56

Forderungsanmeldung im Konkurs als schlüssiges Verhalten

MANFREDTINHOF

Durch Geltendmachung von Beendigungsansprüchen im Konkurs bringt der AN zum Ausdruck, die sonst aufgrund eines vorangegangenen Betriebsüberganges unwirksame Kündigung gelten zu lassen.

SACHVERHALT

Eine AN wurde von ihrer damaligen AG, der L KG (im Folgenden: Vorpächterin) zum 28.2.2011 gekündigt. Der Betrieb ging im Zuge von Betriebsübergängen mit 1.3.2011 auf die C KG und mit 3.12.2011 auf die Bekl (im Folgenden: Nachpächterinnen) über. Im nachfolgenden Konkurs der Vorpächterin hat die AN neben Abfertigungsansprüchen auch eine Kündigungsentschädigung geltend gemacht und auf diese Forderungen auch die Auszahlung einer entsprechenden Konkursquote erhalten. Die AN arbeitete bei den Nachpächterinnen weiter und begehrte von der Bekl nach Beendigung des Dienstverhältnisses am 31.10.2013 eine Abfertigung für das ihrer Ansicht nach seit 1.4.1993 durchgängig aufrechte Arbeitsverhältnis.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der OGH wies die Revision der AN zurück. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die AN mit der Anmeldung ihrer Beendigungsansprüche im Konkurs zum Ausdruck brachte, die ansonsten unwirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen, sei, auch wenn sie in weiterer Folge bei der Nachpächterin weiter arbeitete, nicht korrekturbedürftig.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

§ 3 Abs 1 AVRAG bestimmt für den Fall, dass ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übergeht, dass dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Diese Rechtsfolge tritt grundsätzlich unabhängig vom Willen der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein. Es kommt dabei zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weshalb auch keine Beendigungsansprüche gebühren. Beim bisherigen Arbeitgeber zurückgelegte Dienstzeiten sind beim neuen Arbeitgeber anzurechnen (RIS-Justiz RS0121661).

3. Allerdings steht einem Arbeitnehmer, der entgegen dem aus § 3 AVRAG hervorgehenden Kündigungsverbot im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gekündigt wurde, ein Wahlrecht dahin zu, dass er, statt auf der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Übernehmer des Betriebs zu bestehen, die Beendigung akzeptiert und im Falle der frist- oder terminwidrigen Kündigung die Kündigungsentschädigung begehrt (RIS-Justiz RS0122357). Dem Arbeitnehmer steht frei, auf den durch die Eintrittsautomatik bzw das Verbot einer nicht richtlinienkonformen Kündigung gewährleisteten Schutz zu verzichten und anstelle der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung Ansprüche aus der ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen (RIS-Justiz RS0111017).

Dass der Arbeitnehmer tatsächlich beim Erwerber weiter arbeitete, hindert die Geltendmachung der aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer abgeleiteten Ansprüche nicht, wenn ihm die Kündigung samt Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses beim Erwerber günstiger erschien als eine gesetzliche Arbeitsvertragsübernahme (9 ObA 240/98d vgl auch 9 ObA 1/10b). […]

Nach ständiger Judikatur besteht, wenn ein Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf den Übernehmer des Unternehmens übergeht und dieser gemäß § 6 Abs 1 AVRAG mit dem Übergeber solidarisch für den rückständigen Lohn haftet, kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld aus einer Insolvenz des Übergebers des Unternehmens (RIS-Justiz RS0108284). Wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines Betriebsübergangs sein – zuvor dargestelltes – Wahlrecht ausübt und eine ungerechtfertigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses akzeptiert, trägt er das Risiko der Insolvenz des Übergebers und stehen ihm Ansprüche nach dem IESG nicht zu (vgl 8 ObS 126/00p).“

ERLÄUTERUNG

Der vorliegenden E lag ein Sachverhalt zu Grunde, der in der Praxis – zumindest in gewissen Branchen – keine Seltenheit ist: Ein Betrieb wird von einem neuen Inhaber übernommen. Im Zuge dessen werden die Beschäftigten gekündigt, arbeiten aber beim neuen Inhaber weiter. In der Folge geht der Übergeber in Konkurs. Der Übernehmer wird neuerlich von einem anderen Inhaber übernommen und wird danach ebenfalls insolvent. So geschah es auch im vorliegenden Fall.81

Die Übernahme des Betriebs durch den neuen Pächter ist aus rechtlicher Sicht als „Betriebsübergang“ zu qualifizieren. Dieser hat zur Konsequenz, dass der neue Pächter verpflichtet ist, die im Betrieb tätigen AN weiter zu beschäftigen. Kündigungen, die aus Anlass eines Betriebsübergangs ausgesprochen werden, sind nichtig, es sei denn, der AN lässt die Kündigung gegen sich gelten. Dem AN kommt also mit anderen Worten ein „Wahlrecht“ zu.

Die Nichtigkeit einer Kündigung wegen eines Betriebsübergangs kann allerdings von einem Gericht erst rückwirkend festgestellt werden. Auf Grund der erfolgten Kündigung hatte daher die betroffene AN im Konkurs ihres ursprünglichen AG ihre noch offenen Ansprüche beim Insolvenz-Entgelt-Fonds beantragt. Als sich jedoch im Nachhinein herausstellte, dass es sich tatsächlich um einen Betriebsübergang gehandelt hatte, berief sie sich auf diesen und folglich auf das Fortbestehen ihres Arbeitsverhältnisses. Dies hätte einen höheren Abfertigungsanspruch zur Folge gehabt, welchen sie gegenüber ihrem letzten AG klagsweise geltend machte (neun Monatsentgelte).

Die Vorinstanzen hatten jedoch das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses verneint. Sie hatten argumentiert, dass die AN die Kündigung trotz des Betriebsübergangs gegen sich hatte gelten lassen, weil sie im Zusammenhang mit der Insolvenz des ersten AG ihre offenen Ansprüche beim Insolvenzgericht angemeldet hatte. Dadurch habe sie zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wolle.

Der OGH erachtete die Beurteilung des Berufungsgerichtes als nicht korrekturbedürftig. Das Dienstverhältnis sei auf Grund der von der Vorpächterin ausgesprochenen Kündigung als beendet anzusehen. Daher sei ein Anspruch der AN auf Abfertigung „alt“ für das „gesamte“ Dienstverhältnis – also unter Einbeziehung der bei den Nachpächterinnen verbrachten Zeiträume – zu Recht vereint worden.

Allerdings lehnte der Insolvenz-Entgelt-Fonds die Bezahlung der beantragten Beendigungsansprüche aus dem Dienstverhältnis zur Vorpächterin ab. Der Fonds stellt sich auf den Standpunkt, dass ein Betriebsübergang vorliege. Er könne daher nicht in Anspruch genommen werden (§ 1 Abs 3 Z 5 IESG iVm § 6 Abs 1 AVRAG).

Die AN erhielt somit im Ergebnis für ihre Beendigungsansprüche lediglich eine Konkursquote aus der Insolvenz der Vorpächterin. Das ist für die AN typischerweise äußerst nachteilig, weil die Konkursquote in der Regel nicht mehr als ein paar Prozent des ungekürzten Anspruchs ausmacht.

In der Praxis ist es nicht nur für die betroffenen AN, sondern auch für die damit beschäftigten Juristen oft schwierig zu beurteilen, ob bei einem AG-Wechsel ein Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG vorliegt oder nicht. Wenn nun ein potenzieller Betriebsübergeber aus Anlass des Betriebsüberganges ein Dienstverhältnis kündigt, ist es aus „juristischer Vorsicht“ naheliegend, im Fall der nachfolgenden Insolvenz des Betriebsübergebers die Beendigungsansprüche beim Insolvenzgericht anzumelden bzw auch beim Insolvenz-Entgelt-Fonds Anträge auf Insolvenz-Entgelt für diese Ansprüche zu stellen. Es könnte sich ja herausstellen, dass kein Betriebsübergang vorgelegen war. Nach der vorliegenden E des OGH ist es jedoch geradezu kontraproduktiv, „juristische Vorsicht“ walten zu lassen. Denn im konkreten Fall brachte sich die AN genau dadurch um große Teile ihrer gesetzlichen Abfertigung.

Im gegenständlichen Fall wäre es für die AN im Endeffekt besser gewesen, wenn sie auf der Unwirksamkeit der Kündigung durch die Vorpächterin beharrt und den Betriebsübergang „mitgemacht“ hätte, ohne später in der Insolvenz der Vorpächterin Forderungen anzumelden. Dann wäre ein durchgehendes Arbeitsverhältnis von 1993 bis 2013 vorgelegen und die letzte Nachpächterin hätte die Abfertigung für den gesamten Zeitraum bezahlen müssen. In der Praxis ist dies freilich leichter gesagt als getan: AN geraten oftmals nach Betriebsübergängen in unangenehme Situationen, wenn sie gegenüber dem Betriebsübernehmer, also ihrem aktuellen AG (der im Regelfall keine „Altlasten“ übernehmen möchte), Ansprüche aus der Zeit vor dem Betriebsübergang geltend machen müssen.

Unabhängig davon wäre – im Nachhinein betrachtet – folgender Lösungsansatz zur Erlangung der Abfertigung im vorliegenden Fall vorstellbar gewesen: Die Stellung eines Eventualbegehrens in erster Instanz dahingehend, den Abfertigungsanspruch auf die solidarische Haftung der den Betrieb übernehmenden Nachpächterinnen gem § 6 Abs 1 AVRAG zu stützen. Nach dieser Bestimmung haften für Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis zum Veräußerer, die vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs begründet wurden, der Veräußerer und der Erwerber zur ungeteilten Hand. Das gilt auch – wie im vorliegenden Fall – für Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen, die zB auf Grund einer Kündigung nicht auf den Erwerber übergangen sind. Allerdings bezieht sich die Haftung des Erwerbers gem § 6 Abs 1 AVRAG nur auf Verpflichtungen des Veräußerers, die vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs begründet wurden. Dh, dass alle Zeiten danach für die Höhe des Abfertigungsanspruches nicht zu berücksichtigen sind. Eine sich daraus ergebende „höhere“82 Abfertigung alt hätte also auf diese Weise ebenfalls nicht geltend gemacht werden können. Zumindest hätte man aber so verhindern können, dass die AN lediglich eine Konkursquote aus der Insolvenz der Vorpächterin erhält.

ANMERKUNG DES BEARBEITERS:

Zu dieser Entscheidung erscheint in einer der nachfolgenden Ausgaben von DRdA eine ausführliche Besprechung.