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Überprüfung der Ermessensausübung des Hauptverbandes bei Aufnahme von Heilmitteln in den Erstattungskodex

STEPHANIEPRINZINGER

Es ist die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes zu überprüfen, ob sich die Versagung der Aufnahme der beantragten Arzneispezialität in den gelben Bereich des Erstattungskodex (EKO) durch den Hauptverband als Ermessensübung iSd Gesetzes erweist. Ist dies der Fall, so ist die Beschwerde – ohne dass das Verwaltungsgericht befugt wäre, in eine eigene Ermessensentscheidung einzutreten – abzuweisen.

SACHVERHALT

Die mitbeteiligte Partei beantragte die Aufnahme der von ihr vertriebenen Arzneispezialität „Selincro 18mg Filmtabletten“ (mit dem Wirkstoff Nalmefen) in den gelben Bereich des EKO. Sie beruft sich dabei auf § 23 Abs 2 Z 7 VO-EKO (mit der beantragten Arzneispezialität ist die erstmalige Behandlung einer Erkrankung möglich, welche bisher nichtmedikamentös behandelt wurde) und § 24 Abs 2 Z 6 VO-EKO (die beantragte Arzneispezialität hat einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für die Mehrzahl der Patienten, welche für die Behandlung mit dem beantragten Mittel in Frage kommen, im Vergleich zu therapeutischen Alternativen).

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Hauptverband ging von einer Einstufung nach § 23 Abs 2 Z 5 VO-EKO (die beantragte Arzneispezialität hat einen neuen Wirkstoff einer im EKO angeführten Wirkstoffgruppe mit einheitlich definiertem Wirkprinzip) aus. Nach Ansicht350 des Hauptverbandes waren die Wirtschaftlichkeit und damit die Voraussetzungen für die Aufnahme der Arzneispezialität in den gelben Bereich des EKO nicht gegeben. Das vertriebsberechtigte Unternehmen brachte daraufhin vor, dass der von der Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) erlassene Bescheid ein positives Nutzen-Risikoprofil für Selincro bestätigt habe und dieser auch den Hauptverband binde.

Der Hauptverband wies mit Bescheid den Antrag auf Aufnahme der Arzneispezialität in den gelben Bereich des EKO ab und strich die Arzneispezialität aus dem roten Bereich. In seiner Begründung folgte der Hauptverband der Empfehlung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission.

Dagegen erhob das Unternehmen Beschwerde an das BVwG, das den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufhob und die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Hauptverband zurückverwies. Die Revision wurde für zulässig erklärt. Gegen diesen Beschluss richtete sich die ordentliche Revision des Hauptverbandes. Der VwGH hob den angefochtenen Beschluss wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„21 2. […] Die Entscheidung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme in den Erstattungskodex ist, wie sich insbesondere aus § 351d Abs 1 ASVG (‚im Rahmen des ihm nach diesem Bundesgesetz eingeräumten Ermessens‘) ergibt, eine Ermessensentscheidung des Hauptverbandes. Die rechtmäßige Ausübung dieses Ermessens setzt voraus, dass der Hauptverband die einzelnen gesetzlich festgelegten und durch die VO-EKO konkretisierten Kriterien – insbesondere betreffend den pharmakologischen Innovationsgrad, den medizinisch-therapeutischen Nutzen und die Wirtschaftlichkeit – ordnungsgemäß festgestellt hat (vgl das hg Erkenntnis vom 27.1.2016, Ro 2015/08/0017). […] [Der VwGH hat] nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der im Gesetz festgelegten Kriterien (noch) eine vertretbare Lösung gefunden habe oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden müsse, dh ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt habe (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 17.12.2015, 2013/08/0244, mwN). Bei Ermessensentscheidungen wie der vorliegenden ist die Behörde, wie bereits erwähnt, verpflichtet, in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Überlegungen und Umstände insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und für die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich ist (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 16.12.2015, 2013/10/0236, mwN).

23 Diese auf Art 130 Abs 2 B-VG aF gestützte Überlegung ist angesichts des Art 130 Abs 3 B-VG auf die Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen durch ein Verwaltungsgericht zu übertragen (vgl dazu das hg Erkenntnis vom 1.3.2016, Ra 2015/11/0106).

24 Es war demnach Aufgabe des Verwaltungsgerichtes zu überprüfen, ob sich die Versagung der Aufnahme der beantragten Arzneispezialität in den gelben Bereich des Erstattungskodex durch den Hauptverband als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erwies. Ist dies der Fall, so ist die Beschwerde – ohne dass das Verwaltungsgericht befugt wäre, in eine eigene Ermessenentscheidung einzutreten – abzuweisen.

Erst wenn sich die behördliche Ermessensübung im Ergebnis als nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt erwiesen hätte – was insbesondere auch der Fall wäre, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden –, wäre das Verwaltungsgericht befugt gewesen, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 28 Abs 2 VwGVG) eigenes Ermessen zu üben. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst wäre nach § 28 Abs 4 VwGVG vorzugehen gewesen (vgl dazu erneut das hg Erkenntnis vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, Punkt 2.6.1. der Entscheidungsgründe).

25 3. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses ist derart mangelhaft, dass schon dieser Umstand zu seiner Aufhebung zu führen hat. Sie lässt grundlegende rechtsstaatliche Anforderungen an die Begründung von gerichtlichen Entscheidungen gänzlich vermissen (zu den im Vergleich zur UHK geltenden höheren Begründungsstandards für das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach den §§ 351c ff ASVG und der VO-EKO vgl Grabenwarter/Fister, Das neue Rechtsmittelverfahren in Angelegenheiten des Erstattungskodex, RdM 2014/51, Heft 2, S 60).“

ERLÄUTERUNG

Gem § 351d Abs 1 ASVG hat der Hauptverband schriftlich über einen Antrag auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder grünen Bereich des EKO innerhalb von 90 Tagen (wird auch über den Preis entschieden, innerhalb von 180 Tagen) ab Antragstellung auf Grundlage einer Empfehlung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) im Rahmen des ihm nach dem ASVG eingeräumten Ermessens zu351 entscheiden. In der gegenständlichen Entscheidung nahm der VwGH zur Frage Stellung, ob dem BVwG die Befugnis zusteht, den Ermessensspielraum, der dem Hauptverband zukommt, anstelle dieser erstinstanzlichen Behörde selbst auszunützen und diese Ermessensentscheidung zu korrigieren. Gem Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Nach Art 130 Abs 3 B-VG liegt Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses iSd Gesetzes ausgeübt hat. Der VwGH hält fest, dass es die Aufgabe des Verwaltungsgerichtes war zu überprüfen, ob sich die Versagung der Aufnahme der beantragten Arzneispezialität in den gelben Bereich des EKO als Ermessensübung iSd Gesetzes erwies. Ist dies der Fall, so ist die Beschwerde, ohne dass das Verwaltungsgericht befugt wäre, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, abzuweisen. Eine eigene Ermessensentscheidung des Verwaltungsgerichtes kommt nach Ansicht des VwGH nur dann in Betracht, wenn die Ermessensübung im Ergebnis nicht iSd Gesetzes erfolgt wäre. Das wäre dann der Fall, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst, hat das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs 4 VwGVG den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

Der VwGH hob den angefochtenen Beschluss des BVwG auf, weil eine nachvollziehbare gesetzmäßige Begründung fehlte. Kritisiert wurde, dass zwar eine Untergliederung mittels Überschriften in „Feststellungen“, „Beweiswürdigung“ und „Rechtliche Beurteilung“ erfolgt ist, aber keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen wurden und keine Beweiswürdigung stattfand. Zur „Rechtlichen Beurteilung“ hält der VwGH fest, dass eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Voraussetzungen für die getroffene Entscheidung, und zwar sowohl in Hinblick auf die materiellen Bestimmungen für die Aufnahme in den EKO als auch in Hinblick auf die verfahrensrechtliche Vorgehensweise nach § 28 Abs 4 VwGVG fast gänzlich fehlt.