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Keine Unterscheidung zwischen „echten“ und „schlichten“ Verwarnungen, sondern nur zwischen „schlichten“ Verwarnungen und Disziplinarmaßnahmen

RUTHETTL

Die AN wurde von ihrem AG mehrmals schriftlich abgemahnt („Dienstenthebung/Vorbehalt dienstrechtlicher Maßnahmen“ im Jänner 2015, „Erinnerung an die Dienstpflichten/Abmahnung“ im März 2015, „Schriftliche Abmahnung – Nebenbeschäftigung“ im Mai 2015). Sie wollte diese Abmahnungen gerichtlich als unwirksam feststellen lassen. Für ihr Dienstverhältnis galt keine Disziplinarordnung. Die AN behauptete nicht, dass die Abmahnungsschreiben Disziplinarmaßnahmen mit Sanktionscharakter iSd § 102 ArbVG seien, bei denen klar ist, dass man sie gerichtlich bekämpfen kann. Sie meinte aber, dass es zwei verschiedene Arten von Verwarnungen gäbe, und zwar „schlichte“ und „echte“ Verwarnungen. Sie brachte vor, dass in ihrem Fall „echte“ Verwarnungen vorliegen würden und dass man diese vor Gericht als unwirksam feststellen lassen könne.

Der OGH wies die Klage zurück. Die Rsp kenne keine Unterscheidung zwischen „echten“ und „schlichten“ Verwarnungen, sondern nur die zwischen „schlichten“ Verwarnungen und Disziplinarmaßnahmen. Nur Disziplinarmaßnahmen seien mittels Feststellungsverfahren bekämpfbar. In diesem Fall handelt es sich aber nur um eine schlichte Abmahnung bzw Verwarnung. Laut Rsp ist die „schlichte“ Abmahnung vor allem zukunftsbezogen und der AG übt damit seine vertraglichen Rügerechte aus, den/die AN zu vertragsgerechtem zukünftigen Verhalten zu bewegen und vor Konsequenzen bei weiteren Verletzungen zu warnen. Die Disziplinarmaßnahme hingegen ist auf die Sanktionierung des Verhaltens selbst gerichtet. Darunter fallen alle Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung, mit denen dem/der AN ein rechtlich zulässiger Nachteil zugefügt oder angedroht wird. Es kommen nicht nur Maßnahmen, die für den/die AN unmittelbare rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile bewirken, in Betracht, sondern auch solche, durch die lediglich die sozialen Interessen des/der AN beeinträchtigt werden, zB die Erteilung einer Rüge oder eines Verweises.

Ob eine „schlichte“ Verwarnung oder eine Disziplinarmaßnahme vorliegt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.

Die Abmahnungsschreiben an die AN stellen danach „schlichte“ Verwarnungen dar, deren (Un-)Wirksamkeit gerichtlich nicht feststellbar ist. Die Berechtigung der Verwarnung ist im Rahmen eines allfälligen Kündigungs- oder Entlassungsverfahrens als Voraussetzung für die Berechtigung der Auflösungserklärung zu prüfen.79