97

Rückzahlungspflicht angefochtener Entgeltzahlungen: Keine Ausweitung der Sicherungsgrenzen nach dem IESG

MARGITMADER

Der Übergang der Rückzahlungsverpflichtung für anfechtbare Zahlungen vom AN auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds setzt voraus, dass für die Forderung, die der angefochtenen Zahlung zugrunde liegt, ein Anspruch des AN auf Insolvenz-Entgelt besteht.

SACHVERHALT

Der Kl war von 16.7.2012 bis 15.4.2015 beschäftigt. In Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten des AG kam es bald zu Verzögerungen bei der Gehaltszahlung, letztendlich erfolgten gar keine Zahlungen mehr. Am 13.3.2015 erhielt der AN, der seinen AG zur Zahlung des offenen Entgelts aufgefordert hatte, noch sein Gehalt für Juni 2014 samt Urlaubszuschuss für 2014 ausbezahlt. Seine restlichen Gehaltsansprüche von Juli 2014 bis April 2015 inklusive der gebührenden Sonderzahlungen wurden nicht mehr ausbezahlt. Am 10.4.2015 wurde über das Vermögen des AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Arbeitsverhältnis endete durch vorzeitigen berechtigten Austritt gem § 25 IO. Einige Zeit später gab die Insolvenzverwalterin bekannt, die Zahlung der Schuldnerin vom 13.3.2015 gem § 31 IO anzufechten. Der Kl meldete seine Forderungen – auch den angefochtenen Betrag – im Insolvenzverfahren an und beantragte Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die IEF-Service GmbH wies den Antrag des Kl auf Zuerkennung des angefochtenen Betrages mit der Begründung ab, der Anspruch sei nicht gesichert, da er nicht innerhalb der letzten sechs Monate vor Insolvenzeröffnung fällig geworden sei. Der AN brachte dagegen Klage ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren des AN ab. Der Kl habe den in § 3a Abs 1 IESG normierten Sicherungszeitraum für seine Forderungen ausgeschöpft; für den länger als sechs Monate zurückliegenden Zeitraum stehe ihm kein Lohn (mehr) zu. Auch bei Anwendung des § 7 Abs 7 IESG sei ein nach § 3a Abs 1 IESG gesicherter Anspruch Voraussetzung. Die geänderte Rückzahlungsverpflichtung bei anfechtbaren Zahlungen vom AN auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds habe nicht zur Folge, dass die Sicherungsgrenzen des IESG unbeachtlich wären.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab. Aus dem Wortlaut des § 7 Abs 7 IESG ergebe sich kein Hinweis auf eine Beschränkung angefochtener Zahlungen auf gesicherte Ansprüche. Die Novellierung des IESG aus dem Jahr 1997, in der die Wortfolge „im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes“ entfernt worden sei, spreche dafür, dass die Verpflichtung zur Rückerstattung auf die Bekl auch dann übergehe, wenn der Sicherungszeitraum des § 3a Abs 1 IESG bereits erschöpft gewesen sei. Hier gehe es um die Abfederung der mit einer Verpflichtung zur Rückzahlung lange nach Fälligkeit erhaltener Entgelte verbundenen Härten, auch wenn damit eine Ausweitung des Sicherungszeitraums verbunden sei. Eine entsprechende Klarstellung der Sicherungsgrenzen sei Aufgabe des Gesetzgebers.

Der OGH gab der dagegen gerichteten Revision der Bekl statt, hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Gemäß § 3a Abs 1 erster Satz IESG gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1 IESG) oder – sofern das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag endete – in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichem Ende fällig geworden ist. Für länger zurückliegende Entgeltforderungen steht Insolvenz-Ausfallgeld nur unter besonderen, im Gesetz näher geregelten Voraussetzungen zu.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Zweck des IESG eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS-Justiz RS0076309; siehe auch Liebeg, IESG3 § 3a Rz 23). Mit diesem Zweck ist es allgemein nicht vereinbar, längst zurückliegende (weil lange stehen gelassene) Ansprüche, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinen Zusammenhang mehr gebracht werden können, dem Schutzzweck des IESG zu unterstellen (8 ObS 200/02y).

2.1 Unter bestimmten Voraussetzungen können Entgeltzahlungen, die ein Arbeitnehmer bereits erhalten hat, nach Bestimmungen der IO oder der AnfO angefochten werden. Sofern der Arbeitnehmer durch eine solche Anfechtung zur Rückerstattung erhaltener Entgeltzahlungen verpflichtet156wird, kommt ihm für seine – dann wieder offenen – Gehaltsforderungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Arbeitgeberin grundsätzlich ein Anspruch auf Insolvenz-Entgelt zu.

2.2 § 7 Abs 7 IESG lautet:

‚Ist unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 1 der Anspruchsberechtigte aufgrund eines Urteiles nach der Insolvenzordnung oder der Anfechtungsordnung verpflichtet, erhaltene Zahlungen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) zurückzuerstatten, so geht diese Verpflichtung mit der rechtzeitigen Beantragung (§ 6 Abs 1) auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds über. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der Anspruchsberechtigte aufgrund einer nachweislich ihm zugegangenen schriftlichen Aufforderung solche Zahlungen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) zurückzuerstatten hat.‘

Dieser Abs 7 wurde § 7 IESG durch die IESG-Novelle 1992, BGBl Nr 835/1992, angefügt. Er sollte – so die Gesetzesmaterialien – ‚das Verfahren vereinfachen‘, indem der Insolvenz-Entgelt-Fonds anfechtbare Zahlungen, die der Masseverwalter von einem Arbeitnehmer forderte, (nach fristgerechtem Antrag des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld) nun direkt an die Masse leisten sollte (ErlRV 738 BlgNR 18. GP 6). Diese Bestimmung sah in ihrer ursprünglichen Fassung den Übergang der Zahlungsverpflichtung auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds ‚im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes‘ vor. In dieser Fassung bestand daher kein Zweifel daran, dass der Übergang der Zahlungsverpflichtung auf den Fonds im gleichen Umfang einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld voraussetzte. Die damalige Fassung der Bestimmung war allerdings noch auf den Anfechtungstatbestand des § 30 Abs 1 Z 1 KO beschränkt und hatte daher zunächst keine praktische Bedeutung, weil bei Gehaltszahlungen eine inkongruente Deckung nicht vorliegen konnte (Liebeg, IESG3 § 7 Rz 24).

Durch die IESG-Novelle 1997, BGBl I Nr 107/1997, wurde § 7 Abs 7 IESG neu formuliert und auf alle Anfechtungstatbestände der IO und der AnfO erweitert. Die nun angeordnete ‚Bedachtnahme‘ auf § 1 Abs 3 Z 1 IESG (nach dem kein Insolvenz-Entgelt für Ansprüche gebührt, die durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurden) stellt klar, dass ein Übergang der Zahlungsverpflichtung vom Arbeitnehmer auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nur stattfinden kann, wenn bloß die vom Arbeitnehmer erhaltene Zahlung anfechtbar ist, nicht aber auch dann, wenn etwa der Gehaltsanspruch selbst bereits anfechtbar erworben worden ist (ErlRV 737 BlgNR 20. GP 11). Ein Übergang der Zahlungsverpflichtung kommt daher von vornherein nicht in Betracht, wenn der Anspruch auf die erhaltene Zahlung durch eine (im Sinn der IO oder der AnfO) anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde (siehe etwa Liebeg, IESG3 § 1 Rz 480: zB durch Vereinbarung einer Vordienstzeitenanrechnung von zehn Jahren bei einem 22-jährigen Arbeitnehmer). Auf die frühere Wortfolge ‚im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes‘ gehen die Gesetzesmaterialien weder anlässlich der IESG-Novelle 1992, durch die sie Eingang in die Bestimmung gefunden hat, noch anlässlich der IESG-Novelle 1997, in deren Neuformulierung sie entfallen ist, ein. […]

2.4 Es ist zwar richtig, dass – wie das Berufungsgericht argumentiert – der Wegfall des erwähnten Einschubs und die (dadurch) offene Formulierung des § 7 Abs 7 IESG nur nach ihrem Wortsinn auch eine weite Auslegung hinsichtlich aller angefochtenen Entgeltzahlungen eines Arbeitnehmers, zu deren Rückzahlung er verpflichtet wird (oder werden könnte), zulassen würde. Eine solche isolierte Betrachtung dieser Bestimmung begegnet jedoch erheblichen systematischen Bedenken: Sowohl die Bezugnahme des § 7 Abs 7 IESG auf gemäß § 1 Abs 3 Z 1 IESG von vornherein ausgeschlossene Ansprüche, als auch die Positionierung dieses Absatzes und der mit ihm laut den Gesetzesmaterialien verfolgte Zweck der Verfahrensvereinfachung spricht – wie die Beklagte dies stets eingewendet hat – dafür, dass die allgemeinen Sicherungsgrenzen des IESG durch den Übergang der (bloßen Auszahlungs-)Verpflichtung bei anfechtbaren Zahlungen vom Arbeitnehmer auf den Fonds nicht erweitert wurden, sondern auch in diesem Zusammenhang zu beachten sind. § 7 Abs 7 IESG stellt selbst keine eigene, zusätzliche Anspruchsgrundlage dar, auf die sich ein Arbeitnehmer, der eine anfechtbare Geldleistung erhalten und diese zurückzuerstatten hat, auch in solchen Fällen berufen könnte, in denen er (im direkten Weg) gegenüber dem Fonds für die der Zahlung zugrundeliegende Forderung keinen Insolvenz-Ausfallgeld-Anspruch gehabt hätte. Auch der Entfall der erwähnten Wortfolge im Zuge der Novellierung lässt nämlich keine entsprechende Absicht des Gesetzgebers dahin erkennen, dass durch diese Bestimmung eine über den allgemeinen Schutzumfang des IESG zugunsten der Arbeitnehmer hinausgehende Überwälzung des Finanzierungsrisikos von Unternehmen auf den Fonds vorgenommen werden sollte.

2.5 Zusammengefasst ist die Bestimmung des § 7 Abs 7 IESG daher so auszulegen, dass der angeordnete Übergang der Rückzahlungsverpflichtung für anfechtbare Zahlungen vom Arbeitnehmer auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds voraussetzt, dass für die Forderung, die der angefochtenen Zahlung zugrunde liegt, ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld bestand. Eine Ausweitung der Sicherungsgrenzen des IESG ist mit dieser Bestimmung nicht verbunden.

Im Anlassfall kann der Kläger daher für die von seinem früheren Arbeitgeber am 13. März 2015 erhaltene Zahlung für offenes Entgelt für Juni 2014 samt Urlaubszuschuss, für das er gemäß § 3a Abs 1 IESG nach der Eröffnung des Insol-157venzverfahrens am 10. April 2015 kein Insolvenz-Entgelt erhalten hätte, aus der Anfechtung dieser Zahlung durch die Insolvenzverwalterin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung an die Insolvenzmasse ableiten. Die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts war daher wiederherzustellen.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 3a Abs 1 IESG gebührt Insolvenz-Entgelt für das laufende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Insolvenzstichtag, oder wenn das Arbeitsverhältnis vorher geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dem arbeitsrechtlichen Ende fällig geworden ist. Ansprüche aus früheren Lohnperioden sind nur dann gesichert, wenn sie binnen sechs Monaten ab ihrem Entstehen gerichtlich bzw im Schlichtungsverfahren oder vor der Gleichbehandlungskommission geltend gemacht wurden und dieses Verfahren gehörig fortgesetzt wurde. Durch die zeitliche Begrenzung der gesicherten Entgeltrückstände auf die letzten sechs Monate wird eine übermäßige, sachlich nicht gerechtfertigte Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds verhindert.

Unter bestimmten Voraussetzungen können Entgeltzahlungen, die ein AN bereits erhalten hat, nach den Bestimmungen der IO oder der AnfO vom Insolvenzverwalter angefochten werden. Wird der AN durch eine solche Anfechtung zur Rückerstattung bereits erhaltener Entgeltzahlungen verpflichtet, steht ihm für seine – dann wieder offenen – Entgeltforderungen grundsätzlich ein Anspruch auf Insolvenz-Entgelt zu.

Gem § 7 Abs 7 IESG geht die Verpflichtung zur Rückerstattung bereits erhaltener Zahlungen auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds über, wenn der AN, der auf Grund eines Urteils nach der Insolvenz- oder Anfechtungsordnung zur Rückzahlung verpflichtet ist, fristgerecht einen dementsprechenden Antrag auf Insolvenz-Entgelt einbringt. Diese Verpflichtung des Insolvenz-Entgelt-Fonds besteht auch dann, wenn der AN aufgrund einer ihm nachweislich zugegangenen schriftlichen Aufforderung des Insolvenzverwalters bereits erhaltene Zahlungen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zurückzuerstatten hat.

Diese Bestimmung bewirkt eine Verfahrensvereinfachung, indem der Insolvenz-Entgelt-Fonds anfechtbare Zahlungen, die der Insolvenzverwalter zurückfordert, nach einem fristgerechten Antrag des AN nun direkt an die Masse leistet. In der ursprünglichen Fassung war ein Übergang der Zahlungsverpflichtung auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds ausdrücklich „nur im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes“ vorgesehen. Durch die IESG-Novelle 1997, BGBl I 1997/107, wurde § 7 Abs 7 IESG neu formuliert und auf alle Anfechtungstatbestände der IO und der AnfO erweitert. Die frühere Wortfolge „im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes“ wurde dabei aus dem Gesetzestext eliminiert. Der Wegfall des erwähnten Einschubs und die (dadurch) offene Formulierung des § 7 Abs 7 IESG würde – nur nach ihrem Wortsinn – grundsätzlich auch eine weite Auslegung hinsichtlich aller angefochtenen Entgeltzahlungen eines AN – ohne Rücksicht auf die Sicherungsgrenzen des IESG – zulassen. Eine derart isolierte Betrachtungsweise würde jedoch der Systematik des IESG widersprechen. Aus den Gesetzesmaterialien geht klar hervor, dass durch den Übergang der Auszahlungsverpflichtung auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds die allgemeinen Sicherungsgrenzen des IESG nicht erweitert wurden, sondern auch in diesem Zusammenhang zu beachten sind und keine über den allgemeinen Schutzumfang des IESG hinausgehende Überwälzung des Finanzierungsrisikos von Unternehmen auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds vorgenommen werden sollte. § 7 Abs 7 IESG stellt somit keine eigene, zusätzliche Anspruchsgrundlage dar.

Im Anlassfall bestand daher kein Anspruch auf Zahlung des angefochtenen Betrages durch die IEF-Service GmbH.