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Sexuelle Belästigung: Kein Anspruch auf immateriellen Schadenersatz nach § 12 Abs 7 GlBG bei berechtigtem vorzeitigen Austritt

BIANCASCHRITTWIESER

Der eindeutige Wortlaut des § 12 Abs 7 GlBG lässt keine Ausweitung des Anspruchs auf immateriellen Schadenersatz auf Fälle einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den AN zu.

SACHVERHALT

Die AN ist aufgrund einer massiven sexuellen Belästigung berechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten. Der Belästiger wurde zur Zahlung eines immateriellen Schadenersatzes (§ 12 Abs 11 GlBG) in Höhe von € 3.500,- verpflichtet. Zusätzlich kam es zu einer strafgerichtlichen Verurteilung und der Zuerkennung eines Schadenersatzteilbetrags von € 300,- im Strafverfahren.

Die AN erhob zudem eine Klage wegen „diskriminierender Kündigung“ gem § 12 Abs 7 GlBG und begehrte einen immateriellen Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung vom AG.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der immaterielle Schadenersatz wegen einer Diskriminierung bei der Beendigung wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Das Berufungsgericht bejahte zwar das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Beendigung, verneinte aber die Zuerkennung eines immateriellen Schadenersatzes (§ 12 Abs 7 GlBG). Der Anspruch setze nämlich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den AG voraus. Die außerordentliche Revision an den OGH wurde mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2.3 Mit Bezug auf den Anlassfall hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des § 12 Abs 7 GlBG eindeutig sei. Damit spricht das Berufungsgericht die Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation an. […] Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObS 19/11v; 8 ObS 4/14t).

Der eindeutige Wortlaut des § 12 Abs 7 GlBG lässt keine Ausweitung des Anspruchs auf immateriellen Schadenersatz auf Fälle einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer zu. Das Berufungsgericht hat in dieser Hinsicht zutreffend auf das vom Gesetz angeordnete Wahlrecht des Arbeitnehmers und darauf hingewiesen, dass die primär vorgesehene Anfechtungsmöglichkeit des Arbeitnehmers zwingend eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber voraussetzt.

Für einen von der Klägerin geforderten Analogieschluss wäre eine planwidrige Gesetzeslücke erforderlich. […] Ein Analogieschluss zu § 12 Abs 7 GlBG in Bezug auf eine arbeitnehmerseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist nicht gerechtfertigt, weil aufgrund der im Gesetz hergestellten Beziehung zwischen Anfechtung und alternativem Schadenersatz ein Versehen des Gesetzgebers gerade nicht unterstellt werden kann.“

ERLÄUTERUNG

Die Gleichbehandlungs-RL 2006/54/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten bei einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung zugefügte Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen und angemessen ersetzt wird. Diese Vorgaben wurden in Österreich ua mit dem Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Für den Fall, dass ein/e AN bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses diskriminiert wird, sieht das GlBG in §§ 12 Abs 7, 26 Abs 7 ein Wahlrecht vor: AN können eine diskriminierende Kündigung bzw Entlassung oder die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses in der Probezeit entweder gerichtlich anfechten oder aber den Schaden (Vermögensschaden und immateriellen Schaden für die erlittene persönliche Beeinträchtigung) aus der diskriminierenden Beendigung geltend16 machen. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen, die in die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ausgerichtet waren, besteht die Möglichkeit, eine Feststellungsklage einzubringen oder – wie bei der Kündigung/Entlassung – alternativ Schadenersatz zu verlangen. Insb für die Einbringung einer Anfechtung oder Feststellungsklage sind dabei kurze Fristen zu beachten: 14 Tage ab Zugang der Kündigung bzw ab Zeitablauf.

Im hier vorliegenden Fall wurde die AN nicht gekündigt oder entlassen. Sie hat vielmehr das Arbeitsverhältnis vorzeitig berechtigt beendet, weil sie am Arbeitsplatz massiv sexuell belästigt wurde. Eine Weiterbeschäftigung in diesem Unternehmen war ihr nicht mehr zumutbar. Gegenüber dem AG hat sie in der Folge einen immateriellen Schadenersatz wegen einer Diskriminierung bei der Beendigung geltend gemacht. Von den Gerichten wurde ein Anspruch auf immateriellen Schadenersatz bei einem vorzeitigen berechtigten Austritt allerdings abgelehnt. Der OGH folgte der Rechtsansicht des Berufungsgerichts: Demnach sei der Wortlaut des § 12 Abs 7 GlBG eindeutig. Er lasse keine Ausweitung des Anspruchs auf immateriellen Schadenersatz auf Fälle einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den/die AN zu. Auch ein Analogieschluss sei nicht möglich.

Der Ausschluss des immateriellen Schadenersatzes bei einem berechtigten vorzeitigen Austritt aufgrund einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist mE äußerst bedenklich. Damit könnte der AG die Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatzansprüchen dadurch umgehen, dass er die AN in eine Beendigung treibt (S. Mayer, Belästigung eines Lehrlings und Beendigung des Lehrvertrags, ZAS 2011/38). Zudem wird die durch die Auflösung bedingte persönliche Beeinträchtigung nicht ausgeglichen. Dieses Ergebnis entspricht nicht den Vorgaben der Gleichbehandlungsrichtlinien.

Davon unberührt bleibt aber jedenfalls ein Anspruch einer AN gegenüber dem AG auf immateriellen Schadenersatz nach § 12 Abs 11 GlBG, wenn er es schuldhaft unterlässt, angemessene Abhilfe im Falle einer Belästigung zu leisten. Demnach hat eine AN Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens. Es besteht somit Anspruch auf Ersatz eines Vermögenschadens sowie auf Ausgleich der persönlichen Benachteiligung. Der Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung beträgt mindestens € 1.000,-. Hat die Belästigung den vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis zur Folge, dann ist dieser Umstand mE bei der Bemessung der Höhe des immateriellen Schadenersatzes zu berücksichtigen.