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Außerbetriebliche Nachschulung eines Maurers zum Fachmarktberater

ALEXANDERDE BRITO

Unabhängig von der Qualifikation als Nachschulungs- oder Umschulungsmaßnahme müssen im Hinblick darauf, dass die Maßnahme nicht betriebsintern angeboten wird, sondern vom Pensionsversicherungsträger zu gewähren ist, die von § 253e ASVG für den Anspruch auf berufliche Rehabilitation aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sein. Sind angebotene, von der persönlichen Situation des Betroffenen abstrahierte Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation aber möglich, zweckmäßig und zumutbar, hindert deren Verweigerung das Entstehen des Anspruchs auf Invaliditätspension.

SACHVERHALT

Der am 18.6.1963 geborene Kl hat in Bosnien den Beruf des Maurers mit Abschlussprüfung erlernt. Zu dieser Zeit stand die Vermittlung von EDV-Kenntnissen weder in Bosnien noch in Österreich auf dem Lehrplan. Die erworbene Ausbildung wurde im Jahr 2013 mit der österreichischen Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf „Maurer“ gleichgesetzt.

In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag war der Kl überwiegend als Maurer beschäftigt. Mit der ihm verbliebenen medizinischen Leistungsfähigkeit kann er den Beruf eines Maurers nicht mehr ausüben. Rein aufgrund des medizinischen Kalküls wäre ihm noch die (berufsschutzerhaltende) Verweisungstätigkeit als Fachmarktberater im Baustoffspezialhandel möglich. In diesem Beruf gibt es in Österreich jedenfalls mehr als 100 Arbeitsstellen. Für die Ausübung des Berufs eines Fachmarktberaters im Baustoffspezialhandel bedürfen Maurer üblicherweise nur einer Einweisung in der Dauer von durchschnittlich drei Monaten in das Bestellwesen, die innere Organisation und EDV. Dies setzt allerdings zumindest Grundkenntnisse in der Bedienung eines Computers voraus.

Als Grundvoraussetzung für die Tätigkeit eines Fachmarktberaters im Baustoffspezialhandel fordern AG User-Kenntnisse am Computer. Einschulung in diesem Bereich wird von den AG nur in die spezielle betriebliche Software durchgeführt. Um sich die nötigen Grundkenntnisse in der Bedienung eines Computers (vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses und der Einschulung durch den AG) anzueignen, müsste der Kl einen dreimonatigen Kurs (zB an der Volkshochschule) besuchen.

Die von der bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens angebotene und für den Kl kostenlose berufliche Rehabilitationsmaßnahme in Form eines Kurses zum Erwerb von EDV-Grundkenntnissen im Ausmaß von einer Woche und einem Tag beim Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) sowie 113 Unterrichtseinheiten beim Berufsförderungsinstitut (BFI) zum Erwerb des ECDL-Standard (= Europäischer Computerführerschein) inklusive Übung ist grundsätzlich ausreichend, um die am Arbeitsmarkt geforderten Kenntnisse bzw den fachgerechten Umgang mit dem PC als User (Anwender) zu gewährleisten. In der Zusammenschau mit den mangelnden Deutschkenntnissen des Kl und den fachlichen Defiziten im arbeitstechnischen und fachtheoretischen Bereich ist eine Vermittlungschance (bzw Wiedereingliederung) des Kl auf den Beruf des Fachmarktberaters im Baustoffspezialhandel auf Dauer alleine durch eine positive Absolvierung des ECDL-Computerführerscheins in absehbarer Zeit als nicht realistisch zu beurteilen. Im Wettbewerb mit fachgelernten österreichischen Maurern mit umfassender Berufserfahrung wird der Kl am Bewerbermarkt nicht konkurrieren39 können. Es ist nicht realistisch, dass der Kl eine entsprechende Beschäftigung findet.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid lehnte die PVA den Antrag des Kl auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl, dem Kl ab Stichtag unbefristet die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Der angebotene Kurs sei als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zu qualifizieren. Eine solche müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer geeignet sein, Invalidität zu beseitigen (oder zu vermeiden) und eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sicherzustellen. Dies sei nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Es handle sich bei der angebotenen externen Ausbildungsmöglichkeit um eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation, weshalb das Vorliegen der Voraussetzungen des § 253e ASVG zu prüfen sei. Nach (dem hier noch anzuwendenden) § 253e Abs 2 ASVG seien Maßnahmen nach § 253e Abs 1 ASVG nur solche, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität iSd § 255 ASVG beseitigt oder vermieden werden könne und die geeignet seien, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. Mangelnde Deutschkenntnisse und Defizite im fachtechnischen Bereich seien aber weder bei der Dauer einer erforderlichen Nachschulung noch bei der Frage der zu erwartenden Einsatzfähigkeit am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen; diese seien in den persönlichen Bereich des Kl einzuordnen. Die Revision sei zulässig, weil der OGH noch nicht darüber entschieden habe, inwieweit im Rahmen des § 253e ASVG individuell nicht vorhandene ausreichende Kenntnisse, die üblicherweise von Berufsträgern in einem bestimmten Beruf verlangt werden können, zu berücksichtigen seien.

Der OGH hält die Revision des Kl zur Klarstellung für zulässig, jedoch nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„4.4. Damit der Kläger den mit der verbliebenen Leistungsfähigkeit vereinbaren Verweisungsberuf eines Fachmarktberaters im Baustoffspezialhandel ausüben kann, ist nicht eine Umschulung, sondern

  • weil das Verweisungsfeld nicht verlassen wird [...]

  • eine Nachschulung notwendig. Die hier erforderliche Nachschulungsmaßnahme unterscheidet sich von den meisten der bisher entschiedenen Fälle dadurch, dass sie nicht innerbetrieblich durchgeführt, sondern extern angeboten wird. […]

4.5. Unabhängig von der Qualifikation als Nachschulungs- oder Umschulungsmaßnahme müssen im Hinblick darauf, dass die Maßnahme nicht betriebsintern angeboten wird, sondern vom Pensionsversicherungsträger zu gewähren ist, die von § 253e ASVG für den Anspruch auf berufliche Rehabilitation aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sein. […]

4.7. Die angebotene Maßnahme muss geeignet sein, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sicherzustellen (§ 253e Abs 2 ASVG). Nach der Rechtsprechung muss auch eine realistische Chance bestehen, dass der konkrete Umgeschulte nach Ende der Schulungsmaßnahme im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz findet. […]

4.8. Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist „in der Zusammenschau mit den mangelnden Deutschkenntnissen des Klägers und den sich aus dem Qualifikationstest des Sachverständigen […] ergebenden fachlichen Defiziten im arbeitstechnischen und fachtheoretischen Bereich eine Vermittlungschance bzw Wiedereingliederung des Klägers in absehbarer Zeit auf Dauer alleine durch eine positive Absolvierung des ECDL-Computerführerscheins auf den Beruf des Fachmarktberaters im Baustoffspezialhandel als nicht realistisch zu beurteilen.

Der Oberste Gerichtshof hat allerdings bereits ausgesprochen, dass für die Frage der Arbeitsmarktchancen des Klägers eine mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache […] ebenso wenig Berücksichtigung finden kann wie ein ebenfalls dem persönlichen Verantwortungsbereich zuzurechnendes Fehlen durchschnittlicher fachlicher Kenntnisse. […]

5. Sind angebotene, von der persönlichen Situation des Betroffenen abstrahierte Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation aber möglich, zweckmäßig und zumutbar, hindert deren Verweigerung das Entstehen des Anspruchs auf Invaliditätspension. Von dieser Rechtsfolge kann sich der Versicherte nicht dadurch lösen, dass er (erst) im Revisionsstadium sein Einverständnis zu Schulungsmaßnahmen erklärt.“

ERLÄUTERUNG

In der vorliegenden E kommt § 253e ASVG zur Anwendung, weil diese Bestimmung für Versicherte, die bis zum 31.12.1963 geboren sind, anwendbar bleibt. Nach § 253e ASVG besteht ein Rechtsanspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Diese Maßnahmen müssen (ua) ausreichend und zweckmäßig und geeignet sein, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer zu erreichen.

Nach stRsp ist der Kl als gelernter Maurer auf die Tätigkeit des Baustofffachmarktberaters verweisbar; der Wechsel in eine Angestelltentätigkeit führt zu keinem Verlust des Berufsschutzes, wenn eine entsprechende Nahebeziehung zum erlernten Beruf besteht.40

Ist für die Verweisung eines qualifizierten Arbeiters eine Schulungsmaßnahme erforderlich, muss ihm diese aus gesundheitlichen Gründen möglich sein. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine Umschulung, sondern um eine Nachschulung, weil das Verweisungsfeld nicht verlassen wird. Weil diese aber nicht innerbetrieblich durchgeführt, sondern extern angeboten wird, müssen die in § 253e ASVG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sein. Diese sind laut OGH erfüllt.

Dass mangelnde Deutschkenntnisse weder bei der Frage der Dauer einer notwendigen Nachschulung noch bei der abstrakten Verweisbarkeit von Versicherten zu berücksichtigen sind, entspricht der bisherigen Judikatur. Im vorliegenden Fall liegen jedoch auch fachliche Defizite im arbeitstechnischen und fachtheoretischen Bereich vor. Daher stellt sich für den Autor die Frage, ob eine Verweisung auf die Tätigkeit des Baumarktberaters überhaupt möglich ist, weil diese nach der Judikatur zum Berufsschutz der Angestellten einerseits davon abhängt, ob die er- oder angelernten Kenntnisse und Fähigkeiten im Verweisungsberuf verwertet werden können, und andererseits davon, ob auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ehemals qualifiziert tätige Versicherte als Angestellte tatsächlich Verwendung finden.

Sind angebotene Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation möglich, zweckmäßig und zumutbar, und werden diese abgelehnt, kann kein Anspruch auf Invaliditätspension entstehen. Nachdem der Kl das Angebot der Übernahme der Kurskosten abgelehnt hat, erübrigt sich die weitere Prüfung, ob die Dauer der Nachschulung für den Kl zumutbar war.