42

Exportpflicht des Rehabilitationsgeldes

BEATRIXKARL (GRAZ)
  1. Das Rehabilitationsgeld stellt eine Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO 883/2004 dar. Diese Einordnung ändert nichts daran, dass der Sondercharakter an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität zu berücksichtigen ist.

  2. Aufgrund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes ist im Zuständigkeitswechsel und Leistungsverlust allein durch die Wohnsitzverlegung ins EU-Ausland eine Beschränkung der primärrechtlichen Freizügigkeit zu sehen. Der Leistungsverlust wäre nämlich auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zurückzuführen.

  3. Wird ein Anspruch auf österreichisches Rehabilitationsgeld bejaht, sind die Regeln über die Exportpflicht nach Art 21 VO 883/2004 anwendbar.

Die am 2.2.1984 geborene Kl [...] erwarb in Deutschland 66 Versicherungsmonate. [...] In Österreich liegen [...] insgesamt 27 Versicherungsmonate vor.

[...]

Im Zeitraum von 1.10.2011 bis 31.3.2014 bezog die Kl in Österreich eine befristete Invaliditätspension. Ab 1.4.2014 scheint im österreichischen Versicherungsdatenauszug ein Bezug von Rehabilitationsgeld auf, jedoch erhält die Kl kein Rehabilitationsgeld ausgezahlt. Seit dem Jahr 2007 ist sie durchgehend in Deutschland wohnhaft.

Die Kl kann seit 1.4.2014 keine Tätigkeiten mehr verrichten. [...] Es ist hoch wahrscheinlich, dass sich ihr psychischer Zustand innerhalb der nächsten drei Jahre deutlich bessert, sodass grundsätzlich auch wieder eine Besserung des Leistungskalküls zu erwarten ist. [...]

Mit Bescheid vom 17.7.2014 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag der Kl [...] auf Weitergewährung der befristeten Invaliditätspension (über den 31.3.2014 hinaus) mit der Begründung ab, dass Invalidität nicht dauerhaft vorliege. Gleichzeitig sprach die Bekl aus, dass ab 1.4.2014 weiterhin vorübergehende Invalidität bestehe, weshalb als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei; Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig. [...]

Die [...] Revision der Bekl ist [...] nicht berechtigt.

[...]

1. [...]

1.1. Für Versicherte, die – so wie die [...] Kl – das 50. Lebensjahr vor dem 1.1.2014 noch nicht vollendet haben, wurde mit dem mit 1.1.2014 in Kraft getretenen Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die befristete Invalidi-393tätspension abgeschafft. Aufgrund der Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6 ASVG konnte die Kl, die am 31.12.2013 eine zeitlich befristete Invaliditätspension bezog, diese noch bis zum Auslaufen der Befristung mit 31.3.2014 unter den bisherigen Bedingungen weiter beziehen. Seit diesem Zeitpunkt gilt aber auch für sie unbestritten das neue Leistungsregime des SRÄG 2012 für Versicherte, die ab dem 1.1.1964 geboren sind (vgl § 669 Abs 5 und 6 ASVG).

1.2. [...]

1.3. Im Fall vorübergehender Invalidität treten Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld an die Stelle der befristeten Invaliditätspension. [...]

2. Das Rehabilitationsgeld ist an der Schnittstelle von KV und PV angesiedelt. [...]

3. Die Antwort auf die entscheidende Frage, ob die Kl trotz ihres Wohnsitzes in Deutschland Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat und ob dieses von der bekl PVA nach Deutschland zu exportieren ist, hängt in erster Linie davon ab, wie die innerstaatlich neu geschaffene Leistung des Rehabilitationsgeldes in der Sozialrechtskoordinierung der EU zu qualifizieren ist. Die rechtliche Einordnung zu einer bestimmten Leistungsart führt zur Anwendbarkeit unterschiedlicher Sonderbestimmungen der VO (EG) 883/2004.

3.1. Nach der Rsp des EuGH kommt es nicht auf die innerstaatliche Zuordnung einer Leist ung an (EuGH 11.9.2008, C-228/07, Petersen, ECLI:EU:C:2008:494, Rz 21 mwN), sondern auf objektive Kriterien, die im unionsrechtlichen Kontext in Art 3 der VO 883/2004 festgelegt wurden, welche die wesentlichen Bestandteile dieser Leis tungen festlegen (EuGH 10.1.1980, 69/79, Jordens-Vosters, ECLI:EU:C:1980:7, Rz 6; EuGH 21.7.2011, C-503/09, Stewart, ECLI:EU:C:2011:500, Rz 35). Als maßgeblich werden „Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung“ angesehen (EuGH 11.9.2008, C-228/07, Petersen, ECLI:EU:C:2008:494, Rz 21).

Die Auflistung des Rehabilitationsgeldes im Leistungskatalog der österreichischen KV in § 117 Z 3 ASVG ist daher für die unionsrechtliche Einordnung nicht ausschlaggebend.

3.2. Eine Leistung der sozialen Sicherheit und keine beitragsunabhängige Geldleistung liegt vor, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die Begünstigung muss aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden, „ohne dass im Einzelfall eine in das Ermessen gestellte Prüfung des persönlichen Bedarfs erfolgte“ (EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauch, ECLI:EU:C:2001:139, Rz 25 mwN);

  • die Leistung muss eines der in Art 3 der VO 883/2004 aufgezählten Risiken decken (zusammenfassend Pletzenauer, Die Einordnung von Umschulungsgeld gem § 39b AlVG, Rehabilitationsgeld gem § 143a ASVG in den Leistungskatalog des Art 3 der VO [EG] 883/2004, DRdA 2014, 150 mwN).

3.3. [...]

3.4. Da das Rehabilitationsgeld somit nicht als beitragsunabhängige Sonderleistung, sondern als beitragsabhängige Geldleistung zu qualifizieren ist, ist die Frage zu beantworten, ob die Leistung ein in Art 3 der VO (EG) 883/2004 festgelegtes Risiko abdeckt. In Betracht kommt eine Qualifikation als Leistung bei Krankheit (Art 3 Abs 1 lit a der VO 883/2004) oder als Leistung bei Invalidität (Art 3 Abs 1 lit c der VO 883/2004).

3.4.1. Die Frage, wann eine Leistung bei Krankheit vorliegt, wurde bereits in einigen Urteilen des EuGH behandelt. [...]

3.4.2. Die österreichische Lehre qualifiziert das Rehabilitationsgeld großteils als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 der VO 883/2004 (Beck, SozSi 2014, 266 f; Felten, ZAS 2016, 256 f; Pletzenauer, DRdA 2014, 152; Sonntag, Unionsrechtliche Koordinierung und Höhe des Rehabilitationsgeldes, ASoK 2014, 346; Spiegel in

Spiegel
[Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [45. Lfg] Art 3 VO 883/2004 Rz 16/2). Allein Fuchs vertritt ohne nähere Begründung die Ansicht, dass Rehabilitationsleistungen, die nicht medizinischer Natur sind, sondern der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen, Leistungen bei Invalidität sind (Fuchs in
Fuchs
[Hrsg], Europäisches Sozialrecht [2013] Art 3 VO [EG] 883/2004 Rz 15). [...]

3.4.3. Zusammenfassend kann aus den gesetzlichen Bestimmungen zum Rehabilitationsgeld abgeleitet werden, dass dieses das Risiko einer zeitlich begrenzten Minderung der Arbeitsfähigkeit abdecken soll, bei der die Chance auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit besteht. Ziel des Rehabilitationsgeldes ist die „Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“ (10 ObS 119/15w, DRdA 2016/39, 349 [Panhölzl] mit Hinweis auf ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 2). Im Rahmen des Case-Managements wird dazu ein individueller Versorgungsplan erstellt (§ 143b ASVG). Die anspruchsberechtigte Person ist verpflichtet, an den aktivierenden Maßnahmen teilzunehmen, andernfalls die Leistung zumindest ruhen kann (§ 143a Abs 5 ASVG).

3.4.4. Das Rehabilitationsgeld stellt demnach eine Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a der VO 883/2004 dar. Diese Einordnung hindert nach der Rsp des EuGH aber nicht, dass der Sondercharakter an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität zu berücksichtigen ist (vgl EuGH 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, ECLI:EU:C:2011:439, Rz 48, zum deutschen Pflegegeld; siehe auch Felten, ZAS 2016, 257 f).

4. Die Einordnung als Geldleistung bei Krankheit hat Auswirkungen auf die unionsrechtliche Leistungszuständigkeit nach der VO 883/2004.

4.1. Die Art 11 ff der VO 883/2004 legen allgemein fest, welche Sozialrechtsordnung bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zur Anwendung kommen soll, woraus sich die Leistungszuständigkeit ergibt. Nach der Grundregel in Art 11 Abs 1 der VO unterliegen Personen, die in den Anwendungsbereich der VO fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats.

Welche Rechtsordnung anwendbar ist, wird prinzipiell in Art 11 Abs 3 der VO geregelt.

Nach lit a dieser Bestimmung kommt das Recht jenes Staats zur Anwendung, in dem die Person eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unabhängig davon wo394die betreffende Person ihren Wohnsitz hat. Für Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, enthält Art 11 Abs 2 der VO eine Ausnahmeregelung. In diesem Fall ist bei Prüfung der Zuständigkeit davon auszugehen, dass diese Personen dieser Beschäftigung oder Tätigkeit (noch immer) nachgehen. Die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit wird daher weiterhin im Rahmen des Kollisionsrechts fingiert. Bezieht die Person allerdings Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken, gilt diese besondere Regelung nicht.

Subsidiär zu Art 11 Abs 3 lit a der VO gilt Folgendes: Übt die Person keine Beschäftigung aus, ist nach dessen lit e die Rechtsordnung des Wohnmitgliedstaats relevant, außer die VO sieht eine andere Zuständigkeitsregel vor. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iSd Art 70 der VO werden ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Art 7 der VO legt die Aufhebung von Wohnortklauseln fest. Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder aufgrund der VO 883/2004 zu zahlen sind, dürfen „nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.“

4.2. Der hier zu treffenden E liegt zugrunde, dass die 1984 geborene, seit 2007 in Deutschland wohnhafte Kl ab 2000 Beschäftigungszeiten sowohl in Österreich als auch in Deutschland erworben hat. Für den Zeitraum von 1.10.2011 bis 31.3.2014 hat ihr die österreichische PVA eine befristete Invaliditätspension gewährt. Eine entsprechende Leistung im EU-Ausland bezieht sie nicht. Der von der Kl begehrte Rehabilitationsgeldbezug soll unmittelbar an den Bezug der befristeten Invaliditätspension anschließen. [...]

4.4.1. In dem schon mehrfach erwähnten, noch zur VO (EWG) 1408/71 ergangenen Urteil in der Rs da Silva Martins qualifizierte der EuGH im Jahr 2011 das deutsche Pflegegeld als eine einer Leistung bei Krankheit gleichgestellte Leistung. Der Sondercharakter der Leistung sei jedoch bei Auslegung der Zuständigkeitsregeln zu beachten (EuGH 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, ECLI:EU:C:2011:439, Rz 48 und 69). Die Bestimmungen der VO 883/2004 seien im Lichte der Art 45 und 48 AEUV auszulegen, sodass für die Wander-AN größtmögliche Freizügigkeit hergestellt werde. Grundsätzlich könne die Anwendbarkeit eines bestimmten mitgliedstaatlichen Rechts, die sich aufgrund der Bestimmungen der VO 883/2004 ergebe, mit dem Primärrecht vereinbar sein, selbst wenn dies in Bezug auf den Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit weniger günstig sei (Rz 72). Die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht setze allerdings voraus, dass Personen, die die Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, gegenüber anderen Personen nicht benachteiligt werden, die die gesamte Tätigkeit im Mitgliedstaat ausgeübt hatten (Rz 73). Würden die AN, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Vergünstigung, die ihnen allein die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern, nur infolge Inanspruchnahme der Freizügigkeit verlieren, würde der Zweck der Art 45 und 48 AEUV vereitelt werden, „insbesondere wenn diese Vergünstigungen die Gegenleistung für von ihnen gezahlte Beiträge darstellen“ (Rz 74), also für Beiträge, die die betroffene Person aufgrund eines eigenständigen Versicherungssystems gezahlt hat, das nicht das Risiko der Krankheit im eigentlichen Sinn betrifft, sondern das des Sondercharakters (Rz 78).

4.4.2. Nach der E des EuGH in der Rs Stewart spielt es keine Rolle, ob es sich um die Inanspruchnahme der AN-Freizügigkeit gem Art 45 ff AEUV oder der allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgern gem Art 18 ff AEUV handelt (EuGH 21.7.2011, C-503/09, Stewart, ECLI:EU:C:2011:500, Rz 77 ff).

In dieser E hat der Gerichtshof auch auf das legitime Anliegen eines mitgliedstaatlichen Gesetzgebers hingewiesen, sich einer „tatsächlichen Verbindung zwischen dem, der eine Leistung beantragt, und dem zuständigen Mitgliedstaat zu vergewissern“ sowie das finanzielle Gleichgewicht des mitgliedstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit zu wahren (Rz 89), insb dann, wenn der Erwerb des Anspruchs auf eine Leistung nicht von Beitragsvoraussetzungen abhängt (Rz 92).

5. Aus dem dargestellten Sekundärrecht und der Rsp des EuGH können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

5.1. Grundsatz der Koordinierungsregelungen der VO 883/2004 ist nach ihrem Art 11 Abs 1, dass Personen, für die die VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Die VO 883/2004 legt daher ein geschlossenes und einheitliches System von Koordinierungsvorschriften fest (siehe etwa Leopold in

Rolfs/Giesen/KreikebohmUdsching
[Hrsg], BeckOK Sozialrechted42 [31.7.2016] VO 883/2004 Art 11 Rz 1). Auf diese Weise soll das Zusammentreffen von Leistungen mit gleicher Zielrichtung sowie die Doppelversicherung nach zwei Systemen sozialer Sicherheit vermieden werden (Leopold in BeckOK Sozialrechted42 VO 883/2004 Art 11 Rz 19). Das nach den Kollisionsnormen der VO 883/2004 zu bestimmende Sozialrechtsstatut ist auf den gesamten Sachverhalt anzuwenden. Es gilt in ein und demselben Zeitpunkt für sämtliche Zweige der Systeme sozialer Sicherheit, die von Art 3 der VO erfasst sind. Im zeitlichen Ablauf kann es allerdings zu einem Statutenwechsel kommen (Leopold in BeckOK Sozialrechted42 VO 883/2004 Art 11 Rz 20).

5.2. Welche Rechtsvorschriften anwendbar sind, bestimmt sich zunächst nach den Sonderkollisionsnormen der Titel III und V der VO 88/2004, dann nach den Bestimmungen in Art 12 bis 16 und schließlich nach Art 11 Abs 3 selbst (Leopold in BeckOK Sozialrechted42 VO 883/2004 Art 11 Rz 16). Die Tatbestände der Kollisionsnormen enthalten zwei Anknüpfungselemente: Erstens ist der395Anknüpfungsgegenstand zu ermitteln, also jene Leistungsart der VO 883/2004, um die es im zu beurteilenden Sachverhalt geht. Zweitens ist der Anknüpfungspunkt zu ermitteln, also jenes Tatbestandsmerkmal, durch das die Beziehung zu einer bestimmten Rechtsordnung hergestellt wird. Je nach Bestimmung kann dies der Beschäftigungsort, der Wohnsitz oder die Staatsangehörigkeit sein.

5.3. Wie bereits oben ausgeführt wurde, ist das Rehabilitationsgeld als eine Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a zu qualifizieren. Dazu enthält der Titel III der VO besondere Bestimmungen. Helfen diese Sonderkollisionsnormen in Titel III nicht weiter, ist auf die Koordinierungsvorschriften in Art 11 zurückzugreifen.

5.4. Nach Art 11 Abs 3 lit a der VO 883/2004 ist primär der Beschäftigungsstaat zuständig. Eine Beschäftigung liegt im Fall der Kl nicht vor; ebenso wenig bezieht die Kl eine Leistung nach Art 11 Abs 2 der VO (sie wollte mit ihrem Pensionsantrag erst eine solche erlangen).

5.5. Kann kein Beschäftigungsstaat ermittelt werden, ist die Anwendbarkeit der Sonderkollisionsnormen in Art 11 Abs 3 lit b bis d der VO 883/2004 zu prüfen. Auch diese Normen sind hier nicht einschlägig.

5.6. Aus Art 11 Abs 3 lit e der VO 883/2004 ergibt sich die subsidiäre Zuständigkeit des Wohnsitzstaats.

5.7. Ist grundsätzlich der ausländische Wohnsitzmitgliedstaat zuständig, ist allerdings der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes, das nicht eindeutig den Leistungen bei Krankheit bzw den Leistungen bei Invalidität zugeordnet werden kann, zu beachten.

Ungeachtet der prinzipiellen Einordnung als Leistung bei Krankheit gibt es bedeutende Berührungspunkte des Rehabilitationsgeldes mit Leistungen bei Invalidität. Das Rehabilitationsgeld kann nur durch Antrag auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension beim zuständigen Pensionsversicherungsträger geltend gemacht werden. Die Prüfung erfolgt daher zwingend im Rahmen der Prüfung des Anspruchs auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension. Die Gewährung und der Entzug liegen beim Pensionsversicherungsträger. Die Gewährung ist zwar davon abhängig, dass die Invalidität nicht dauerhaft vorliegt, allerdings muss sie länger als sechs Monate vorliegen und endet erst bei Wiederherstellung der Gesundheit oder bei Vorliegen von dauerhafter Invalidität. Insofern unterscheidet sich das Rehabilitationsgeld von einer Leistung bei Krankheit im eigentlichen Sinn iSd Art 3 der VO 883/2004, die eine Arbeitsfähigkeit nur für einen kurzen Zeitraum unterbricht, ohne auf eine bestimmte Mindestdauer abzustellen. Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld setzt neben vorübergehender Invalidität nur bestimmte Versicherungs- und Beitragszeiten in der PV voraus. Das Rehabilitationsgeld soll außerdem die befristete Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension ersetzen, die zuvor als Leistung bei Invalidität einzuordnen war.

Aus unionsrechtlicher Sicht könnte das Rehabilitationsgeld aufgrund seines Sondercharakters je nach der zu beurteilenden Fallkonstellation nicht nur der Leistung bei Krankheit, sondern auch der Leistung bei Invalidität zugeordnet werden. Wie erwähnt muss dieser Sondercharakter – der Rsp des EuGH folgend – auch bei Anwendung der Koordinierungsvorschriften berücksichtigt werden.

5.8. Die alleinige Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaats und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten könnte in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken. In seiner Rsp stellt der EuGH darauf ab, ob die Leistung mit Sondercharakter eine begünstigende Gegenleistung für die in einem bestimmten Mitgliedstaat (hier: Österreich) in ein separates Versicherungssystem eingezahlten Versicherungsbeiträge darstellt. Der Sondercharakter führt nur dann zur Leistungszuständigkeit dieses Mitgliedstaats, wenn die betroffene Person diese Vergünstigung deshalb verliert, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Eine Beschränkung der Freizügigkeit wird insb dann vorliegen, wenn der aktuelle Wohnsitzmitgliedstaat keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Leistung kennt.

5.9. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass beispielsweise das österreichische Pflegegeld keine Gegenleistung für in Österreich erbrachte Versicherungsbeiträge darstellt, weil das österreichische Pflegegeld grundsätzlich aus dem Bundesbudget bestritten wird (10 ObS 96/14m, SSV-NF 28/67 = DRdA 2015/45, 344 [Felten]). Die Gewährung von Rehabilitationsgeld ist allerdings von dem Erwerb von Versicherungs- und Beitragszeiten in Österreich abhängig, in deren Rahmen in der Regel Beiträge an die Pensionsversicherungsträger gezahlt werden. Das Rehabilitationsgeld stellt daher eine Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Versicherungsbeiträgen dar. Die erwähnte Rsp des EuGH verlangt in diesen Fällen, dass die dadurch erworbene Vergünstigung nicht durch Inanspruchnahme der Freizügigkeitsrechte eines Unionsbürgers (Art 20 Abs 2 lit a, Art 45, 48 AEUV) verloren geht. Erfüllt die Person daher alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Rehabilitationsgeldes, kann dieses nicht deshalb verwehrt werden, weil die Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und dieser grundsätzlich nach der Koordinierungs-VO für Geldleistungen bei Krankheit zuständig wäre.

Um eine Vereinbarkeit mit dem Primärrecht herzustellen, ist Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit bei dieser Leistung mit Sondercharakter dann nicht mehr der Wohnsitz, sondern die erworbenen Versicherungszeiten. Da das Rehabilitationsgeld als Leistung zwischen Krankheit und Invalidität einzuordnen ist und die Anknüpfung an erworbene Versicherungszeiten den Bestimmungen über Leistungen bei Invalidität entspricht, sind diese bei Prüfung der Zuständigkeit für die einzelnen Versicherungszeiten heranzuziehen.

5.10. In Bezug auf die Leistungen bei Invalidität bestehen in den Mitgliedstaaten zwei Arten von Rechtsvorschriften, was die Koordinierung der Invaliditätsrenten und deren Berechnung kompli-396ziert macht. Als Mitgliedstaat mit Rechtsvorschriften des „Typs A“ gelten diejenigen Staaten, in denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungs- oder Wohnzeiten unabhängig ist und die ausdrücklich in Anhang VI der EG-VO 883/2004 genannt sind (Tschechische Republik, Estland, Irland, Griechenland, Lettland, Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich). Für diese Systeme gibt es eine Sonderkoordinierung (pension unique). Die übrigen Mitgliedstaaten sind in der VO 883/2004 dem Typ B zugeordnet.

5.11. Da Österreich bei Invaliditätsleistungen dem Typ B zuzuordnen ist (auch die Gewährung von Rehabilitationsgeld hängt von der Dauer von Versicherungszeiten ab), sind die Art 45 ff der VO 883/2004 über die Zusammenrechnung von Zeiten zu berücksichtigen. Die Grundregeln für die Zusammenrechnung finden sich in Art 45 und Art 51 Abs 1 der VO 883/2004. Für die Berechnung einschlägig ist Art 46 Abs 1 der VO 883/2004, weil für die Personen in den vorliegenden Fällen nacheinander oder abwechselnd die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten galten und die Kl keine Zeiten in Ländern des Typs A aufweist. Demnach ist die Leistung nach den Vorschriften über die Rentenleistungen in Kapitel 5 der VO (Art 50 ff; Alters- und Hinterbliebenenrenten) zu berechnen.

5.12. Welche konkreten Auswirkungen der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes auf die Anknüpfungselemente bei Prüfung der Zuständigkeit hat, ist eine Auslegungsfrage des Unionsrechts. Diese Auslegungsfrage kann auf der Grundlage des geltenden Normenbestands und der bisherigen Rsp des EuGH, insb in der Rs da Silva Martins zum Pflegegeld, gelöst werden, weshalb es auch keiner Vorabentscheidungsvorlage an den EuGH bedarf.

5.13. Wird demnach ein Anspruch der Kl auf österreichisches Rehabilitationsgeld bejaht, sind die Regeln über die Exportpflicht nach Art 21 der VO 883/2004 anwendbar. Wie bereits dargestellt, ist das Rehabilitationsgeld grundsätzlich als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren. Das Rehabilitationsgeld stellt eine Geldleistung und keine Sachleistung dar, weil es periodisch ausgezahlt wird und der Zweck darin besteht, den Verdienstausfall durch ein Ersatzeinkommen zur Erhaltung des allgemeinen Lebensstandards auszugleichen (vgl EuGH 5.3.1998, C-160/96, Molenaar, ECLI:EU:C:1998:84, Rz 31 zum Pflegegeld; allgemein Schreiber in

Schreiber/Wunder/Dern
[Hrsg], VO [EG] Nr 883/2004 [2012] Art 21 Rz 6). Außerdem ist das Rehabilitationsgeld ein Festbetrag und steht zur freien Mittelverwendung durch die beziehende Person. Aus diesen Gründen hatte der EuGH bereits das deutsche Pflegegeld als zu exportierende Geldleistung bei Krankheit qualifiziert (EuGH 5.3.1998, C-160/96, Molenaar, ECLI:EU:C:1998:84, Rz 34).

Die Exportpflicht von Geldleistungen nach Art 21 der VO 883/2004 ist auch auf das Rehabilitationsgeld anwendbar. Es ist entsprechend Art 21 Abs 1 Satz 1 der VO vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften in den Wohnsitzstaat zu exportieren.

6. Im Fall der Kl soll der Rehabilitationsgeldbezug unmittelbar an den Bezug einer befristeten Invaliditätspension aus Österreich anschließen. Sie hat Versicherungszeiten in Österreich erworben; ihr Wohnsitz lag (bereits) zum Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung auf Invaliditätspension und auch bei der Antragstellung auf Weitergewährung im EU-Ausland. Sie bezieht im EU-Ausland keine Erwerbsunfähigkeitsrente.

6.1. Es liegt weder ein originärer Beschäftigungstatbestand nach Art 11 Abs 3 lit a der VO 883/2004 vor, noch kann eine Beschäftigung durch eine Beschäftigungsfiktion nach Art 11 Abs 2 der VO verlängert werden, weil eine Beschäftigungsfiktion bei Bezug von Invaliditätsrenten (wie die befristete Invaliditätspension) nach Art 11 Abs 2 Satz 2 der VO generell ausgeschlossen ist. Da das Rehabilitationsgeld – wie dargestellt – grundsätzlich als Leistung bei Krankheit einzustufen ist, kommen allein die Sonderkollisionsnormen in Art 23 bis 25 der VO in Betracht, die hier allerdings nicht einschlägig sind. Es käme demnach grundsätzlich zur Zuständigkeit des Wohnsitzstaats gem Art 11 Abs 3 lit e der VO, weshalb die Kl keinen Anspruch auf österreichisches Rehabilitationsgeld hätte.

6.2. Allerdings ist das Rehabilitationsgeld eine Vergünstigung, die eine Gegenleistung für die von der Kl in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge darstellt. Aufgrund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes ist im Zuständigkeitswechsel und Leistungsverlust allein durch die im Jahr 2007 vorgenommene Wohnsitzverlegung eine Beschränkung der primärrechtlichen Freizügigkeit zu sehen. Der Leistungsverlust wäre nämlich im vorliegenden Fall auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zurückzuführen; der Wohnsitzmitgliedstaat kennt keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Geldleistung. Die Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit ist durch die erworbenen Versicherungszeiten sowie durch den Bezug einer befristeten Invaliditätspension dokumentiert.

Wie dargestellt kommen in diesem Fall die Regeln der Art 45 ff iVm Art 50 ff der VO 883/2004 zur Anwendung. Da die Kl – unbestritten – die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld nach nationalem Recht erfüllt, ist dieses nach Art 21 Abs 1 der VO ins EU-Ausland zu exportieren.

ANMERKUNG

In der vorliegenden OGH-E ist strittig gewesen, ob der Kl im Anschluss an den Bezug einer österreichischen befristeten Invaliditätspension Rehabilitationsgeld verweigert werden darf, weil sie ihren Wohnsitz im EU-Ausland hat. Das Erfordernis eines Wohnsitzes in Österreich ist allerdings nicht im nationalen Recht verankert, sondern ergibt sich aus der Anwendung der Regelungen über die Leistungszuständigkeit nach der VO 883/2004. Dazu hat zuerst festgestellt werden müssen, ob das an der Schnittstelle von KV und PV angesiedelte Rehabilitationsgeld nach der VO 883/2004 als „Leistung bei Krankheit“ oder als „Leistung bei Invalidität“ einzustufen ist. Ausgehend von dieser Beurteilung hat der OGH schließlich geprüft, ob397Österreich oder der Wohnsitzmitgliedstaat nach der VO 883/2004 leistungszuständig ist.

Eine zentrale Rolle hat dabei der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes, das Elemente von Leistungen bei Krankheit und bei Invalidität enthält, gespielt. Um diesem Sondercharakter Genüge zu tun, hat der OGH auf den mit der AN-Freizügigkeit verfolgten Zweck abgestellt und diesen für die Interpretation der VO 883/2004 herangezogen.

Im Folgenden wird näher darauf eingegangen, welche Auswirkungen die AN-Freizügigkeit auf die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit hat und wie in Bezug auf das Rehabilitationsgeld die vom EuGH (8.3.2001, C-215/99, Jauch, Rz 20; 1.9.2007, C-287/05, Hendrix, Rz 52) immer wieder geforderte Herstellung einer größtmöglichen Freizügigkeit für die Unionsbürger gewährleistet werden kann.

1.
Auswirkungen der AN-Freizügigkeit auf die nationalen Sozialsysteme

Nach Art 153 Abs 4 AEUV dürfen die aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten berühren, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen. Auch der EuGH betont in ständiger Judikatur, dass die Mitgliedstaaten weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, schränkt deren Befugnis jedoch dahingehend ein, dass sie dabei das Unionsrecht und insb die Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit der AN beachten müssen (EuGH 11.9.2008, C-228/07, Petersen, Rz 42; EuGH 13.7.2016, C-187/15, Pöpperl, Rz 22).

Damit bringt der EuGH deutlich zum Ausdruck, dass die AN-Freizügigkeit in ihrer Eigenschaft als Grundfreiheit auf die nationalen Sozialsysteme einwirkt. Die vom EuGH geforderte Berücksichtigung der AN-Freizügigkeit bei der Ausgestaltung der nationalen Sozialsysteme bedeutet, dass die Mitgliedstaaten im nationalen Sozialrecht nicht nur jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung, sondern auch jede Maßnahme zu unterlassen haben, die geeignet ist, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern bzw weniger attraktiv zu machen. Die AN-Freizügigkeit wirkt sich auf die nationalen Sozialsysteme zudem insofern aus, als Art 48 AEUV auf die sozialrechtliche Absicherung der Freizügigkeit der AN abzielt und die Grundlage für die VO 883/2004 bildet. Durch die Koordinierung der nationalen Sozialsysteme soll gewährleistet werden, dass die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts für die Unionsbürger keine sozialrechtlichen Nachteile mit sich bringt (Karl, JAS 2017, 86 [87]).

2.
Möglichkeiten zur Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit in Bezug auf das Rehabilitationsgeld

Im konkreten Fall ist es darum gegangen, dass infolge des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes als Mischleistung eine am bloßen Wortlaut der VO 883/2004 orientierte Interpretation dazu geführt hätte, dass diese Leistung nur bei Wohnsitz in Österreich gebühren würde.

In der Regel hat der EuGH mit im nationalen Recht verankerten Wohnsitzerfordernissen zu tun und legt bei ihrer Beurteilung einen sehr strengen Maßstab an. Nichts anderes kann aber auch dann gelten, wenn das Wohnsitzerfordernis aus der Anwendung der VO 883/2004 resultiert. Nach dem Stufenbau der Rechtsordnung müssen die Bestimmungen der VO 883/2004 mit den Regelungen des primären Unionsrechts vereinbar sein (Windisch-Graetz in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV [2012] Art 48 AEUV Rz 12). Dementsprechend zieht der EuGH in seinen Urteilen zu sozialrechtlichen Fragestellungen immer wieder das Primärrecht zur Interpretation der VO 883/2004 heran und verlangt, dass die aufgrund von Art 48 AEUV ergangenen Bestimmungen der VO im Lichte des Zwecks dieses Artikels auszulegen sind, der in der Herstellung einer größtmöglichen Freizügigkeit für die AN besteht (EuGH 12.6.2012, C-611/10 und C-612/10, Hudzinski, Rz 53; EuGH 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, Rz 70 mwN). Eine größtmögliche Freizügigkeit kann aber auch durch die unmittelbare Anwendung des Art 45 AEUV erreicht werden.

2.1.
Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit durch unmittelbare Anwendung des Art 45 AEUV

Im Urteil Petersen hat der EuGH zur Beantwortung der Vorlagefrage, ob der bis zur Entscheidung über den Antrag auf Berufsunfähigkeits- bzw Invaliditätspension gewährte österreichische Pensionsvorschuss (§ 23 AlVG) von einem Wohnort in Österreich abhängig gemacht werden darf, darauf abgestellt, ob das Wohnorterfordernis mit dem Primärrecht vereinbar ist und hat dies verneint. Dazu hat er auf seine stRsp verwiesen, wonach der mit den Art 45 bis 48 AEUV verfolgte Zweck verfehlt würde, wenn die AN, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren würden, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern, insb wenn diese Vergünstigungen die Gegenleistung für die von ihnen gezahlten Beiträge darstellen. Eine solche Konsequenz könnte sie nämlich davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, und würde somit diese Freiheit beeinträchtigen (EuGH Rs Petersen, Rz 43). Zudem wird immer wieder betont, dass Unionsbürger nicht allein deswegen benachteiligt werden dürfen, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten (EuGH 21.7.2011, C-503/09, Stewart, Rz 85 f; EuGH 22.5.2008, C-499/06, Nerkowska, Rz 32 f). Der EuGH stellt auch darauf ab, ob eine nationale Regelung den erwerbstätigen Unionsbürger im Vergleich zu Personen, die ausschließlich in jenem Mitgliedstaat tätig waren, in dem diese Regelung gilt, benachteiligt und nur dazu führt, dass Beitragsleistungen erbracht werden, denen kein Anspruch auf Gegenleistungen gegenübersteht (EuGH Rs Pöpperl, Rz 24; EuGH 21.1.2016, C-515/14, Kommission/Zypern, Rz 40).398

Im konkreten Fall ergibt sich die beschränkende Wirkung infolge des Wohnsitzerfordernisses jedoch nicht aus einer nationalen Regelung, sondern aus der Anwendung der Bestimmungen der VO 883/2004 über die Leistungszuständigkeit. Es ist aber mit dem Primärrecht nicht vereinbar, wenn die Betroffene nur deswegen, weil sie gem Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 nach den Rechtsvorschriften ihres Wohnsitzmitgliedstaats Anspruch auf Leistungen bei Krankheit hat, alle Vergünstigungen verliert, die die Gegenleistung für die Beiträge darstellen, die sie in Österreich als früherem Beschäftigungsmitgliedstaat aufgrund eines eigenständigen Versicherungssystems gezahlt hat, das nicht das Risiko der Krankheit im eigentlichen Sinne betrifft, sondern das der Invalidität (vgl EuGH Rs da Silva Martins, Rz 78).

Dagegen kann auch nicht die ständige Judikatur des EuGH eingewendet werden, wonach das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren kann, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insb in Bezug auf Leistungen bei Krankheit und Altersrenten, neutral ist (EuGH Rs Pöpperl, Rz 24; EuGH Rs da Silva Martins, Rz 72). Damit werden nämlich bloß jene Verschlechterungen toleriert, die sich aus den im neuen Wohnsitzmitgliedstaat anzuwendenden sozialrechtlichen Regeln im Vergleich zum Sozialsystem des Herkunftsmitgliedstaats ergeben (Karl, JAS 2017, 88).

2.2.
Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit durch Interpretation der VO 883/2004

Wenn der OGH in der vorliegenden E davon spricht, dass die alleinige Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaats und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken kann (Rz 5.8.), scheint er dabei nicht Art 45 AEUV unmittelbar anwenden zu wollen. Vielmehr folgt er dem EuGH-Urteil da Silva Martins (Rz 69 f und 81), in dem die Bestimmungen der VO 883/2004 im Lichte der Art 45 und 48 AEUV ausgelegt werden. Der EuGH verfolgt damit die gleiche Zielsetzung wie bei der unmittelbaren Anwendung des Art 45 AEUV, nämlich die Herstellung der größtmöglichen Freizügigkeit und verwendet auch die gleichen Argumente. So wird etwa betont, dass die Bestimmungen der VO 883/2004 im Licht des Art 48 AEUV auszulegen sind, der die AN-Freizügigkeit erleichtern soll und ua impliziert, dass Wander-AN nicht deshalb Ansprüche auf Sozialleistungen verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie das ihnen vom Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben (EuGH Rs Hudzinski, Rz 46).

Die Beschränkung der AN-Freizügigkeit durch ein aus der VO 883/2004 resultierendes Wohnsitzerfordernis kann somit auch auf interpretativem Wege verhindert werden. Nach ständiger Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte das innerstaatliche Recht so weit wie möglich so auszulegen, dass es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (EuGH 13.10.1990, C-106/89, Marleasing, Rz 8; EuGH 5.10.004, C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer, Rz 113). Nichts anderes gilt auch für die Auslegung des sekundären Unionsrechts. Der EuGH hat festgestellt, dass man über das Ziel der VO 883/2004 hinausginge und die Zwecke sowie den Rahmen von Art 48 AEUV außer Betracht ließe, wenn man die VO so auslegen würde, dass sie einem Mitgliedstaat verbietet, AN einen weiter gehenden sozialen Schutz zu gewähren, als er sich aus der Anwendung dieser VO ergibt. Die unionsrechtlichen Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit sind nämlich insb in Anbetracht der mit ihnen verfolgten Ziele so anzuwenden, dass sie dem Wander-AN nicht Leistungen aberkennen, die allein nach dem Recht eines Mitgliedstaats gewährt werden (EuGH Rs Hudzinski, Rz 55 f). In diesem Sinne hat auch der OGH die VO 883/2004 interpretiert und gelangt zum Ergebnis, dass die Exportpflicht von Geldleistungen bei Krankheit (Art 21 VO 883/2004) auch auf das Rehabilitationsgeld anzuwenden ist.

2.3.
Macht es einen Unterschied, welcher der beiden Lösungsansätze angewendet wird?

Damit stellt sich die Frage, ob es einen Unterschied macht, Art 45 AEUV unmittelbar anzuwenden oder Art 45 und 48 AEUV zur Interpretation der VO 883/2004 heranzuziehen. In beiden Fällen geht es um die Umsetzung einer größtmöglichen Freizügigkeit für die Unionsbürger, sodass der EuGH auch die gleichen Argumente verwendet. Ein wesentlicher Unterschied scheint auf den ersten Blick darin zu liegen, dass im Falle der unmittelbaren Anwendung des Art 45 AEUV zu prüfen ist, ob das gegen diese Bestimmung verstoßende Wohnsitzerfordernis durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.

Im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Systemen der sozialen Sicherheit wird zur Rechtfertigung immer wieder die erhebliche Gefährdung ihres finanziellen Gleichgewichts vorgebracht (EuGH Rs KommissionZypern, Rz 53 ff; EuGH Rs Petersen, Rz 57). Eine solche wird in Bezug auf die Leistung von Rehabilitationsgeld aber nicht feststellbar sein.

Auch die enge Verknüpfung mit der Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation bzw mit dem Case-Management wird wohl keinen geeigneten Rechtfertigungsgrund darstellen. Im Rahmen des Case-Managements haben die Krankenversicherungsträger sicherzustellen, dass die betroffenen Personen mittels eines optimalen Versorgungsplans bei der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit durch entsprechende Krankenbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt werden. Dazu müssen sich die Leistungsbezieher auch regelmäßigen Begutachtungen im Kompetenzzentrum nach § 307g ASVG unterziehen. Zudem hat eine entsprechende Abstimmung mit dem Arbeitsmarktservice und dem Pensionsversicherungsträger zu erfolgen (§ 143b ASVG).399

Die Notwendigkeit einer Überprüfung, ob der Leistungsempfänger weiterhin die Voraussetzungen für den Bezug einer Leistung erfüllt, ist eine objektive Erwägung des Allgemeininteresses, die es nach Auffassung des EuGH rechtfertigen kann, dass die Freizügigkeit durch die Voraussetzungen für die Gewährung oder die Auszahlung der Leistung berührt wird. Dem Argument, das Wohnsitzerfordernis sei das einzige Mittel, um zu überprüfen, ob der Empfänger einer Invaliditätsrente weiterhin die Voraussetzungen für ihren Bezug erfüllt, hält der EuGH jedoch entgegen, dass sich das verfolgte Ziel auch durch andere Mittel erreichen lässt, die weniger restriktiv, aber genauso wirksam sind. Wenn eine medizinische oder administrative Kontrolle die Anwesenheit des Leistungsempfängers im Gebiet des betroffenen Mitgliedstaats erforderlich machen sollte, kann ihn der Staat auffordern, sich zur Durchführung einer solchen Kontrolle in diesen Mitgliedstaat zu begeben, wobei auch vorgesehen werden kann, dass die Zahlung der Leistung bei ungerechtfertigter Weigerung des Empfängers ausgesetzt wird (EuGH Rs Nerkowska, Rz 37 und 44 f; EuGH Rs Petersen, Rz 61 f).

Demzufolge müsste auch im Falle des Rehabilitationsgeldes primär versucht werden, die Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und das Case-Management auch bei im EU-Ausland wohnhaften Leistungsbeziehern sicherzustellen, wie zB durch Durchführung von Kontrollen in Österreich und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Trägern. Spiegel (in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm [2015] Vor § 251a ASVG Rz 9) ist jedoch skeptisch, ob eine solche Zusammenarbeit bei unterschiedlichen Systemen oder auch schon zB bei Sprachproblemen so leicht durchführbar ist und verlangt entsprechende Klarstellungen (vor allem in der VO 883/2004). Dazu sei auf das Urteil da Silva Martins (Rz 87) hingewiesen, wo der EuGH den Einwand verwirft, dass die konkurrierende Gewährung von Pflegegeldleistungen verschiedener Mitgliedstaaten zu praktischen Schwierigkeiten führen könnte, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts in den Unionsvorschriften über die Koordinierung der nationalen Sozialsysteme noch nicht umfassend behandelt werden. Mit diesem Argument könne eine gegen die AN-Freizügigkeit verstoßende Interpretation der VO 883/2004 nicht gerechtfertigt werden. Damit bringt der EuGH aber auch zum Ausdruck, dass Rechtfertigungsgründe nicht nur bei unmittelbarer Anwendung des Art 45 AEUV, sondern auch im Falle der Interpretation der VO 883/2004 im Lichte der Art 45 und 48 AEUV eine Rolle spielen können. Im Ergebnis wird es daher in der Regel keinen Unterschied machen, welcher der beiden Lösungsansätze gewählt wird.