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Beschäftigung als selbstständiger Zeitungskolporteur – Haftung für Pensionsschaden?

MARTINACHLESTIL

Der aus Ägypten stammende Kl war von 1.3.1982 bis 12.2.1991 für die Bekl als Zeitungskolporteur tätig. Er verfügte in diesem Zeitraum über eine Aufenthalts-, jedoch über keine Beschäftigungsbewilligung. Die Bekl war der Ansicht, dass der Kl selbstständig tätig und seine Anstellung aufgrund des Fehlens einer Beschäftigungsbewilligung auch nicht möglich sei. Sie informierte die Kolporteure in ihren jeweiligen Landessprachen, dass sie sich selbst versichern und Steuern abführen müssten. Bei Steuer-, Abgaben- und Gebietskrankenkassen-(GKK-)Prüfungen bei der Bekl wurde die Nichtmeldung der Kolporteure zur SV nicht moniert. Dem Kl215war von Beginn an bewusst, dass er von der Bekl nicht pensionsversichert wurde und sie für ihn auch keine Pensionsbeiträge einzahlte. Er versicherte sich deshalb selbst. Nach Erhalt der Beschäftigungsbewilligung war der Kl von 13.2.1991 bis 31.7.2012 bei der Bekl zunächst auch, dann ausschließlich als Expeditarbeiter tätig und zur SV angemeldet.

Im vorliegenden Verfahren macht der Kl einen Pensionsschaden geltend. Er begehrt ua klagsweise die Feststellung, dass die Bekl ihm die Differenz zwischen dem vollen Pensionsbezug, der sich bei voller Beitragszahlung auch für den Zeitraum, in dem er selbstständig beschäftigt war, ergeben hätte, und dem tatsächlich enthaltenen Pensionsbezug zu zahlen habe. Denn das Vertragsverhältnis des Kl im Zeitraum von 1.3.1982 bis 12.2.1991 war ein echtes Arbeitsverhältnis. Das war im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren ab, da die Bekl durch die Nichtanmeldung des Kl zur SV im fraglichen Zeitraum auf Grund der damaligen Rechtslage und Verwaltungspraxis weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt habe (Anmerkung der Bearbeiterin: Beide sind gem § 1295 ABGB Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch.). Allerdings wurde die ordentliche Revision mangels Rsp zum allfälligen Pensionsschaden eines Kolporteurs im Zusammenhang mit der Verwaltungspraxis vor 1997 zugelassen. Der OGH folgte der Rechtsansicht der Vorinstanzen und wies die Revision des Kl mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurück. Er verwies ua auf die Ausführungen des Erstgerichts:

Ein AG hat die Pflicht, alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um sich in der Frage der Meldepflicht des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob er sich auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der GKK, auf ständige höchstgerichtliche Rsp oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermöge. Die Rechtsordnung, der VwGH, die Lehre und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gingen zumindest bis ins Jahr 1995 davon aus, dass die Tätigkeit der Kolporteure als selbstständige Tätigkeit zu bewerten ist. So hat der VwGH seine Vorjudikatur (vom 31.3.1965, 773/64 u 177/65), wonach die Straßenkolportage von Zeitungen eine dem Kommissionshandel angenäherte selbstständige Erwerbstätigkeit darstelle und somit nicht durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit gekennzeichnet sei, (erst) in der Entscheidung vom 31.1.1995, 92/08/0213 (ebenso VwGH vom 31.7.1996, 95/13/0220), geändert. Trotz dieser Entscheidung hielt der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger auch weiterhin an der Ausnahme von der Versicherungspflicht nach dem ASVG fest; erst durch die Aufhebung der Bestimmung des § 5 Abs 1 Z 13 ASVG mit der 54. ASVG-Novelle wurde klagestellt, dass die Berufsgruppe der Kolporteure mit 1.1.1998 (erstmals) der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen. Wenn die Vorinstanzen ein haftungsbegründendes Verschulden der Bekl verneinten, so ist dies daher nach dem OGH nicht weiter korrekturbedürftig.