138Anrechnung von Vordienstzeiten (Karenzzeiten), die vor Inkrafttreten der entsprechenden Kollektivvertragsregelung gelegen sind
Anrechnung von Vordienstzeiten (Karenzzeiten), die vor Inkrafttreten der entsprechenden Kollektivvertragsregelung gelegen sind
Die kl AN ist seit 1.9.1992 als Musikerin des Brucknerorchesters beschäftigt. Aufgrund der Geburt ihrer beiden Kinder war sie von 1.10.1994 bis 4.8.1996 und von 22.5.1998 bis 22.3.2000 in Karenz. Auf das Arbeitsverhältnis gelangt der KollV über das Dienstverhältnis der DN des Bruckner-Orchesters Linz (OrchKollV) zur Anwendung. § 8 Abs 7 des KollV in der aktuellen Fassung sieht vor, dass Zeiten einer Karenz nach dem MSchG bzw VKG bzw Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nach MSchG und VKG bzw § 25a Abs 3 Oö LVBG wie Vordienstzeiten gem Abs 1–6 OrchKollV zu behandeln sind. Erstmalig in Kraft getreten ist diese Anrechnungsbestimmung mit 26.10.1998.
Im Jahr 2013 teilte die bekl AG der kl AN mit, dass sie aufgrund der Anrechnung der zweiten Karenz von 22.5.1998 bis 22.3.2000 eine Nachzahlung erhalten werde, die Zeit der Karenz von 1.10.1994 bis 4.8.1996 werde nicht berücksichtigt. Nach Ansicht der kl AN ist auch die erste Karenzzeit, obwohl sie vor dem erstmaligen Inkrafttreten des § 8 Abs 7 OrchKollV gelegen ist, mangels entsprechender Einschränkung im KollV als Vordienstzeit anzurechnen.215
Im Gegensatz zum Erstgericht gab das Berufungsgericht dem Klagebegehren statt: Indem eine vor dem Inkrafttreten der Kollektivvertragsbestimmung in Anspruch genommene Karenz im dauerrechtlichen Arbeitsverhältnis Rechtsfolgen für die Zeit nach dem Stichtag nach sich ziehe, also in den Zeitraum der neuen Rechtsnorm herüberreiche, sei auch die erste Karenzzeit als Vordienstzeit bei der Berechnung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigen. Der OGH erachtete die Revision der bekl AG für zulässig, aber für nicht berechtigt und verwies auf die Richtigkeit der Begründung des Berufungsgerichts.
Ergänzend führte der OGH aus, dass durch die bloße Regelung des Inkrafttretens im Allgemeinen nur festgelegt wird, ab welchem Zeitpunkt der KollV grundsätzlich normative Wirkungen entfaltet. Davon ist die Frage zu unterscheiden, auf welche Sachverhalte im Detail der neue KollV ab seinem Inkrafttreten tatsächlich angewendet werden soll. Gesetze wirken im Allgemeinen auf abgeschlossene Sachverhalte oder auf vergangene Zeitabschnitte bei Dauerrechtsverhältnissen nicht zurück. Sofern es sich aber um Dauertatbestände handelt, ist der in den Zeitraum der Herrschaft der neuen Rechtsnorm herüberreichende Abschnitt des Dauertatbestands nach den Vorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen, falls nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes anordnen. Dies hat auch für Kollektivverträge zu gelten.
Die erste Karenzzeit der kl AN lag zwar zur Gänze vor Inkrafttreten des § 8 Abs 7 OrchKollV, ist aber als Vordienstzeit für die Berechnung der kollektivvertraglichen Entgeltansprüche der AN aus dem Dauerrechtsverhältnis (Arbeitsrechtsverhältnis) ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung zu berücksichtigen. Für Entgeltansprüche der AN, die den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des § 8 Abs 7 OrchKollV betreffen, stellt die erste Karenzzeit hingegen einen abgeschlossenen Sachverhalt dar. Für diesen Zeitraum macht die AN aber zu Recht auch keine (höheren) Entgeltansprüche geltend.