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Export von Rehabilitationsgeld und maßgeblicher Stichtag für den Berufsschutz

MONIKAWEISSENSTEINER

Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein primärrechtlich fundierter Anspruch auf Export des Rehabilitationsgeldes ins Ausland besteht. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Rehabilitationsgeldbezug unmittelbar an den Bezug einer befristeten Invaliditätspension aus Österreich anschließen soll, der Versicherte in Österreich Versicherungszeiten erworben hat, er seinen Wohnsitz in einem zeitlichen Nahebereich zur Antragstellung auf Weitergewährung ins EU-Ausland verlegt hat und dort keine Erwerbsunfähigkeitspension bezieht.

Bei einem Weitergewährungsantrag ist iSd Einheitlichkeit des Versicherungsfalls für den Berufsschutz vom ursprünglichen Stichtag auszugehen.

SACHVERHALT

Die 1975 geborene Kl arbeitete in Ungarn in verschiedenen Berufen; in Österreich war sie ab 2004 mit Unterbrechungen beschäftigt, ab Mai 2005 ua als Schankaushilfe und Serviererin. Am 28.11.2008 schloss sie die Kurzausbildung zur Restaurantfachfrau mit der Ergänzung zur Lehrabschlussprüfung ab. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1.4.2010 erwarb sie 23 Pflichtversicherungsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit. Die Bekl gewährte von 1.4.2010 bis 31.3.2014 eine befristete Invaliditätspension. Derzeit ist die Kl nicht arbeitsfähig, eine Besserung ist aber nach 18 Monaten mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit erreichbar. Zumindest ab 9.4.2014 lebt die Kl in Ungarn.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Weitergewährungsantrag auf befristete Invaliditätspension wurde abgelehnt. Das Erstgericht entschied, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld trotz des Wohnsitzes in Ungarn zu Recht bestehe. Festgestellt wurde auch ein Anspruch auf bestimmte näher bezeichnete Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Das Vorliegen von Berufsschutz wurde verneint. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und wies die Berufungen beider Parteien ab. Der OGH wies beide Revisionen als unzulässig zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Zur Revision der Klägerin:

[...]

2.1 Berufsunfähigkeit/Invalidität liegt nach der Rechtslage nach dem SRÄG 2012 voraussichtlich dauerhaft dann vor, wenn eine die Berufsunfähigkeit/Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (im Sinn des Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist. [...] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, ausgehend von den getroffenen Feststellungen liege keine dauerhafte Invalidität vor, steht mit dieser Rechtsprechung in Einklang.

3.1 In der Revision nicht in Zweifel gezogen wird, dass bei einem Weitergewährungsantrag im Sinne der Einheitlichkeit des Versicherungsfalls für den Berufsschutz vom ursprünglichen Stichtag (1.4. 2010) auszugehen ist, also hinsichtlich des Berufsschutzes § 255 ASVG in der zum 1.4.2010 geltenden Fassung vor dem SRÄG 2012 BGBl I 2013/3) anzuwenden ist [...]. Nach dieser Regelung galt der Versicherte, der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in173jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Nach § 255 Abs 2 ASVG idF zum 1.4.2010 galten als überwiegend iSd Abs 1 solche erlernten (angelernten) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Das Gesetz stellt somit auf das relative Überwiegen der Ausübung der qualifizierten Tätigkeit hinsichtlich der Zahl der Beitragsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ab [...].

3.2 Davon weicht die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht ab, aufgrund des im vorliegenden Fall festgestellten Berufsverlaufs sei kein Überwiegen der Ausübung der qualifizierten Tätigkeit gegenüber den unqualifizierten Zeiten gegeben. Da der Gesetzgeber der Ausbildung allein noch keine privilegierende Wirkung zubilligt, kann von der Ausübung einer Berufstätigkeit iSd § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG bei in einem Lehr- oder Ausbildungsverhältnis stehenden Personen oder Praxiszeiten absolvierenden Personen nicht gesprochen werden. [...]

Zur Revision der Beklagten:

[...]

2.1 Der Oberste Gerichtshof hat in der am 20.12.2016 zu AZ 10 ObS 133/15d ergangenen Entscheidung ausführlich zu der auch hier zu beurteilenden Frage Stellung genommen, ob einer in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Versicherten, die unmittelbar zuvor von der Pensionsversicherungsanstalt eine befristete Invaliditätspension bezogen hat, für die Dauer der vorübergehenden Invalidität Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung zusteht. [...]

2.2.2 Beim Rehabilitationsgeld handelt es sich jedoch um eine nicht eindeutig in die Kategorien des Art 3 VO 883/2004 einordenbare Geldleistung mit Sondercharakter, da bedeutende Berührungspunkte mit der Pensionsversicherung gegeben sind. Insbesondere hängt die Gewährung von Rehabilitationsgeld vom Erwerb von Versicherungs- und Beitragszeiten in Österreich ab und stellt damit eine Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Beiträgen dar. [...]

2.2.4 Es ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob ein primärrechtlich fundierter Exportanspruch besteht. Dieser ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Rehabilitationsgeldbezug unmittelbar an den Bezug einer befristeten Invaliditätspension aus Österreich anschließen soll, der Versicherte in Österreich Versicherungszeiten erworben hat, er seinen Wohnsitz in einem zeitlichen Nahebereich zur Antragstellung auf Weitergewährung ins EU-Ausland verlegt hat und dort keine Erwerbsunfähigkeitspension bezieht. In diesem Fall ist aufgrund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes der Leistungsverlust infolge des Wohnsitzwechsels in einen anderen Mitgliedstaat auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zurückzuführen. Es kommen dem Versicherten daher die Regeln des Art 45 ff iVm Art 50 ff der VO 883/2004 zu gute. [...]

3.2 Die Ansicht der Vorinstanzen, im Hinblick auf den Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes sei an den Erwerb von Versicherungszeiten in Österreich anzuknüpfen und eine Zuständigkeit Österreichs zu bejahen, sodass dem Rehabilitationsgeldanspruch der Klägerin deren Umzug ins EU-Ausland nicht entgegensteht, weicht von der Entscheidung 10 ObS 133/15d nicht ab. [...]“

ERLÄUTERUNG

In dieser E beantwortet der OGH erneut wichtige Fragen zum Rehabilitationsgeld: Die erste Frage – über Revision der Bekl neuerlich vor den OGH gebracht – betrifft die Exportierbarkeit von Rehabilitationsgeld in einen anderen EU-Mitgliedstaat. Hier verweist der OGH auf seine E vom 20.12.2016, 10 ObS 133/15d (DRdA-infas 2017/77). Er betont, dass in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob sich eine Exportverpflichtung aus dem Unionsrecht ergibt. Der Anknüpfungspunkt des Erwerbs von Versicherungszeiten in Österreich wird wohl in allen Fällen gegeben sein, in denen der Anspruch auf Rehabilitationsgeld von der Pensionsversicherungsanstalt schon im Bescheid – wie im vorliegenden Fall – grundsätzlich bejaht wurde (und nur die Auszahlung wegen des Wohnsitzes im EU-Ausland verweigert wurde). In den bisher vom OGH entschiedenen Fällen schloss der Rehabilitationsgeldbezug unmittelbar an eine befristete Invaliditätspension an. Die Wohnsitzverlegung steht in einem zeitlichen Nahebereich zur Antragstellung auf Weitergewährung. Im vorliegenden Fall wurde der Antrag wohl spätestens im März 2014 gestellt (Ende der befristeten Invaliditätspension am 31.3.2014); der Wohnsitz wurde „spätestens ab 9.4.2014“ nach Ungarn verlegt. Genaueres lässt sich der OGH-E dazu nicht entnehmen.

Anzumerken ist im Übrigen, dass das Erstgericht auch ausgesprochen hat, dass die Kl „als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation Anspruch auf einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Fachstation, allenfalls auch nur Aufnahme in einer Tagesklinik mit regelmäßiger Beschäftigung von Montag bis Freitag, regelmäßigen psychiatrischen Kontrollen zur optimalen Medikamenteneinnahme und regelmäßiger Gesprächsführung zur Erarbeitung von realistischen Perspektiven für die Zukunft“ hat. Weder im OLG- noch im OGH-Urteil findet man zu diesem ungewöhnlich konkreten Zuspruch von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation eine Aussage. Es bleibt daher unbeantwortet, von wem bei einem Export des Rehabilitationsgeldes die Sachleistung der medizinischen Rehabilitation zu erbringen ist und wie etwaige Mitwirkungspflichten zu beurteilen sind.

Eine weitere wichtige Rechtsfrage wird vom OGH über Revision der Kl beantwortet: Bei einem Weitergewährungsantrag ist iSd Einheitlichkeit des Versicherungsfalls für den Berufsschutz von der174 Rechtslage zum ursprünglichen Stichtag – hier der 1.4.2010 – auszugehen. Damit war im vorliegenden Fall § 255 ASVG idF vor dem SRÄG 2012 anzuwenden (überwiegende Ausübung des erlernten oder angelernten Berufs in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag). Diese Voraussetzung ist bei der Kl nicht erfüllt, weil erst die Zeit nach Ende der Lehrabschlussprüfung als qualifizierte Berufsausübung zählt.

Hinzuweisen ist abschließend darauf, dass nach der Rsp des OGH im Fall der Entziehung des Rehabilitationsgeldes nach einer befristeten Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wegen Besserung des Gesundheitszustandes der maßgebliche Vergleichszeitpunkt jener der Gewährung des Rehabilitationsgeldes (und nicht jener der davor erfolgten Zuerkennung der befristeten Pension) ist. In diesem Fall sei die Judikatur zur Weitergewährung nicht anwendbar (OGH10 ObS 149/16hDRdA-infas 2017/76).

ANMEKRUNG DER BEARBEITERIN:
In weiteren Entscheidungen vom selben Tag (OGH 24.1.2017, 10 ObS 58/16a und 10 ObS 72/16k) wird – jeweils bei einem Weitergewährungsantrag nach einer befristeten Invaliditätspension – entschieden, dass eine Exportverpflichtung besteht.