Däubler/BeplerDas neue Tarifeinheitsrecht – Hintergründe und Anwendungsprobleme

Nomos Verlag, Baden-Baden 2016, 162 Seiten, broschiert, € 34,-

GÜNTHERLÖSCHNIGG

Bis zum Jahr 2010 konnte man im deutschen Arbeitsrecht von einem umfassenden Prinzip der Tarifeinheit ausgehen. Trotz einer Reihe von Durchbre-369chungen war das Urteil des BAG vom 29.3.1957, 1 AZR 208/55, BAGE 4, 37, richtungsweisend, wonach der Grundsatz der Tarifeinheit dahingehend zu verstehen wäre, dass auf die Arbeitsverhältnisse eines Betriebes nur ein Tarifvertrag/KollV – nämlich der speziellere – anzuwenden wäre. Vorbereitet von der Lehre kam es 2010 zu einer Judikaturwende. Dem BAG zufolge (Urteil vom 7.7.2010, 4 AZR 549/08, BAGE 135, 80) wird die unmittelbare Geltung eines Tarifvertrages „nicht dadurch verdrängt, dass für den Betrieb kraft Tarifgebundenheit des Arbeitgebers … mehr als ein Tarifvertrag gilt, für die jeweiligen Arbeitsverhältnisse derselben Art im Falle der Tarifbindung eines oder mehrerer Arbeitnehmer allerdings jeweils nur ein Tarifvertrag – sogenannte Tarifpluralität“. Das Tarifeinheitsgesetz vom 3.7.2015 (BGBl I S. 1130) kehrt wiederum zum Grundsatz der Tarifeinheit zurück und begründet dies im neuen § 4a Abs 1 TVG mit der Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion und Ordnungsfunktion des Tarifvertrages. Wenn „kollidierende Tarifverträge“ vorhanden sind, löst Abs 2 leg cit die Kollision zugunsten des Tarifvertrages jener Gewerkschaft, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrages im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder aufweist.

Dass der neue § 4a TVG eine Fülle von Fragen aufwirft, liegt auf der Hand. Ausgehend von den schon vorhandenen kritischen Stellungnahmen in der Literatur wollen die Autoren „eine erste Wegweisung versuchen“ (S 5). Zweifellos handelt es sich um wesentlich mehr als eine erste Wegweisung. Eingehend behandelt werden vor allem der Begriff der Tarifkollision iSd Gesetzes, die (nicht explizite) Ausnahme von allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, der in diesem Zusammenhang maßgebliche Betriebsbegriff, das Verfahren zur Feststellung der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, die Stellung der Minderheitsgewerkschaft, die Konsequenzen für das Arbeitskampfrecht und verfassungsrechtliche Implikationen.

Für österreichische LeserInnen bieten die Ausführungen von Däubler/Bepler einen höchstinteressanten Einblick in eine (rechtliche) Problematik, die in Österreich auf Grund der Dominanz des Österreichischen Gewerkschaftsbundes bzw mangelnder Gewerkschaftspluralität (noch) wenig diskutiert wird. Eine Ruhe vor dem Sturm.