41Keine Kostenerstattung für Behandlung durch freiberuflich tätigen Arzt ohne Berufssitz
Keine Kostenerstattung für Behandlung durch freiberuflich tätigen Arzt ohne Berufssitz
Der Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes ist daran gebunden, dass dieser nach dem Ärztegesetz zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein kann. Dem ärztlichen Berufsrecht nicht entsprechende ärztliche Leistungen (hier: Verstoß gegen das Verbot der Wanderpraxis gem § 45 Abs 4 ÄrzteG) können demnach nicht als Leistungen eines „Wahlarztes“ iSd § 63 Abs 1 B-KUVG qualifiziert werden.
Beim Kl wurde mit Befund eines Wahlarztes für Augenheilkunde eine supero-temporale Gesichtsfeldeinschränkung beidseits aufgrund einer Blepharochalasis festgestellt. Empfohlen wurde eine operative Korrektur der Augenlider. Mit diesem Befund suchte der Kl bei der Bekl um Genehmigung an, welche auch erteilt wurde. Die Operation wurde jedoch nicht von dem die Diagnose stellenden Wahlarzt, sondern von einem angestellten Oberarzt, der über keine Niederlassungsberechtigung als Arzt verfügte, in der Ordination eines dritten Arztes durchgeführt.
Die Bekl lehnte den in Folge vom Kl eingebrachten Antrag auf Kostenerstattung im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der operierende Arzt über keinen Berufssitz (keine Niederlassungsberechtigung) verfüge, so dass ihm die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes nicht gestattet sei (Verbot der Wanderpraxis gem § 45 Abs 4 ÄrzteG). Dagegen richtete sich die Klage des Kl mit dem Begehren auf Kostenersatz.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt, weil § 45 Abs 4 ÄrzteG nur eine ärztliche Berufspflicht darstelle, nicht aber generell als sachlich gerechtfertigte Beschränkung der freien Arztwahl angesehen werden könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und änderte das Urteil im klagsabweisenden Sinn. Der OGH gab der ordentlichen Revision des Kl keine Folge.
„1.3.1 […] Nach den Materialien zur Stammfassung der §§ 131, 132 ASVG setzt der Begriff ‚Wahlarzt‘ voraus, dass dieser ein niedergelassener (also zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigter) Arzt ist. Weiters wird dort ausgeführt, die Einrichtung der wahlweisen Behandlung durch Nichtvertragsärzte komme einer Forderung der Ärzteschaft entgegen, die bei den Vorberatungen des Gesetzesentwurfs mit Nachdruck die Zulassung aller freiberuflich tätigen Ärzte zur44 Tätigkeit im Rahmen der Sozialversicherung verlangt hätten (ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 34). […]
1.3.3 Das Fehlen eines Einzelvertrags bewirkt, dass die Kosten vom Versicherten selbst zu begleichen sind und dieser sodann gegenüber dem Krankenversicherungsträger einen Anspruch auf Kostenerstattung hat, der durch Einreichen der saldierten Honorarrechnung geltend gemacht wird. Nach § 59 B-KUVG gebührt Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre. Nach § 10 der Satzung der BVA hat diese die Kostenerstattung allerdings nur dann zu erbringen, wenn die beanspruchte Leistung dieselben Kriterien erfüllt, wie sie von einem Vertragspartner verlangt werden.
2. […] § 45 Abs 4 ÄrzteG stellt klar, dass die Tätigkeit als niedergelassener Arzt einen bestimmten Berufssitz voraussetzt und eine Tätigkeit ohne bestimmten Berufssitz (‚Wanderpraxis‘) unzulässig ist. Eine Erbringung ärztlicher Leistungen außerhalb von Ordinationen oder Krankenanstalten kommt nur in Frage, wenn dies gesetzlich ausdrücklich gestattet ist (Wallner, Zulässiger Aktionsradius des Wohnsitzarztes, RdM 2012/135, 214 [218]).
3.1 Nach der bisherigen Rsp besteht zwischen den berufsrechtlichen Vorgaben des ÄrzteG und dem Umfang des sozialversicherungsrechtlichen Krankenbehandlungsanspruchs ein weitgehender Gleichklang. […]
3.2 […] Es ist dem Gesetzgeber daher auch zu unterstellen, dass er den Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes (§ 59 B-KUVG) daran gebunden hat, dass dieser nach dem Ärztegesetz zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein kann. Die Kostenerstattung soll ihrer Intention nach nur den fehlenden, aber an sich möglichen Vertrag mit dem Krankenversicherungsträger ersetzen. Von anderen Voraussetzungen für eine Leistung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers wollen die Regelungen über die Kostenerstattung nicht befreien (Grillberger/Mosler, Ärztliches Vertragspartnerrecht 245).
4. […] Es liegt auch auf der Hand, dass § 45 Abs 4 ÄrzteG nicht dadurch unterlaufen werden soll, dass sich angestellte Ärzte ohne eigene Ordinationsstätte gegen Entgelt der Ordinationsstätten niedergelassener Ärzte (im gesamten Bundesgebiet) bedienen, um dort ärztliche Tätigkeiten auszuüben. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, können die dem ärztlichen Berufsrecht nicht entsprechenden ärztlichen Leistungen des Dr. S* demnach nicht als Leistung eines ‚Wahlarztes‘ iSd § 63 Abs 1 BKUVG qualifiziert werden. Mit anderen Worten ist der Kostenersatzanspruch für die Leistung eines Wahlarztes daran gebunden, dass der Arzt nach dem Ärztegesetz zulässigerweise als Wahlarzt tätig sein kann […]. Damit erfüllt die beanspruchte Leistung nicht dieselben Kriterien, die von einem Vertragspartner verlangt werden, sodass eine Kostenerstattung nicht in Betracht kommt (§ 10 der Satzung der BVA).
5. Dem Einwand des Klägers, es handle sich bei § 45 Abs 4 ÄrzteG um eine bloß standesrechtliche Vorschrift, die für Dritte nicht bindend sei, ist entgegenzuhalten, dass die Beschränkung der Kostenerstattung auf niedergelassene Wahlärzte ihre Rechtfertigung ua darin findet, dass niedergelassene Ärzte zwecks Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung der Patienten ihre Leistungen in Ordinationsstätten anzubieten haben, die bestimmten Qualitätserfordernissen entsprechen müssen (§ 56 ÄrzteG). Weiters haben niedergelassene Ärzte eine Haftpflichtversicherung mit Mindestversicherungssumme abzuschließen und nachzuweisen (§ 52d Abs 1 ÄrzteG). Die Honorierung von unter Außerachtlassung des § 45 Abs 4 ÄrzteG von angestellten Ärzten als ‚Wahlarzt‘ erbrachten ärztlichen Leistungen würde somit – wie die beklagte Partei vorbringt – eine ‚Besserstellung‘ eines solcherart praktizierenden Arztes gegenüber den Vertragspartnern bedeuten, für die keine gesetzliche Grundlage besteht.
6. Der vom Kläger ins Treffen geführte ‚Grundsatz der freien Arztwahl‘ ist der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten und kann insoweit auch eingeschränkt werden, sofern die Einschränkung nicht ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (VfGHG 24/98). Aus welchem Grund durch eine Beschränkung der Kostenerstattung auf berufsrechtlich zulässigerweise praktizierende Wahlärzte der Grundsatz der freien Arztwahl betroffen sein sollte, ist im Übrigen nicht ersichtlich, weil der Kläger von der beklagten Partei nicht einem bestimmten Arzt zugewiesen wurde, sondern seinen Vertrauensarzt unter Vertragsärzten und Wahlärzten weiterhin frei wählen konnte.“
Die ärztliche Hilfe wird gem § 63 B-KUVG (§ 135 ASVG) durch Vertragsärzte und Vertrags-Gruppenpraxen, durch Wahlärzte und Wahl-Gruppenpraxen sowie durch Ärzte in eigenen Einrichtungen (oder Vertragseinrichtungen) der Versicherungsanstalt gewährt. Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsanstalt zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch, so gebührt ihm der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre (§ 131 ASVG sieht die Kostenerstattung in diesem Fall in Höhe von 80 % des Vertragstarifes vor).
Jeder Arzt hat gem § 45 ÄrzteG das Recht, seinen Beruf im gesamten Bundesgebiet auszuüben. Die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes45 setzt jedoch die Anmeldung seines Berufssitzes bzw seiner Berufssitze voraus. Der Berufssitz ist jener Ort, an dem sich die Ordinationsstätte befindet, in der und von der aus der Arzt für Allgemeinmedizin, der approbierte Arzt oder der Facharzt seine freiberufliche Tätigkeit ausübt. Die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes ohne Berufssitz ist gem § 45 Abs 4 ÄrzteG verboten.
Aus den Materialien zu den Bestimmungen über die Kostenerstattung im ASVG folgt, dass unter dem Begriff „Wahlarzt“ ein niedergelassener (also zur selbstständigen Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigter) Arzt zu verstehen ist. Die Kostenerstattung soll nur ein fehlendes Vertragsverhältnis mit dem Krankenversicherungsträger ersetzen. ISd Qualität der medizinischen Versorgung und auch vor dem Hintergrund, dass niedergelassene Ärzte verpflichtend eine Haftpflichtversicherung abzuschließen haben, erscheint die vom OGH bestätigte Beschränkung der Kostenerstattung auf niedergelassene Wahlarzte gerechtfertigt. Richtigerweise folgt der OGH auch der Ansicht des Erstgerichts dahingehend, dass der fehlende Kostenerstattungsanspruch keine Verletzung des Grundsatzes der freien Arztwahl bewirke. Nach Ansicht des OGH ist der Grundsatz der freien Arztwahl der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten und kann insoweit eingeschränkt werden, sofern die Einschränkung selbst nicht verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft. Dies entspricht auch der Rsp des VfGH (vgl insb VfGH 18.3.2000, G 24/98). Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Arztwahl durch eine Beschränkung der Kostenerstattung auf berufsrechtlich zulässigerweise praktizierende Wahlärzte ist aber schon deshalb nicht ersichtlich, da der Kl ja ohnehin nicht einem bestimmten Arzt zugewiesen wurde, sondern seinen Vertrauensarzt unter Vertragsärzten und Wahlärzten frei wählen konnte.