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Rechtsanwaltszeiten sind keine Versicherungsmonate nach ASVG, GSVG oder BSVG

WERNERPLETZENAUER
§ 247 ASVG; Art 6, 51 VO (EG) 883/2004

Beim Berufswechsel aus dem ASVG-System in die Anwaltschaft ist eine umfassende Koordination zwischen den staatlichen Pensionssystemen nach dem ASVG, GSVG und BSVG und den Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte weiterhin nicht gegeben.

SACHVERHALT

Der 1954 geborene Kl war ab 2.11.1987 bis 30.9.1990 Rechtsanwaltsanwärter und danach als Rechtsanwalt selbstständig tätig. Seit 1.10.1990 seiner Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer leistet er monatliche Beiträge an die Versorgungseinrichtung Teil A der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer. Für die Schul- und Studienzeiten entrichtete er keine Beiträge (nach § 227 Abs 3 ASVG). Vor der Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter war der Kl als Zeitungsausträger, Ferialaushilfe sowie bei der Österreichischen Post als Briefträger und im Schalterdienst tätig.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 14.7.2014 stellte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gem § 247 Abs 1 ASVG die Gesamtanzahl der nachgewiesenen Versicherungsmonate bis zum Feststellungszeitpunkt (1.7.2014) mit 145 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung-Erwerbstätigkeit fest.

Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kl die Feststellung von 444 Versicherungsmonaten aus Beitragsmonaten bis einschließlich Juli 2015 (146 aus unselbstständiger Tätigkeit + 298 aus der Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt) sowie die Feststellung, dass ihm 73 Schul- und Studienmonate auch ohne Nachkauf als Ersatzzeiten anzurechnen seien. Weiters begehrt er die Feststellung, dass die Wartezeit des § 236 ASVG (Anwartschaft) auf eine ASVG-Alterspension jedenfalls als erfüllt anzusehen sei, in eventu, dass zumindest zur Erfüllung der Wartezeit bzw Anwartschaft keine weiteren Versicherungsmonate aus Beitragsmonaten mehr erforderlich seien.

Das Erstgericht sprach mit Urteil aus, dass bis zum Feststellungszeitpunkt 1.7.2014 146 Beitragsmonate der Pflichtversicherung-Erwerbstätigkeit an nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten ermittelt wurden. Das Mehrbegehren auf Feststellung, dass dem Kl ohne Nachkauf 73 Schul- und Studienmonate als Ersatzzeit anzurechnen seien, wurde abgewiesen. Die Anträge auf Feststellung, „dass die Wartezeit des § 236 ASVG (Anwartschaft) auf eine ASVG-Alterspension jedenfalls als erfüllt anzusehen sei, in eventu, dass zumindest zur Erfüllung der Wartezeit bzw Anwartschaft keine weiteren Versicherungsmonate aus Beitragsmonaten mehr erforderlich seien“, wies es zurück.

Rechtlich vertrat das Erstgericht zusammengefasst die Rechtsansicht, dass die Zeiten, in denen der Kl monatliche Beiträge an die Versorgungseinrichtung der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer geleistet habe, nicht als Versicherungszeiten festzustellen seien, da es sich bei der Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte um keine staatliche SV und damit um keine PV handle. Die 73 Schul- und Studienmonate seien nicht zu berücksichtigen, da der Kl dafür keine Beiträge nachentrichtet habe. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und bestätigte die E des Erstgerichts. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil keine jüngere oberstgerichtliche Rsp zur Frage der Berücksichtigung von Beiträgen in die Versorgungseinrichtung einer Rechtsanwaltskammer im Rahmen der Wanderversicherung, insb nach Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004, vorliege.

Der OGH erklärte die Revision für zulässig, ihr wurde aber nicht Folge gegeben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„3.1 […] Zum Wesen der Sozialversicherung gehört, dass jeder Versicherte ‚zumindest theore-347tisch‘ in den Genuss von Versicherungsleistungen kommen kann. Dabei muss aber in Kauf genommen werden, dass im Einzelfall ‚wegen der Verschiedenheit der Lebensverhältnisse‘ trotz bestandener Beitragspflicht keine Versicherungsleistungen gebühren (Frank in SV-Komm [144. Lfg] § 308 ASVG Rz 5 mwN).

3.2 Aus diesen Grundsätzen folgt, dass von Verfassung wegen keine Verpflichtung besteht, im Falle des Wechsels zwischen verschiedenen Versorgungssystemen die Mitnahme von Anwartschaften (gegen Leistung von Überweisungs- oder Anrechnungsbeträgen) oder deren Endfertigung [durch Erstattung] der geleisteten Beiträge) zu ermöglichen; vielmehr steht es dem Gesetzgeber frei, die Anwartschaft in dem System, dem der Betroffene früher angehört hat, bloß aufrechtzuerhalten, wobei es aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Rolle spielt, ob die solcherart begründeten mehrfachen Anwartschaften letztlich auch zu entsprechend mehrfachen Pensionsleistungen führen oder ob die eine oder andere Anwartschaft für einen Pensionsbezug nicht ausreicht. […]

3.3 […] Der Gesetzgeber ist daher von Verfassung wegen auch nicht gehalten, berufsständische Versorgungswerke in das System der Wanderversicherung einzubeziehen, selbst wenn diesen ‚Wohlfahrtsfonds‘ nach § 5 GSVG eine die gesetzliche Sozialversicherung supplierende Aufgabe zukommt. Auch der Umstand, dass solche Versorgungseinrichtungen seit 1.1.2005 als ‚Sondersysteme für Selbständige‘ iSd Art 45 Abs 3 iVm Anh IV Teil B lit R VO (EWG) 1408/71 idF VO (EG) Nr 647/2005 gelten (siehe auch Art 51 VO [EG] 883/2004), ist nicht geeignet, dieses Ergebnis in Zweifel zu ziehen (Frank in SV-Komm [144. Lfg] § 308 ASVG Rz 6 mwN).

3.4 […] Das System des ASVG sieht für den Wechsel in ein anders strukturiertes System (zB vom ASVG in den öffentlichen Dienst ‚pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis‘) grundsätzlich vor, dass ein Überweisungsbetrag an den neuen Pensionsträger geleistet wird, der im Gegenzug dafür die im früheren System erworbenen Anwartschaften anerkennt (§§ 308 ff ASVG). Bei einem Wechsel innerhalb der gesetzlichen Pensionsversicherungssysteme hat der Gesetzgeber durch die Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251a ASVG, § 129 GSVG, § 120 BSVG) eine Regelung geschaffen, die eine weitgehende Gleichbehandlung der in diesen Sozialversicherungssystemen erworbenen Versicherungszeiten sicherstellt. Das Wesen der Wanderversicherung besteht darin, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären (RIS-Justiz RS0085037). Der leistungszuständige Versicherungsträger hat die Bestimmungen des ASVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass Beitragsmonate nach dem GSVG und nach dem BSVG als Beitragsmonate nach dem ASVG anzusehen sind (§ 251a Abs 8 Z 1 ASVG).

3.4.1 Für die selbständig Erwerbstätigen wurde mit 1.1.2000 durch das ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, eine Pflichtversicherung in allen Zweigen der Sozialversicherung eingeführt (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG, § 273 Abs 3 GSVG), es sei denn, die gesetzliche berufliche Vertretung macht gemäß § 5 GSVG von einem ‚Opting-out‘ Gebrauch. Voraussetzung für das ‚Opting-out‘ war die Sicherstellung der Versorgung der Betroffenen in dem Sinn, dass ein gleichartiger oder zumindest annähernd gleichwertiger Anspruch des Betroffenen auf Leistungen gegenüber einer Einrichtung der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretung oder für die Krankenversicherung ein Anspruch aus einer Selbstversicherung nach ASVG oder GSVG nachgewiesen wird. Der Antrag auf Ausnahme konnte von den beruflichen Interessenvertretungen bis zum 1.10.1999 gestellt werden (durch BGBl I 1999/86 von ursprünglich 30.6.1999 bis 1.10.1999 verlängert). Die Entscheidung über den Antrag oblag dem zuständigen Bundesminister […]. Es erging die VO des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über die Ausnahme der Mitglieder der Kammer der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG, BGBl II 2004/522. Nach dieser Verordnung sind die Mitglieder der Rechtsanwaltskammern rückwirkend mit 1.1.2000 von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG ausgenommen, wenn sie der Versorgungseinrichtung einer Rechtsanwaltskammer unterliegen (Ficzko/Schruf, GSVG Praxiskommentar § 5).

3.4.2 Nach § 49 Abs 1 RAO haben die Rechtsanwaltskammern Einrichtungen zur Versorgung der Rechtsanwälte für den Fall des Alters und der Berufsunfähigkeit sowie zur Versorgung der Hinterbliebenen für den Fall des Todes des Rechtsanwalts mit einer zu beschließenden Satzung zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Gemäß § 50 Abs 1 RAO haben jeder Rechtsanwalt und seine Hinterbliebenen bei Vorliegen der Voraussetzungen und bei Eintritt des Versicherungsfalls Anspruch auf Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung. […]

3.4.3 Beim Berufswechsel aus dem ASVG-System in die Anwaltschaft ist eine umfassende Koordination zwischen den staatlichen Pensionssystemen nach dem ASVG, GSVG und BSVG und den Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte weiterhin nicht gegeben. […] Eine – insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden wünschenswerte – Regelung in Form von Überweisungsbeträgen oder in Anlehnung an das System der VO (EWG) 1408/71 ist bisher legistisch nicht umgesetzt. […]

3.6 Eine Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist darin nicht348 zu erblicken: […] Dass eine Einbeziehung der Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte in das System der Wanderversicherung nicht geboten ist bzw die Ausnahme der Rechtsanwälte vom System der gewerblichen Sozialversicherung auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stößt, wurde seither mehrfach ausgesprochen (VfGH 2.10.1987, G 164/86, VfSlg 11.469/1987; VfGH 14.6.1991, B 418/90, VfSlg 12.739/1991; VfGH 25.9.1995, B 1030/94, V 126/94, VfSlg 14.210/1995; VwGH 6.7.1999, Zl 99/10/0104; 8.9.2000, Zl 97/19/0401; zum Opting-out aufgrund der Erklärung der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer: VwGH 21.2.2007, Zl 2003/06/0111).

5. Nicht gefolgt werden kann auch dem Standpunkt des Revisionswerbers, es sei eine Zusammenrechnung der von ihm (unstrittig) im System des ASVG erworbenen 146 Versicherungsmonate und seiner 298 Monate an anwaltlichen Beitragszeiten deshalb vorzunehmen, weil die VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit unmittelbar anwendbar sei:

5.1 Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, ist eine Grundvoraussetzung für die Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften über die Koordination von Leistungen der sozialen Sicherheit das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. […]

5.2 Im vorliegenden Fall fehlt der notwendige grenzüberschreitende Bezug, weil der Revisionswerber selbst vorbringt, niemals seinen Kanzleisitz ins Ausland verlegt zu haben, noch ergeben sich aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverhalt – soweit er die anwaltlichen Beitragszeiten betrifft – einen Anknüpfungspunkt zum Unionsrecht aufweisen würde. […]“

ERLÄUTERUNG

Im vorliegenden Fall musste sich der OGH neben der Frage, ob Schul- und Studienzeiten auch ohne Beitragsentrichtung als Ersatzzeiten in der PV anzurechnen sind, primär mit der Frage der Berücksichtigung von Beiträgen in die Versorgungseinrichtung einer Rechtsanwaltskammer im Rahmen der Wanderversicherung, insb nach Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 auseinandersetzen.

Mit der gegenständlichen E hat der OGH seine zu 10 ObS 34/99v vom 18.2.1999 getroffene Aussage, dass es sich bei der Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte (§§ 49 bis 54 RAO) um keine staatliche SV und damit um keine PV handelt, aufrechterhalten.

Weiters wurde ausgeführt, dass bei einem Berufswechsel aus dem ASVG-System in die Anwaltschaft eine umfassende Koordination zwischen den staatlichen Pensionssystemen nach dem ASVG, GSVG und BSVG und den Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte weiterhin nicht gegeben ist. Die vom Revisionswerber diesbezüglich geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken konnte der OGH unter Hinweis auf die zahlreiche Judikatur des VfGH nicht erblicken.

Zutreffend wurde vom OGH dargelegt, dass auch aus der VO 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit kein Anspruch auf Koordination der unterschiedlichen Systeme abzuleiten ist. Denn ohne Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes findet die VO (EG) 883/2004 keine unmittelbare Anwendung. Dem OGH ist ebenso darin zuzustimmen, dass in einem Verfahren nach § 247 ASVG, das ausschließlich die Feststellung der in Inland erworbenen Pensionsversicherungszeiten zum Gegenstand hat (selbst wenn der Kanzleisitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat gelegen wäre), kein Raum für die vom Revisionswerber geäußerte Inländerdiskriminierung bleibt. Abzuwarten ist jedoch, wie der OGH in einem auf Gewährung einer Alterspension gerichteten Verfahren die Frage der Inländerdiskriminierung beantworten würde.

Mit dem SRÄG 1988 wurde in § 227 Abs 3 und 4 ASVG normiert, dass Schul- und Studienzeiten nur noch dann als Ersatzzeiten anspruchs- und leistungswirksam sind, wenn Beiträge nachentrichtet werden. Vor dem Hintergrund der Judikatur des VfGH, der zufolge gegen nachträgliche Einführung einer Beitragspflicht für das Leistungswirksamwerden von Schul- und Studienzeiten an sich keine Bedenken bestehen sowie der Judikatur des OGH (RIS-Justiz RS0110724), verwundert es nicht, wenn der OGH zutreffend auch im gegenständlichen Verfahren zum Ergebnis gelangt, dass Schul- und Studienzeiten, für die keine Beiträge entrichtet wurden, nicht als Ersatzzeiten angerechnet werden.349