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Freizeit- und Entgeltfortzahlungsanspruch von Wahlzeugen bei Betriebsratswahl

MARTINACHLESTIL

Für die Tätigkeit als Wahlzeuge bei einer Betriebsratswahl besteht nach § 8 Abs 3 AngG bzw nach § 1154b ABGB ein Anspruch auf Freistellung gegen Entgeltfortzahlung. Für Zeiträume, während denen ein AN Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat, kann ein Urlaubsantritt nicht vereinbart werden, wenn diese Umstände bereits bei Abschluss der Vereinbarung bekannt waren.

SACHVERHALT

Der Kl ist seit 1988 bei der bekl AG als Angestellter beschäftigt. Die tägliche Normalarbeitszeit liegt zwischen 7:00 Uhr und 16:00 Uhr. Am 9.6. und 10.6.2015 fanden bei der bekl AG von 6:00 Uhr bis 16:00 Uhr Betriebsratswahlen statt, bei denen der Kl, der auch mit einer eigenen Liste kandidierte, als Wahlzeuge fungierte. Für diese beiden Tage wurde zwischen den Parteien eine Urlaubsvereinbarung geschlossen, damit der Kl seine Tätigkeit als Wahlzeuge ausüben kann.

Der Kl begehrt nun die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der für den 9.6. und 10.6.2015 getroffenen Urlaubsvereinbarung. Die Wahrnehmung einer Wahlzeugenfunktion bei einer Betriebsrats-147wahl stelle einen wichtigen, die Person des AN betreffenden Grund einer Leistungsverhinderung iSd § 8 Abs 3 AngG dar, er habe daher unter Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts vom Dienst fernbleiben können.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Vorinstanzen gaben dem Kl Recht. Die Revision an den OGH wurde zugelassen, weil fraglich ist, ob § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB auf Wahlzeugen zur Anwendung gelangt, wenn weder in der BRWO noch im ArbVG eine Dienstfreistellung mit Entgeltfortzahlung für Wahlzeugen vorgesehen ist. Nach dem OGH ist die Revision zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„2. Weder das ArbVG noch die BRWO enthalten eine Bestimmung über einen Freistellungs- bzw Entgeltfortzahlungsanspruch von Wahlzeugen für die Zeit der Ausübung ihrer Tätigkeit. Eine derartige Regelung findet sich in § 55 Abs 1 ArbVG sowie § 13 Abs 4 BRWO nur für den Wahlvorstand, indem auf die sinngemäße Anwendung der §§ 115 und 116 ArbVG verwiesen wird. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich daraus jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass damit für andere Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl eine Dienstfreistellung bzw Entgeltfortzahlung jedenfalls ausgeschlossen ist. […]

3. […] Nach § 8 Abs 3 AngG besteht ein Anspruch auf Entgelt, wenn der Angestellte durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste verhindert wird. […] Neben familiären oder tatsächlichen Hinderungsgründen ist es anerkannt, dass eine Dienstverhinderung aus öffentlichrechtlichen Pflichten ebenfalls unter § 8 Abs 3 AngG subsumiert werden kann. […] Allgemein anerkannt ist auch, dass die Ausübung des Wahlrechts einen wichtigen Grund darstellt. Dabei wird in der Literatur ein Entgeltfortzahlungsanspruch bei allgemeinen Wahlen auch für Beisitzer und Wahlzeugen angenommen. […]

Floretta/Strasser (ArbVG Handkommentar, 331) bejahen für den Wahlzeugen zwar einen Anspruch auf Freizeit, nicht jedoch auf Fortzahlung des Entgelts. §§ 115, 116 ArbVG seien nicht analog anzuwenden. Auf § 8 Abs 3 AngG wird nicht eingegangen.

Dagegen vertritt Löschnigg in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 56 Rz 9, dass die Mitwirkung als Wahlzeuge jedenfalls einen wichtigen, die Person des Arbeitnehmers betreffenden Grund iSd § 1154b ABGB bzw des § 8 Abs 3 AngG darstellt. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Die Tätigkeit als Wahlzeuge bei einer Betriebsratswahl dient, wie eingangs dargelegt, den Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens und damit letztlich auch den betrieblichen Interessen am gesetzmäßigen Ablauf einer Betriebsratswahl und ist so wie die Tätigkeit des Wahlzeugen bei allgemeinen Wahlen für das Funktionieren einer demokratischen (Betriebs-)Gemeinschaft von essentieller Bedeutung. Sie stellt damit für den einzelnen Arbeitnehmer wenn auch keine Rechtspflicht, so doch eine so wesentliche gesellschaftliche Verpflichtung dar, dass vom Vorliegen eines Dienstverhinderungsgrundes im Sinn des § 8 Abs 3 AngG auszugehen ist.“

ERLÄUTERUNG

Nach § 23 BRWO ist jede Wählergruppe, deren Wahlvorschlag für die Betriebsratswahl zugelassen wurde, berechtigt (aber nicht verpflichtet), für jeden Wahlort höchstens zwei Wahlzeugen zu benennen. Diese haben die Aufgabe, die Wahlhandlung zu überwachen. Damit sollen – wie auch vom OGH im Erkenntnis ausgeführt – die Gesetzmäßigkeit des Wahlvorgangs sichergestellt und unbegründete Wahlanfechtungen vermieden werden. Nachdem weder das ArbVG noch die BRWO eine Bestimmung über einen Freistellungs- und Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit der Ausübung der Tätigkeit als Wahlzeuge vorsehen, war nun im vorliegenden Fall fraglich, ob einem AN ein solcher nach § 8 Abs 3 AngG bzw nach § 1154b Abs 5 ABGB zusteht. Bejahendenfalls ist eine für diesen Zeitraum getroffene Urlaubsvereinbarung unwirksam.

§ 8 Abs 3 AngG (bzw § 1154b Abs 5 ABGB) sieht einen Entgeltfortzahlungsanspruch bei anderen wichtigen, die Person des AN betreffenden Dienstverhinderungsgründen vor: Dazu zählen neben familiären und tatsächlichen Hinderungsgründen auch Verhinderungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Pflichten, wie etwa die Tätigkeit als Laienrichter oder auch als Beisitzer oder Wahlzeuge bei öffentlichen Wahlen (siehe Drs in

Neumayr/Reissner
, Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht [2011] § 8 AngG Rz 137). Betreffend Mitwirkung als Wahlzeuge bei Betriebsratswahlen schließt sich der OGH der in der Literatur von Löschnigg vertretenen Meinung an, wonach dies jedenfalls als wichtiger, seine Person betreffender Grund iSd § 8 Abs 3 AngG anzusehen ist und daher für die Ausübung des Überwachungsrechts Anspruch auf Freizeit sowie auf Fortzahlung des Entgelts besteht (siehe dazu Löschnigg in
Strasser/Jabornegg/Resch
, Kommentar zum Arbeitsverfassungsrecht [2011] § 56 Rz 9). Die dadurch entstehende Kollision von Vertragspflichten mit einer höherwertigen Pflicht kann dann im Einzelfall das ansonsten pflichtwidrige Unterlassen der Dienstleistung rechtfertigen; nach dem OGH hat daher eine Interessenabwägung stattzufinden, wobei die Interessen des AN an der (bezahlten) Freistellung den Interessen des AG an der Erbringung der Arbeitsleistung gegenüberzustellen sind. Da seitens der bekl AG dazu nichts vorgebracht wurde, ging der OGH von einem über-148wiegenden Interesse des Kl aus und bejahte den Anspruch auf Freistellung gegen Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 3 AngG.

Die in die Zeiten der Dienstverhinderung fallenden Urlaubstage waren somit nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzurechnen. Für derartige Zeiträume kann ein Urlaubsantritt nicht vereinbart werden, wenn diese Umstände bereits bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung bekannt waren.