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Sanktionscharakter des § 10 AlVG kein Ablehnungsgrund für Ratenansuchen des Versicherten

BIRGITSDOUTZ

§ 25 Abs 4 AlVG räumt der Behörde gebundenes Ermessen ein, das von ihr iSd Gesetzes auszuüben ist. Wenn die Hereinbringung der Forderung in einem Betrag aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Schuldners nicht möglich ist, hat die Behörde zwingend eine Ratenzahlung zu gewähren.

SACHVERHALT

Mit Bescheid gem § 10 AlVG wurde festgestellt, dass ein Arbeitsloser für den Zeitraum vom 7.1.2016 bis 17.2.2016 die Notstandshilfe verloren hat. Die dagegen vorgebrachte Beschwerde wurde mittels Beschwerdevorentscheidung abgewiesen. Die Notstandshilfe wurde dem Arbeitslosen aufgrund der aufschiebenden Wirkung ausbezahlt. Das Arbeitsmarktservice (AMS) stellte im Anschluss an das rechtkräftig abgeschlossene Beschwerdeverfahren mit Bescheid fest, dass der Arbeitslose zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von € 1.176,42 verpflichtet ist. Nach Rechtskraft dieses Bescheides beantragte der Arbeitslose mittels Niederschrift beim AMS, den Rückforderungsbetrag in monatlichen Raten in Höhe von € 70,- zurückzahlen zu können. Dazu legte der Arbeitslose Bestätigungen über die monatlichen Wohnkosten vor.

Das AMS lehnte das Ratenansuchen des Arbeitslosen mit einem einfachen Antwortschreiben ab und begründete dies damit, dass er aufgrund des Bescheides zur Rückzahlung verpflichtet sei und bei einer Genehmigung einer Rate der Sanktionscharakter gem § 10 AlVG nicht gegeben wäre. Weiters wies das AMS im Schreiben darauf hin, dass bis zur Abstattung der offenen Forderungen die Hälfte des Leistungsbezuges einbehalten werde und, sollte der Arbeitslose aus dem Leistungsbezug ausscheiden und die Rückforderung nicht zur Gänze beglichen sein, er den noch offenen Betrag mit einer Einmalzahlung begleichen solle. Gegen diese Erledigung brachte der Arbeitslose Beschwerde ein und wies darauf hin, dass dem ablehnenden Schreiben des AMS Bescheidcharakter zukomme und dass § 25 Abs 4 AlVG die Gewährung von Ratenzahlungen lediglich an die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners knüpfe und der Verweis des AMS auf den „Sanktionscharakter“ des § 10 AlVG ins Leere gehe.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass es sich beim Ablehnungsschreiben um ein bloßes Informationsschreiben handle, da darin die typischen Merkmale wie Spruch, Begründung oder Rechtsmittelbelehrung nicht zu finden sind. Weiters wies das AMS darauf hin, dass es gem § 25 Abs 4 AlVG eine Ratenzahlung gewähren hätte können, aber es von der gesetzlichen Möglichkeit, den halben Leistungsbezug einzubehalten, Gebrauch mache.

Nachdem der Arbeitslose die Vorlage an das BVwG beantragte, hat dieses den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG:

„Seitens des Verwaltungsgerichtshofes wird in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass Bescheide nach § 56 AVG alle jene hoheitlichen Erledigungen von Verwaltungsbehörden sind, durch die in bestimmten einzelnen Angelegenheiten der Verwaltung gegenüber individuell bestimmten Personen in einer förmlichen Weise über Rechtsverhältnisse materiellrechtlicher oder formellrechtlicher Art abgesprochen wird, sei es, dass Rechtsverhältnisse festgestellt, sei es, dass sie gestaltet werden (vgl dazu und zum Folgenden etwa VwGH 16.9.2003, 2003/05/0142; 23.3.2006, 2005/07/0091; 21.12.2012, 2012/17/0473; 24.3.2015, Ra 2014/03/0021; 30.10.2015, Ra 2015/03/0051; 26.2.2016, Ra 2016/12/0015). Behördliche Erledigungen, die weder ein Rechtsverhältnis feststellen noch gestalten, können keine Bescheide im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes sein. Gemäß § 58 Abs 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat Spruch und Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Erledigungen, die weder nach Form noch nach Inhalt darauf schließen lassen, dass damit die Behörde in einer der Rechtskraft fähigen Weise über konkrete Rechtsverhältnisse abgesprochen hat, sind keine Bescheide. Gemäß § 58 Abs 3 iVm § 18 Abs 4 AVG haben Bescheide die Bezeichnung der Behörde zu enthalten, allerdings nicht notwendigerweise im Spruch. Fehlt die Bezeichnung der Behörde, so kann das betreffende Schriftstück nicht als Bescheid angesehen werden. Für die Beurteilung als Bescheid sind die objektiven Merkmale eines Schriftstückes maßgebend und nicht die subjektive Absicht der Behörde, von der das Schriftstück ausgegangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auf die ausdrückliche Bezeichnung einer Erledigung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfest-338stellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung und auch aus der Form der Erledigung ergeben. Handelt es sich nach dem Inhalt um Mitteilungen, die keinen autoritativen Abspruch enthalten, kann diesen Schreiben kein Bescheidcharakter zugemessen werden. Hinweise, Mitteilungen und Belehrungen können mangels eines rechtserzeugenden oder rechtsfeststellenden Inhaltes nicht als verwaltungsrechtliche Bescheide angesehen werden.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung kann nach Ansicht des erkennenden Gerichtes an der Bescheidqualität der in Rede stehenden Erledigung kein Zweifel bestehen. […]

§ 25 Abs 4 AlVG räumt der Behörde gebundenes Ermessen ein, das von ihr im Sinne des Gesetzes auszuüben ist. Wenn die Hereinbringung der Forderung in einem Betrag aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Schuldners nicht möglich ist, hat die Behörde zwingend eine Ratenzahlung zu gewähren. Es steht ihr somit nicht frei, bei Zahlungswilligkeit ein derartiges Ansinnen willkürlich abzulehnen […]. Zur Gewährung einer Ratenzahlung muss die Zahlungswilligkeit des Schuldners feststehen […]. Die dargestellten Erwägungen gelten grundsätzlich auch für die Festsetzung des Aufrechnungsbetrages nach § 25 Abs 4 1. Satz AlVG. Die Anordnung, wonach im Falle der Aufrechnung die Hälfte des Leistungsbezuges frei bleiben muss, bedeutet insbesondere nicht, dass – unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Leistungsbeziehers und des geschuldeten Betrages – jedenfalls eine Anrechnung bis zur Hälfte des Leistungsbezuges stattzufinden hat […]. […] Im vorliegenden Fall hat das AMS aber gerade nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und seine Zahlungswilligkeit ermittelt, sondern – in Verkennung der für die Gewährung von Ratenzahlungen maßgeblichen Voraussetzungen – lediglich auf den ‚Sanktionscharakter‘ des § 10 AlVG verwiesen.“

ERLÄUTERUNG

Das BVwG verweist auf die bisherige Judikatur und lässt an der Bescheidqualität des „Antwortschreibens“ des AMS auf das Ratenersuchen des Arbeitslosen keine Zweifel bestehen. Bereits in der E des BVwG vom 23.2.2015, L503 2007603-1, wurde festgestellt, dass ein Bescheid vorliegt, wenn das AMS ein Ratenansuchen gem § 25 Abs 4 AlVG mit einem einfachen Schreiben erledigt. Auch geht bereits aus der E vom 23.2.2015 eindeutig hervor, dass das AMS bei einem Ratenansuchen die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Zahlungswilligkeit prüfen muss, so dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb der „Sanktionscharakter“ des § 10 AlVG als Begründung für die Ablehnung eines Ratenansuchens herangezogen wurde. Abzuwarten bleibt, ob das AMS die angebotene monatliche Rate in Höhe von € 70,- annehmen wird, da das Gesetz nur auf die zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Verhältnisse verweist und keine genauen Angaben enthält, welche laufenden Ausgaben bei der Festsetzung der Ratenhöhe vom AMS berücksichtigt werden müssen.