96

Keine Bindung des Insolvenz-Entgelt-Fonds an gerichtlich festgestelltes Anerkenntnis des Arbeitgebers

MARGITMADER

Eine privatrechtliche Gestaltung der Verjährungsfrage zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds kann im IESG-rechtlichen Verfahren selbstständig geprüft werden. Eine rechtskräftige Entscheidung über den Verjährungseinwand im Vorverfahren ist nicht von der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG umfasst.

SACHVERHALT

Die Kl war von 1.9.1992 bis 30.4.2002 als Angestellte beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Lösung. In Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten der AG wurde die Abfertigung nicht ausbezahlt und die AN jahrelang vertröstet. Im Jahr 2013 brachte die AN schlussendlich Klage ein. Die AG wandte im Verfahren auch Verjährung des Anspruchs ein. Der Klage wurde dennoch stattgegeben. Es wurden ua folgende Feststellungen getroffen:

„Die Zweitbeklagte (Komplementärin) bat die Klägerin, aufgrund ihrer prekären finanziellen Situation die Auszahlung des Abfertigungsanspruchs zu einem späteren Zeitpunkt zu ermöglichen. Sie stellte der Klägerin die Zahlung des Abfertigungsanspruchs für den Fall der Auflösung ihres Geschäfts in Aussicht. Sie sagte der Klägerin (wiederholt) zu, ihr die Abfertigung zum Zeitpunkt der Schließung des Geschäfts auszuzahlen. Ende 2009 erfolgte die Schließung des Unternehmens und die Auflösung des Geschäfts. (In der Folge) hat die Zweitbeklagte die Klägerin wiederum darauf verwiesen, dass sie das Geld erhält, wenn sie Geld hat.“

Der Versuch der Einbringlichmachung der offenen Ansprüche auf dem Exekutionsweg blieb erfolglos. Der letztlich eingebrachte Antrag der Kl auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der AG wurde mit Beschluss vom 16.6.2015 mangels Kostendeckung abgewiesen. Die Kl beantragte daraufhin Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die IEF-Service GmbH wies den Antrag der Kl auf Insolvenz-Entgelt ab, und zwar mit der Begründung, die Ansprüche seien bereits verjährt. An ein allfälliges Anerkenntnis des AG sei die IEF-Service GmbH nicht gebunden.

Das Erstgericht gab dem dagegen gerichteten Klagebegehren statt. Der Anspruch der Kl sei nicht verjährt, da einem Urteil, das in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sei, gem § 7 Abs 1 IESG Bindungswirkung zukomme und der Verjährungseinwand im Vorverfahren geprüft worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die dagegen erhobene Revision der Kl wurde abgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Die Frage der Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ist im Sinn des § 1 Abs 2 IESG eine im Verfahren nach dem IESG von Amts wegen zu prüfende Anspruchsvoraussetzung (RIS-Justiz RS0076711). Dadurch wird zunächst zum Ausdruck gebracht, dass im IESG-Verfahren die Erhebung eines Verjährungseinwands (§ 1501 ABGB) nicht erforderlich ist (8 ObS 234/97p; 8 ObS 9/03m).

2. In der Rechtsprechung sind im gegebenen Zusammenhang zudem folgende Grundsätze anerkannt:

  • Dem Anerkenntnis verjährter Entgeltforderungen durch den Dienstgeber und dessen Erklärung, auf den Verjährungseinwand zu verzichten, kommt nur im Verfahren gegen den Dienstgeber Relevanz zu (RIS-Justiz RS0118694; 8 ObS 9/03m; 8 ObS 14/06a).

  • Eine Vereinbarung zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags über ein Hinausschieben des Verjährungsbeginns (Stundungsvereinbarung), die im Ergebnis auf einen Verjährungsverzicht154hinausläuft, ist nur gegenüber dem Dienstgeber wirksam (8 ObS 5/14i).

  • Im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemachte (geprüfte) Einwände, etwa des Verfalls oder der Verjährung, können im IESG-Verfahren selbständig geprüft werden (RIS-Justiz RS0064724).

  • Ein rechtskräftiges Versäumungsurteil schließt die amtswegige Wahrnehmung der Verjährung nicht aus (9 ObS 19/93).

Nach den dadurch zum Ausdruck gebrachten Wertungen soll eine für den Arbeitnehmer günstigere privatrechtliche Gestaltung der Verjährungsfrage, die ihrem Wesen nach einem Verjährungsverzicht entspricht, zu Lasten des Fonds ausgeschlossen sein. Dies steht mit dem weiteren Grundsatz im Einklang, dass aus IESG-rechtlicher Sicht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Entstehen und der Fälligkeit der geltend gemachten Forderung und dem Sicherungsbegehren bestehen soll.

3. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObS 5/14i ausgesprochen, dass der Arbeitnehmer, der sich sein Entgelt nicht auszahlen lässt, sondern dieses seinem Arbeitgeber auf dessen Verlangen stundet, wie bei jeder Stundung einer ungesicherten Forderung ein Insolvenzrisiko übernimmt (vgl 4 Ob 157/02w). Dieses Risiko, das mit der Länge des Stundungszeitraums ansteigt, kann nicht über die gesetzliche Verjährungsfrist hinaus wirksam auf die Beklagte überwälzt werden.

Die zitierte Entscheidung betrifft zwar eine Stundungsvereinbarung. Die darin angestellten Überlegungen gelten für ein Anerkenntnis des Arbeitgebers, das im Ergebnis wie ein Verjährungsverzicht wirkt, aber gleichermaßen. Dabei ist es nach den anzustellenden Wertungen zum Schutz des Insolvenzentgeltfonds gleichgültig, ob das Anerkenntnis des Arbeitgebers im Verein mit einer schlüssigen Annahme durch den Arbeitnehmer als Stundungsvereinbarung qualifiziert wird, wie dies das Berufungsgericht im Anlassverfahren getan hat, oder ob das Anerkenntnis nach § 1497 ABGB zu einer Unterbrechung der Verjährung führt, wofür die Ausführungen im rechtskräftigen Urteil im Vorprozess sprechen.

4. Jedenfalls bei privatrechtlicher Gestaltung der Verjährungsfrage zu Lasten des Insolvenzentgeltfonds kann dieser Umstand im IESG-rechtlichen Verfahren selbständig geprüft werden. In diesem Fall ist auch die rechtskräftige Entscheidung über den Verjährungseinwand im Vorverfahren nicht von der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG umfasst.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 1 Abs 2 IESG sind aufrechte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Insolvenz-Entgelt-Fonds gesichert, wenn sie nicht verjährt oder verfallen sind. Forderungen der AN auf Entgelt und Auslagenersatz verjähren gem § 1486 Z 5 ABGB nach Ablauf von drei Jahren. Der Lauf der Verjährungsfrist wird gem § 1497 ABGB entweder durch fristgerechte Klagseinbringung und gehörige Fortsetzung des Verfahrens oder durch ein Anerkenntnis des AG unterbrochen.

Ob die geltend gemachten Ansprüche verjährt oder verfallen sind, ist im Verwaltungsverfahren nach dem IESG von der IEF-Service GmbH von Amts wegen zu prüfen. Eine vor Eintritt der Verjährung abgegebene Erklärung des AG, auf den Einwand der Verjährung zu verzichten, ist gem § 1502 ABGB unwirksam. Ein Anerkenntnis bereits verjährter Ansprüche wirkt nur im Verhältnis AG und AN, bindet jedoch nicht den Insolvenz-Entgelt-Fonds. Ein AN, der sein fälliges Entgelt nicht einfordert bzw klagsweise geltend macht, sondern seinem AG stundet, übernimmt damit auch das Insolvenzrisiko.

Gem § 7 Abs 1 IESG ist die IEF-Service GmbH bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind, gebunden. Diese Bindung tritt aber nicht ein, wenn der Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist – wie zB bei einem Zahlungsbefehl oder Versäumungsurteil – oder wenn ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung vor weniger als sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder vor Erlassung eines gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist.

Im vorliegenden Fall ist unklar, ob durch das Anerkenntnis der AG und der schlüssigen Annahme des Anerkenntnisses durch die AN eine Stundungsvereinbarung zustande gekommen ist, oder ob bereits das Anerkenntnis des AG die Verjährung unterbricht. Diese Differenzierung kann jedoch dahingestellt bleiben, da jegliche privatrechtliche Gestaltung der Verjährungsfrage zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds im IESG-rechtlichen Verwaltungsverfahren von der IEF-Service GmbH von Amts wegen zu prüfen ist. Die IEF-Service GmbH ist dabei weder an eine Stundungsvereinbarung noch an ein Anerkenntnis der Ansprüche durch den AG gebunden. Auch eine allfällige rechtskräftige Entscheidung über den Verjährungseinwand im Vorprozess bewirkt keine Bindung der IEF-Service GmbH, da derartige Entscheidungen nicht von der Bindungswirkung des § 7 Abs 1 IESG umfasst sind.

Der Anspruch der Kl wurde daher trotz gerichtlich festgestelltem Anerkenntnis des AG von der IEF-Service GmbH zu Recht abgewiesen.155