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Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten

MURATIZGI

Mitwirkungspflichten sind grundsätzlich nur dann gegeben, wenn sie zu einer kalkülsrelevanten, die Arbeits- bzw Berufsunfähigkeit beseitigenden Besserung des Gesundheitszustands führen. Diese Erwägungen haben allenfalls ihre Berechtigung bei der Frage der Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Wegfalls des Vorliegens einer vorübergehenden Invalidität, nicht jedoch, wenn es um die Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Nichtmitwirkung des Versicherten an einer ihm zumutbaren Rehabilitationsmaßnahme geht. Das Rehabilitationsgeld ist nach § 99 Abs 1a ASVG daher bereits mit dem Zeitpunkt der ungerechtfertigten Weigerung des Versicherten, an einer zumutbaren medizinischen Maßnahme der Rehabilitation mitzuwirken, nach Hinweis auf diese Rechtsfolge zu entziehen.

SACHVERHALT

Der 1966 geborene Kl stellte am 7.3.2014 beim bekl Pensionsversicherungsträger den Antrag auf Weitergewährung der mit 31.5.2014 befristeten Invaliditätspension. Bei der im Hinblick auf die beantragte Weitergewährung am 3.4.2014 erfolgten medizinischen (internen) Untersuchung wies er bei einer Körpergröße von 181 cm ein Körpergewicht von über 200 kg auf. Seit der Letztuntersuchung war es zu keiner Gewichtsabnahme gekommen.

Mit rechtskräftigem Bescheid vom 5.6.2014 wurden wegen Vorliegens von vorübergehender Invalidität Rehabilitationsgeld und als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation eine stationäre internistische Rehabilitationsmaßnahme gewährt. Der Kl habe mitzuwirken und diesen Aufenthalt zu absolvieren, was er verweigerte.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 13.11.2014 entzog die Bekl aufgrund der Nichtmitwirkung des Kl an medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation das ab 1.6.2014 zuerkannte Rehabilitationsgeld mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheids folgenden Kalendermonats (somit mit 31.12.2014). Lediglich in der Begründung dieses Bescheids wird auf das Vorliegen der (vorübergehenden) Invalidität Bezug genommen, indem ausgeführt wird, dass wegen der schuldhaften Verletzung der Mitwirkungspflicht trotz weiterhin vorliegender Invalidität die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld nicht mehr gegeben seien.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wies das Erstgericht ab.

Das OLG gab der Berufung und dem Rekurs des Kl nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht hingegen mit der Begründung für zulässig, dass keine Rsp des OGH zur Frage, ob die Entziehung des Rehabilitationsgeldes auch dann zu erfolgen habe, wenn ein Versicherter zwar die Teilnahme an den geforderten Rehabilitationsmaßnahmen verweigere, aber die durch die Rehabilitation zu erreichenden Ziele zumindest teilweise aus eigenem erreiche.

Die Revision hielt der OGH zwar für zulässig, weil keine Rsp des OGH zur strittigen Frage der Verletzung einer Mitwirkungspflicht im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation vorliegt, aber nicht für berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„II.4.3 Aus der Möglichkeit der Entziehung des Rehabilitationsgeldes nach § 99 Abs 1a ASVG folgt, dass es der Versicherte auch nicht in der Hand haben soll, durch Verweigerung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation den Weiterbezug des Rehabilitationsgeldes zu erreichen. Der Möglichkeit zur Entziehung liegt das erklärte Ziel des SRÄG 2012 zugrunde, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Maßnahmen220 der medizinischen bzw beruflichen Rehabilitation so weit integrationsfähig werden, dass sie (zumindest) zur Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung in der Lage sind. Mit diesem Ziel ist ein Bezug von Rehabilitationsgeld trotz Verweigerung zumutbarer Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation unter Umständen bis zum Regelpensionsalter – unvereinbar (siehe Sonntag, Ausgewählte Probleme des Rehabilitationsgeldes, ASoK 2014, 42 [47] unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien Erläut-RV 2000 BlgNR 24. GP 3). Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, dass jeder Versicherte die Interessen des Sozialversicherungsträgers und damit auch die der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren hat, wenn er seine Ansprüche nicht verlieren will, indem er sich einer notwendigen und ihm zumutbaren medizinischen Heilbehandlung unterzieht, die zu einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit führen würde.

II.4.4 Dass die Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und ausreichend sein müssen, das Maß des Notwendigen aber nicht überschreiten dürfen (§ 253f Abs 2 ASVG), ist erkennbar an die Prinzipien der Krankenbehandlung angelehnt (§ 133 Abs 2 Satz 1 ASVG) und wird wie dort zu verstehen sein (Pfeil, Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit, DRdA 2013, 363 [370]).

II.4.5 Die Zweckmäßigkeit einer Krankenbehandlung wird bejaht, wenn diese nach den Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit objektiv geeignet ist, die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Bei mehreren geeigneten Leistungen kommt primär diejenige in Betracht, mit der sich die Zweckbestimmung am besten erreichen lässt (10 ObS 86/09h mwN, SSV-NF 23/81). Es wird auch bei medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation somit primär die Erfolgswahrscheinlichkeit ausschlaggebend sein; diese ist nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu beurteilen (Rebhahn in SV-Komm [24. Lfg] § 136 ASVG Rz 26). […]

II.5.5.1 Eine Heilbehandlung ist grundsätzlich nur dann zumutbar, wenn sie zu einer kalkülsrelevanten, die Arbeits- bzw Berufsunfähigkeit beseitigenden Besserung des Gesundheitszustands führt (10 ObS 58/11v, SSV-NF 25/57; RIS-Justiz RS0084353 [T12]).

II.5.5.2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung zur Zumutbarkeit einer Krankenbehandlung, dass auch ein Versicherter, der seine Mitwirkungspflicht verletzt, rechtlich nicht anders beurteilt werden kann, als wenn er dieser Verpflichtung mit Erfolg nachgekommen wäre. Könnte daher durch eine zumutbare Krankenbehandlung die herabgesunkene Arbeitsfähigkeit des Versicherten so weit gebessert werden, dass Invalidität bzw Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt, so besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit. Der Entfall der Pensionsleistung tritt allerdings erst zu jenem Zeitpunkt ein, in dem die Heilbehandlung zu einer kalkülsrelevanten Verbesserung des Zustands tatsächlich geführt hat oder geführt hätte, wäre sie vom Versicherten durchgeführt worden (10 ObS 58/11v, SSV-NF 25/57; 10 ObS 213/00x, SSV-NF 14/100 mwN). […]“

ERLÄUTERUNG

Der OGH hatte in dieser E zu prüfen, ob dem Kl eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Obliegenheit zur Mitwirkung („Mitwirkungspflicht“) anzulasten ist und bejahendenfalls diese der Grund für die Entziehung des Rehabilitationsgeldes sein kann.

Die dazu ergangene Rsp hat er wie folgt zusammengefasst:

Voraussetzung für eine Verletzung der Mitwirkungspflicht ist, dass diese auf einem schuldhaften, also zumindest leicht fahrlässigen Verhalten des Versicherten beruht. Dabei sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Es ist auf objektive Zumutbarkeitskriterien (auf die mit der Maßnahme verbundenen Gefahren, die Erfolgsaussichten, die Folgen unter Berücksichtigung erforderlicher Nach- oder Folgebehandlungen und die damit verbundenen Schmerzen bzw Beeinträchtigungen) abzustellen (RIS-Justiz RS0084353). Diese Beurteilung hat nicht generell, sondern immer individuell für den oder die Betroffene zu erfolgen (RIS-Justiz RS0084353 [T12]).

Neben diesen objektiven Zumutbarkeitskriterien sind aber auch subjektive Zumutbarkeitskriterien (wie körperliche und seelische Eigenschaften, familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse) zu beachten. So besteht eine Mitwirkungspflicht insb dann nicht, wenn die Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann. Unter einem wichtigen Grund sind die die Willensbildung bestimmenden Umstände zu verstehen, die die Weigerung entschuldigen und sie als berechtigt erscheinen lassen.

Der OGH erachtet die in Anlehnung an diese Grundätze getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in einem Stoffwechselzentrum als „ersten Schritt“ für den Kl, als zutreffend bejaht. Im Hinblick auf die zu den objektiven und subjektiven Zumutbarkeitskriterien getroffenen Tatsachenfeststellungen lastet auch der OGH dem Kl eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht an.

Zu beurteilen war im vorliegenden Fall auch die Frage, ob sich der Kl (zu Recht) geweigert hat, an der ihm zumutbaren stationären Reha-221bilitationsmaßnahme in einem Stoffwechselzentrum mitzuwirken. Auf die Frage, ob der Kl das angestrebte Rehabilitationsziel auf einem anderen – von ihm selbst gewählten – Weg (teilweise?) erreicht hat, könne es nicht entscheidend ankommen.

Zu dem Argument, der Nichtantritt der stationären internistischen Rehabilitationsmaßnahme wäre dem Kl deshalb nicht vorwerfbar, weil diese nicht zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit geführt hätte, wurde ausgeführt: Eine Heilbehandlung ist zwar grundsätzlich nach der stRsp nur dann zumutbar, wenn sie zu einer kalkülsrelevanten, die Arbeits- bzw Berufsunfähigkeit beseitigenden Besserung des Gesundheitszustands führt.

Im konkreten Fall ging der OGH jedoch davon aus, dass diese Erwägungen allenfalls bei der Frage der Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Wegfalls des Vorliegens einer vorübergehenden Invalidität ihre Berechtigung hätten, nicht jedoch wenn es um die Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Nichtmitwirkung des Versicherten an einer ihm zumutbaren Rehabilitationsmaßnahme gehe. In diesem Fall sei die Gewährung des Rehabilitationsgeldes untrennbar mit der Mitwirkung des Versicherten an einer dieser zumutbaren Maßnahme der medizinischen Rehabilitation verknüpft. Das Rehabilitationsgeld ist nach § 99 Abs 1a ASVG daher bereits mit dem Zeitpunkt der ungerechtfertigten Weigerung des Versicherten, an einer zumutbaren medizinischen Maßnahme der Rehabilitation mitzuwirken, nach Hinweis auf diese Rechtsfolge zu entziehen.

Demnach stehe der Umstand, dass wegen des massiven Übergewichts des Kl dessen Arbeitsfähigkeit durch eine einmalige, im Rahmen des angedachten stationären Aufenthalts erzielbare Gewichtsabnahme noch nicht zur Gänze wiederherstellbar gewesen wäre, der Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen der ungerechtfertigten Nichtmitwirkung nicht entgegen. Nach den Feststellungen ist diese Maßnahme nur ein „erster Schritt“, auf den eine Reihe weiterer Maßnahmen begleitet durch medizinische und diätetische Betreuung aufgebaut hätten. Daher erweise sich die Revision des Kl als nicht berechtigt.

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass der OGH auch in dieser E hinsichtlich der Prüfungskriterien für die Verletzung von Mitwirkungspflichten seiner bisherigen Linie treu geblieben ist. Allerdings nimmt er eine Unterscheidung bei der Frage der Entziehung des Rehabilitationsgeldes dahingehend vor, dass die Weigerung der Mitwirkung bei zumutbaren medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen während des Rehabilitationsgeldbezuges, losgelöst von der Frage, ob die angeordnete Maßnahme auch tatsächlich zur Beseitigung der vorübergehenden Invalidität führt, zu beurteilen ist. Die Weigerung einer angeordneten zumutbaren Maßnahme, welche nicht unbedingt unmittelbar zur Beseitigung der vorübergehenden Invalidität führen muss, stellt dennoch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht dar und berechtigt letztlich nach Hinweis auf diese Rechtsfolge zur Entziehung des Rehabilitationsgeldes.