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Ausbildungskostenrückersatzverpflichtung einer Krankenpflegerin in der Höhe von € 24.000,- gegenüber einem öffentlichen Krankenhaus

RAINERWANDERER

Die Bekl konnte und musste die Vereinbarung so auffassen, dass sich die tatsächlichen Ausbildungskosten der Kl auf € 24.000,- belaufen werden. Auch aus dem geschlossenen Vertrag ergibt sich nicht die der Bekl nun im Prozess vorschwebende Differenzierung zwischen individuellen, sie höchstpersönlich betreffenden Ausbildungskosten und anderen tatsächlichen Ausbildungskosten, die der Ausbildner „sowieso“ (ohnehin) gehabt habe.

SACHVERHALT

Die Bekl absolvierte eine dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in der von einem Krankenhaus in öffentlicher Hand betriebenen Schule für Gesundheits- und Krankenpflege. Vergleichbar mit einem klassischen Lehrverhältnis bestand diese Berufsausbildung aus einem theoretischen und praktischen Teil. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei der Kl wurde der Bekl nach dem erfolgreichen Absolvieren der Ausbildung ausdrücklich zugesichert. Für den Fall, dass sie im Anschluss kein Beschäftigungsverhältnis mit der Kl eingehen würde, verpflichtete sich die Bekl vertraglich bereits vor Beginn der Ausbildung zur Zahlung einer von der Kl pauschal mit € 24.000,- festgesetzten Summe als Ersatz für den Ausbildungsaufwand.

Die Bekl ging nach dem positiven Abschluss ihrer Ausbildung jedoch kein Arbeitsverhältnis mit der Kl ein. Stattdessen begann die Bekl aus persönlich- familiären Gründen in einem deutschen Krankenhaus zu arbeiten, wo sie jedoch weniger verdiente als dies bei der Kl der Fall gewesen wäre. Daraufhin klagte die Kl die Pauschalsumme von € 24.000,- gegenüber der Bekl ein.

Verfahren und Entscheidung
Das Erstgericht sprach der Kl einen Teilbetrag von € 22.583,05 zu, das Mehrbegehren von € 1.416,95 wurde abgewiesen. Die Bekl müsse nur solche Ausbildungskosten ersetzen, die der Kl tatsächlich für ihre individuelle Ausbildung entstanden seien, und zwar Taschengeld, Verpflegungskosten und Nachtdienstentschädigungen sowie die diesbezüglichen Sozialversicherungsbeiträge, welche in Summe eben den zugesprochenen Betrag ergeben.

Das Berufungsgericht sprach der Kl hingegen den gesamten eingeklagten Betrag von € 24.000,- ungeschmälert zu. Die Kl unterhalte besondere Schulen für die Ausbildung, deren Kosten ausbildungsabhängig seien. Bei dem Pauschalbetrag handle es sich um keine fiktiven Kosten, da die tatsächlich entstandenen Kosten jedenfalls höher seien, auch wenn diese Kosten nicht jedem Schüler individuell zugeordnet werden können.

Sowohl Erstgericht als auch Berufungsgericht gingen von der Unanwendbarkeit des § 2d AVRAG aus, da zwischen den Streitteilen während der Ausbildung kein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Der OGH hielt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts für vertretbar und bejahte damit die Verpflichtung zur Rückzahlung des Gesamtbetrags von € 24.000,-.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien kein Arbeitsvertrag, sondern lediglich ein Ausbildungsverhältnis bestanden hat, sodass § 2d AVRAG nicht anzuwenden ist, sondern die Einwände der Beklagten gegen den Ausbildungskostenrückersatz aufgrund der Vereinbarung vom 15.9.2006 primär nach § 879 ABGB zu beurteilen sind, ist zutreffend und wird von der Revisionswerberin nicht in Frage gestellt.

2.2. […] Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin folgt aus 8 ObA 144/00k nicht, dass der Besuch von (früher:) Krankenpflegeschulen zwingend ‚kostenlos‘ zu sein habe. Vielmehr bejahte der Oberste Gerichtshof die grundsätzliche Zulässigkeit einer Rückersatzklausel unter Hinweis auf die bereits bestehende frühere Judikatur (insb auch auf Arb 8622) […]

3.1. Welche Kosten nun durch eine entsprechende Ausbildung tatsächlich veranlasst wurden, kann stets nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (8 ObA 18/11x). Weitere Anforderungen, als dass es sich eben um tatsächliche Ausbildungskosten handeln muss, werden von der Rechtsprechung nicht gestellt. Der Ansatz der Beklagten, zwischen individuellen, sie höchstpersönlich betreffenden Ausbildungskosten, und anderen tatsächlichen Ausbildungskosten, die der Ausbildner ‚sowieso‘ (ohnehin) gehabt habe, zu unterscheiden, findet in der Rechtsprechung keine Grundlage. […]

4.1. Ob Sittenwidrigkeit, wie von Beklagtenseite behauptet, vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, die nur dann aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hat. […]

4.2. Der wesentliche Unterschied des vorliegenden Sachverhalts zu dem in 8 ObA 144/00k beur-8teilten liegt darin, dass dort keine Verpflichtung bestand, den Ausgebildeten nach Abschluss der Ausbildung tatsächlich einzustellen. Dieser war daher in seiner wirtschaftlichen Position nicht abgesichert; deshalb bejahte der Oberste Gerichtshof damals die Sittenwidrigkeit der getroffenen Vereinbarung. […]

Das Argument der Beklagten, dass die Zahlung für sie schon deshalb nicht zumutbar sei, verdiene sie doch an ihrem nunmehrigen Arbeitsplatz in Deutschland noch weniger, als sie bei der Beklagten verdient hätte, übergeht den Umstand, dass die Beklagte bei Einhaltung der von ihr eingegangenen Verpflichtung gar nichts bezahlt hätte. Davon abgesehen ist nicht nachvollziehbar, weshalb aus nachträglichen Entscheidungen der Beklagten auf die Sittenwidrigkeit einer früheren Vereinbarung zu schließen ist.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH hatte sich in dieser E mit einigen interessanten Fragen zur Rechtsgrundlage und zum Umfang vertraglich vereinbarter Ausbildungskostenrückersatzklauseln auseinanderzusetzen. So geht er beispielsweise auf die Frage ein, ob auch bereits vor Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses eine solche Vereinbarung getroffen werden kann und ob in diesem Fall die Regelung des § 2d AVRAG zur Anwendung kommt. Das ist insofern von Relevanz, als § 2d AVRAG konkrete inhaltliche Anforderungen bei sonstiger Nichtigkeit der Vereinbarung stellt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach § 2d AVRAG nicht anzuwenden sei, wurde in dieser Rechtssache selbst von der Bekl nicht in Frage gestellt. Festgehalten sei jedoch, dass OLG Wien 9 Ra 82/08g ARD 5900/6/2008 in Bestätigung von ASG Wien 17 Cga 25/08g ARD 5881/4/2008 ein unmittelbar vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag: Die AN sollte noch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ein aus mehreren Modulen bestehendes Ausbildungsprogramm im Unternehmen des AG absolvieren. Dem beabsichtigten Arbeitsverhältnis zeitlich vorgelagert wurde ein gesonderter schriftlicher Ausbildungsvertrag abgeschlossen, in welchem eine Rückzahlungsverpflichtung für die Ausbildungskosten verankert wurde. Das daran anschließende Arbeitsverhältnis wurde schließlich von der AN in der Probezeit gelöst. Die Anwendbarkeit des § 2d AVRAG und seiner Tatbestandsvoraussetzungen für die im Ausbildungsvertrag vorgesehene Refundierungsverpflichtung wurde hier sowohl vom Erst- als auch Berufungsgericht ausdrücklich bejaht. Es habe sich nämlich um Ausbildungskosten in Hinblick auf ein zu begründendes Arbeitsverhältnis gehandelt. Eine bestehende Rückersatzverpflichtung wurde daher schon wegen der Beendigungsart „Lösung in der Probezeit“ unter Berufung auf § 2d Abs 4 Z 1 AVRAG verneint. Die unmittelbare Anwendbarkeit des § 2d AVRAG hätte zur Folge, dass Lohnnebenkosten (OGH 22.9.2010, 8 ObA 70/09s) jedenfalls nicht rückforderbar wären.

Ein zentraler Streitpunkt in der gegenständlichen Rechtssache war ferner der Umfang jener Kosten, die einer Rückforderung zugänglich sind. Nach der Rechtsauffassung des Erstgerichts seien jene Kosten nicht ersatzfähig, die der Kl ohnedies erwachsen wären (sogenannte „Sowieso-Kosten“) und die nicht durch die Kl unmittelbar ausgelöst wurden. Der Begriff der „Sowieso-Kosten“ kommt eigentlich aus dem Gewährleistungsrecht und wird zur Umschreibung jener Kosten verwendet, die nicht gewährleistungsfähig sind. Das Höchstgericht verwarf jedoch sowohl die Verwendung des gewährleistungsrechtlichen Fachbegriffs der „Sowieso-Kosten“ für die Fixkosten der Kl im Zusammenhang mit der Rückforderung von Ausbildungskosten als auch eine Deckelung der Rückzahlungspflicht mit den darüberhinausgehenden individuellen Aufwendungen für die Bekl. Der OGH verwies darauf, dass er bereits in der Vergangenheit die Pauschalierung der Ausbildungskosten gegenüber mehreren AN als vertretbar erachtet habe (OGH 26.4.2011, 8 ObA 18/11x). Nach der Lage des Falls wäre es daher im Verfahren an der Bekl gelegen, zu beweisen, dass die tatsächlichen Ausbildungskosten der Kl allenfalls den Betrag von € 24.000,- nicht erreicht hätten.

Das OLG Wien 7 Ra 154/05a ARD 5691/6/2006 hat hingegen einen abweichenden Rechtsstandpunkt vertreten: Rückforderbar seien stets nur die notwendigen Ausbildungskosten und nur die vom AG für den konkreten AN tatsächlich aufgewendeten „Kosten“ der Ausbildung, also nur jene besonderen Auslagen, die ihm nicht „sowieso“ entstanden wären. Das Risiko der Auslastung von Schulungsräumen oder ähnlichen Ausbildungsmitteln könne nicht dem auszubildenden AN allein überbunden werden, das umso großer wäre, desto weniger AN an der Ausbildung teilnehmen. Dabei komme es nicht darauf an, ob der AG für externe Schulungen der AN gleichen Inhalts einen entsprechenden Betrag aufzuwenden gehabt hätte, weil ein Anspruch des AG auf Ersatz solcher fiktiver Kosten nicht bestehe.

Darüber hinaus ging es in der gegenständlichen E um die Frage, ob der vorliegende Sachverhalt mit jenem, der der OGH-E vom 21.12.2000, 8 ObA 144/00k, zu Grunde lag, vergleichbar sei. Denn in dieser E hatte der OGH eine Rückzahlungspflicht verneint. Das Höchstgericht unterstrich in der gegenständlichen Rechtssache, dass der wesentliche Unterschied des vorliegenden Sachverhalts zu dem in 8 ObA 144/00k darin liege, dass dort keine Verpflichtung bestand, den Ausgebildeten nach Abschluss der Ausbildung tatsächlich einzu-9stellen. Dieser war daher in seiner wirtschaftlichen Position nicht abgesichert. Deshalb bejahte der OGH damals die Sittenwidrigkeit der getroffenen Vereinbarung, da der Auszubildende dadurch ungleich stärker benachteiligt war.

Diese Argumentation des Höchstgerichts ist insofern von Relevanz, da bei einem Lehrverhältnis nach dem BAG mit der sogenannten „Behaltepflicht“ sogar ein gesetzliches Einstellungsgebot nach dem erfolgreichen Absolvieren der Lehre besteht. Im Falle eines unverzüglichen Ausscheidens des frisch ausgebildeten Lehrlings ist das Unternehmen mit beträchtlichen frustrierten Aufwendungen konfrontiert. Allerdings ist es grundsätzlich anerkannt, dass eine Rückersatzverpflichtung für Ausbildungskosten oder gar eine nachträgliche Rückforderung der Lehrlingsentschädigung dem Wesen eines Lehrvertrags nach dem Berufsausbildungsgesetz (BAG) widersprächen (Resch, Lehrlingsausbildung und Betriebsbindung, RdW 2006, 158).

Leider handelte es sich bei der gegenständlichen E lediglich um einen Zurückweisungsbeschluss. Dh, dass der Gerichtshof nicht auf alle Punkte im Einzelnen eingehen musste. In Anbetracht der bisher uneinheitlichen Rsp und divergierender Lehrmeinungen wäre eine höchstgerichtliche Sachentscheidung zur Zulässigkeit des Umfangs von Rückersatzpflichten im Rahmen der Berufsausbildung von Krankenpflegern durch öffentliche Krankenanstalten jedoch wünschenswert.