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Unzulässige Beschränkung der Mandatsausübung eines suspendierten Betriebsratsmitglieds aufgrund Zutrittsbeschränkungen und Entzug der Sachmittel

MARTINACHLESTIL

Gewährt der Betriebsinhaber dem einzelnen Mitglied des Belegschaftsorgans den Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten nur nach rechtzeitiger vorheriger Bekanntgabe bei einer bestimmten Mitarbeiterin, dann stellt diese Maßnahme eine unzulässige Beschränkung der Mandatsausübung iSd § 65 Abs 3 PBVG (bzw § 115 Abs 3 ArbVG) dar.90

Beim Anspruch eines einzelnen Mitglieds eines Personalvertretungsorgans, in seiner Mandatsausübung nicht benachteiligt und nicht beschränkt zu werden, handelt es sich um einen Individualanspruch des jeweiligen Organmitglieds. Wenn der Betriebsinhaber dem Organmitglied ohne Rechtfertigung Sachmittel entzieht, dann kann der Anspruch auf Rückstellung der entzogenen Sachmittel durch Klage des Organmitglieds gegen den Betriebsinhaber geltend gemacht werden.

SACHVERHALT

Der kl AN ist Organmitglied des gem § 19 Abs 1 des Post-Betriebsverfassungsgesetzes (PBVG) bei der bekl AG errichteten Personalausschusses für Tirol und Vorarlberg; er ist nach § 67 Abs 1 PBVG vom Dienst freigestellt.

Am 21.3.2016 wurde der kl AN von der bekl AG gem § 122 Abs 3 ArbVG entlassen und die Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung bei Gericht eingebracht. Gleichzeitig mit der Entlassung wurde der kl AN vom Dienst suspendiert und ihm die Zutrittskarte zur Dienststelle sowie an Sachmitteln, die die bekl AG dem Personalausschuss zur Verfügung gestellt hatte, die Schlüssel für das Personalausschussbüro, in dem sich ein Computer mit Zugang zum EDV-Netzwerk des Personalausschusses befindet, das Mobiltelefon sowie das Dienstfahrzeug von der AG abgenommen. Der Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten wird dem kl AN nur nach rechtzeitiger vorheriger Bekanntgabe bei einer bestimmten Mitarbeiterin der bekl AG gewährt.

Die vom AN eingebrachte Klage begehrt sowohl den Zutritt zu dem in den Betriebsräumlichkeiten gelegenen Büro des Personalausschusses als auch die Nutzung des dort befindlichen PC-Zugangs zum EDV-Netzwerk des Personalausschusses samt Zugangsberechtigung sowie die Ausfolgung des Mobiltelefons und des Dienstfahrzeugs, um das Mandat als Personalausschussmitglied uneingeschränkt ausüben zu können. Zur Sicherung seines Anspruchs beantragte der kl AN die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die Vorinstanzen waren zusammengefasst der Ansicht, dass das Vorgehen der bekl AG eine unzulässige Beschränkung der Mandatsausübung durch den kl AN darstelle und das betreffende Organmitglied selbst zur Ausfolgung der entzogenen Sachmittel aktiv klagslegitimiert sei.

Der Revisionsrekurs an den OGH wurde für zulässig erachtet; er war jedoch nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„5. […] Wie bereits oben (Punkt 5) dargelegt, sind dem Betriebsinhaber aufgrund des Beschränkungsverbots iSd § 65 Abs 3 PBVG (§ 115 Abs 3 ArbVG) nicht nur alle Anordnungen untersagt, die dem einzelnen Mitglied des Belegschaftsorgans die Ausübung seiner Befugnisse unmöglich machen (wie etwa bei einem generellen Hausverbot). Diese Anordnungen und Weisungen dürfen die freie Mandatsausübung des Personalvertretungsorgans auch nicht bloß erschweren. Letzteres ist hier aber der Fall, weil dem Kläger nicht – wie vorher – jederzeit, sondern seit dem Entlassungsausspruch nur nach rechtzeitiger vorheriger Bekanntgabe bei einer namentlich bestimmten Mitarbeiterin der Beklagten der Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten der Beklagten gewährt wird. […]

6. […] Dass der Anspruch auf Sachmittelbeistellung dem Personalausschuss als Organ der Arbeitnehmerschaft im Ganzen zusteht, ist richtig (vgl zu § 72 ArbVG: 9 ObA 133/91). Die Revisionsrekurswerberin übergeht jedoch, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um den Anspruch des Organs auf Sachmittelbeistellung handelt, sondern um das individuelle Begehren des Klägers, ihm bestimmte, bereits persönlich vom Personalausschuss ausgefolgte, von der Beklagten aber aus in der Person des Klägers gelegenen Gründen entzogene Sachmittel wieder zur Verfügung zu stellen. Für dieses Begehren ist der Kläger als Mitglied des Personalausschusses zufolge des Beschränkungsverbots aktiv klagslegitimiert. Das Beschränkungsverbot des § 65 Abs 3 PBVG schützt nämlich nach Rechtsprechung und Lehre nicht nur das Belegschaftsorgan als Gremium, sondern auch jedes einzelne Personalausschussmitglied vor einer Erschwerung oder Verhinderung seiner Mandatsausübung […]. Der Anspruch, nicht benachteiligt und nicht beschränkt zu werden, ist ein Individualanspruch des einzelnen Mitglieds eines Personalvertretungsorgans. Er ist daher durch Klage des Organmitglieds gegen den Betriebsinhaber geltend zu machen […].“

ERLÄUTERUNG

Der kl AN war gleichzeitig Mitglied des Personalausschusses im Betrieb der bekl AG. Seine Entlassung kann daher nicht ohne Zustimmung des Gerichts ausgesprochen werden. Das für das Unternehmen der bekl AG anwendbare Post-Betriebsverfassungsgesetz (PBVG) verweist diesbezüglich auf die Bestimmungen der §§ 120 bis 122 ArbVG (siehe § 71 PBVG). Im vorliegenden Fall wurde die Klage auf Zustimmung zur Entlassung gem § 122 Abs 3 ArbVG nachträglich eingebracht. Solange die Zustimmung nicht erfolgt, ist die Entlassung schwebend unwirksam. Das hat zur Folge, dass während des Schwebezustands neben dem – wenn auch suspendierten – Arbeitsverhältnis auch91 die Mitgliedschaft zum Personalvertretungsorgan aufrecht ist und der kl AN sein Mandat als Personalausschussmitglied weiter ausüben kann (siehe dazu auch Schneller in

Gahleitner/Mosler
, Arbeitsverfassungsrecht 35 [2015] § 122 Rz 31).

Eine (fortgesetzte) ungestörte Mandatsausübung und effektive Interessenvertretung soll das in § 65 Abs 3 PBVG (§ 115 ArbVG) geregelte Benachteiligungs- und Beschränkungsverbot sicherstellen: Dem Personalvertretungsorgan darf die Ausübung seiner Befugnisse nicht unmöglich gemacht, aber auch nicht bloß erschwert werden. Im vorliegenden Fall hat der Betriebsinhaber dem kl AN den Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten nur mehr nach rechtzeitiger vorheriger Bekanntgabe bei einer bestimmten Mitarbeiterin gewährt. Damit war die Ausübung der Personalvertretungstätigkeit des kl AN ab dem Entlassungsausspruch davon abhängig, dass er die allein zuständige Mitarbeiterin der Bekl telefonisch erreicht und diese ihm dann auch tatsächlich, gegebenenfalls sofort, den Zutritt zum Betrieb gewährt. Diese Maßnahme ist, wie der OGH zutreffend festhält, geeignet, die freie und unbeschränkte Mandatsausübung zu verhindern.

Zusätzlich war vom OGH zu klären, ob auch ein einzelnes Mitglied eines Belegschaftsorgans zur gerichtlichen Geltendmachung der Wiederausfolgung der vom Betriebsinhaber entzogenen Sachmittel aktiv legitimiert ist, oder ob dieser Anspruch nur dem Belegschaftsorgan als Ganzem zusteht; nicht weiter strittig war im Revisionsrekurs, dass der kl AN durch die Abnahme des Büroschlüssels und der Verhinderung des Zugangs zum EDV-Netzwerk in seinem Recht auf freie Mandatsausübung unzulässig beschränkt wurde.

Laut OGH handelt es sich beim Anspruch eines einzelnen Mitglieds eines Personalvertretungsorgans, in seiner Mandatsausübung nicht benachteiligt und nicht beschränkt zu werden, um einen Individualanspruch des jeweiligen Organmitglieds. Wenn dieses in seiner Mandatsausübung beschränkt wird, indem ihm der Betriebsinhaber ohne Rechtfertigung Sachmittel entzieht, die der Betriebsinhaber dem Personalvertretungsorgan zuvor zur Verfügung gestellt und das Personalvertretungsorgan seinem Mitglied ausgefolgt hat, dann kann der Anspruch auf Rückstellung der entzogenen Sachmittel durch Klage des Organmitglieds gegen den Betriebsinhaber geltend gemacht werden. Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht auf Antrag auch eine einstweilige Verfügung erlassen (§ 381 Z 2 EO).