34Anspruch auf Hilfsmittel in der Unfallversicherung
Anspruch auf Hilfsmittel in der Unfallversicherung
Der Versehrte hat einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung gem § 202 Abs 1 ASVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel.
Der Kl erlitt am 11.10.2010 als Hilfsarbeiter im Sägewerk einen Arbeitsunfall als er mit der linken Hand in das Sägeblatt einer Kappsäge geriet. Infolge dieses Unfalls musste ihm die linke Hand im Bereich des Mittelhandknochens amputiert werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 55 vH.
Der Kl beantragte die Zuerkennung einer Integritätsabgeltung und die Übernahme der Kosten für eine Versorgung mit einer Silikonteilhandprothese gem § 202 ASVG im Ausmaß von € 14.561,98. Das Klagebegehren betreffend die Integritätsabgeltung wurde vom Erstgericht abgewiesen, das ebenfalls abweisende Berufungsurteil erwuchs in Rechtskraft. Der Antrag betreffend die Kostenübernahme für die genannte Prothese wurde von der Bekl mit der Begründung abgelehnt, dass dem Kl bereits ein orthopädisch gefertigter Schutzhandschuh zur Verfügung gestellt worden sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, es sei zwar keine wesentliche funktionelle Verbesserung zu erwarten, die Silikonteilhandprothese verbessere aber das optische Erscheinungsbild nach der schweren Verletzung wesentlich, wodurch eine Verbesserung der psychischen Gesamtsituation gegeben sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. Der Hilfsmittelbegriff des § 202 ASVG sei weiter als jener der KV, weshalb nicht auf die Judi-36katur zu § 154 ASVG zurückgegriffen werden könne. Der OGH hält die Revision der Bekl für berechtigt und verweist die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
„1.4 In der Unfallversicherung geht der Gesetzgeber von einem weiteren Inhalt des Begriffs ‚Hilfsmittel‘ aus als in der Krankenversicherung (10 ObS 2363/96i, SSV-NF 10/120; Schneider in
3.2 Da die Versorgung mit Hilfsmitteln iSd § 202 Abs 1 ASVG wie ausgeführt Teil der Unfallheilbehandlung ist, ist ein Hilfsmittel daher nur dann erforderlich im Sinn dieser Bestimmung, wenn es geeignet ist (§ 189 Abs 1 ASVG), den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck (hier: die Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls, § 202 Abs 1 Satz 1 zweiter Fall ASVG) zu erreichen. Dabei bildet – was die Beklagte in ihrer Revision selbst zugesteht – in der Unfallversicherung die höchstmögliche Versorgungsqualität den Maßstab, insbesondere auch bei individuell anzupassenden Hilfsmitteln. […]
4.1 Allerdings muss, worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist, ein Hilfsmittel gemäß § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein. […]
4.3 Hilfsmittel iSd § 202 Abs 1 ASVG müssen daher nicht nur erforderlich und geeignet sein, die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit des Versehrten wiederherzustellen, sondern sie müssen auch in einer den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepassten Weise der Wiederherstellung seiner Gemeinschaftsfähigkeit dienen. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher nicht nur dem Umstand Bedeutung zugemessen, dass die vom Kläger begehrte Silikonteilhandprothese diesem einen – wenn auch – abgeschwächten Zangengriff zwischen Daumen- und Mittelfingerprothesenteil der linken Hand ermöglicht (Funktionalität der Versorgung), sondern auch berücksichtigt, dass die Prothese das optische Erscheinungsbild und damit die psychische Gesamtsituation des Klägers ganz wesentlich verbessert. Denn dieser Umstand ermöglicht dem Kläger nicht nur eine bessere Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, sondern – insofern nicht strittig – auch in den sozialen Alltag.
4.4 Nach den Feststellungen ist im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft, dass die vom Kläger begehrte Silikonteilhandprothese die Folgen des Arbeitsunfalls für ihn iSd § 202 Abs 1 Satz 1 zweiter Fall ASVG erleichtern kann. […] Die Beklagte zieht auch nicht mehr in Zweifel, dass der von ihr dem Kläger angebotene orthopädische Schutzhandschuh allein eine vergleichbare Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls nicht mit sich bringen kann.
5.2 Dieses Hilfsmittel muss jedoch seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst sein, sodass insofern keine ‚Überversorgung‘ stattfinden darf. Ein Hilfsmittel muss daher einerseits objektiv medizinisch erforderlich und geeignet sein, die vom Gesetzgeber in § 202 Abs 1 ASVG angestrebten Zwecke zu erfüllen. Andererseits ist die Erforderlichkeit und Eignung auch subjektiv unter Berücksichtigung der individuellen persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Versicherten im jeweiligen konkreten Fall zu beurteilen.
6.1 In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des § 193 ASVG zu beachten, die die Durchführung der Unfallheilbehandlung regelt. Danach liegt es im freien Ermessen des Unfallversicherungsträgers, die Unfallheilbehandlung unmittelbar durch dazu bestimmte Einrichtungen oder Ärzte zu gewähren oder einen Krankenversicherungsträger mit ihrer Durchführung gegen Kostenersatz zu betrauen; die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers kann nicht durch Klage beim Arbeits- und Sozialgericht angefochten werden (10 ObS 252/94; RIS-Justiz RS0084261).
6.2 Daher hat der Versehrte zwar auch in dem der Unfallheilbehandlung zugehörigen Bereich des § 202 Abs 1 ASVG einen Anspruch auf Versorgung durch Sachleistung. Diese erfolgt allerdings primär in der vom Unfallversicherungsträger gewählten Form. […] Der Versehrte hat daher einen Grundanspruch auf die erforderliche (geeignete) Versorgung gemäß § 202 Abs 1 ASVG, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. […] Die Entscheidung, welches Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, trifft vielmehr der Unfallversicherungsträger im Rahmen des ihm gemäß § 193 ASVG eingeräumten freien Ermessens. […] Wünscht der Versehrte eine nicht erforderliche, höhere Kosten bedingende Ausführung, die in seinen persönlichen oder beruflichen Verhältnissen keine Begründung findet, so hat er die Mehrkosten zu tragen (Bergauer in SV-Komm, § 202 ASVG Rz 8 aE).
7.1 Damit erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. […] Die Beklagte hat […] in ausreichender Weise geltend gemacht, dass die begehrte Silikonteilhandprothese eine ‚Überversorgung‘ des Klägers darstelle und insbesondere seinen beruflichen und persönlichen Verhältnissen nicht angepasst sei. Es fehlen jedoch Feststellungen, aus denen sich beurteilen lässt, ob dieses Hilfsmittel (Körperersatzstück) den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers iSd § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG angepasst ist.
In der vorliegenden E trifft der OGH einige Klarstellungen zu materiellrechtlichen und verfahrens-37rechtlichen Fragen. Nicht mehr strittig im Revisionsverfahren war, dass es sich bei der begehrten Silikonhandprothese um ein Hilfsmittel handelt. Während im Bereich der KV das Hilfsmittel (wie die Krankenbehandlung insgesamt) lediglich ausreichend und zweckmäßig sein muss, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten, geht der Begriff des Hilfsmittels in der UV weiter oder wie das Berufungsgericht ausführt, ist die Versorgung höherwertiger. Gem § 189 ASVG hat die Unfallheilbehandlung mit allen geeigneten Mitteln zu erfolgen. Ziel ist nicht nur die Wiedereingliederung ins Berufsleben, sondern auch die mögliche Besserung des unfallbedingten Gesundheitszustandes.
Teil der Unfallheilbehandlung gem § 172 Abs 2 ASVG sind auch medizinische, berufliche und soziale Maßnahmen der Rehabilitation. Der OGH stellt fest, dass es sich um Pflichtleistungen mit individuellem Rechtsanspruch handelt. Die Gewährung von Hilfsmitteln gehört zur medizinischen Rehabilitation in der UV. Die Bekl gesteht in der Revision selbst zu, dass in der UV die höchstmögliche Versorgungsqualität den Maßstab bildet. Ein Hilfsmittel muss (zusätzlich) auch den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein. Es geht somit nicht nur um die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, sondern darüber hinaus auch um die Ermöglichung, ein aktives Leben zu führen.
Allerdings wird vom OGH im nächsten Prüfungsschritt festgestellt, dass auch die Vollziehung der Sozialversicherungsträger und damit das Leistungsrecht der UV schon aus verfassungsrechtlichen Gründen den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu entsprechen habe. Der OGH interpretiert § 202 Abs 1 letzter Satz ASVG („Alle diese Hilfsmittel müssen den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein
“) vor diesem Hintergrund dahingehend, dass keine „Überversorgung“ stattfinden darf. Es ist somit die objektive Erforderlichkeit und die subjektive Erforderlichkeit und Eignung im Einzelfall zu beurteilen.
Weiters ist laut OGH in diesem Zusammenhang § 193 ASVG zu beachten: Der Unfallversicherungsträger kann die Leistung selbst erbringen oder dem Krankenversicherungsträger übertragen. Diese Entscheidung steht im Ermessen des Unfallversicherungsträgers und kann nicht mit Klage beim Sozialgericht bekämpft werden. Daraus schließt der OGH, dass der Versehrte einen Grundanspruch habe, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Die Entscheidung, welches Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist, trifft laut OGH der Unfallversicherungsträger in freiem Ermessen. Diese Interpretation, die aus einer Verfahrensvorschrift (Erbringung der Leistung direkt durch den Unfallversicherungsträger oder Übertragung an den Krankenversicherungsträger) auch die Auswahl des (geeigneten) Hilfsmittels zu einer Ermessensentscheidung macht, überrascht einigermaßen. Der weiter oben in der Entscheidung festgestellte Pflichtleistungscharakter mit individuellem Rechtsanspruch des Versehrten wird somit doch wesentlich eingeschränkt.
Klargestellt wird weiters, dass den Kl die Beweislast für das Vorliegen des rechtserzeugenden Sachverhalts trifft, somit, ob die begehrte Silikonhandprothese seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst ist. Die Bekl dagegen trifft die objektive Beweislast dafür, dass ein von ihr konkret angebotenes Hilfsmittel (hier die Schmuckhandprothese) erforderlich und geeignet iSd § 202 Abs 1 ASVG ist. Sollte sich herausstellen, dass die Silikonhandprothese nicht geeignet als Hilfsmittel ist, sind Feststellungen zu treffen, aus denen sich ergibt, ob die nun angebotene Schmuckhandprothese medizinisch erforderlich und geeignet ist, die Folgen des Arbeitsunfalls zu erleichtern und die Versorgung den persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst ist.