6Rehabilitationsgeld: Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers frühestens ab Antragstellung
Rehabilitationsgeld: Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers frühestens ab Antragstellung
Rehabilitationsgeld fällt gem § 86 Abs 1 ASVG mit dem Entstehen des Anspruchs gem § 85 Abs 1 ASVG an.
Die Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers beginnt jedoch frühestens mit der Einbringung eines Antrags auf Zuerkennung einer Pension aus einem der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG.
Der 1967 geborene Kl beantragte am 17.9.2014 die Zuerkennung der Invaliditätspension. [...]
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.1.2015 lehnte die Bekl den Antrag des Kl [...] mangels Vorliegens von Invalidität ab.
Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte der Kl die Zuerkennung einer Invaliditätspension.
Dagegen wandte die Bekl ein, dass beim Kl weder dauerhafte noch vorübergehende Invalidität vorliege, es bestehe auch kein Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. [...]
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung infolge der Berufung des Kl, mit der der Kl lediglich noch die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld für den Zeitraum 1.1.2014 bis 31.1.2015 anstrebt, teilweise dahin ab, dass es feststellte, dass beim Kl von 1.1.2014 bis 31.1.2015 vorübergehende Invalidität vorlag, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien, und dass der Anspruch des Kl auf Rehabilitationsgeld aus der KV von 1.1.2014 bis 31.1.2015 zu Recht bestehe. [...]
Die Feststellung, ob ein Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliege, habe zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag – hier der 1.10.2014 – zu erfolgen. Der Kl sei aber bereits vor diesem Zeitpunkt vorübergehend arbeitsunfähig gewesen. Für den Anfall des Rehabilitationsgeldes komme es nach den in der E 10 ObS 142/15b dargelegten Grundsätzen nicht auf den pensionsversicherungsrechtlich relevanten Stichtag an, sodass der Kl bereits ab 1.1.2014 Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. [...]
Gegen diese E richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl, mit der sie [...] in der Hauptsache lediglich die Abweisung des Klagebegehrens auf Zuerkennung von Rehabilitationsgeld für den vor der Antragstellung liegenden Zeitraum, daher vom 1.1.2014 bis zum 16.9.2014, anstrebt. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.
[...]
2.1 Zur Frage des Entstehens des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld und dem Zeitpunkt seines Anfalls heißt es in den Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, auszugsweise (ErläutRV 2000 24. GP 21):
„Es gebührt ab dem Vorliegen der vorübergehenden (mindestens sechsmonatigen) Invalidität (Berufsunfähigkeit), das heißt ab deren Eintritt bzw ab der Antragstellung beim Pensionsversicherungsträger (wenn der Zeitpunkt des Eintrittes nicht feststellbar ist, vgl § 223 Abs 1 Z 2 lit a ASVG in Verbindung mit § 367 Abs 4 Z 1 ASVG).“
2.2Pfeil (Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit, DRdA 2013, 363 [370]) hält eine rückwirkende Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes für möglich. Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld beginne bereits mit dem Eintritt der geminderten Arbeitsfähigkeit. [...]
2.3 Nach Födermayr (in SV-Komm [142. Lfg] § 143a ASVG Rz 18) gebührt das Rehabilitationsgeld ab Eintritt der vorübergehenden zumindest sechsmonatigen Arbeitsunfähigkeit; dieser Zeitpunkt sei von Amts wegen festzustellen. Könne der Eintritt nicht festgestellt werden, sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich.
2.4Felten (Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung zum SV-Leistungsrecht. Am Beispiel des Rehabilitationsgeldes, ZAS 2016/45, 252 [254]) führt aus, dass der OGH in der E 10 ObS 142/15bdas Rehabilitationsgeld zwar als Mischkonstruktion zwischen KV und PV bezeichne, tatsächlich jedoch als Leistung aus der KV behandle. § 143a Abs 1 ASVG sei daher im Licht des § 86 Abs 1 ASVG zu interpretieren, der Anspruch auf Rehabilitationsgeld werde vom tatsächlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abhängig gemacht.
2.5Pletzenauer (DRdA-infas 2016/4, 222 [224 f]) hält auch eine Zuerkennung von Rehabilitationsgeld für vor der Antragstellung liegende Zeiträume für möglich. Allerdings sei eine Anwendung der – krankenversicherungsrechtlichen – Verfallsbestimmung des § 102 Abs 1 ASVG auf das Rehabilitationsgeld abzulehnen, weil eine solche die Pensionswerber großen, kaum kalkulierbaren Risken aussetzen würde. Werde der Antrag nämlich nicht innerhalb von zwei Jahren ab Eintritt des Versicherungsfalls gestellt, drohe der Verfall des gesamten Anspruchs und nicht nur jener Zahlungen, die länger als zwei Jahre zurückliegen.
2.6T. Dullinger (DRdA 2016/46, 429 [432]) weist darauf hin, dass der Anspruch auf Leistungen mit dem Eintritt des Versicherungsfalls sowie dem Vorliegen der primären, sekundären und besonderen Leistungsvoraussetzungen entstehe; auf die Antragstellung komme es nicht an. Er folgt im Übrigen der bereits dargestellten Ansicht Pfeils, wonach Rehabilitationsgeld gegebenenfalls auch rückwirkend zu gewähren sei.
3.1 Der Anspruch auf Leistungen entsteht gem § 85 Abs 1 ASVG, sobald alle vom Gesetz geforderten materiellen Leistungsvoraussetzungen verwirklicht sind [...]. Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld entsteht danach bei Vorliegen der bereits genannten Anspruchsvoraussetzungen nach § 255b ASVG (§§ 273b, 280b ASVG).48
3.2 Der Zeitpunkt, in dem eine gem § 85 ASVG entstandene Leistung zusteht, ist der Leistungsanfall (vgl § 86 ASVG), der vom Zeitpunkt des Entstehens des Leistungsverhältnisses abweichen kann. Nach der allgemeinen Regel des § 86 Abs 1 ASVG fallen, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Leistungen mit dem Entstehen des Anspruchs iSd § 85 Abs 1 ASVG an [...].
3.3 Die allgemeine Regel des § 86 Abs 1 ASVG ist für Leistungen der KV anwendbar, die danach grundsätzlich mit dem Entstehen des Anspruchs, also mit der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen, anfallen (§ 86 Abs 1 ASVG). Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld fällt daher grundsätzlich mit seinem Entstehen an (10 ObS 142/15d).
4.1 Der Antrag gehört nicht zu den materiellen Voraussetzungen für das Entstehen eines Leistungsanspruchs, sondern zu den formellen Voraussetzungen, die (nur) die Frage beantworten, wie die Leistung realisiert wird (Schrammel in
4.2 Dennoch hat der Antrag – und zwar sowohl in der KV als auch in der PV – Bedeutung für den Beginn des Leistungsanfalls. In der PV bewirkt der Antrag die Festlegung des Stichtags, in der KV ist er maßgeblich für die Beurteilung des Verfalls von Leistungsansprüchen (Schramm in SV-Komm §§ 85, 86 Rz 13).
4.3 Rehabilitationsgeld ist – ungeachtet seiner systematischen Zuordnung zu einem dieser beiden Versicherungszweige – eine Pflichtleistung, die gem § 361 Abs 1 Z 1 ASVG nur auf Antrag festgestellt werden kann. In einem solchen Fall begründet erst der Antrag die Leistungspflicht des Versicherungsträgers [...].
5.1 Das Rehabilitationsgeld ist, wie der OGH bereits mehrfach ausgeführt hat, an der Schnittstelle von KV und PV angesiedelt. Wenngleich die Absicht des österreichischen Gesetzgebers dahin geht, das Rehabilitationsgeld prinzipiell als Leistung bei Krankheit zu qualifizieren, gibt es bedeutende Berührungspunkte mit der PV. Das Rehabilitationsgeld wurde deshalb als Leistung mit Sondercharakter bzw als „Mischleistung“ oder „Mischkonstruktion“ zwischen KV und PV qualifiziert [...].
5.2 Insb ist auch an dieser Stelle wiederum hervorzuheben, dass der Anspruch auf Rehabilitationsgeld – ungeachtet seiner systematischen Einordnung in der KV (§§ 117 Z 3 Fall 3, 143a ASVG) – [...] auch vom Erwerb von Pensionsversicherungszeiten abhängig ist und indirekt auch durch Beiträge zur PV finanziert wird, weil es zwar von den Krankenversicherungsträgern ausgezahlt wird, die Pensionsversicherungsträger diesen aber die dadurch entstandenen Kosten zu ersetzen haben (§ 143c ASVG). Das Rehabilitationsgeld stellt daher zugleich eine Gegenleistung für die vom Versicherten in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge dar (10 ObS 122/16p; 10 ObS 133/15d).
6.1 Diese Besonderheiten des Rehabilitationsgeldes sind auch für die Beurteilung der Frage seines Anfalls zu beachten:
6.2 In der KV können laufende Geldleistungen (wie insb das Krankengeld, § 120 Z 2, § 138 Abs 1 ASVG) ausgehend vom Antrag auch rückwirkend zuerkannt werden, weil es gem § 86 Abs 1 ASVG auf das Entstehen des Anspruchs ankommt. Die Grenze der rückwirkenden Zuerkennung ist jedoch der Verfall des gesamten Anspruchs, der dann zur Gänze eintritt, wenn der Antrag erst nach Verstreichen der Verfallsfrist gestellt wird [...].
6.3 Würde man den Anfall des Rehabilitationsgeldes daher nach rein krankenversicherungsrechtlichen Maßstäben beurteilen, hätte dies den von Pletzenauer (DRdA-infas 2016/4, 224 f) aufgezeigten Nachteil für die Pensionswerber: Wird nämlich ein Antrag auf Zuerkennung einer Pension aus einem der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit erst mehr als zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalls gestellt, hätte dies trotz Vorliegens vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit) und der übrigen Voraussetzungen zur Folge, dass der Versicherte gar keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld hätte. Eine solche Rechtsfolge stünde jedoch nicht im Einklang mit den Zielen des Gesetzgebers, der das Rehabilitationsgeld [...] als Ersatz für die weggefallene Invaliditätspension geschaffen hat [...].
6.4 In der PV löst hingegen der Antrag gem § 361 Abs 1 Z 1 ASVG in den – hier relevanten – Fällen des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG nicht nur die Leistungspflicht des Versicherungsträgers aus, sondern bestimmt auch den Beginn der Leistungsgewährung (RIS-Justiz RS0083687). Eine rückwirkende Zuerkennung einer Pension ist nur in den engen Grenzen dieser Bestimmung vorgesehen [...]. Anders als in der KV ist aber umgekehrt nicht der Pensionsanspruch selbst vom Verfall bedroht, sondern gem § 102 Abs 3 ASVG lediglich bereits fällig gewordene einzelne Monatsraten. Das Recht, die Leistung zu fordern, besteht für die Zukunft weiter (Fellinger in SV-Komm § 102 Rz 1).
7.1 Um zu einem systemkonformen und mit den Absichten des Gesetzgebers übereinstimmenden Ergebnis zur Beantwortung der hier zu behandelnden Frage zu gelangen, ist für die Beurteilung des Beginns der Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers auch die vom Gesetzgeber gewählte Systematik des An- und Verfalls von Ansprüchen in den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit in der PV zu beachten.
7.2 Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in § 117 Z 3 ASVG entspricht – auch wortident – jenem des Pensionsversicherungsrechts in § 221 ASVG. [...] Trotz der vordergründigen Ähnlichkeit des Rehabilitationsgeldes mit dem Krankengeld hat der Gesetzgeber beiden Leistungen in § 117 Z 3 ASVG unterschiedlichen Versicherungsfällen zugrunde gelegt. Auch das soziale Risiko, das durch die Gewährung von Rehabilitationsgeld abgefangen werden soll, unterscheidet sich von jenem, das die Gewährung von Krankengeld abfedern soll. Krankengeld schützt den Versicherten vor dem drohenden Entgeltverlust bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach dem Auslaufen der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung [...]. Rehabilitationsgeld schützt den Pensionswerber hingegen vor jenem Entgeltverlust, der ihm ungeachtet der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) schon deshalb drohen kann, weil er sich49Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zu unterziehen hat. Dies ergibt sich aus § 143a Abs 4 ASVG, der im Fall eines dennoch bestehenden mehr als geringfügigen Erwerbseinkommens ein Teilrehabilitationsgeld zuspricht, und aus § 99 Abs 1a ASVG, der den Entzug des Rehabilitationsgeldes anordnet, sollte sich der Versicherte weigern, an zumutbaren Maßnahmen der Rehabilitation mitzuwirken (Felten in SV-System 2.2.6.2.A; 10 ObS 4/16k). Nur wenn Rehabilitationsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben, soll als ultima ratio die Gewährung einer Pension in Betracht kommen (RIS-Justiz RS0113173). Die Pension fällt daher gem § 86 Abs 3 Z 2 letzter Satz ASVG erst an, wenn durch die Rehabilitationsmaßnahmen die Wiedereingliederung in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann. [...]
7.3 Die Intention des Gesetzgebers, Rehabilitationsgeld als Ersatz für die frühere befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeit) für die Dauer der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) erst ab Antragstellung zu gewähren, zeigt sich auch in der mit dem SVAG 2015, BGBl I 2015/2, geschaffenen, aber rückwirkend mit 1.1.2014 in Kraft getretenen (§ 688 Abs 1 Z 2 ASVG) Rückverrechnungsbestimmung des § 103 Abs 1 Z 5 ASVG. Gewinnt der Versicherte den Prozess um eine Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) wegen Vorliegens dauerhafter Invalidität (Berufsunfähigkeit), so kann der Pensionsversicherungsträger das bereits geleistete Rehabilitationsgeld mit den für dieselben Zeiträume rückwirkend gewährten Pensionsleistungen aufrechnen (Atria in
7.4 Diese Intention des Gesetzgebers wird auch aus § 23 AlVG deutlich. [...]
7.5 [...] Anders als Krankengeld wird das Rehabilitationsgeld [...] aus der AlV bevorschusst [...]. Diese Bevorschussung ist aber ebenfalls an den Antrag des Pensionswerbers gebunden und erfolgt nicht rückwirkend.
7.6 Eine über den Antrag auf Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hinaus rückwirkende Zuerkennung von Rehabilitationsgeld ist auch nicht erforderlich, um Versicherte sozialversicherungsrechtlich abzusichern. Denn dazu dient das bei Eintreten von („bloßer“) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit unter den sonstigen Voraussetzungen gebührende Krankengeld. Bei Vorliegen von Invalidität oder Berufsunfähigkeit besteht dieser Anspruch nicht und waren Versicherte auch nach der bisherigen Rechtslage schon gehalten, einen entsprechenden Pensionsantrag zu stellen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht nur dann, wenn der Pensionswerber trotz Vorliegens vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit) weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgeht und zum Bezug von (Teil-)Rehabilitationsgeld berechtigt ist (§ 143a Abs 4 und 3 ASVG), sodass er dadurch abgesichert ist.
7.7 Zusammenfassend ergibt sich: Rehabilitationsgeld fällt gem § 86 Abs 1 ASVG mit dem Entstehen des Anspruchs gem § 85 Abs 1 ASVG an. Die Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers beginnt jedoch frühestens mit der Einbringung eines Antrags auf Zuerkennung einer Pension aus einem der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG.
Mit der Frage, ab welchem Zeitpunkt dem/der Versicherten Rehabilitationsgeld zusteht, hatte sich der OGH fast genau ein Jahr vor der vorliegenden E schon einmal auseinanderzusetzen. Damals verwarf er die Rechtsansicht des bekl Versicherungsträgers, dass das pensionsversicherungsrechtliche Stichtagsprinzip auch auf den Bezug von Rehabilitationsgeld zur Anwendung komme; dieses falle nicht erst mit dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag, sondern bereits mit dem Eintritt der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit an (OGH10 ObS 142/15bDRdA 2016/46, 429 [Dullinger] = ZAS 2017/28, 159 [Schrattbauer]). Die naheliegende Frage, ob damit auch eine auf einen vor der Antragstellung liegenden Zeitpunkt zurückwirkende Zuerkennung in Betracht kommt, stellte sich in diesem Verfahren nicht, da die vorübergehende Invalidität des Versicherten im konkreten Fall erst im Zuge des sozialgerichtlichen Verfahrens eingetreten war. Da dies freilich nicht der Regelfall ist, war es letztlich nur eine Frage der Zeit, bis sich der OGH auch mit dieser Fragestellung zu befassen haben würde. Vor dem Hintergrund der Vorentscheidung, in der der OGH das Rehabilitationsgeld sehr klar als Leistung der KV qualifiziert hatte, wäre an sich zu erwarten gewesen, dass er auch eine rückwirkende Leistungspflicht bejahen würde. Der OGH entschied in der vorliegenden, sehr ausführlich begründeten E aber anders.
Der bekl Versicherungsträger hatte gegen eine rückwirkende Leistungszuerkennung ins Treffen geführt, dass aus der Nichtanwendbarkeit des pensionsversicherungsrechtlichen Stichtagsprinzips nicht darauf geschlossen werden könne, dass auch das gem § 361 Abs 1 Z 1 ASVG für Leistungen der PV und der KV maßgebliche Antragsprinzip für das Rehabilitationsgeld nicht anwendbar sein soll. Die Tatsache, dass ohne entsprechenden Antrag der versicherten Person keine Leistungspflicht des Versicherungsträgers besteht, wurde im Verfahren aber ohnehin50nicht in Frage gestellt. Die tatsächlich relevante Frage ist vielmehr, ob der einmal gestellte Antrag nur Leistungen für die Zukunft oder aber auch eine rückwirkende Leistungspflicht auslösen kann.
Der OGH greift die Argumentation der Bekl zwar nicht auf, kommt jedoch letztlich auf anderem Wege ebenfalls zum Ergebnis, dass für den Zeitraum vor der Antragstellung keine Leistungspflicht des Versicherungsträgers besteht. Da der Gesetzgeber das Rehabilitationsgeld einerseits unmissverständlich in den Leistungskatalog der gesetzlichen KV eingeordnet, andererseits aber keine ausdrückliche Regelung betreffend den Beginn der Leistungspflicht getroffen hat, knüpft der OGH zunächst zutreffend an § 86 Abs 1 ASVG an, wonach der Leistungsanfall grundsätzlich mit dem Entstehen des Anspruchs zusammenfällt, also gem § 85 Abs 1 ASVG mit jenem Zeitpunkt, zu dem die in § 255b ASVG genannten Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies würde an sich eine rückwirkende Zuerkennung nahelegen, sofern die vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit bereits zu einem vor dem Tag der Antragstellung liegenden Zeitpunkt eingetreten ist. In eben diese Richtung weisen nicht nur die Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2012, sondern ebenso sämtliche Literaturstimmen zur Thematik – was der OGH in seinen Ausführungen auch hinreichend offenlegt.
Pletzenauer (DRdA-infas 2016/4, 222) hat allerdings in seiner Anmerkung zur Vorentscheidung unter Hinweis auf die Verfallsbestimmung des § 102 Abs 1 ASVG darauf aufmerksam gemacht, dass eine konsequente Anwendung der krankenversicherungsrechtlichen Regelungen auf das Rehabilitationsgeld in Teilbereichen zu problematischen Ergebnissen führt. Nach § 102 Abs 1 ASVG sind Leis tungen der gesetzlichen KV (mit Ausnahme von Ansprüchen auf Kostenerstattung bzw -zuschuss) bei sonstigem Verfall binnen zwei Jahren ab dem Entstehen des Anspruchs geltend zu machen. Tatsächlich ist es mehr als zweifelhaft, dass Versicherte vom Zugang zu Rehabilitationsgeld ausgeschlossen werden sollten, wenn sie ihren Pensionsantrag (der kraft gesetzlicher Fiktion auch als Antrag auf Rehabilitationsgeld zu werten ist) erst mehr als zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalles stellen. Da es naheliegend erscheint, dass der Gesetzgeber sich der von Pletzenauer aufgezeigten Problematik bei der Auslagerung des Rehabilitationsgeldes als Nachfolgeleistung der ehemals befristeten Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspensionen in die gesetzliche KV nicht bewusst war, hätte sich dieses Problem möglicherweise über eine analoge Anwendung des § 102 Abs 3 ASVG lösen lassen, wonach in der UV und in der PV bei laufenden Geldleistungen jeweils nur bereits fällig gewordene Raten zuerkannter Pensionen verfallen können, das Recht, die Leistung für die Zukunft fordern zu können, aber nicht berührt wird (vgl nur Fellinger in SV-Komm § 102 ASVG Rz 1 bzw 5).
Der OGH nimmt das potentielle Problem des Verfalls (auch) zukünftiger Leistungen nun aber zum Anlass, um die zuvor sehr klar vorgenommene Einordnung des Rehabilitationsgeldes in das Regelungsgefüge des Krankenversicherungsrechts insgesamt wieder ein Stück weit zu relativieren. Unter Hinweis auf den „Mischcharakter“ des Rehabilitationsgeldes als Leistung zwischen PV und KV kommt er zum Ergebnis, dass hinsichtlich des Entstehens des Anspruchs und des Anfalls der Leistung zwar prinzipiell die für die KV geltenden Regelungen zur Anwendung kommen, die Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers aber dennoch – entsprechend den pensionsversicherungsrechtlichen Bestimmungen – frühestens mit der Antragstellung beginnt. Den Ausführungen des OGH zufolge ist also offensichtlich der Zeitpunkt des Leistungsanfalls vom Zeitpunkt des Beginns der Leistungspflicht des Pensionsversicherungsträgers abzugrenzen (vgl 7.7.). Wenn aber, wovon die Rezensentin bislang ausgegangen wäre, unter dem Begriff des „Leistungsanfalls“ der Beginn des Leistungsverhältnisses zu verstehen ist (so auch Schramm in SV-Komm, §§ 85, 86 ASVG Rz 15), dann lässt sich damit eine später beginnende Leistungspflicht des Versicherungsträgers kaum vereinbaren.
Auch die Argumente, die für die Anwendbarkeit der pensionsversicherungsrechtlichen Regelungen zum Beginn der Leistungspflicht ins Treffen geführt werden, können nicht restlos überzeugen.
Der OGH stützt seine Lösung einerseits auf die Rückverrechnungsregelung des § 103 Abs 1 Z 5 ASVG. Diese Bestimmung erlaubt den Versicherungsträgern, auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen jene bereits erbrachten Leistungen aufzurechnen, die durch den Rechtsgrund der neu anfallenden Leistung für den gleichen Zeitraum zu Unrecht gezahlt wurden. Damit sollte nach der Intention des Gesetzgebers insb eine Möglichkeit zur Aufrechnung von bereits ausbezahltem Rehabilitationsgeld bei rückwirkender Zuerkennung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension geschaffen und somit ein ungerechtfertigter Doppelbezug verhindert werden (vgl ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4). Dass eine Aufrechnung mit Rehabilitationszahlungen für Zeiträume vor der Antragseinbringung (für die noch keine Pensionsleistung zustehen kann) nicht in Frage kommt, ist richtig, allerdings liegt dann auch kein problematischer Doppelbezug vor.
Darüber hinaus ist unter Zugrundelegung der Judikatur des OGH ohnehin in jedem Fall zumindest mit kurzen Zeiträumen zu rechnen, während der dem geleisteten Rehabilitationsgeld keine aufrechenbare Pensionsleistung gegenübersteht: Wenn die Pension erst mit dem Stichtag anfällt, das Rehabilitationsgeld dagegen schon ab dem Tag der Antragstellung zustehen soll, dann bleiben (wenngleich im Regelfall wohl nur relativ kurze) Phasen, in denen – rückblickend betrachtet – zu Unrecht Rehabilitationsgeld bezogen wurde, da richtigerweise eine unbefristete Pension, diese allerdings erst ab dem Stichtag, zugestanden wäre. Wenn51schon, wie der OGH argumentiert, aus der Regelung des § 103 Abs 1 Z 5 ASVG auf die Absicht des Gesetzgebers zu schließen ist, dass Zahlungen aus dem Titel des Rehabilitationsgeldes im Ergebnis für den finanzierenden Pensionsversicherungsträger so zu behandeln sind wie nach früherer Rechtslage die befristeten Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, dann müsste dies wohl konsequenterweise auch die Anwendbarkeit des Stichtagsprinzips nach sich ziehen.
Auch aus § 23 Abs 6 AlVG folgt nicht zwingend, dass die Leistungspflicht für Rehabilitationsgeld erst ab Antragstellung bestehen soll. Da einerseits bei Stellung des Antrags auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit a priori noch nicht feststeht, ob tatsächlich eine dauerhafte oder doch „nur“ eine vorübergehende Minderung der Arbeitsfähigkeit vorliegt, und andererseits der Pensionsantrag ex lege auch bzw sogar vorrangig als Antrag auf Rehabilitationsgeld gilt, ist eine Gleichbehandlung beim Pensionsvorschuss an sich unvermeidbar. Dass dann bei Zuerkennung von Rehabilitationsgeld ebenso wie im Falle der Zuerkennung einer unbefristeten Pension eine Abrechnung mit der vorschussweise gewährten Leistung aus der AlV möglich sein soll, ist naheliegend, spricht aber ebenso wenig wie § 103 Abs 1 Z 5 ASVG gegen eine rückwirkende Leistungszuerkennung.
Zuletzt führt der OGH auch teleologische Argumente ins Treffen: Eine rückwirkende Zuerkennung von Rehabilitationsgeld sei auch zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung der Versicherten nicht erforderlich, da diese ohnehin durch das Krankengeld gewährleistet sei. Dieser Befund ist zunächst nur dann zutreffend, wenn die versicherte Person tatsächlich noch Anspruch auf Krankengeld hat und nicht bereits „ausgesteuert“ ist. Darüber hinaus ist der Verweis auf die Ruhensbestimmungen des § 143a Abs 3 und 4 ASVG nicht ganz nachvollziehbar: Aus § 143a Abs 3 ASVG ist abzuleiten, dass es bei einem Zusammentreffen von Krankengeld und Rehabilitationsgeld zu einem Ruhen des Krankengeldes kommt. Sollte sich also herausstellen, dass dem/der Versicherten rückwirkend für einen Zeitraum Rehabilitationsgeld zusteht, für den bereits Krankengeld bezogen wurde, so wäre dies wohl ein weiterer Anwendungsfall für die Bestimmung des § 103 Abs 1 Z 5 ASVG, die dem Wortlaut nach keineswegs nur auf die Konstellation einer rückwirkenden Zuerkennung einer Pensionsleistung für Zeiträume eines bereits lukrierten Rehabilitationsgeldbezuges eingeschränkt ist.
Problematisch wären freilich Konstellationen, in denen Rehabilitationsgeld rückwirkend für Zeiträume zuzuerkennen wäre, während der/die Versicherte noch in einem aufrechten Arbeitsverhältnis gestanden ist und Entgeltfortzahlungsansprüche gegen den/die AG hatte. Für den Bezug von Rehabilitationsgeld ist die Auflösung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses keine zwingende Voraussetzung. Allerdings gilt das Arbeitsverhältnis beim Bezug von Rehabilitationsgeld gem § 15b Abs 1 AVRAG ex lege als karenziert, womit auch allfällige Pflichten des/der AG zur Fortzahlung des Entgelts im Krankheitsfall ruhen. Dies würde bei Bejahung einer rückwirkenden Zuerkennung von Rehabilitationsgeld zu schwierigen Rückabwicklungsfragen führen (idS wohl auch Windisch-Graetz, Arbeitsrechtliche Konsequenzen des Bezugs von Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld – Klarstellungen betreffend Entgeltfortzahlung, Abfertigung und Betriebspension, ZAS 2016/11, 65 [66]). Dies könnte bei systematischer Betrachtung tatsächlich als Indiz dafür gewertet werden, dass eine rückwirkende Zuerkennung von Rehabilitationsgeld vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war.
Der Gesetzgeber hat die Rechtspraxis mit der bestenfalls halb durchdachten Auslagerung der Nachfolgeleistungen der befristeten Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in andere Versicherungszweige vor schwierige Auslegungsprobleme gestellt. Die Gerichte sind in ihrer unfreiwilligen Aufgabe, die damit verbundenen gordischen Knoten zu entwirren, nicht zu beneiden. Pletzenauer (DRdA-infas 2017/144, 235 [238]) hat das vorliegende Urteil als „salomonische“ E des OGH bezeichnet, da mit der Ablehnung einer rückwirkenden Leistungszuerkennung auch die sonst drohende Gefahr des Verfalls von zukünftigen Leis tungen beseitigt worden sei. Tatsächlich lassen sich mit dem vom OGH erzielten Ergebnis dieses und andere Folgeproblem(e) einer rückwirkenden Zuerkennung von Rehabilitationsgeld vermeiden. Auch spricht tatsächlich Einiges für die Annahme, dass der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hatte, das Rehabilitationsgeld hinsichtlich des Beginns des Leistungsanspruchs anders zu behandeln als die zuvor für den Fall einer vorübergehend geminderten Arbeitsfähigkeit zustehenden befristeten Pensionen. Die vom OGH dafür ins Treffen geführten systematischen und teleologischen Überlegungen sind allesamt beachtlich.
Nicht stimmig, sondern einigermaßen verwirrend ist aber der Zickzackkurs, den der OGH mit den beiden einschlägigen Entscheidungen zur Frage des Beginns der Leistungspflicht des Versicherungsträgers eingeschlagen hat. Die nun vorliegende E ist nur schwer in Einklang zu bringen mit der Vorentscheidung, die der OGH nicht revidiert hat, deren praktische Bedeutung aber mit dem nun vorliegenden Urteil radikal relativiert worden ist. Das Ergebnis einer Zusammenschau der beiden Entscheidungen zur Thematik, dass nämlich beim Rehabilitationsgeld in der Frage des Beginns des Leistungsanspruchs zwar grundsätzlich die pensionsversicherungsrechtlichen Regeln, allerdings mit Ausnahme des Stichtagsprinzips, zur Anwendung kommen sollen, kann nicht so recht überzeugen. Eine Antwort auf die Frage, warum allein diese Facette nicht auf das Rehabilitationsgeld übertragbar sein soll, bleibt der OGH schuldig.52