolvenz des AG bekannt. Für beide Kl war die Sanierung des Unternehmens das ausschließliche Motiv für den Abschluss der einvernehmlichen Lösung. Am 11.1.2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des AG eröffnet.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Ansprüche aus der Beendigung der Arbeitsverhältnisse (Abfertigung und Urlaubsersatzleistung) wurden als Insolvenz-Entgelt beantragt und von der IEF-Service GmbH mit der Begründung, die Geltendmachung dieser Ansprüche stelle eine sittenwidrige Überwälzung des Finanzierungsrisikos des Unternehmens auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds dar, zur Gänze abgewiesen.

Die Rechtsansicht der IEF-Service GmbH wurde in beiden Instanzen bestätigt.

Die außerordentliche Revision der Kl wurde vom OGH zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist […] anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine […] atypische Vertragsgestaltung die Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt sittenwidrig machen kann (RIS-Justiz RS0111281). […] Wirken in einer solchen Situation Dienstgeber und Dienstnehmer zusammen, so ist im Rahmen eines Fremdvergleichs (der auf das Verhalten eines typischen maßgerechten Dienstnehmers abstellt) von zumindest bedingtem Vorsatz der Überwälzung des Finanzrisikos auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds und der Schädigung des Fonds auszugehen (8 ObS 204/00h). In der Entscheidung 8 ObS 2/11v hat der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze wie folgt weiterentwickelt: Wird durch die ungewöhnliche (atypische) Vertragsgestaltung zu einem Arbeitsverhältnis zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds eine Ausbeutungssituation geschaffen und diese Situation vom Dienstnehmer in einer einem Fremdvergleich nicht standhaltenden Weise bewusst in Kauf genommen, so ist der Dienstnehmer verpflichtet, geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Bei Unterbleiben solcher Maßnahmen ist die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen.

Im Anlassfall ist an einer atypischen Vertragskonstruktion (durch Auflösung des bisherigen Dienstverhältnisses und gleichzeitige Neubegründung) und der Schaffung einer Ausbeutungssituation zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds (Überwälzung der Beendigungsansprüche als Sanierungsmaßnahme) nicht zu zweifeln. Unter diesen Voraussetzungen ist das Sittenwidrigkeitsurteil grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn die Ausbeutungssituation vom zumindest bedingten Vorsatz getragen war und es der Dienstnehmer zudem unterlassen hat, geeignete zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Am bedingten Vorsatz der Kläger ist nach den Feststellungen nicht zu zweifeln. Die Auslagerung der (fällig werdenden) Beendigungsansprüche erfolgte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Geschäftsleitung, wobei die Überwälzung der Finanzierung auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds vom Vorsatz beider Kläger getragen war. […] Von einem typischen Arbeitnehmer wäre in der konkreten Situation etwa zu verlangen gewesen, dass er mit dem Dienstgeber über eine Änderungskündigung (ohne Liquidierung der Beendigungsansprüche) verhandelt. Darauf, dass für sie eine besondere Drucksituation durch den Dienstgeber bestand und sie auf das Dienstverhältnis bei der Schuldnerin angewiesen waren, haben sich die Kläger […] nicht berufen.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 1 Abs 2 IESG sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dann gesichert, wenn sie aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen sind. Eine atypische Vertragsgestaltung kann jedoch nach der Judikatur des OGH die Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt sittenwidrig machen. Danach sind Vereinbarungen, bei deren Abschluss die Parteien bereits damit rechnen mussten, dass sie letzten Endes zu Lasten des IEF gehen, als rechtsmissbräuchlich und damit als nichtig iSd § 879 ABGB zu qualifizieren.

Nach der hier vorliegenden E ist insb auch dann von Sittenwidrigkeit auszugehen, wenn eine atypische Verhandlungsposition zu Gunsten des AN vorliegt und die Vertragsgestaltung vom AN bewusst zu seinem Vorteil beeinflusst wird. Wirken in einer derartigen Situation AG und AN zusammen, so ist im Rahmen eines197 Fremdvergleiches (der auf das Verhalten eines maßgerechten AN abstellt) vom zumindest bedingten Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den IEF und somit von einer bewussten Schädigung des IEF auszugehen. Wird durch eine ungewöhnliche atypische Vertragsgestaltung eine Ausbeutungssituation zu Lasten des IEF geschaffen und diese Ausbeutungssituation vom AN bewusst in einer Art und Weise in Kauf genommen, die einem Fremdvergleich nicht standhält, so ist der AN nach Ansicht des OGH verpflichtet, selbst geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Unterbleiben derartige Maßnahmen, ist das Verhalten des AN als rechtsmissbräuchlich und somit sittenwidrig iSd § 879 ABGB zu qualifizieren und der Antrag auf Insolvenz-Entgelt abzuweisen.

Im konkreten Anlassfall hatten beide Kl auf Grund ihrer Tätigkeit bzw ihres persönlichen Naheverhältnisses von den finanziellen Problemen und der unmittelbar bevorstehenden Insolvenz des AG gewusst. Die Überwälzung der Abfertigungsanwartschaften auf den IEF erfolgte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Geschäftsleitung des Unternehmens. Laut OGH besteht daher nicht der geringste Zweifel am Vorliegen einer atypischen Vertragskonstruktion. Da ein derartiges Verhalten einem Fremdvergleich nicht standhält, war die Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt als sittenwidrig zu qualifizieren. Nach Ansicht des OGH wären die beiden Kl im Anlassfall verpflichtet gewesen, mit dem AG an Stelle der einvernehmlichen Lösung über eine Änderungskündigung, bei der die Beendigungsansprüche der AN erst gar nicht entstanden wären, zu verhandeln.

Die Entscheidung der beiden Vorinstanzen war daher nicht zu korrigieren.