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Pensionsvorschuss für Personen im aufrechten Dienstverhältnis: Vermutung der Arbeitsunfähigkeit gilt nur bis zum Vorliegen des Gutachtens der PVA

BIRGITSDOUTZ

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs 4 AlVG gilt die darin normierte Annahme, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt, nicht bis zur rechtskräftigen Beendigung des Pensionsverfahrens, sondern nur bis zum Vorliegen eines Gutachtens nach § 23 Abs 3 AlVG. Ergibt sich daraus, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt, ist der Pensionsvorschuss bis zur Entscheidung über den Pensionsantrag weiter zu gewähren; ergibt sich aus dem Gutachten hingegen, dass Arbeitsfähigkeit vorliegt, so ist die Leistung – weil es an der Voraussetzung des § 23 Abs 2 Z 2 AlVG fehlt – einzustellen.

SACHVERHALT

Die Beschwerdeführerin, die bis zum 12.9.2015 in einem aufrechten Dienstverhältnis stand, bezog nach Erschöpfung ihres Krankengeldanspruchs seit 4.7.2015 Arbeitslosengeld als Vorschuss auf die bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) beantragte Berufsunfähigkeitspension. Mit Bescheid vom 7.9.2015 stellte das Arbeitsmarktservice den Vorschuss auf die Berufsunfähigkeitspension per 1.8.2015 ein und begründete die Entscheidung damit, dass das Gutachten, das dem abweisenden Bescheid der PVA vom 31.8.2015 zu Grunde lag, bereits seit 28.7.2015 vorliege, so dass mit der Zuerkennung der Leistung aus der SV nicht zu rechnen und der Pensionsvorschuss mit Bescheid einzustellen sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

In der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei erst durch Zustellung des ablehnenden Bescheides der PVA am 2.9.2015 schriftlich davon in Kenntnis gesetzt worden, dass ihrem Antrag auf Berufsunfähigkeitspension nicht Folge gegeben wurde. Sie beantrage daher die Zuerkennung des Pensionsvorschusses bis zur eigentlichen Kenntnisnahme der Ablehnung (Zugang des Bescheides), somit bis 2.9.2015. Das BVwG wies die Beschwerde unter Hinweis auf § 23 Abs 4 AlVG ab. Dieser Bestimmung zufolge sei bei Personen, die aus einem aufrechten Dienstverhältnis keinen Entgeltanspruch mehr hätten und deren Anspruch auf Krankengeld erschöpft sei, Arbeitslosigkeit anzunehmen und bis zum Vorliegen des entsprechenden Gutachtens gem Abs 3 davon auszugehen ist, dass Arbeitsfähigkeit nicht gegeben sei. Da das ärztliche Gutachten der PVA vom 28.7.2015 belege, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorliege, sei der Leistungsbezug zu Recht ab dem 1.8.2015 eingestellt worden.

Der VwGH wies die außerordentliche Revision als unbegründet ab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Nach § 23 Abs 4 AlVG ist in den dort geregelten Fällen bis zum Vorliegen des entsprechenden Gutachtens gemäß § 23 Abs 3 AlVG davon auszugehen, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt.

Diese Bestimmung ist im Wesentlichen das Ergebnis von zwei Gesetzesänderungen. Zunächst wurden mit dem 2. Stabilitätsgesetz 2012 – 2. StabG 2012, BGBl I Nr 35, strengere Voraussetzungen für den Bezug eines Pensionsvorschusses geschaffen, indem konkretisiert wurde, unter welchen Bedingungen mit der Zuerkennung einer Pensionsleistung gerechnet werden kann. Dafür ist es nach dem mit der genannten Novelle neu geschaffenen § 23 Abs 3 AlVG (der bisherige Abs 3 wurde in geänderter Form zu Abs 4) erforderlich, dass im Fall einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit zu-28sätzlich zur Erfüllung der Wartezeit ein Gutachten zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im Wege der Pensionsversicherungsanstalt erstellt wurde und auf Grund dieses Gutachtens (seit der Novelle BGBl I Nr 106/2015: oder eines späteren gerichtlichen Gutachtens) anzunehmen ist, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt. Für Personen, die aus einem aufrechten Dienstverhältnis keinen Entgeltanspruch mehr haben und deren Anspruch auf Krankengeld erschöpft ist (sodass sie bei der Beantragung des Pensionsvorschusses nach § 23 Abs 1 Z 1 AlVG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung als arbeitslos gelten), war die Voraussetzung des Abs 3 gemäß § 23 Abs 4 in der Fassung des 2. StabG 2012 auch dann erfüllt, wenn ‚zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung noch kein entsprechendes Gutachten vorliegt, aber die betroffene Person sich so rasch wie möglich der Begutachtung unterzieht und das Gutachten ergibt, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt‘; (nur) in diesem Fall hatte die vorschussweise Gewährung gemäß § 23 Abs 4 letzter Halbsatz AlVG rückwirkend ab der Geltendmachung zu erfolgen. Diese Bestimmungen traten mit 1. Jänner 2013 in Kraft. § 23 Abs 4 AlVG wurde aber mit dem 2. Sozialversicherungs- Änderungsgesetz 2013 – 2. SVÄG 2013, BGBl I Nr 139, rückwirkend mit 1. Jänner 2013 nochmals geändert und erhielt die oben unter Punkt 1. wiedergegebene Fassung. Demnach ist unter der Voraussetzung, dass sich die betroffene Person so rasch wie möglich der Begutachtung unterzieht, von Anfang an – allerdings nur bis zum Vorliegen des entsprechenden Gutachtens – vom Nichtvorliegen der Arbeitsfähigkeit auszugehen (und somit der Pensionsvorschuss sogleich und nicht erst rückwirkend bei Vorliegen eines entsprechenden Gutachtens auszuzahlen). Dies wurde in der Begründung des Initiativantrages 2362/A 24. GP dahingehend erläutert, dass die betroffenen Versicherten nach der durch das 2. StabG 2012 geschaffenen Rechtslage bis zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch das Gutachten kein Einkommen erhielten und in der Regel auch keinen Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung hätten; auf Grund der Neuregelung der Voraussetzungen für den Pensionsvorschuss gebe es also Fälle, in denen keine soziale Absicherung gegeben sei. Zur Lösung der sozialen Problematik solle die nunmehr vorgeschlagene Änderung rückwirkend in Kraft treten.

Der Revisionswerberin ist also darin zuzustimmen, dass die Regelung mit dem Ziel geschaffen wurde, soziale Härten – namentlich Einkommenslücken – möglichst zu vermeiden. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs 4 AlVG gilt die darin normierte Annahme, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt, aber nicht bis zur rechtskräftigen Beendigung des Pensionsverfahrens, sondern nur bis zum Vorliegen eines Gutachtens nach § 23 Abs 3 AlVG. Sobald dieses Gutachten vorliegt, richtet sich die Beurteilung, ob Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt (und damit die Voraussetzung des § 23 Abs 2 Z 2 AlVG erfüllt ist), nach dem Gutachten: Ergibt sich daraus, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt, ist der Pensionsvorschuss bis zur Entscheidung über den Pensionsantrag weiter zu gewähren; ergibt sich aus dem Gutachten hingegen, dass Arbeitsfähigkeit vorliegt, so ist die Leistung – weil es an der Voraussetzung des § 23 Abs 2 Z 2 AlVG fehlt – einzustellen (es sei denn, es lägen sämtliche Voraussetzungen für die reguläre Gewährung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe vor, was aber bei noch aufrechtem Beschäftigungsverhältnis – wie im Fall der Revisionswerberin – schon mangels Arbeitslosigkeit zu verneinen ist).

Das Gutachten liegt vor, sobald es erstellt wurde […]. Einer Zustellung an die Leistungsbezieherin bedarf es für den Eintritt dieser Voraussetzung entgegen dem Revisionsvorbringen nicht. Allerdings bleibt es ihr unbenommen, sich nach der Befundaufnahme über das Ergebnis des Gutachtens zu erkundigen, um im Hinblick auf den Entfall des Anspruchs auf Pensionsvorschuss rechtzeitig entsprechende Dispositionen treffen zu können.“

ERLÄUTERUNG

§ 23 Abs 4 AlVG ermöglicht es Personen, die noch in einem aufrechten Dienstverhältnis stehen und sowohl den Entgeltanspruch als auch den Krankengeldanspruch ausgeschöpft haben, bis zum Vorliegen des PVA-Gutachtens über die Arbeitsfähigkeit Pensionsvorschuss zu beziehen. Der VwGH weist darauf hin, dass die Vermutung der Arbeitsunfähigkeit gem § 23 Abs 4 AlVG nur bis zum Vorliegen, also bis zur Erstellung des Gutachtens, gilt, der Zeitpunkt der Zustellung an die Leistungsbezieherin ist nicht relevant. Aufgrund dieser Klarstellung ist den Beziehern von Pensionsvorschuss mit einem aufrechten Dienstverhältnis zu raten, sich nach einer Befundaufnahme täglich bei der PVA nach dem Vorliegen des Gutachtens zu erkundigen, damit keine Einkommenslücken entstehen.

Ein Lückenschluss (zumindest für ein anschließendes sozialgerichtliches Verfahren) durch das am 1.1.2016 eingeführte Sonderkrankengeld war in diesem Fall noch nicht möglich. Das Sonderkrankengeld wurde für die Zeit des laufenden Pensionsverfahrens eingeführt, damit es nach Vorliegen eines ablehnenden Pensionsbescheides und bei weiterhin andauernder Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit für Personen in einem aufrechten Dienstverhältnis bis zur rechtskräftigen Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens zu keinen Versorgungslücken mehr kommt. Gem § 139 Abs 2a ASVG ist Voraus-29setzung für das Sonderkrankengeld, dass die Person einen ablehnenden Bescheid der PVA erhalten hat. Ein Antrag auf das Sonderkrankengeld bei der Gebietskrankenkasse ist daher erst nach Erhalt des ablehnenden Bescheides möglich, so dass es zwischen dem Vorliegen des Gutachtens und dem Erhalt des ablehnenden Pensionsbescheides weiterhin zu einer Versorgungslücke kommen kann.