149Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit einer beruflichen Rehabilitation eines Maurers zum bautechnischen Zeichner
Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit einer beruflichen Rehabilitation eines Maurers zum bautechnischen Zeichner
Auch im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 verlangen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nach § 303 Abs 2 ASVG (nur), dass der Versicherte im ungeschulten Beruf eine realistische Chance hat, einen Arbeitsplatz zu finden.
Der 1966 geborene Kl, dem unstrittig Berufsschutz als Maurer zukommt, war in den letzten 15 Jahren vor dem 1.5.2003 112 Monate als Maurer in Österreich beschäftigt. Von Mai 2003 bis Mai 2014 bezog er eine (jeweils) befristete Invaliditätspension. Auf Grund seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit kann er nicht mehr im Berufsfeld des Maurers arbeiten.
Der Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension wurde abgelehnt und ausgesprochen, dass weiterhin vorübergehende Invalidität vorliegt und als berufliche Maßnahme der Rehabilitation eine Qualifizierung zum bautechnischen Zeichner zweckmäßig und zumutbar sei. In seiner auf Weitergewährung der Invaliditätspension gerichteten Klage brachte der Kl vor, dass er zwar derzeit beim Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) den Umschulungskurs zum bautechnischen Zeichner besuche, dennoch bestreitet er, dass diese Maßnahme zweckmäßig sei und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherstelle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab: Es stellte fest, dass die Umschulung intellektuell und im Hinblick auf sein Leistungskalkül zumutbar sei. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 oder mehr werde er nach Abschluss der Ausbildung als bautechnischer Zeichner auf Dauer eine Beschäftigung finden können; sobald er die deutsche Sprache flüssig erlernt hat, erhöhe sich die Reintegrationsprognose um 10 % bis 15 %. Am bundesweiten Arbeitsmarkt ist mit einer Wartezeit von sechs Monaten zu rechnen, bis er einen Arbeitsplatz erhalten könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und ergänzte die Begründung dahingehend, dass es auf die konkrete individuelle Vermittlungswahrscheinlichkeit des Kl während des gesamten Zeitraums bis zum Erreichen des Regelpensionsalters nicht ankomme und auch eine ununterbrochene Beschäftigung bis zu diesem Alter nicht gegeben sein müsse.
Die zur Klarstellung der Kriterien des § 303 Abs 2 ASVG im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 zugelassene Revision ist nach Ansicht des OGH nicht berechtigt.
„[…] 1.3 Auf […] Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation besteht nach dem SRÄG 2012 jedoch kein Rechtsanspruch, weil die einen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation beinhaltende Bestimmung des § 253e ASVG für diese Versichertengruppe nicht gilt. Diese Maßnahmen werden nach dem SRÄG 2012 als241Ermessensleistungen nach § 303 ASVG erbracht (10 ObS 97/15k).
1.4 Nach § 303 Abs 2 ASVG sind Maßnahmen nach Abs 1 nur solche, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität oder Berufsunfähigkeit beseitigt oder vermieden werden kann und die geeignet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. Die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation müssen ausreichend und zweckmäßig sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 303 Abs 3 ASVG). […]
2.2 Zur Vorgängerbestimmung des § 253e ASVG, aus der § 303 Abs 2 ASVG wörtlich übernommen wurde (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24) wurde in den Gesetzesmaterialien festgehalten, dass es Ziel der Rehabilitationsmaßnahmen ist, Invalidität zu vermeiden oder zu beseitigen und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. Die Maßnahmen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, um das Rehabilitationsziel zu erreichen, dürfen aber das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Zumutbarkeit richtet sich zum einen nach Dauer, Umfang und Kosten der ins Auge gefassten Ausbildung, zum anderen sind dabei das Alter, die Ausbildung, die Qualifikation und der soziale und wirtschaftliche Status sowie etwa auch die Facharbeitereigenschaft zu berücksichtigen. Grundsätzlich darf es zu keiner beruflichen Rehabilitation ‚nach unten‘ kommen. […]
3.1 Im Revisionsverfahren ist noch strittig, ob die Ausbildung zum bautechnischen Zeichner mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet ist, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen.
3.2 Dazu ist zunächst auf die Rechtsprechung zur Ermessensleistung des § 300 ASVG idF vor dem BBG 2011 (10 ObS 49/00d, SSV-NF 14/44 = DRdA 2001/7, 53 [Naderhirn] = ZAS 2002/3, 19 [Karl]) hinzuweisen. Es wurde davon ausgegangen, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitation Arbeitsmarktprognosen zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt als Gegenstück zum Verlust des Berufsschutzes ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Versicherte eine realistische Chance habe, nach Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz zu finden. […] Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen diese Aussicht nicht besteht, sind nicht zumutbar. Daher darf die durch eine erfolgreiche Rehabilitation zu erwartende Einsatzfähigkeit des Versicherten nicht rein abstrakt anhand des Vorhandenseins von mindestens hundert (freien oder besetzten) Arbeitsstellen im umgeschulten Beruf geprüft werden. Andererseits darf aber das Arbeitsplatzrisiko des nicht mehr voll Arbeitsfähigen auch nicht zur Gänze auf die Pensionsversicherung verlagert werden. [...]
3.3 Diese Rechtsprechung wurde zu § 253e ASVG idF vor dem SRÄG 2012 aufrechterhalten (10 ObS 105/16p mwN; 10 ObS 5/16g).
3.4.1 R. Müller (Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation in der Arbeitslosenversicherung, DRdA 2014, 375 [380 f]) bejaht die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auch auf die Rechtslage nach dem SRÄG 2012.
3.4.2 Burger/Ivansits, Medizinische und berufliche Rehabilitation in der SozialversicherungDRdA 2013, 106 (115), führen aus, es werde deutlich, dass der Gesetzgeber eine Arbeitsmarktexpertise zur Frage der Vermittelbarkeit auf den Rehabilitationsberuf verlange. Die Meinungen, wie präzise diese Prognose sein solle, reichten vom Vorliegen einer realistischen Chance, im umgeschulten Beruf im Bundesgebiet einen Arbeitsplatz zu finden, bis zur Feststellung, dass die Umgeschulten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Arbeitsplatz erhalten können müssen. […]
3.4.3 Bergauer in
4. Der – mit diesen Meinungen in Einklang stehenden – Ansicht des Berufungsgerichts ist beizupflichten. Auch im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 verlangen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nach § 303 Abs 2 ASVG (nur), dass der Versicherte im ungeschulten Beruf eine realistische Chance hat, einen Arbeitsplatz zu finden. Dass der Versicherte nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich einen Arbeitsplatz erlangt und einen solchen für sein restliches Berufsleben (bis zum Pensionsantritt) innehat, bildet hingegen keine (negative) Anspruchsvoraussetzung. Ein andersartiges Verständnis kann dem Gesetzgeber im Hinblick darauf, dass der Arbeitsmarkt durch ein hohes Maß an Veränderungen geprägt ist, nicht unterstellt werden. ‚Auf Dauer sichergestellt‘ iSd § 303 Abs 2 ASVG ist eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt demnach (bereits) dann, wenn nach einem etwaigen Verlust des Arbeitsplatzes die Berufstätigkeit, zu der die Umschulung erfolgt ist, am Arbeitsmarkt regelmäßig nachgefragt wird bzw weiterhin die grundsätzliche Chance besteht, sich am Arbeitsmarkt im umgelernten Beruf zu behaupten. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, selbst wenn man von der Feststellung einer nur phasenweisen Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers nach abgeschlossener Ausbildung zum bautechnischen Zeichner ausgeht.242
5.1 Zur Frage des Beweismaßes ist auszuführen, dass der Gesetzgeber mit dem in § 303 Abs 2 ASVG zweifach erwähnten Begriff der ‚hohen Wahrscheinlichkeit‘ offenbar auf das Regelbeweismaß der Zivilprozessordnung Bezug nimmt (RIS-Justiz RS0110701). Die in § 303 Abs 2 ASVG genannten Voraussetzungen sind somit nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen, sondern es genügt, wenn eine diesbezügliche hohe (große) Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wird. […]
5.2 Dem Hinweis des Revisionswerbers auf Prozentsätze ist zu entgegnen, dass die hohe Wahrscheinlichkeit keine objektive Größe darstellt. Dem Regelbeweismaß wohnt vielmehr eine gewisse Bandbreite inne, sodass es sowohl von den objektiven Umständen des Anlassfalls als auch von der subjektiven Einschätzung des Richters/der Richterin abhängt, wann diese hohe Wahrscheinlichkeit als gegeben angesehen wird. […] Es stellt demnach eine immer von den Umständen des Einzelfalls abhängige Beurteilung dar, wann der Richter/die Richterin die Überzeugung gewinnt, es bestehe jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit, dafür, dass eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation geeignet ist, eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. Eine Festlegung eines – für alle Verfahren geeigneten – Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Sinn einer ‚objektiven Beweismaßtheorie‘ (etwa nach Prozentsätzen) kommt nicht in Betracht.
5.3 Ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist die Ansicht der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, die sich aus den Feststellungen ergebende Wiedereingliederungswahrscheinlichkeit sei ausreichend, um für den Kläger eine realistische Chance zu bejahen, nach Ende der Umschulung im neuen Beruf einen Arbeitsplatz zu finden und seine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen. […]
7. Für die in der Revision unter dem Aspekt der ‚Wiedereingliederung auf Dauer‘ verlangten (absoluten) Mindestbeschäftigungszeit im neuen Beruf von zehn Jahren findet sich im Gesetz keine Grundlage. § 303 Abs 4 ASVG fordert im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit lediglich die Berücksichtigung des Alters des Versicherten. Eine starre Altersgrenze, ab der die Zumutbarkeit oder Zweckmäßigkeit einer Umschulung jedenfalls zu verneinen ist, ist nicht ersichtlich. […]“
Mit dem SRÄG 2012 wurde das System der Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für Personen ab Geburtsjahrgang 1964 grundlegend neu geregelt. Anspruch auf Invaliditätspension/Berufsunfähigkeitspension besteht nur mehr bei Vorliegen dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit. Laut den Erläuterungen zum SRÄG 2012 sind arbeits- und rehabilitationsfähige Menschen vom Arbeitsmarktservice in Kooperation mit den Sozialversicherungsträgern umfassend zu rehabilitieren und beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist, obliegt dem Pensionsversicherungsträger. Mit dem SRÄG 2012 war für diese Personengruppe zwar der Rechtsanspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation in § 253e ASVG abgeschafft worden, die Anspruchsvoraussetzungen waren aber wortgleich in § 303 ASVG übernommen worden. Der OGH stellte in der E 10 ObS 52/16v (DRdA-infas 2017, 108)klar, dass bei Vorliegen dauernder (durch medizinische Maßnahmen nicht mehr besserbarer) Invalidität zu prüfen ist, ob eine berufliche Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. Die nähere Erörterung der Fragen der Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit war in der damaligen Entscheidung wegen fehlender Feststellungen und Zurückverweisung an das Erstgericht noch nicht erforderlich.
In der vorliegenden E liegt beim 1966 geborenen Kl, einem Maurer, vorübergehende Invalidität vor. Bereits von 2003 bis 2014 bezog er (jeweils) befristete Invaliditätspension. Da er den Beruf als Maurer nicht mehr ausüben kann, wurde ihm als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation eine Qualifizierung zum bautechnischen Zeichner gewährt. Der Kl richtet seine Klage auf Gewährung der Invaliditätspension, weil dieser Umschulungskurs (den er allerdings besucht) nicht zweckmäßig sei. Bereits das Erstgericht stellte fest, dass die Umschulung zumutbar sei. Gem § 303 Abs 3 ASVG müssen die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation ausreichend und zweckmäßig sein, dürfen jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten – diese Definition spricht die objektive Seite der Prüfung einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation an. In Abs 4 wird mit der „Zumutbarkeit“ die subjektive Seite angesprochen (ua physische und psychische Eignung, bisherige Ausbildung, Alter). Strittig im Revisionsverfahren ist die Frage, ob die Ausbildung zum bautechnischen Zeichner mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet ist, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen (§ 303 Abs 2 ASVG). Der OGH setzt sich in seiner ausführlichen Begründung mit den Vorgängerbestimmungen nach der Rechtslage vor dem Budgetbegleitgesetz (BBG) 2011 sowie § 253e ASVG idF BBG 2011 und der dazu ergangenen Judikatur und Literatur auseinander. In der Folge bestätigt der OGH die E des Berufungsgerichts, die diesen Auffassungen entspricht. Wesentlich ist,243dass eine realistische Chance besteht, einen Arbeitsplatz zu finden und nicht, ob der Kl tatsächlich eine Beschäftigung erlangen kann und bis zur Pensionierung auch in diesem Beruf tatsächlich arbeiten kann. Nach den Feststellungen des Erstgerichts kann der Kl nach der Umschulung mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 oder mehr eine dauerhafte Beschäftigung finden, die sich bei besseren Deutschkenntnissen noch erhöht. Phasen der Arbeitslosigkeit können nicht zu Lasten der PV gehen, sondern liegen in der Risikosphäre der AlV. Betreffend die geforderte hohe Chance einer Wiedereingliederung betont der OGH, dass damit kein fixer Prozentsatz gemeint ist, dass weder eine Mindestbeschäftigungsdauer noch eine starre Altersgrenze, bis zu der eine Rehabilitation überhaupt in Frage komme, gemeint ist. Es kommt auf die objektiven Umstände des Einzelfalls und letztendlich die Einschätzung des/der RichterIn an, wann diese/r von einer hohen Wiedereingliederungschance überzeugt ist.