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Berechnung der Versehrtenrente im Falle eines Arbeitsunfalls bei Versicherten in Berufsausbildung

FRANJOMARKOVIC

Die besondere Bemessungsgrundlage des § 180 ASVG kommt auch dann zur Anwendung, wenn sich die versicherte Person parallel zu einer Berufs- oder Schulausbildung in einer Erwerbstätigkeit befindet und sich der Arbeitsunfall während der beruflichen Tätigkeit ereignet. Ein zeitlicher Zusammenhang mit der Ausbildung ist für die Anwendbarkeit ausreichend.

SACHVERHALT

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Skihandelsschule am 1.7.2012 entschied sich der am 5.8.1992 geborene Kl, am Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) einen Kurs für die Berufsreifeprüfung mit einer vorgesehenen Dauer von einem Jahr zu absolvieren. Auf Grund eines Sprachaufenthaltes im Ausland absolvierte er die letzte Prüfung am 28.6.2014.

Von 1.1.2012 bis 4.10.2013 war der Kl bei der A GmbH beschäftigt. Er interessierte sich für eine Tätigkeit im Controlling des Unternehmens, wofür aber ein Studium notwendig war. Eine Überlegung war, bei der A GmbH zu arbeiten und währenddessen ein Fernstudium zu betreiben. Die A GmbH unterliegt dem KollV der holzverarbeitenden Industrie (Angestellte). In die Verwendungsgruppe III fallen beispielsweise Tätigkeiten im Controlling.

Von 12.7. bis 13.9.2013 war der Kl darüber hinaus geringfügig in einem Sägewerk beschäftigt, wo sich am 26.7.2013 ein Unfall ereignete, in dessen Folge der Kl verletzt wurde. Der Kl machte daraufhin einen Anspruch auf Versehrtenrente klagsweise geltend.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 1.4.2014 anerkannte die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) den Unfall vom 26.7.2013 als Arbeitsunfall und stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 35 vH fest. Als Bemessungsgrundlage stellte die Bekl gem § 179 Abs 1 ASVG einen Betrag von € 10.125,80 fest.

Mit seiner Klage begehrte der Kl die Zuerkennung einer Versehrtenrente in Höhe von zumindest 40 vH der Vollrente. Darüber hinaus sei eine falsche Bemessungsgrundlage herangezogen worden. Der Kl habe sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls noch in einer Schulausbildung bzw Ausbildung befunden, so dass nicht § 179 ASVG, sondern § 180 ASVG zur Anwendung gelange.

Die Bekl wandte ein, dass der Kl zum Unfallzeitpunkt erwerbstätig gewesen sei. Der Umstand, dass er nebenbei noch die Berufsreifeprüfung am WIFI absolviert habe, habe für die Bemessungsgrundlage keine Auswirkung, weil er den Unfall nicht als Schüler, sondern infolge seiner beruflichen Tätigkeit im Sägewerk erlitten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und erkannte dem Kl eine Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente zu, wobei zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den gesamten Zeitraum § 180 ASVG sowie der KollV der holzverarbeitenden Industrie, Verwendungsgruppe III zur Anwendung kamen.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach auf den Kl die Bemessungsgrundlage gem § 180 ASVG sowie der KollV der holzverarbeitenden Industrie, Verwendungsgruppe III anzuwenden seien, allerdings erst ab dem 1.7.2014, da der Kl seine Berufsreifeprüfung am 28.6.2014 absolviert habe. Bis zu diesem Zeitpunkt richte sich die Bemessungsgrundlage nach § 179 ASVG.

Strittig war im Revisionsverfahren die Frage, ob die Bemessungsgrundlage nach Beendigung der34 Schulausbildung (ab 1.7.2014) gem § 179 ASVG oder gem § 180 ASVG zu ermitteln ist.

Der OGH gab der ordentlichen Revision der Bekl Folge und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung an das Erstgericht zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„4.1 Erste Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 180 Abs 1 ASVG ist, dass sich der Versicherte zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung befand.

4.2.1 Der Begriff der Berufsausbildung setzt voraus, dass eine Ausbildung im Hinblick auf den zukünftigen Beruf vorgenommen wird (10 ObS 420/97f, SSV-NF 12/56 mwH; Müller in SV-Komm § 180 Rz 5). Zur Beurteilung des Vorliegens einer Berufsausbildung kann auf die ständige Rechtsprechung zu § 252 Abs 2 Z 1 ASVG (Verlängerung der Kindeseigenschaft, wenn und solange sich das Kind in einer Berufsausbildung befindet) zurückgegriffen werden (ebenso Albert, Bemessungsgrundlagen in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem ASVG [1999] 44).

4.2.3 […] so ergibt sich, dass die Teilnahme an einem Vorbereitungslehrgang für die Berufsreifeprüfung am WIFI keine Berufsausbildung iSd § 180 Abs 1 ASVG ist. Daran ändert der Umstand, dass berufliches Ziel des Klägers eine Tätigkeit im Controlling bei der A GmbH war, nichts: Denn einerseits hätte dafür der Vorbereitungslehrgang für die Berufsreifeprüfung am WIFI keinesfalls genügt, weil ein weiteres Studium Voraussetzung war. Andererseits vermittelte der Vorbereitungslehrgang dem Kläger keine berufsspezifischen Kenntnisse, sondern Kenntnisse, die ganz allgemein auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind. […]

4.3.1 Auch zum Begriff der Schulausbildung kann auf die Rechtsprechung zu § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zurückgegriffen werden (Albert, Bemessungsgrundlagen 44 f). In der Entscheidung 10 ObS 137/97p, SSV-NF 11/92, führte der Oberste Gerichtshof aus, dass der Begriff der Schulausbildung im Gesetz nicht definiert ist. Die Rechtsprechung geht bei der Auslegung dieses Begriffs vom allgemeinen Sprachgebrauch aus. Als Schulausbildung ist danach der Besuch allgemeinbildender und weiterführender Schulen zu verstehen. Weiters wird verlangt, dass die Ausbildung in öffentlichen oder privaten Schulen erfolgt und der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen erteilt wird; auch Abendschulen und Maturaschulen, die dazu dienen, auf die Ablegung der Matura vorzubereiten, vermitteln in diesem Sinne Schulausbildung (RIS-Justiz RS0108319). […]

4.3.2 Ausgehend davon liegt im vorliegenden Fall eine Schulausbildung iSd § 180 Abs 1 ASVG vor. […]

5. […] Der Umstand, dass er den Arbeitsunfall nicht im Rahmen seiner Schulausbildung, sondern bei seiner Tätigkeit als geringfügig Beschäftigter in einem Sägewerk erlitt, ändert nichts an der Anwendbarkeit des § 180 Abs 1 ASVG. § 180 Abs 1 ASVG stellt nur darauf ab, dass sich der Versicherte zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand. Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherungsfall bei einer versicherten Schul- oder Berufsausbildung eingetreten ist (Müller in SV-Komm § 180 Rz 11 mH auf das Kumulationsprinzip des § 178 ASVG). Es genügt vielmehr ein zeitlicher Zusammenhang des Versicherungsfalls mit der Ausbildung. Maßgeblich ist, dass der Arbeitsunfall während der Dauer der Schul- oder Berufsausbildung erfolgte (10 ObS 186/04g, SSV-NF 19/14). […]

6.1 […] Zu Recht weist die Revisionswerberin allerdings zur Berechnung der Höhe der Bemessungsgrundlage darauf hin, dass nicht der Kollektivvertrag herangezogen werden kann, der dem Berufswunsch des Versicherten entspricht. […]

6.3 In beiden Fällen des § 180 ASVG wird zum hier maßgeblichen Zeitpunkt ab 1.7.2014 (Beendigung der Schulausbildung) die Bemessungsgrundlage jeweils nach der Beitragsgrundlage errechnet, die für Personen gleicher Ausbildung durch Kollektivvertrag festgesetzt ist oder sonst von ihnen in der Regel erreicht wird. […] Fehlt es an Kollektivvertragslöhnen oder -gehältern für vergleichbare Tätigkeiten, ist der regelmäßig erreichbare Effektivverdienst heranzuziehen (10 ObS 357/02a, SSV-NF 18/16; 10 ObS 82/98a, SSV-NF 12/59; Tomandl in SV-System 2.3.3.2.1.C). […]

6.5 Erst wenn die Anwendung eines Kollektivvertrags nicht möglich ist, wird auf das Einkommen Bedacht genommen, das von Personen gleicher Ausbildung ‚sonst in der Regel erreicht wird‘ (RIS-Justiz RS0110073 [T1]). […] Es ist daher auf jenes Einkommen abzustellen, das von allen Personen des entsprechenden Versichertenkreises unter denselben Voraussetzungen jeweils erzielt werden kann. […]

6.6 […] Für die Berücksichtigung von bestimmten Berufszielen und dem mit diesen verbundenen angestrebten Verdienst eines Versicherten besteht bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage nach § 180 ASVG keine Grundlage (10 ObS 186/04g, SSV-NF 19/14). Im konkreten Fall fehlt es daher an einer gesetzlichen Grundlage für die Heranziehung des von den Vorinstanzen herangezogenen Kollektivvertrags und der darin enthaltenen Verwendungsgruppe III, weil nach dieser die vom Kläger als Berufsziel angestrebte Stelle als Angestellter im Controlling entlohnt wird. Dass der Kläger nach Absolvierung der Berufsreifeprüfung nicht zur Ausübung dieser Tätigkeit in der Lage ist, ergibt sich aus der Feststellung, dass dafür ein weiteres Studium (zumindest ein Bachelor im Bereich Betriebswirtschaftslehre oder Finanzrechnung und Steuerwesen) erforderlich wäre.

7.1 […] Im fortzusetzenden Verfahren wird nach den dargestellten Grundsätzen die Berechnung der Bemessungsgrundlage unter Anwendung des § 180 ASVG ab dem 1.7.2014 neu zu erfolgen ha-35ben. Maßgeblich dafür ist, welche Beitragsgrundlagen (welcher Verdienst) regelmäßig durch Versicherte mit der Schulausbildung des Klägers nach Absolvierung der Berufsreifeprüfung durch Kollektivvertrag festgesetzt oder sonst in der Regel (von allen Personen des dem Kläger entsprechenden Versichertenkreises unter denselben Voraussetzungen) erreichbar sind. […]“

ERLÄUTERUNG

Die Höhe der Versehrtenrente in der gesetzlichen UV bemisst sich einerseits nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und andererseits nach der Höhe der Bemessungsgrundlage. Die Summe der allgemeinen Beitragsgrundlagen im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zuzüglich der beitragspflichtigen Sonderzahlungen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall bildet die allgemeine Bemessungsgrundlage (§ 179 ASVG). Um jüngeren Opfern von Arbeitsunfällen, die sich in einer Ausbildung befinden und regelmäßig eine niedrige Beitragsgrundlage haben, eine einigermaßen akzeptable Rentenhöhe zu gewähren, hat der Gesetzgeber in § 180 ASVG eine besondere Bemessungsgrundlage für Personen unter 30 Jahren geschaffen.

§ 180 ASVG kommt zur Anwendung, wenn sich die versicherte Person zum Unfallzeitpunkt in einer Berufs- oder Schulausbildung befindet. Zur Begriffsbestimmung bedient sich der OGH bereits bestehender Judikatur zu § 252 ASVG und kommt zum Schluss, dass es sich bei der Absolvierung eines Vorbereitungslehrgangs für die Berufsreifeprüfung nicht um den Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen handelt, die für die Ausübung eines (bestimmten) Berufes dienen, weshalb im konkreten Fall von einer Schulausbildung iSd § 180 ASVG gesprochen werden muss.

Da sich der Arbeitsunfall bei der Erwerbstätigkeit und nicht im Rahmen der Schulausbildung ereignete, war zunächst zu klären, ob die allgemeine oder die besondere – die für den Versicherten weitaus günstigere – Bemessungsgrundlage anzuwenden ist. Diesbezüglich weist der OGH ausdrücklich darauf hin, dass der Unfall nicht notwendigerweise bei der Ausbildung passieren muss. Für die Anwendbarkeit des § 180 ASVG reicht es aus, dass der Arbeitsunfall im zeitlichen Konnex mit der Ausbildung passiert.

Als besondere Bemessungsgrundlage wird jene Beitragsgrundlage herangezogen, die für Personen gleicher Ausbildung durch Kollektivverträge festgesetzt ist oder sonst von ihnen in der Regel erreicht wird. Im konkreten Fall haben die Vorinstanzen für die Berechnung der Bemessungsgrundlage jene Verwendungsgruppe herangezogen, in die die Tätigkeit des Controllings fällt, obwohl der Kl die erforderliche Ausbildung dazu noch gar nicht absolviert hatte. Der OGH stellt jedoch klar, dass § 180 ASVG für die Berücksichtigung eines bestimmten Berufswunsches bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage keine Rechtsgrundlage bildet. Eine Berechnung auf Grundlage jener Verwendungsgruppe, in die die Tätigkeit des Controllings fällt, kommt daher nicht in Betracht. Die Ermittlung der besonderen Bemessungsgrundlage richtet sich alleine nach der Ausbildung, die die versicherte Person zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls hat.