123Entgeltanspruch bei Zurückbehaltung der Arbeitsleistung wegen Verzugs mit der Entgeltzahlung besteht auch ohne Erklärung der Arbeitsbereitschaft
Entgeltanspruch bei Zurückbehaltung der Arbeitsleistung wegen Verzugs mit der Entgeltzahlung besteht auch ohne Erklärung der Arbeitsbereitschaft
Die Formulierung „zur Leistung bereit war
“ in § 1155 Abs 1 ABGB stellt nur auf die grundsätzliche Leistungsbereitschaft des AN ab, wenn und solange der AG seine Lohnzahlungspflicht erfüllt; in diesem Sinn ist daher § 1155 ABGB teleologisch einschränkend auszulegen. Ist der AG bereits mit zwei Gehaltszahlungen im Rückstand, so hat der AN bei Zurückhaltung der Arbeitsleistung einen Entgeltfortzahlungsanspruch, der nicht davon abhängt, ob er sich auf diesen Zahlungsrückstand berufen oder seine Arbeitsbereitschaft erklärt hat.
Die Gehälter der kl AN, einer seit September 2014 als Angestellte beschäftigten Fitness-Trainerin, wurden ab Dezember 2014 wegen finanzieller Schwierigkeiten des AG nicht mehr bezahlt. Am 19.1.2015 erfolgte aus diesem Grund die Kündigung durch den AG (unter Missachtung der laut AngG gebotenen Kündigungsfrist) zum 24.2.2015. Ab dem 20.1.2015 kam die AN nicht mehr zur Arbeit. Am 16.2.2015 kam es zu einem Betriebsübergang auf die Bekl. In der Zeit zwischen 5.2. und 28.2.2015 war das Fitnessstudio für Kunden geschlossen. Mit Schreiben vom 13.2.2015 an die Rechtsvorgängerin der Bekl forderte die AN die Zahlung ihrer beiden offenen Gehälter. Von diesem Schreiben erlangten aber weder die Bekl noch deren Rechtsvorgängerin Kenntnis.
Die AN begehrte mit ihrer Klage durchgehendes laufendes Entgelt, Sonderzahlungen sowie Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung. Die Bekl ging von einem unberechtigten vorzeitigen Austritt der AN aus, weil sie ab dem 20.1.2015 nicht mehr im Betrieb erschienen sei.
Das Erstgericht sprach der AN Gehalt und Sonderzahlungen bis 19.1.2015 zu. Das Berufungsgericht verpflichtete die Bekl zusätzlich zur Zahlung einer Urlaubsersatzleistung und Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 25.2. bis 15.3.2015. Es führte aus, dass ein Anspruch auf Gehalt und Sonderzahlungen für die Zeit von 20.1.2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (durch die – zwar fristwidrig, aber wirksam – zum 24.2.2015 erklärte AG-Kündigung) ausscheide: Ein Grund für das Unterbleiben der Arbeitsleistung habe nicht bestanden. Die AN habe nicht vorgebracht, dass sie wegen Entgeltrückständen nicht gearbeitet hätte; sie habe sich auch nicht arbeitsbereit erklärt. Der OGH ging von der Berechtigung der Revision der AN aus und sprach ihr – so wie begehrt – das laufende Gehalt samt Sonderzahlungen von 13.2. bis 24.2.2015 zu.
„Im vorliegenden Fall ist – wie sogleich näher ausgeführt wird – die Frage, ob die Klägerin in ihrem Schreiben an ihren früheren Arbeitgeber vom 13. Februar 2015 (auch) ihre Arbeitsbereitschaft erklärte, für die rechtliche Beurteilung der von ihr geltend gemachten Forderungen allerdings nicht relevant. [...]
In ihrer Rechtsrüge weist die Revisionswerberin zutreffend darauf hin, dass nach dem Sachverhalt eine Arbeitsleistung der Klägerin als Fitness-Trainerin im – unstrittig in der Zeit zwischen 4. und 28. Februar 2015 für Kunden geschlossenen – Fitnessstudio objektiv nicht möglich war. Fest steht außerdem, dass die Klägerin im Februar 2015 ihr Gehalt für Dezember 2014 und Jänner 2015 noch nicht erhalten hatte (diese Forderungen waren auch noch Teil des Klagebegehrens und der Gehaltsanspruch für Dezember 2014 wurde – insoweit bereits teilrechtskräftig – vom Erstgericht zuerkannt), was sowohl ihrem früheren Arbeitgeber als auch der Beklagten bekannt war. Bereits aus diesem Grund war ein – von den Vorinstanzen als Grund für die Abweisung eines Teils der geltend gemachten Forderungen herangezogener – zusätzlicher ‚Rechtfertigungsgrund‘ der Klägerin für das Unterbleiben ihrer Arbeitsleistung in diesem Fall nicht erforderlich.
Ein Arbeitnehmer ist nach der Rechtsprechung berechtigt, seine Arbeitsleistung solange zurückzuhalten, bis der Arbeitgeber einen bereits fällig gewordenen Lohnrückstand gezahlt hat (RIS-Justiz RS0020176; 9 ObA 39/11t mwN). Es genügt, dass der Arbeitnehmer einen derartigen die Arbeitsverweigerung rechtfertigenden Grund im Prozess nachweist, ohne dass es darauf ankommt, ob er diesen Grund im Zeitpunkt der Ablehnung der Arbeit vorgebracht hat (8 ObA 68/99d).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 1155 ABGB auch auf den Fall der Zurückbehaltung der Arbeitsleistung wegen Verzugs mit der Entgeltzahlung anzuwenden ist: Die Formulierung ‚zur Leistung bereit war‘ in § 1155 Abs 1 ABGB stellt nur auf die grundsätzliche Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers ab, wenn und solange der Arbeitgeber seine Lohnzahlungs-213pflicht erfüllt; in diesem Sinn ist daher § 1155 ABGB teleologisch einschränkend auszulegen (9 ObA 39/11t).
Die Klägerin, deren im Februar 2015 offene Gehaltsansprüche (für bereits zwei Monate) auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, hat(te) daher einen Entgeltfortzahlungsanspruch, der nicht davon abhängt, ob sie sich (gegenüber ihrem früheren Arbeitgeber oder gegenüber der Beklagten) auf diesen Zahlungsrückstand berufen oder ihre Arbeitsbereitschaft erklärt hat. Die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Fragen der Auswirkungen einer fehlenden Arbeitsbereitschaft auf die Ansprüche auf Kündigungsentschädigung oder Urlaubsersatzleistung stellen sich damit im Anlassfall nicht.“
Es entspricht bereits seit Jahrzehnten der herrschenden Lehre und Rsp, dass ein AN berechtigt ist, seine Arbeitsleistung solange zurückzuhalten, bis der AG einen bereits fällig gewordenen Lohnrückstand bezahlt hat. Aber erst durch das OGH-Judikat vom 29.5.2012, 9 ObA 39/11t (infas 2012 A 73)wurde vom OGH die Frage beantwortet (und auch bejaht), ob der AN auch einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer des Unterbleibens der Dienstleistung hat. Es ist zwar richtig, dass für Zeiten, während deren der AN die Arbeitsleistung unterlässt, ohne dass ein Grund vorliegt, der nach dem Gesetz oder KollV einen Anspruch auf Weiterleistung der Bezüge begründet, kein Entgeltanspruch besteht. Für den Fall der Zurückbehaltung der Arbeitsleistung bei Entgeltvorenthaltung sieht der OGH jedoch einen solchen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund in der Bestimmung des § 1155 Abs 1 ABGB. Danach gebührt dem AN nämlich auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des AG liegen, daran gehindert worden ist. Die Formulierung „zur Leistung bereit war“ stellt daher offensichtlich nur auf die grundsätzliche Leistungsbereitschaft des AN ab, wenn und solange der AG seine Lohnzahlungspflicht erfüllt. Tut er dies nicht (mehr), steht trotzdem Entgelt zu, weil die Arbeit aus Umständen unterbleibt, die auf Seite des AG liegen.
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen den Entgeltfortzahlungsanspruch ab dem Beginn der Einstellung der Arbeitsleistung durch die AN (20.1.2015) verneint, weil diese ihrem AG nicht mitgeteilt habe, dass sie mangels ordnungsgemäßer Bezahlung ihres Gehalts nicht gearbeitet und sich auch nicht arbeitsbereit erklärt hätte. Der OGH stellte aber klar, dass entsprechend den obigen Ausführungen über § 1155 ABGB eine Erklärung der Arbeitsbereitschaft durch die AN gar nicht notwendig gewesen ist, ebenso wenig wie ein Hinweis auf den Entgeltrückstand. Er sprach somit das geltend gemachte Entgelt von 13.2. bis 24.2.2015 zu. Den vom OGH in dieser E aufgestellten Rechtsgrundsätzen folgend, wäre der AN auch das Entgelt von 20.1. bis 12.2.2015 zugestanden. Dieses hatte sie aber in ihrer Revision gar nicht mehr begehrt, weil auch sie offenbar von der Ansicht der Vorinstanzen ausgegangen ist, dass es ohne Erklärung der Arbeitsbereitschaft keinen Entgeltanspruch gäbe (und sie der Meinung war, ihre Arbeitsbereitschaft erst mit Schreiben vom 13.2.2015 bekundet zu haben).
Trotz dieser für die AN-Seite positiven Entscheidung ist bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes der Arbeitsleistung bei Entgeltrückständen Vorsicht geboten. Die Gerichte entscheiden nämlich immer im Einzelfall und jeder dieser Fälle ist anders gelagert. Auch wenn es vom OGH hier nicht verlangt wurde, ist daher anlässlich der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts der nachweisliche Hinweis auf den Entgeltrückstand und die Erklärung der Arbeitsbereitschaft dringend zu empfehlen.