130Gutgläubiger Verbrauch der BMSVG-Abfertigungszahlung trotz vereinbarter Vorbehaltsklausel
Gutgläubiger Verbrauch der BMSVG-Abfertigungszahlung trotz vereinbarter Vorbehaltsklausel
Auch eine Abfertigungszahlung nach dem BMSVG kann als Leistung mit Unterhaltscharakter iSd Judikats 33 neu angesehen werden. Nach den Grundsätzen des Judikats 33 neu ist bei Entgeltbezügen mit Unterhaltscharakter die Rückforderung einer irrtümlich erbrachten Mehrleistung ausgeschlossen, wenn sie vom Empfänger gut-218gläubig verbraucht wurde. Eine abstrakte Vorbehaltsklausel entbindet den AG nicht schlechthin von der Beweislast für die behauptete fehlende Redlichkeit des Empfängers; es müssen vielmehr darüber hinaus noch objektive Anhaltspunkte für einen Fehler vorliegen, so dass dem AN tatsächlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Empfangenen kommen müssen.
Nach Beendigung des Dienstverhältnisses der Kl am 31.3.2014 war diese von der bekl betrieblichen Vorsorgekasse schriftlich über ihre Verfügungsmöglichkeit über die von 2006 bis 2014 entrichteten Beiträge nach § 17 BMSVG informiert worden. Da die Kl Geld für ihren Lebensunterhalt benötigte, beschloss sie, sich den Abfertigungsanspruch auszahlen zu lassen.
In dem von der Kl unterfertigten Auszahlungsantrag befand sich oberhalb des für die Unterschrift des Antragstellers vorgesehenen Feldes der Passus: „Ich nehme zur Kenntnis, dass es aufgrund nachträglicher Meldungen durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (etwa aufgrund von Irrtümern in der Lohnverrechnung meines Arbeitgebers oder nachträglicher Beitragsfestsetzungen im Zuge von Betriebsprüfungen) auch nach Auszahlung meines Guthabens rückwirkend zu einer Erhöhung oder Verminderung der mir zustehenden Abfertigung kommen kann. Ich verpflichte mich daher, nachweislich zu viel erhaltene Beiträge nach entsprechender Rückforderung durch die V* umgehend zurückzuerstatten. Ebenso wird die V* Nachzahlungen auf meine Abfertigung unverzüglich vornehmen.
“
Die Kl wartete aufgrund dieses Vorbehalts mit der Abgabe ihres Auszahlungsantrages noch rund zwei Monate zu, in der Annahme, dass die Bekl bis dahin alles richtig berechnen und berücksichtigen konnte.
Im Juli 2014 überwies die Bekl der Kl € 1.856,31 netto, wobei die übermittelte Abrechnung folgenden Passus enthielt: „Die V* leistet gemäß § 24 betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG) eine Garantie auf alle einlangenden Beiträge. Zum Stichtag 30.05.2014 beträgt dieses garantierte Kapital 1.879, 95 EUR.
“ Im September 2014 wurde der Kl noch eine Nachzahlung von rund € 20,- überwiesen. Sie verbrauchte beide Beträge zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes.
Im Juli 2015 wurde der Bekl vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger mitgeteilt, dass die Beitragsgrundlagen der Kl aufgrund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung für das Jahr 2010 von irrtümlich gemeldeten € 48.451,50 auf richtige € 28.804,50 reduziert worden seien. Die Bekl berechnete aufgrund dessen den Abfertigungsanspruch der Kl neu und forderte sie mit Schreiben vom 28.12.2015 zur Rückzahlung eines zuviel ausbezahlten Betrags von € 282,56 auf. Als die Kl die Rückzahlung verweigerte, erklärte die Bekl, von der Einbringlichmachung vorläufig Abstand zu nehmen, die Forderung aber von allenfalls künftig fällig werdenden Abfertigungszahlungen abzuziehen.
Dagegen brachte die Kl eine Klage auf Feststellung ein, dass der Rückforderungsanspruch aufgrund des gutgläubigen Verbrauchs des gesamten Abfertigungsbetrages zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht zu Recht bestehe.
Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht gab dagegen der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab, dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Kl aufgrund des unterzeichneten Vorbehalts einer Neuberechnung im Fall der nachträglichen Änderung der Beitragsgrundlagen damit habe rechnen müssen, dass es zumindest innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist zu einer Rückforderung kommen könne.
Der OGH gab der gegen diese E gerichteten ordentlichen Revision der Kl Folge und stellte die E des Erstgerichts wieder her.
„2. […] Auch eine Abfertigungszahlung nach dem BMSVG kann als Leistung mit Unterhaltscharakter iSd Jud 33 neu angesehen werden, zumal der Abfertigung nach Verlust des bisherigen Arbeitseinkommens eine Versorgungs- und Überbrückungsfunktion zukommt (RIS-Justiz RS0028911). Bei einem relativ geringen Betrag liegt die Verwendung für den normalen Lebensaufwand nahe (OGH9 ObA 120/12f). Im vorliegenden Verfahren steht fest, dass die Klägerin von der Auszahlungsmöglichkeit deswegen Gebrauch machte, weil sie Geld zum Lebensunterhalt benötigte, und dass sie die erhaltenen Beträge auch dafür verwendete.
3. Fehlende Redlichkeit des Empfängers ist vom Arbeitgeber nachzuweisen (RIS-Justiz RS0010271 [T19]).
Nach der Lehre (Spielbüchler in
[…] Diese Rechtsansicht wird vom erkennenden Senat geteilt. Es folgt daraus nicht, dass eine abstrakte Vorbehaltsklausel unzulässig oder funktionslos wäre, sie verhindert zumindest, dass der Rückforderung ein schlüssiges Anerkenntnis oder bewusste Zahlung einer Nichtschuld entgegengehalten werden könnte.
[...]
5. Die Umstände, die einen Dienstnehmer bei objektiver Betrachtung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines vom Dienstgeber erhaltenen Betrags veranlassen müssen, können vielfältig sein (vgl 4 Ob 108/81, 8 ObA 289/01k – Doppelzahlung innerhalb weniger Tage; 9 ObA 32/88 – den gesetzlichen Anspruch weit übersteigender Betrag; 8 ObA 176/02v – erkennbar rechtsgrundlose Zahlung).
Der Klägerin war hier aufgrund des unterfertigten Vorbehalts bekannt, dass der ihr mitgeteilte Abfertigungsbetrag von ihrem endgültigen Abfertigungsanspruch sowohl nach oben als auch nach unten abweichen kann, wenn es zu ‚nachträglichen Meldungen durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (etwa aufgrund von Irrtümern in der Lohnverrechnung meines Arbeitgebers oder nachträglicher Beitragsfestsetzungen im Zuge von Betriebsprüfungen)
‘ kommen sollte.
Die Klägerin hat diesen Hinweis aber nicht unbeachtet gelassen, sondern ihm dadurch Rechnung getragen, dass sie rund zwei Monate mit der Antragstellung zugewartet hat, um der Beklagten Zeit für die Überprüfung zu geben. Aus den Feststellungen lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin darüber hinaus von den Verwaltungsvorgängen innerhalb der Beklagten und ihren Beziehungen zur Gebietskrankenkasse Kenntnisse hatte, die ihr eine andere Einschätzung des Zeitraums ermöglicht hätten, der bis zum endgültigen Ausschluss einer irrtümlichen Zahlung zu verstreichen hätte.
Auch die für nicht einschlägig juristisch gebildete Empfänger schwer nachvollziehbaren schriftlichen Mitteilungen der Beklagten (unterschiedliche Abrechnungsbeträge, Verweis auf eine ‚Garantie‘, zu deren Erläuterung der Adressat auf einen nicht beigefügten Gesetzestext verwiesen wird) enthalten dafür keinen Anhaltspunkt. Insbesondere aber durfte die kommentarlose Überweisung einer geringfügigen Nachzahlung im September 2014 von der Klägerin als Bestätigung verstanden werden, dass die Beklagte ihre Prüfung der Anspruchshöhe nun jedenfalls zur Gänze abgeschlossen und keine Überzahlung, sondern endgültig ein Guthaben ermittelt hatte.“
Im Mittelpunkt der vorliegenden E steht die Frage der Rückforderbarkeit einer irrtümlich gezahlten Nichtschuld durch den AG (bzw im konkreten Fall durch die betriebliche Vorsorgekasse). Ganz allgemein kann nach den Regeln des Zivilrechts eine irrtümlich gezahlte Nichtschuld vom Empfänger zurückgefordert werden (§ 1431 ABGB); der Einwand des gutgläubigen Verbrauchs wird idR nicht erfolgreich sein, weil der Empfänger sich durch den Verbrauch eine andere Ausgabe erspart hat und somit im Wert des zu Unrecht erhaltenen Geldbetrages bereichert ist. Dies gilt allerdings nach der bereits im Jahr 1929 begründeten Rsp-Linie des OGH („Judikat 33 neu“) nicht für zu Unrecht erhaltene Leistungen, die dem Lebensunterhalt des Empfängers dienen, da hier jeder Mehrbezug regelmäßig Mehrausgaben zur Folge hat, so dass nach dem gutgläubigen Verbrauch keine echte Bereicherung vorliegt.
Dieser Grundsatz gilt einerseits nur für jene irrtümlich erbrachten Leistungen, die – wie etwa das Arbeitsentgelt – wenigstens wirtschaftlich betrachtet die Funktion haben, dem Lebensunterhalt des Empfängers zu dienen. Dass dieser Unterhaltscharakter grundsätzlich auch einer nach § 17 Abs 1 Z 1 BMSVG ausgezahlte Abfertigung zukommt, hat der OGH bereits in der E 9 ObA 120/12f vom 26.11.2012 klargestellt. Andererseits müssen auch die relativ strengen Anforderungen an den guten Glauben beim Empfang und Verbrauch der Leistung erfüllt sein. Die Redlichkeit des/der EmpfängerIn wird nämlich nach der Rsp des OGH nicht erst durch auffallende Sorglosigkeit ausgeschlossen, die Gutgläubigkeit ist vielmehr bereits dann zu verneinen, wenn der/die EmpfängerIn bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ausbezahlten Betrages zweifeln hätte müssen, so etwa bei Doppelleistungen innerhalb eines kurzen Zeitraums oder bei Anweisung eines den zustehenden Anspruch weit übersteigenden Betrages. In diesem Sinne hat der OGH beispielsweise auch die Gutgläubigkeit des/der AN im Falle einer nach Selbstkündigung irrtümlich als „gesetzliche Abfertigung“ angewiesenen Zahlung verneint, wenn der AG zuvor trotz mehrfacher Intervention durch den BR eine freiwillige Abfertigung abgelehnt hat (OGH 7.11.2002, 8 ObA 176/02v); ebenso wenig kann sich der/die AN auf den gutgläubigen Verbrauch bereits erhaltener Sonderzahlungen berufen, wenn der KollV für den Fall der unterjährigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine anteilige Rückzahlung der Sonderzahlungen vorsieht (OGH 4.8.2009, 9 ObA 97/08t).220
Im vorliegenden Fall hielt die betriebliche Vorsorgekasse dem Einwand des gutgläubigen Verbrauchs der Überzahlung entgegen, dass die AN nachweislich über die Möglichkeit einer rückwirkenden Berichtigung der Abfertigung nach dem BMSVG und einer damit verbundenen Rückforderung informiert wurde. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes hat der OGH jedoch klargestellt, dass allein in der Unterzeichnung einer solchen Vorbehaltsklausel noch kein kategorischer Ausschluss des gutgläubigen Verbrauchs liegt. Zu Recht hat der OGH in der gegebenen Konstellation die Redlichkeit der Kl bejaht, dies insb vor dem Hintergrund der für juristische Laien kaum verständlichen Mitteilungen der betrieblichen Vorsorgekasse im Zuge der Auszahlungen sowie der Tatsache, dass mit dem zwei Monate nach Auszahlung eines ersten (großen) Teilbetrages angewiesenen Restbetrag für sie der Anschein entstehen musste, dass es nun zu einer endgültigen Abrechnung gekommen sei.
Die vorliegende E sollte jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass einer vergleichbaren Vorbehaltsklausel überhaupt keine Bedeutung im Hinblick auf die Frage des gutgläubigen Verbrauchs zukommen würde. Die Frage der Redlichkeit des/der AN beim Verbrauch einer irrtümlich erbrachten Leistung ist jeweils im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden. Treten zur Vorbehaltsklausel noch Umstände hinzu, durch die dem/der AN bei objektiver Betrachtung klar werden musste, dass unter Umständen weiterhin mit Rückforderungen zu rechnen ist, so wäre nach der Rsp des OGH nicht von einem gutgläubigen Verbrauch auszugehen.