84Auslegung der negativen Anspruchsvoraussetzung „Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für Pflegeleistungen“ in § 3a BPGG
Auslegung der negativen Anspruchsvoraussetzung „Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für Pflegeleistungen“ in § 3a BPGG
Im vorliegenden Fall war die Frage zu beantworten, ob der Pflegebedürftige die in § 3a Abs 1 BPGG normierten Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld erfüllt. Gemäß dieser Bestimmung besteht Anspruch auf Pflegegeld für österreichische Staatsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, auch wenn sie keine sogenannte Grundleistung bezie-110hen, sofern nach der VO (EG) 883/2004 nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist. Diese Fassung ist seit 1.1.2015 in Kraft (BGBl I 2015/12). Der 1968 geborene Pflegebedürftige lebte seit jeher in Österreich, zuletzt war er 1996 in Österreich pflichtversichert. Jedenfalls seit 28.8.2015 war er in der Schweiz beschäftigt; seit 8.10.2012 war er dort von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht befreit. Er hatte in Österreich bei einem Versicherungsunternehmen eine private KV abgeschlossen. Fraglich war, ob Österreich oder die Schweiz der zuständige Staat für die Erbringung von Pflegeleistungen ist. Das Erstgericht hatte die Zuständigkeit Österreichs nicht für gegeben gehalten, das Berufungsgericht bejahte die Zuständigkeit Österreichs dagegen und verwies die Rechtssache zurück an das Erstgericht zur Prüfung des Vorliegens der Pflegebedürftigkeit. Das Berufungsgericht stützte sich dabei auf die Definitionen in Art 1 VO (EG) 883/2004, wonach ua als „zuständiger Mitgliedstaat“ jener Staat festgelegt wird, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, und der Ausdruck „zuständiger Träger“ jenen Träger bezeichnet, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Antragstellung versichert ist. Da der Pflegebedürftige am 28.8.2015 aufgrund der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Schweiz nicht versichert gewesen sei, habe es dort an diesem Tag keinen zuständigen Träger gegeben, weshalb die Schweiz nicht als zuständiger Mitgliedstaat qualifiziert werden könne.
Über Rekurs der Bekl wurde der Beschluss aufgehoben und das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt. Der OGH hält fest, dass es sich beim Pflegegeld nach stRsp des EuGH um eine Leistung bei Krankheit handelt. Im maßgeblichen Zeitraum übte der Kl eine Beschäftigung in der Schweiz aus und unterlag somit nach Art 11 Abs 3 lit a der VO 883/2004 den Rechtsvorschriften in der Schweiz. Dass er dort gar nicht versichert war, spielt kollisionsrechtlich keine Rolle; Art 11 stellt lediglich auf den Tatbestand „Beschäftigung“ und nicht auf das Vorliegen einer Versicherung ab. Ob in der Schweiz tatsächlich Pflegeleistungen erbracht werden, ist für die Bestimmung der Leistungszuständigkeit ohne Bedeutung.
Die novellierte Fassung des § 3a BPGG ist auch unionsrechtskonform. Sie steht in Einklang mit der Rsp des EuGH, da dieser den Mitgliedstaaten lediglich das Recht – und nicht die Pflicht – einräumt, über die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 hinaus Leistungen nach nationalem Recht zu gewähren. Unter dem Begriff des „zuständigen Staats“ in § 3a BPGG (arg: sofern nicht nach der VO ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist) ist jener zu verstehen, der sich nach den Kollisionsregeln der VO ergibt, ohne dass auf das Merkmal des Sitzes eines Trägers abgestellt werden dürfte. Zusammenfassend sind – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auch nach § 3a BPGG allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff der VO 883/2004 heranzuziehen.