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Keine Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes bei Verlust des Nachweises über eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung auf dem normalen Postweg

MARTINATHOMASBERGER

Der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil hat den Verlust des rechtzeitig aufgegebenen Nachweises über die Mutter- Kind-Pass-Untersuchung auf dem Postweg nicht zu vertreten, da dies nicht seiner Sphäre zugeordnet werden kann.

SACHVERHALT

Der Kl bezog das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für seine 2011 geborene Tochter. Da ihm die Voraussetzungen für den vollen Bezug des Kinderbetreuungsgeldes bekannt waren, wurde die erforderliche 10. Mutter-Kind-Pass-Untersuchung im Dezember 2012 beim Kinderarzt durchgeführt. Der Kl erinnerte sich erst im Sommer 2014 daran, dass die Nachweise noch an die bekl Gebietskrankenkasse (GKK) übermittelt werden mussten und bat seine Gattin mit dem (polnischen) Wort „polecony“, dies als Einschreiben zu tun. Seine Gattin verstand dies falsch und sendete das Schreiben nur mit dem Aufdruck „Priority“. Dieser Brief langte nicht bei der bekl GKK (Bekl) ein und wurde dem Kl auch nicht retourniert; der Verbleib konnte nicht ermittelt werden. Die Bekl sendete dem Kl keine Mahnung zur Vorlage des fehlenden Nachweises.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Bekl kürzte mit Bescheid das Kinderbetreuungsgeld des Kl und verpflichtete ihn zur Rückzahlung des daraus resultierenden Betrages.

In der dagegen gerichteten Klage machte der Kl geltend, dass alle erforderlichen Mutter-Kind- Pass-Untersuchungen vorgenommen worden seien und auch alle Nachweise an die Bekl gesendet worden seien.

Das Erstgericht gab der Klage statt und begründete dies rechtlich im Wesentlichen damit, dass § 24c Abs 2 Z 1 KBGG so auszulegen sei, dass das Unterbleiben des Nachweises von Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht zur Kürzung der Leistungen führen darf, wenn der dahinterstehende Grund außerhalb der Sphäre des Elternteils liegt oder wenn dem Elternteil kein Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt unterlaufen ist. Der Nachweis der Zustellung an die Bekl ist wegen eines in der Sphäre der Österreichischen Post AG gelegenen Fehlers vereitelt worden, dies ist ein für den Kl unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge.

Die Bekl legte außerordentliche Revision ein, die vom OGH zugelassen wurde, weil das Urteil des Berufungsgerichts von der Rsp des OGH (30.6.2015, 10 ObS 157/14g) abweicht. Im Ergebnis wurde die Revision aber als unberechtigt abgewiesen und das Urteil des Erstgerichts bestätigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 6.4. Demnach kommt es nicht darauf an, ob der Kläger in der Lage ist, den Beweis des Einlangens der mit der Post beförderten Sendung bei der Verwaltungsbehörde (der Bekl) zu erbringen, wofür nach stRspr des Verwaltungsgerichtshofs Verwaltungsverfahren den Absender die Beweislast trifft und der Beweis der Postaufgabe nicht ausreicht […]. Diese Rechtsprechung betrifft aber allein die verfahrensrechtliche Frage der Beweislast für das Einlangen des Schriftstücks bei der Behörde, während im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ob dem Kläger aus dem Nichteinlangen der nicht eingeschriebenen Sendung bei der beklagten Partei ein rechtlich relevanter Vorwurf iSd § 24c Abs 2 Z 1 KBGG zu machen ist.

6.5. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 24c Ans 2 Z 1 KBGG ist der Umstand des bloßen Übersehens der Verpflichtung zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld nicht ausreichend (10 ObS 157/14g). […] Die Frage, ob der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (siehe RIS-Justiz RS01230213 zur nicht rechtzeitigen Durchführung einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung).

7. Auch wenn Vorsichts- und Beweisgründe für die Aufgabe von rechtlich bedeutsamen Poststücken als Einschreibesendung sprechen, besteht – wie schon das Erstgericht ausgeführt hat – zur eingeschriebenen Aufgabe des Nachweises einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung weder eine Rechtspflicht noch sind im konkreten Fall Umstände hervorgekommen, die den Kläger oder seine Gattin zu spezifischer Vorsicht mit der Übermittlung […] im Postweg veranlassen hätten müssen. Mit der Bitte an seine Gattin, die Untersuchungsbestätigung eingeschrieben abzusenden, hat der Kläger in ausreichender Weise für die Erfüllung der Nachweisobliegenheit Sorge getragen. […] Im Regelfall darf nämlich davon ausgegangen werden, dass die Österreichische Post AG ihre Beförderungs- und Zustellverpflichtung auch dann ordnungsgemäß erfüllt, wenn eine Sendung nicht47 eingeschrieben zur Post gegeben wird. Die Beurteilung, der Nachweis der Untersuchung […] sei aus einem nicht vom Kläger zu vertretenden Grund unterblieben, ist daher zu bestätigen. […]“

ERLÄUTERUNG

In der E vom 30.6.2015, 10 ObS 157/14g, hatte der OGH ausgesprochen, dass sich der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 erster Fall KBGG auch auf Umstände bezieht, die erst nach der Gewährung des Anspruchs entstehen. In diesem Sachverhalt hatte die das Kinderbetreuungsgeld beziehende Mutter die erforderlichen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen zwar fristgerecht vorgenommen, aber die Bestätigung für die 10. Untersuchung überhaupt nicht vorgelegt und dieses Versäumnis damit begründet, dass sie von der Bekl anders als bei den vorangegangenen Nachweisen nicht dazu aufgefordert worden war. Abweichend davon war das Berufungsgericht in seiner Begründung davon ausgegangen, dass die Rückzahlungspflicht davon abhängt, dass sich nachträglich eine ursprünglich nicht bekannte Tatsache herausstellt, bei deren Vorliegen schon ursprünglich kein Anspruch auf die Leistung bestanden hätte. Dieser Tatbestand sei im vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht verwirklicht, weil der Kl, wie von der ersten Instanz festgestellt wurde, seine Mitwirkungspflichten erfüllt und darauf vertraut hatte, dass der Nachweis der 10. Mutter-Kind-Pass-Untersuchung auf dem Postweg rechtzeitig vor dem vollendeten 18. Lebensmonat des Kindes bei der Bekl einlangen würde.

Der OGH stützt sich bei seiner Beurteilung auf § 24c Abs 2 KBGG. Das Unterbleiben einer Mutter- Kind-Pass-Untersuchung oder das Unterbleiben ihres Nachweises führt dann nicht zu einer Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes, wenn der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil die Umstände, die dazu geführt haben, nicht zu vertreten hat. Hier kommt es – anders als bei der Beurteilung ausschließlich nach den Kriterien des § 31 Abs 2 KBGG – zur Einbeziehung der erforderlichen (und zumutbaren) Sorgfalt des beziehenden Elternteils in die Beurteilung. Ausschlaggebend ist hier nur, ob dem beziehenden Elternteil ein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann.

Der OGH hält aber auch daran fest, dass bei der Beurteilung, ob ein rechtlich relevanter Sorgfaltsverstoß des beziehenden Elternteils vorliegt, immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist (weswegen den erstinstanzlichen Feststellungen über die Vorgänge rund um die Aufgabe des Briefs in diesem Fall besonderes Gewicht zukommt).