92

Betriebsübergang – höhere Biennalsprünge für „alte Stammarbeitnehmer“ sind aus Gründen des Vertrauensschutzes zulässig

MARTINACHLESTIL

Die kl AN war ab 6.6.1983 in anrechenbaren Beschäftigungsverhältnissen und hat seit 1.1.2010 infolge eines Betriebsübergangs nach § 3 Abs 1 AVRAG ein aufrechtes Dienstverhältnis zur bekl AG. Die im gegenständlichen Verfahren eingeklagten Lohndifferenzen stützt sie darauf, dass sie iSd OGH-E vom 18.12.2014, 9 ObA 109/14s, nach dem hier maßgeblichen KollV für die kaufmännischen und technischen Angestellten als AN einzustufen sei, die vor dem 1.1.1995 eingetreten sei. Ihre Biennalsteigerungen würden danach nicht 5 % vom Grundgehalt, sondern 5,1 % vom Istlohn betragen.

Die Vorinstanzen folgten dieser Ansicht nicht, der OGH bestätigte deren Entscheidung.

Unterliegt der Erwerber einem anderen KollV als der Veräußerer, kommt es im Zuge des Betriebsübergangs zu einer Kollektivvertragsablösung, und es ist von der umfassenden Geltung des beim Übernehmer anzuwendenden KollV auszugehen. § 4 Abs 2 AVRAG sieht ergänzend vor, dass durch den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebsübergangs das dem AN vor dem Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden darf. Es ist daher die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende kollektivvertragliche Gelddifferenz fortzuschreiben; das Entgelt wird im Übergangszeitpunkt eingefroren und folgt in seinem künftigen Schicksal dem KollV des Erwerbers. Dies gilt auch für allfällige Biennalsprünge, die nicht mehr nach den Regeln des Veräußerer-KollV zustehen.

Soweit die gehaltsrechtliche Einordnung in den Erwerber-KollV die Berücksichtigung bisheriger Dienstzeiten verlangt, wurde in der OGH-E vom 18.12.2014, 9 ObA 109/14s, – dort zur Berück-150sichtigung von Verwendungsgruppenjahren – ausgeführt, dass infolge der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten so zu beurteilen seien, wie wenn sie beim neuen AG verbracht worden wären. Es sei davon auszugehen, dass es sich beim übergegangenen Arbeitsverhältnis schon immer um ein solches des AN zum Erwerber gehandelt habe und dementsprechend eine Anrechnung der früheren Dienstzeiten gar nicht erforderlich sei.

Dies ist jedoch davon zu unterscheiden, ob eine bestimmte Gruppe von AN – hier die „alten Stammarbeitnehmer“ – im Rahmen der Neuordnung des Gehaltsschemas eines KollV aus Gründen des Vertrauensschutzes besser als neu eintretende AN gestellt werden dürfen, weil sie bis zum maßgeblichen Stichtag ein höheres Entgelt bezogen. Die Zulässigkeit einer solchen Differenzierung wurde in der Judikatur bereits mehrfach bejaht, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz den AG nicht daran hindert, in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren und Vergünstigungen den ab einem bestimmten Zeitpunkt in Betracht kommenden AN nicht mehr zu gewähren.

Nachdem der hier maßgebliche KollV nur den vor dem 1.1.1995 eingetretenen AN höhere Biennalsprünge (5,1 % des Istlohns) gewährt und die nach diesem Stichtag durch Betriebsübergang übernommene kl AN dieser Gruppe von „alten Stammarbeitnehmern“ klar nicht angehört, kommt auch der damit für jene Gruppe verfolgte Vertrauensschutz bei ihr nicht zum Tragen. Sie hat daher keinen Anspruch auf die höheren Biennalsprünge wie die Stammbelegschaft; dass sie entgegen § 4 Abs 2 AVRAG in ihren bisherigen Entgeltansprüchen geschmälert wurde, behauptet sie auch nicht.