122Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG
Entscheidet sich eine Angestellte für eine Kurzvariante des Kinderbetreuungsgeldes (hier einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld) und kombiniert sie mit einer Karenz bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr des Kindes, dann liegt im zweiten Karenzjahr keine KV vor. Bei einer neuerlichen Schwangerschaft (die zur Gänze innerhalb des versicherungsfreien Zeitraumes liegt) besteht kein Anspruch auf Wochengeld. Sie hat aber sehr199 wohl Anspruch gegenüber dem AG auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG aF für die Dauer von sechs Wochen nach der Entbindung.
Die AN ist beim AG seit 2009 als Fahrschullehrerin angestellt. Nach der Geburt ihres ersten Kindes am 22.2.2013 entschied sie sich für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (12+2) sowie für eine zweijährige Karenz. Am 13.1.2015 kam ihr zweites Kind zur Welt. Das Beschäftigungsverbot begann am 9.12.2014. Die AN befand sich zu diesem Zeitpunkt und auch zu Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls am 29.4.2014 zwar noch in Karenz, bezog aber kein Kinderbetreuungsgeld mehr. Sie war deshalb nicht mehr pflichtversichert und hatte daher auch keinen Anspruch auf Wochengeld.
Die AN begehrte daraufhin vom AG die Entgeltfortzahlung gem § 8 Abs 4 AngG. Der AG bestritt und wandte ein, die Pflicht zur Entgeltfortzahlung könne nicht dadurch ausgelöst werden, dass eine AN einen längeren Anspruch auf Karenz gegenüber ihrem AG geltend mache, sich aber für eine kürzere und meist lukrativere Variante des Kinderbetreuungsgeldes entscheide. Auf diese Wahl habe er keinen Einfluss. Es dürfe auch nicht zu seinen Lasten gehen, dass sich die AN nicht über den Zeitraum des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld hinaus selbst krankenversichert habe und ihr deshalb das Wochengeld von der Gebietskrankenkasse verwehrt werde. § 8 Abs 4 AngG sei im Hinblick auf die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes teleologisch zu reduzieren und durch das MSchG als lex specialis gegenstandslos geworden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es kam zum Ergebnis, dass der AN mangels Anspruchs auf Wochengeld Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG zustehe. Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht. Mit Einführung des Kinderbetreuungsgeldes sei § 8 Abs 4 AngG zwar weitgehend verdrängt worden. Er sei aber nicht hinfällig. Dies ergebe sich auch aus der Neuregelung des § 8 Abs 4 AngG, der mit 1.1.2016 in Kraft getreten ist. Der OGH bestätigte die Rechtsansicht der Vorinstanzen und gab der außerordentlichen Revision nicht Folge.
„1. Den Erwägungen zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 Abs 4 AngG ist voranzustellen, dass ein Karenzurlaub mit dem Eintritt eines absoluten Beschäftigungsverbots bei einer neuerlichen Schwangerschaft beendet wird. […] Es wird daher bei einer neuerlichen Schwangerschaft mit dem Beginn des Beschäftigungsverbots der Karenzurlaub verdrängt (RIS-Justiz RS0070590; 10 ObS 37/15m).
2. […] Soweit auch § 14 MSchG einen gegen den Arbeitgeber gerichteten Entgeltfortzahlungsanspruch enthält, bezieht sich dieser nicht auf die Zeit des absoluten Beschäftigungsverbots […] (acht Wochen nach der Entbindung), in die der hier zu beurteilende Zeitraum (sechs Wochen nach der Entbindung) fällt. § 8 Abs 4 AngG steht daher mit § 14 MSchG nicht in Normenkonkurrenz. […]
4. Nach hA wird § 8 Abs 4 AngG durch die Regelungen des MSchG und des ASVG weitgehend verdrängt (s Drs in
5. Das Verhältnis des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Wochengeld und des arbeitsvertraglichen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 8 Abs 4 AngG gibt keinen Grund zur Annahme, dass dieser Bestimmung auch in jenen Fällen derogiert wurde, in denen kein Anspruch auf Wochengeld (mehr) gegeben ist. […] Da ein derartiges Derogationsverhältnis hier jedoch nicht vorliegt, kann von einer umfassenden Verdrängung oder materiellen Derogation des § 8 Abs 4 AngG nicht ausgegangen werden.
6. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass der Klägerin die Wahl einer der vom Gesetzgeber eingeräumten Varianten des Kinderbetreuungsgeldbezugs frei stand und nicht als ‚Verschulden‘ oder Verzicht auf den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch angesehen werden kann, wenn der mit dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes verbundene Versicherungsschutz ausgelaufen ist. Dass der Klägerin auch eine andere, den Versicherungsschutz wahrende Variante zum Bezug von Kinderbetreuungsgeld (30+6) offen gestanden wäre, führt noch nicht zur Unanwendbarkeit des § 8 Abs 4 AngG, wenn tatsächlich die Variante 12+2 gewählt wird. […]“
§ 8 Abs 4 (in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung) sieht für Angestellte einen Anspruch200 auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG in der Dauer von sechs Wochen nach der Geburt eines Kindes vor. Mit der Einführung des Wochengeldes geriet diese Regelung in Vergessenheit, da sie von den Bestimmungen des ASVG/MSchG weitgehend verdrängt wurde. Im vorliegenden Fall kam ihr aber eine wichtige Bedeutung zu: Entscheidet sich nämlich eine Angestellte für eine Kurzvariante des Kinderbetreuungsgeldes (hier einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld) und kombiniert sie mit einer Elternkarenz bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr des Kindes, dann liegt im zweiten Karenzjahr keine KV vor. Bei einer neuerlichen Schwangerschaft (die zur Gänze innerhalb des versicherungsfreien Zeitraumes liegt) besteht daher auch kein Anspruch auf Wochengeld.
Dazu hat der OGH nun entschieden, dass in diesem Fall § 8 Abs 4 AngG zur Anwendung kommt. Zwar wird § 8 Abs 4 AngG durch die Regelungen des MSchG und des ASVG weitgehend verdrängt. Die Bestimmung ist aber keineswegs obsolet geworden. Vielmehr besteht der Anspruch weiterhin etwa für
Angestellte, „die nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterliegen und zufolge der Unentgeltlichkeit ihres Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf Wochengeld haben,
geringfügig Beschäftigte (§ 5 Abs 2 ASVG), die nicht in der Krankenversicherung pflichtversichert sind, und
Angestellte, die aufgrund einer längeren Karenzierung nicht dem Krankenversicherungsschutz des ASVG unterliegen und deshalb keinen Anspruch auf Wochengeld haben.“
Der Anspruch wird nur dann nicht schlagend, wenn die Angestellte einen Wochengeldanspruch hat. Daran hat aus Sicht des OGH auch die Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes nichts geändert, weil der Anspruch nach § 8 Abs 4 AngG nicht an den Wegfall des Kinderbetreuungsgeldes geknüpft ist, sondern weiterhin – wie in anderen, oben beispielhaft dargelegten Fällen – aus dem Fehlen eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Wochengeld resultiert. Demnach erhielt die Angestellte im vorliegenden Fall zwar kein Wochengeld für das zweite Kind, sehr wohl aber die Entgeltfortzahlung vom AG für die Dauer von sechs Wochen nach der Entbindung.
Neue Rechtslage seit 1.1.201
Anders ist die Rechtslage allerdings ab dem 1.1.2016 zu beurteilen. § 8 Abs 4 AngG wurde nämlich mit dem Arbeitsrechtsänderungsgesetz 2015 (BGBl I 2015/152) geändert. Nach der Neuregelung besteht der Anspruch nicht für Zeiten „während derer ein Anspruch auf Wochengeld oder Krankengeld nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz
“ gebührt. Ebenso bestehen diese Ansprüche nicht, wenn sich „die Angestellte vor dem Beschäftigungsverbot (§ 3 Abs 1 oder Abs 3 MSchG) in einer Karenz nach dem MSchG oder einer mit dem Arbeitgeber zur Kinderbetreuung vereinbarten Karenz befindet. […]
“. Eine Rückwirkung wurde allerdings nicht angeordnet. Nicht umfasst sind nach den Erläuternden Bemerkungen Karenzen, die aufgrund spezieller arbeitsrechtlicher Normen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie – wie etwa Familienhospizkarenz, Pflegekarenz oder Bildungskarenz – angetreten wurden.
Zudem wird mit dieser Änderung klargestellt, dass der Anspruch nach § 8 Abs 4 AngG keine wochengeldähnliche Leistung darstellt, die zu einem Entfall des Kinderbetreuungsgeldes führen würde.