93Zum Verhältnis des besonderen Kündigungsschutzes nach dem BEinstG zu jenem nach dem VBG
Zum Verhältnis des besonderen Kündigungsschutzes nach dem BEinstG zu jenem nach dem VBG
Die Arbeits- und Sozialgerichte haben nach Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung eines begünstigten Behinderten gem § 8 Abs 2 erster Satz BEinstG in einem vom gekündigten AN eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Feststellungsverfahren sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen einer Kündigung nach § 32 VBG 1948 selbstständig zu prüfen.
Das nunmehr bekl Land stellte betreffend einen begünstigt behinderten Vertragsbediensteten (Lehrer) wegen zahlreicher Pflichtverletzungen beim Behindertenausschuss einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung, die auch erteilt wurde. Da sämtliche Rechtsmittel des Kl erfolglos geblieben waren, kündigte die Bekl das Dienstverhältnis des Kl gem § 32 Abs 2 Z 1, 3 und 6 VBG unter Hinweis auf die gröblichen Dienstpflichtverletzungen zum 30.11.2015 auf. Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kl die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 30.11.2015 hinaus, da die behaupteten Kündigungsgründe nicht vorlägen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kündigungsschutz nach § 32 VBG stelle keinen zusätzlichen Kündigungsschutz iSd § 8 Abs 5 BEinstG dar. Die Kündigungsgründe des § 32 Abs 2 Z 1, 3 und 6 VBG würden sich inhaltlich weitgehend mit den Zustimmungsgründen des § 8 Abs 2 BEinstG decken. Da der stärkere Kündigungsschutz den schwächeren verdränge, seien die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht neuerlich materiell zu überprüfen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Es vertrat die Auffassung, dass sich aus dem Wortlaut des § 8 Abs 5 BEinstG ableiten lasse, dass die gesetzlichen Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpften, weiter bestehen blieben, also zusätzlich anzuwenden seien. Der OGH erachtete den dagegen erhobenen Rekurs der Bekl zwar für zulässig, aber nicht für berechtigt. Die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils durch das Berufungsgericht sei daher zu Recht erfolgt.
„6. Der Oberste Gerichtshof hält es in Anknüpfung an die Entscheidung 9 ObA 42/10g nur für konsequent, dass auch wenn im Zustimmungsverfahren nach § 8 Abs 2 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde, das Arbeits- und Sozialgericht die Kündigungsgründe nicht nur in den Fällen selbständig zu prüfen hat, in denen sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags gründet, sondern auch in jenen, in denen der be-151sondere Kündigungsschutz im Gesetz – wie hier dem VBG – normiert ist. Die Arbeits- und Sozialgerichte haben dabei nicht nur die formale, sondern auch die materielle Kündigungsberechtigung zu überprüfen. Lediglich eine Nachprüfung der bereits vom Behindertenausschuss vorgenommenen Interessenabwägung iSd § 8 Abs 3 und 4 BEinstG ist den Arbeits- und Sozialgerichten untersagt.
Diese Beurteilung trägt auch der Wortlaut des § 8 Abs 5 Satz 1 BEinstG, wonach (grundsätzlich) gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben. § 8 Abs 5 Satz 2 BEinstG nimmt in Fällen der Anwendung der Abs 2 bis 4 des § 8 BEinstG lediglich die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 105 Abs 2 bis 6 ArbVG sowie die in Ausführung der Bestimmungen des § 210 Abs 3 bis 6 des Landarbeitsgesetzes 1984 erlassenen landesrechtlichen Vorschriften aus. Hätte der Gesetzgeber eine ‚Doppelgleisigkeit‘ auch im Falle des Zusammentreffens zwischen dem besonderen Kündigungsschutz nach dem BEinstG und jenem nach dem VBG vermeiden wollen, hätte dies wohl ausdrücklich Eingang in den Ausnahmetatbestand des § 8 Abs 5 Satz 2 BEinstG gefunden.
Dazu kommt, dass das im § 8 Abs 2 BEinstG normierte Kündigungsverbot mit der Zustimmung des Behindertenausschusses aufgehoben wird und damit der Dienstgeber konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückerhält. Erst wenn der Dienstgeber diese Befugnis wahrnimmt, der Dienstnehmer aber die Kündigung beim Arbeits- und Sozialgericht anficht, tritt das Kündigungsverfahren in die Phase der arbeitsgerichtlichen Prüfung, im Zuge derer (erstmals) der gesetzlich normierte Bestandschutz des VBG zu beachten ist. Für die Arbeits- und Sozialgerichte ist dann auch nur der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend, nicht aber die Bescheidbegründung der Verwaltungsbehörde (RIS-Justiz RS0037051 [T1]; RS0036948).“
Entsprechend § 8 Abs 2 BEinstG darf ein AG einen begünstigten Behinderten erst dann kündigen, wenn der Behindertenausschuss zugestimmt hat. Auch das VBG verlangt in seinem § 32 – wenn das Dienstverhältnis ununterbrochen ein Jahr gedauert hat – einen wichtigen Grund, um die Kündigung rechtswirksam aussprechen zu können, sieht also ebenso einen besonderen Kündigungsschutz vor. Zu der sich daraus ergebenden Frage des Verhältnisses der eben erwähnten Kündigungsschutzbestimmungen zueinander hat der OGH bislang noch nicht Stellung bezogen. Kommen beide nebeneinander zur Anwendung oder verdrängt der „schutzintensivere“ Kündigungsgrund den schwächeren?
Dem überwiegenden Teil der Lehre folgend stellt der OGH mit der vorliegenden E klar, dass die Regelungen des VBG zusätzlich zu den Bestimmungen des BEinstG gelten und die dort normierten Kündigungsgründe von den Gerichten daher selbstständig geprüft werden müssen. Er beruft sich in diesem Zusammenhang vor allem auf den Wortlaut des § 8 Abs 5 erster Satz BEinstG, wonach gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben.
Während gem § 8 Abs 5 zweiter Satz der im § 105 ArbVG geregelte „allgemeine“ Kündigungsschutz neben dem BEinstG ausdrücklich nicht zur Anwendung kommen soll, ist hingegen auf andere gesetzliche Bestimmungen, die einen „besonderen“ Kündigungsschutz gewähren, Bedacht zu nehmen. Ein solcher „besonderer“ Kündigungsschutz ist neben dem VBG etwa auch zum Schutz von (werdenden) Müttern und Vätern im Mutterschutz- und Väter-Karenzgesetz und zum Schutz von Präsenz-, Zivildienern und Zeitsoldaten im Arbeitsplatz-Sicherungsgesetz geregelt. Der AG muss also in all den genannten Fällen nicht nur die Zustimmung des Behindertenausschusses, sondern auch die des Arbeitsgerichtes einholen, wenn er die geschützten Personen kündigen möchte. Auch Kollektivverträge können einen „besonderen“ Kündigungsschutz vorsehen. Solche kollektivvertraglichen Bestimmungen sind demnach ebenfalls beachtlich und zusätzlich zu den Schutzbestimmungen des BEinstG anzuwenden.
Sollten hingegen Belegschaftsvertreter, also Mitglieder des BR (Jugendvertrauensrates) bzw Personalvertreter, begünstigt behindert sein, so sind gem § 8 Abs 6 lit a BEinstG die Kündigungsschutzbestimmungen des BEinstG auf diese Personen nicht anwendbar, wenn ihnen aufgrund ihres Mandats ein (weitergehender) Kündigungsschutz, etwa nach den §§ 120 und 121 ArbVG oder anderen gesetzlichen Vorschriften, zusteht.152