95Unberechtigte Entlassung nach fraglicher sexueller Belästigung
Unberechtigte Entlassung nach fraglicher sexueller Belästigung
Der Kl und seine Arbeitskollegin kannten einander schon jahrelang und pflegten einen freundschaftlichen Umgang. In den letzten Jahren umarmte der Kl die Kollegin wiederholt zur Begrüßung und küsste sie einmal auf den Mund. Es ist nicht erwiesen, dass die Arbeitskollegin, der dies lästig war, jemals dem Kl deutlich zu erkennen gab, dass sie dieses Verhalten nicht wollte. Eine weitere, von einem Kuss begleitete Umarmung des Kl führte sodann zu einer Beschwerde der Kollegin bei einem Vorgesetzten, was wiederum die Entlassung des Kl zur Folge hatte. Dieser begehrte als Vertragsbediensteter mit seiner Klage die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses.
Das Berufungsgericht gab dem Kl recht und verwies darauf, dass von einer sexuellen Belästigung erst dann die Rede sein kann, wenn für den Belästiger erkennbar ist, dass sein Verhalten für die betroffene Person unerwünscht ist, wobei an das ablehnende Verhalten der betroffenen Person keine zu hohen Ansprüche gestellt werden dürfen. Da hier für den Kl die Unerwünschtheit seines Verhaltens nicht erkennbar gewesen sei, sei sein Verhalten nicht als sexuelle Belästigung zu werten. Der OGH wies die außerordentliche Revision der bekl AG zurück. Auch wenn man die Einschätzung des Berufungsgerichts nicht teilt und davon ausgeht, dass der Kl bei gehöriger Aufmerksamkeit sehr153wohl hätte erkennen können, dass sein Verhalten unerwünscht war, bleibt die Frage, ob unter den gegebenen Umständen das Verhalten des Kl ausreicht, um den von der Bekl geltend gemachten Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit zu verwirklichen. Das Berufungsgericht hat dies unter Hinweis auf die besonderen Umstände des Falles verneint. Damit hat es den ihm offenstehenden Ermessensspielraum nicht überschritten, so dass von einer unvertretbaren Fehlbeurteilung, die die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte, nicht gesprochen werden kann.
Für den von der Bekl erstmals im Rechtsmittelverfahren unter Hinweis auf § 45 VBO 1995 ins Treffen geführten Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 5 VBO 1995 („wenn sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten mit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes unvereinbar ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt
“) kann unter den gegebenen Umständen nichts Anderes gelten.