213

Eintritt dauerhafter Invalidität während des Rehabilitationsgeldbezuges

MURATIZGI
§ § 86 Abs 6, 99,143a, 361 Abs 5 ASVG

Tritt während des Bezugs von Rehabilitationsgeld beim Versicherten dauerhafte Invalidität ein, so hat dies nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Folge, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Pensionsversicherungsträger deshalb ein Anspruch auf Invaliditätspension wäre. Der Eintritt dauerhafter Invalidität bildet in einem solchen Fall vielmehr lediglich einen – vom Fall des Wegfalls vorübergehender Invalidität iSd § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG zu unterscheidenden – Entziehungstatbestand gem § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG. Gegenstand des Verfahrens bleibt aber der Anspruch auf Rehabilitationsgeld und seine Entziehung. Das Rehabilitationsgeld kann nach § 99 Abs 1 ASVG nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung eingetreten ist.

SACHVERHALT

Die am 14.12.1968 geborene Kl bezog zunächst ab 1.1.2012 eine bis 31.1.2013 befristete Invaliditätspension. Diese wurde ihr zuletzt befristet bis 31.7.2014 weitergewährt.

Mit Bescheid vom 5.8.2014 lehnte die Bekl den Antrag auf Weitergewährung der befristet zuerkannten Invaliditätspension ab, weil dauerhafte Invalidität nicht vorliege und sprach darüber hinaus aus, dass ab 1.8.2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege. Ab dem 1.8.2014 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 4.8.2015 sprach die Bekl zusammengefasst aus, dass vorübergehende Invalidität nicht mehr vorliege, so dass das Rehabilitationsgeld aus der KV entzogen werde und mit 30.9.2015 ende.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht sprach der Kl eine Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe ab 1.10.2015 und343 eine vorläufige Zahlung zu, entschied jedoch nicht über das Hauptbegehren auf Weitergewährung von Rehabilitationsgeld.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil und das ihm vorausgegangene Verfahren aus Anlass der von der Bekl erhobenen Berufung als nichtig auf und wies die Klage auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1.10.2015 wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Ein Anspruch der Kl auf Invaliditätspension sei nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Bekl gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Kl, mit dem sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts anstrebt. Der OGH erachtete den Rekurs für zulässig, jedoch nicht als berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„3. Nach der Rechtslage seit dem SRÄG 2012 gebührt bei vorübergehender Invalidität Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung, hingegen bei dauernder Invalidität Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Leistungen. […]

4.1 […] Der angefochtene Bescheid vom 4.8.2014 fällt bereits in den Geltungsbereich des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes 2015 (SVAG 2015, BGBl I 2015/2), mit dem die Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld mit der – rückwirkend mit 1.1.2014 in Kraft getretenen, § 688 Abs 1 Z 2 ASVG – neu geschaffenen Bestimmung des § 255b ASVG neu geregelt wurden. Danach besteht der Anspruch bei Vorliegen von vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Ausmaß von zumindest sechs Monaten, wenn die Voraussetzungen nach § 254 Abs 1 Z 2 – 4 ASVG vorliegen.

4.2 Neu geregelt wurde mit dem SVAG 2015 auch die Entziehung des Rehabilitationsgeldes. Diese erfolgt gemäß § 99 ASVG mit Bescheid des Pensionsversicherungsträgers (§ 143a Abs 1 ASVG; ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5). Der Grundtatbestand des § 99 Abs 1 ASVG blieb durch das SVAG 2015 unberührt. In § 99 Abs 1a ASVG wurde mit dem SVAG 2015 der neue Rückforderungstatbestand der Verletzung von Mitwirkungspflichten geschaffen […]. Darüber hinaus nennt der Gesetzgeber in § 99 Abs 3 lit b sublit aa, cc und dd ASVG mit dem SVAG 2015 weitere Entziehungstatbestände. Bei allen diesen Entziehungstatbeständen – Besserung des Gesundheitszustands, Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitierbarkeit, Eintritt voraussichtlich dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit […] – handelt es sich aber jeweils um Fälle des Wegfalls einer ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzung im Sinn des Grundtatbestands des § 99 Abs 1 ASVG […]. In allen diesen Fällen kann daher (auch) das Rehabilitationsgeld nach § 99 Abs 1 ASVG nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung eingetreten ist. […]

6.1 Tritt während des Bezugs von Rehabilitationsgeld beim Versicherten dauerhafte Invalidität ein, so hat dies nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Folge, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Pensionsversicherungsträger deshalb ein Anspruch auf Invaliditätspension wäre. Der Eintritt dauerhafter Invalidität bildet in einem solchen Fall vielmehr lediglich einen – vom Fall des Wegfalls vorübergehender Invalidität iSd § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG zu unterscheidenden – Entziehungstatbestand gemäß § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG. Gegenstand des Verfahrens bleibt aber der Anspruch auf Rehabilitationsgeld und seine Entziehung.

6.2 Erst für das weitere Vorgehen nach Abschluss des Verfahrens über die Entziehung von Rehabilitationsgeld ordnen die Bestimmungen des § 361 Abs 5 ASVG iVm § 86 Abs 6 ASVG an, dass – nur bei Vorliegen des Entziehungstatbestands des § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG – die Leistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ohne weitere Antragstellung anfallen und das Leistungsfeststellungsverfahren über einen Anspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (etwa auf Invaliditätspension) vom Pensionsversicherungsträger von Amts wegen einzuleiten ist […]. Dies bedeutet aber nur, dass in Fällen, in denen während eines Bezugs von Rehabilitationsgeld dauerhafte Invalidität eintritt, sodass der Entziehungstatbestand des § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG vorliegt, der Versicherte nach (rechtskräftigem) Abschluss des Entziehungsverfahrens keinen (neuen) Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension beim Pensionsversicherungsträger einbringen muss, sondern dieser das Leistungsfeststellungsverfahren über den Anspruch des Versicherten aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit amtswegig einzuleiten hat.

6.3 Selbst wenn sich daher in einem Fall wie dem vorliegenden im Gerichtsverfahren das Vorliegen dauerhafter Invalidität herausstellen sollte, könnte das Arbeits- und Sozialgericht eine Invaliditätspension nicht zusprechen, weil dieser Anspruch nicht Gegenstand des Entziehungsverfahrens war und der Pensionsversicherungsträger über einen solchen Anspruch im konkreten Fall auch noch keinen Bescheid erlassen hat […].“

ERLÄUTERUNG

Mit der vorliegenden Entscheidung trifft der OGH eine weitere sehr ausführliche – über den344 zu beurteilenden Sachverhalt hinausgehende – Grundsatzentscheidung zur Rechtslage nach dem SRÄG 2012. Zu entscheiden war zum einen die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Rehabilitationsgeld entzogen werden kann und zum anderen ging es um die Beurteilung der Frage des Eintritts dauerhafter Invalidität während des Rehabilitationsgeldbezuges.

Zur ersten Frage führt der OGH unter Bezugnahme auf das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz 2015 (SVAG 2015) aus, dass die Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld in § 255b ASVG neu geregelt wurden. Klargestellt wird in dieser Bestimmung, dass Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht, wenn ua vorübergehende Invalidität in der Dauer von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliegt, berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht zumutbar und nicht zweckmäßig sind und die Wartezeit erfüllt ist. Der Pensionsversicherungsträger hat darüber mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden.

Neu geregelt – oder besser klargestellt – wurde mit dem SVAG 2015 auch die Entziehung des Rehabilitationsgeldes. In § 99 Abs 1a ASVG wurde der Entziehungstatbestand der Verletzung von Mitwirkungspflichten geschaffen. Dieser spielt im vorliegenden Sachverhalt jedoch keine Rolle. Bei allen Entziehungstatbeständen des § 99 Abs 1 ASVG – Besserung des Gesundheitszustands, Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitation, Eintritt voraussichtlich dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit – handelt es sich um Fälle des Wegfalls einer ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzung. Der OGH stellt zur Entziehung des Rehabilitationsgeldes ausdrücklich klar, dass in allen diesen Fällen (auch) das Rehabilitationsgeld nach § 99 Abs 1 ASVG nur dann entzogen werden kann, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung eingetreten ist.

Zur Frage des Eintrittes dauerhafter Invalidität während des Bezuges von Rehabilitationsgeld stimmt der OGH zwar den Ausführungen des Berufungsgerichtes zu, das Gegenstand des Verfahrens vor der Bekl und deren Entscheidung nur der Anspruch der Kl auf Rehabilitationsgeld und der Voraussetzungen für dessen Entziehung war. Die Ansprüche auf Rehabilitationsgeld und Invaliditätspension seien jedoch zu unterscheiden. Der Eintritt dauerhafter Invalidität während des Rehabilitationsbezuges hat nach Ansicht des OGH insb nicht zur Folge, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Pensionsversicherungsträger deshalb der Anspruch auf Invaliditätspension wäre, sondern stellt lediglich einen Entziehungstatbestand gem § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG dar. Gegenstand des Verfahrens bleibt aber der Anspruch auf Rehabilitationsgeld und seine Entziehung.

Erst für das weitere Vorgehen nach Abschluss des Entziehungsverfahrens ergibt sich aus § 361 Abs 5 iVm § 86 Abs 6 ASVG, dass der Versicherte nach (rechtskräftigem) Abschluss des Entziehungsverfahrens keinen (neuen) Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension beim Pensionsversicherungsträger einbringen muss, sondern dieser das Verfahren über den Anspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit amtswegig einzuleiten hat. Wenn sich – wie im hier zu beurteilenden Fall – im Gerichtsverfahren das Vorliegen dauerhafter Invalidität herausstellt, kann das Arbeits- und Sozialgericht die Invaliditätspension nicht zusprechen, weil dieser Anspruch nicht Gegenstand des Entziehungsverfahrens war und der Träger über einen solchen Anspruch noch keinen Bescheid erlassen hat. Dem Rekurs der Kl wurde daher nicht Folge gegeben.

Der OGH hat eine streng formalistische, der Verwaltungspraxis nicht unbedingt dienliche, jedoch im Ergebnis nachvollziehbare Entscheidung getroffen. Dass erst nach rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens über die Entziehung des Rehabilitationsgeldes in einem neuen – amtswegig einzuleitenden – Verwaltungsverfahren durch die Pensionsversicherungsträger über den Pensionsanspruch abzusprechen ist, lässt sich mit dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz begründen, wenngleich diese Lösung in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen der Verfahrensökonomie sowie der Verpflichtung der Gerichte, Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 179 ZPO) zu berücksichtigen, steht. Tritt daher die dauernde Invalidität während des Bezugs von Rehabilitationsgeld ein, so fällt die Leistung erst über einen „Umweg“ an. Immerhin muss der Versicherte nach (rechtskräftigem) Abschluss des Entziehungsverfahrens keinen (neuen) Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension beim Pensionsversicherungsträger einbringen, dieser hat vielmehr das Leistungsfeststellungsverfahren über den Anspruch des Versicherten aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit amtswegig einzuleiten.345