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Insolvenz-Entgelt-Sicherung: Irrtümliche Überzahlung des Arbeitgebers ist nicht auf Prozesskosten anzurechnen

MARGITMADER

Teilzahlungen des AG vor Insolvenzeröffnung sind nur innerhalb der jeweiligen IESG-rechtlichen Anspruchskategorien der im IESG-Verfahren geltend gemachten Ansprüche anzurechnen. Eine kategorieübergreifende Anrechnung bzw Umwidmung hat nicht stattzufinden. Zahlt der AG irrtümlich den Bruttobetrag für verglichene Entgeltansprüche an den AN, so ist die Überzahlung nicht auf geltend gemachte Kostenersatzansprüche anzurechnen.

SACHVERHALT

Die Kl war von 29.7. bis 24.12.2013 als Arbeiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristwidrige AG-Kündigung. Die nicht ausbezahlten Ansprüche wie Entgelt, Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung in Höhe von insgesamt € 2.005,09 brutto, wurden mit Klage gerichtlich geltend gemacht. Im Zuge einer Verhandlung wurde zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen, in dem sich der AG zur Zahlung des Klagsbetrags samt Zinsen sowie zum Ersatz von € 1.294,82 an Verfahrenskosten verpflichtete. In der Folge zahlte der AG den Betrag von € 2.005,09 netto an die Kl. Am 25.3.2015 wurde über das Vermögen des AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Kl meldete die Kosten des Vorprozesses als Insolvenzforderung an und beantragte dafür Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die IEF-Service GmbH lehnte die Forderung der Kl im Ausmaß von € 494,- ab. Der gegen den Bescheid erhobenen Klage wurde stattgegeben. Die erstinstanzliche E wurde vom Berufungsgericht bestätigt. Der außerordentlichen Revision der Bekl wurde nicht Folge gegeben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2.1 Die Beklagte bestreitet nicht, dass der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der verglichenen Prozesskosten aus dem Vorprozess gesichert ist. Sie steht allerdings auf dem Standpunkt, dass17 Widmungserklärungen des Arbeitgebers im Bereich des IESG unbeachtlich seien und von Amts wegen zu prüfen sei, ob ein geltend gemachter Anspruch aufrecht bestehe, nicht verjährt oder nicht ausgeschlossen sei. Daraus leitet sie ab, dass die irrtümliche Bruttozahlung der Arbeitgeberin auf den Nettoanspruch umzurechnen, die sich daraus ergebende Überzahlung als Teilzahlung zu werten und die Überzahlung daher auf andere Ansprüche (hier Prozesskosten) amtswegig umzuwidmen sei. Sie stützt sich dabei auf die Entscheidung zu 8 ObS 155/01d.

2.2 In der zitierten Entscheidung wird auf die Rechtsprechung verwiesen (RIS-Justiz RS0076422; 8 ObS 235/01v; 8 ObS 7/14h), wonach – selbst bei abweichenden Widmungsvereinbarungen – Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen seien. Diese Rechtsprechung fand ihre Begründung darin, dass der Zweck des IESG darin bestehe, die Arbeitnehmer vom Verlust ihrer Ansprüche zu bewahren, auf die sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen seien. Im Einklang mit diesem Zweck habe der Gesetzgeber bestimmte Ansprüche oder Teile von Ansprüchen aus der Sicherung durch das IESG ausgenommen. Im Fall solcher Ausnahmen sei es daher – ungeachtet abweichender Widmungen – geboten, Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen, weil es sonst zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung jener Arbeitnehmer käme, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche vom Arbeitgeber hereinbringen konnten, dennoch aber alle restlichen Ansprüche im Rahmen der Sicherungsmöglichkeiten des IESG ersetzt erhielten. Zudem wird in dieser Entscheidung noch festgehalten, dass es für diese Überlegungen keinen Unterschied mache, ob ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis generell oder nur in seinem ein bestimmtes Ausmaß übersteigenden Teil nicht gesichert sei. Sie würden jedenfalls dann zutreffen, wenn alle in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis resultierten.

2.3 Der Beklagten ist zuzugestehen, dass diese Entscheidung nach ihren weiten Formulierungen nicht nur den Fall betrifft, dass mehrere der geltend gemachten Ansprüche nur teilweise gesichert sind (vgl § 1 Abs 4 letzter Satz IESG und dazu 8 ObS 235/01v), sondern darüber hinausgeht und auch Konstellationen erfasst, in denen gesicherte und nicht gesicherte Ansprüche aufeinandertreffen. Allerdings ist auch nach dieser Entscheidung erforderlich, dass es sich bei den zusammentreffenden Ansprüchen um solche aus dem Arbeitsverhältnis handelt.

2.4 Ob die Entscheidung 8 ObS 155/01d mit Rücksicht auf die Zielrichtung der ihr zugrunde liegenden Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit aufrecht erhalten werden kann, ist zweifelhaft. Die Ausgangsentscheidungen beziehen sich nämlich auf solche Fälle, in denen einzelne geltend gemachte Ansprüche nur teilweise gesichert waren und daher eine Anspruchsbegrenzung der Höhe nach bestand. Letztlich lag diesen Entscheidungen somit eine Konstellation im Sinn des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG zugrunde. So wurde in der Entscheidung 8 ObS 235/01v ausgesprochen, dass nach der gesetzlichen Anordnung in § 1 Abs 4 letzter Satz IESG bei Zusammentreffen mehrerer (teilweise) gesicherter Ansprüche, die aber der Höhe nach beschränkt seien, Teilzahlungen zuerst auf die gesicherten Teile der Ansprüche angerechnet werden müssten. Dies gelte für eine Betragsbeschränkung, aber auch für eine sonstige Anspruchsbegrenzung. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Frage der Anrechnung von Teilzahlungen auf Ansprüche, die bloß teilweise durch das IESG gesichert sind, stellt sich im Anlassfall nicht. In der Entscheidung 8 ObS 7/14h wurde ausgeführt, dass durch die Anrechnung von Teilzahlungen eine sachlich nicht begründete Besserstellung jener Arbeitnehmer verhindert werden solle, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche vom Arbeitgeber hereinbringen konnten, dennoch aber die restlichen Teile der Ansprüche im Rahmen der Sicherungsmöglichkeiten des IESG ersetzt erhielten, gegenüber jenen Arbeitnehmern, die mit ihren Ansprüchen zur Gänze auf den Insolvenzfonds angewiesen und höchstens bis zum Grenzbetrag abgesichert seien. Weiters wurde in dieser Entscheidung festgehalten, dass der Anspruch auf Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO der arbeitsrechtlichen Kündigungsentschädigung entspreche. Nach dem für das IESG maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff handle es sich bei einer Kündigungsentschädigung um einen Entgeltanspruch (vgl auch 8 ObS 6/16i und 8 ObS 1/15b). Schließlich wird ausgeführt, dass Entgeltzahlungen für einen datumsmäßig begrenzten Teil eines Entlohnungszeitraums auf den Monatsgrenzbetrag anzurechnen seien, sofern die Ansprüche ohne die Arbeitgeberzahlung der Insolvenzsicherung unterlegen wären.

3. In der Entscheidung 8 ObS 235/01v wurde nun ausdrücklich auch darauf hingewiesen, dass von der Anrechnungsregel des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG die Frage zu unterscheiden sei, auf welche von mehreren unterschiedlichen Ansprüchen auf laufendes Entgelt Zahlungen anzurechnen seien. Aufgrund dieser Ergänzung liegt durchaus der Schluss nahe, dass die Anwendung der Grundsätze der zitierten Entscheidung einerseits auf nur teilweise gesicherte Forderungen und andererseits auf Ansprüche derselben Anspruchskategorie beschränkt bleiben soll, andernfalls die ausdrückliche Bezugnahme auf die Kategorie des laufenden Entgelts entbehrlich gewesen wäre. […]

4. Mit der interessierenden Fragestellung hat sich auch der Europäische Gerichtshof bereits befasst. In der Rechtssache C-125/97, Regeling, sprach der Gerichtshof aus, dass im Fall eines Arbeitneh-18mers, der gegenüber seinem Arbeitgeber Ansprüche für Beschäftigungszeiten hat, die sowohl vor als auch im Sicherungszeitraum liegen, die vom Arbeitgeber während des Sicherungszeitraums geleisteten Arbeitsentgeltzahlungen vorrangig den vorher entstandenen Ansprüchen des Arbeitnehmers zuzurechnen sind.

Teilzahlungen sind demnach zuerst auf die nicht gesicherten älteren Ansprüche anzurechnen.

5. Ausgehend von den dargestellten Überlegungen und den unionsrechtlichen Vorgaben gelangt der Oberste Gerichtshof für den Anlassfall zum Ergebnis, dass Teilzahlungen des Arbeitgebers vor Insolvenzeröffnung jedenfalls nur innerhalb der jeweiligen (IESG-rechtlichen) Anspruchskategorien der im IESG-Verfahren geltend gemachten Ansprüche (nach Maßgabe der übrigen einschlägigen Grundsätze) angerechnet werden können. Eine kategorieübergreifende Anrechnung bzw Umwidmung hat demgegenüber nicht stattzufinden. Zahlt der Arbeitgeber – wie hier – irrtümlich den Bruttobetrag für verglichene Entgeltansprüche an den Arbeitnehmer, so ist die allfällige Überzahlung nicht auf geltend gemachte Kostenersatzansprüche anzurechnen.

6. Der Hinweis der Beklagten, dass gemäß § 3 Abs 1 IESG das Insolvenzentgelt ‚netto‘ gebühre, weshalb ‚eine Hochrechnung des vom Arbeitgeber bezahlten Nettobetrags auf den Bruttobetrag‘ zu erfolgen habe (8 ObS 22/03y), bleibt hier ohne Bedeutung, weil die Klägerin hier ausschließlich Prozesskosten geltend macht. Anders als in der Entscheidung 8 ObS 22/03y hat die Arbeitgeberin hier auch keinen ungewidmeten Betrag an die Klägerin ausgezahlt.

Soweit die Beklagte auch in der Revision eine ungewidmete Zahlung der Arbeitgeberin im Anschluss an den Vergleich behauptet, weicht sie neuerlich vom festgestellten Sachverhalt ab. Ausgehend von den Feststellungen ist es keineswegs so, dass der Auszahlungsbetrag ‚zufällig‘ dem Bruttobetrag der verglichenen arbeitsrechtlichen Ansprüche entsprochen hat.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 1 Abs 3 Z 4 IESG gebührt Insolvenz-Entgelt nicht für jenen Teil des Bruttoentgeltanspruchs, der den Grenzbetrag des § 1 Abs 4 IESG übersteigt. Als Grenzbetrag gilt der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gem § 45 Abs 1 ASVG, der bei Entgeltansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraumes, bei Entgeltansprüchen, die nicht nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalendervierteljahres zu vervielfachen ist, in welchem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre. Der Grenzbetrag ist um die vom AG bzw der Insolvenzmasse auf den Einzelanspruch geleisteten Zahlungen zu vermindern. Daraus ergibt sich, dass nach dem IESG gesicherte Entgeltansprüche nur im Rahmen bestimmter betraglicher Höchstgrenzen gesichert sind.

Im vorliegenden Fall brachte der AG versehentlich den Bruttobetrag anstelle des Nettobetrages an die Kl zur Auszahlung. Es liegt also eine irrtümliche Überzahlung des AG vor. Ungeachtet der erhaltenen Überzahlung meldete die Kl die vollen Kosten des Vorprozesses als Insolvenzforderung an und beantragte Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH.

Die Bekl bestreitet nicht, dass der Anspruch der Kl auf Ersatz der Prozesskosten aus dem Vorprozess gesichert ist. Sie steht allerdings auf dem Standpunkt, dass Widmungserklärungen des AG im Bereich des IESG unbeachtlich seien und daher die irrtümliche Bruttozahlung des AG auf den Nettoanspruch umzurechnen, die sich daraus ergebende Überzahlung als Teilzahlung zu werten und auf andere Ansprüche (hier Prozesskosten) amtswegig umzuwidmen sei.

Die Bekl stützt sich dabei auf die OGH-E vom 5.7.2001, 8 ObS 155/01d. Diese E betraf eine ungewidmete Teilzahlung des AG auf einen Vergleichsbetrag, der auch eine (nicht gesicherte) freiwillige Abgangsentschädigung enthielt. Die zitierte E befasste sich allerdings nicht mit der Frage der Anrechnung von Teilzahlungen auf unterschiedliche Kategorien der gesicherten Ansprüche (wie zB laufendes Entgelt, Schadenersatz, etc).

Nach der bisherigen Rsp des OGH sind Teilzahlungen des AG immer zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des AN anzurechnen. Begründet wird dies mit dem Zweck des IESG, der darin bestehe, die AN vom Verlust jener Ansprüche zu bewahren, auf die sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Demzufolge habe der Gesetzgeber im Gegenzug auch bestimmte Ansprüche oder Teile von Ansprüchen aus der Sicherung durch das IESG ausgenommen. Leistet der AG Teilzahlungen, so sind diese daher – ungeachtet abweichender Widmungen – stets zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche anzurechnen, da es sonst zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung gegenüber jenen AN kommen würde, die mit ihren Ansprüchen zur Gänze auf den Insolvenz- Entgelt-Fonds angewiesen und höchstens bis zum Grenzbetrag abgesichert sind.

In der E vom 29.11.2001, 8 ObS 235/01v, hat der OGH ausgesprochen, dass nach der gesetzlichen Anordnung des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG bei Zusammentreffen mehrerer (teilweise) gesicherter Ansprüche, die aber der Höhe nach beschränkt seien, Teilzahlungen zuerst auf die gesicherten Teile der Ansprüche angerechnet werden müssten. Dasselbe gelte aber auch für Konstellationen, in denen gesicherte und nicht gesicherte Ansprü-19che aufeinandertreffen, solange es sich bei den zusammentreffenden Ansprüchen um solche aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Weiters wurde auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass von der Anrechnungsregel des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG die Frage, auf welche von mehreren unterschiedlichen Ansprüchen auf laufendes Entgelt Zahlungen anzurechnen seien, zu unterscheiden sei.

In der hier vorliegenden E präzisiert der OGH, dass die Anwendung der Grundsätze der oben zitierten E einerseits auf nur teilweise gesicherte Forderungen und andererseits auf Ansprüche derselben Anspruchskategorie beschränkt bleiben soll, da andernfalls die dort vorgenommene ausdrückliche Bezugnahme auf die Kategorie des laufenden Entgelts entbehrlich gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall hat die AN ausschließlich Prozesskosten geltend gemacht. Da es sich dabei nicht um Ansprüche handelt, die bloß teilweise durch das IESG gesichert sind, kann sich die Bekl nicht auf die Judikatur zu Teilzahlungen bei teilweise gesicherten und teilweise nicht gesicherten Ansprüchen berufen.

Ausgehend von den dargestellten Überlegungen und unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH, wonach Teilzahlungen zuerst auf die nicht gesicherten älteren Ansprüche anzurechnen sind, gelangt der OGH für den Anlassfall zum Ergebnis, dass Teilzahlungen des AG vor Insolvenzeröffnung jedenfalls nur auf Ansprüche der gleichen Anspruchskategorie der im IESG-Verfahren geltend gemachten Ansprüche angerechnet werden können. In diesem Sinn war im vorliegenden Fall auch die durch Irrtum des AG erfolgte Überzahlung im Bereich der verglichenen Entgeltansprüche nicht auf geltend gemachten Kostenersatzansprüche anzurechnen.